19. Kapitel
Kollund, Dänemark
Der Himmel am nächsten Morgen war wolkenverhangen. Es wehte ein leichter Küstenwind, und die sommerlichen Temperaturen der vergangenen Tage waren deutlich unter die Zwanzig-Grad-Grenze gesunken. Das Grau des Meeres verschmolz mit dem Grau des Horizonts.
Rasmus ging neben Vizepolizeiinspektorin Eva-Karin Holm und Jesper Troelsen den Strand entlang, an dem sich bei dem trüben Wetter außer ihnen keine Menschenseele aufhielt. Erstaunlicherweise hatte sich der Politiker umgehend zu einem Gespräch bereit erklärt, als Rasmus ihn angerufen und unkonventionell den Kollunder Strand als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, da er sich für die restliche Woche im Sommerhaus aufhielt. Kein Wort über eine vorige Terminabsprache mit seinem Abgeordnetenbüro. Jesper Troelsen gab sich freundlich und kooperativ.
»Ihr wollt mit mir über Alexander sprechen?« Der Blick des Politikers glitt zur Vizepolizeiinspektorin und dann weiter zu dem Ermittler.
»Auch«, erwiderte Rasmus. »Aber zunächst geht es um Peter Jørgensen. Du weißt, dass er ermordet wurde?«
»Ja. Alexander hat es mir erzählt.«
»Hattest du Kontakt zu Peter am letzten Donnerstag?«
Jesper Troelsen runzelte die Stirn, und auch Eva-Karin Holm bekam einen angespannten Gesichtsausdruck, sagte aber nichts.
»Ich will ganz offen sein.« Der Politiker blieb stehen. »Peter hat mich vorigen Donnerstag aufgesucht. Während einer Veranstaltung in Aarhus. Offenbar hatte er in der Presse gelesen, dass ich dort anwesend sein würde.«
»Was hat er von dir gewollt?«
»Geld. Er drohte mir, Alexander anzuzeigen. Offenbar sind die beiden vor Kurzem aneinandergeraten, dabei hat mein Sohn die Nerven verloren. Peter wollte das in der Presse publik machen für den Fall, dass ich nicht zahle.«
Rasmus hob die Augenbrauen. »Über welche Summe sprechen wir?«
»Fünftausend Euro.«
»Und warum ist Peter damit zu dir gekommen? Wäre es nicht einfacher gewesen, Alexander mit der Erpressung zu konfrontieren?«
Jesper Troelsen blickte aufs Meer hinaus. Am Horizont zeichneten sich die Umrisse eines Tankers ab.
Der Politiker wandte sich wieder den Polizeibeamten zu. »Ich habe in einer ähnlichen Situation schon einmal gezahlt. Ein Fehler, den ich kein zweites Mal mache. Damals hat Alexander einen Lehrer geschlagen. Ich wollte meinen Sohn schützen. Mit einer Vorstrafe hätte man ihm die Zulassung zum Staatsexamen entziehen können. Also habe ich den Geschädigten mit einer großzügigen Summe abgefunden.«
»Und Peter Jørgensen hat das gewusst?«
»Davon gehe ich aus. Schließlich war er Livas Bruder.«
Die kleine Gruppe setzte sich wieder in Gang.
»Du hast Peter also kein Geld gegeben?«, hakte Rasmus nach.
Jesper Troelsen schüttelte den Kopf. »Ich wollte mich nicht erpressbar machen. Davon abgesehen ist es letztendlich zu keiner Körperverletzung gekommen, wie mir Alexander berichtet hat.«
»Und Peter Jørgensen ist dann einfach so wieder gefahren?« Rasmus bemerkte, wie die linke Braue seiner Vorgesetzten bei der Frage in die Höhe schoss.
»Ihr denkt, ich hätte ihn umgebracht?« Jesper Troelsen lächelte amüsiert. »Wegen einer Anzeige? Deshalb bringt man doch keinen Menschen um.« Seine Miene wurde wieder ernst. »Peter ist nach dem Gespräch wieder gefahren. Es hat keine fünf Minuten gedauert. Falls ihr das anzweifelt … es gibt jede Menge Zeugen dafür.«
»Gut. Wir brauchen dann später eine Liste mit Namen.«
Der Politiker nickte. »Wurde Peter Jørgensen denn in Aarhus ermordet?«
Rasmus ging nicht auf die Frage ein. »Wo warst du nach der Veranstaltung?«
»Im Sommerhaus bei meiner Frau. Sie wird euch das gerne bestätigen.« Jesper Troelsen wirkte nun leicht verärgert. »Warum fragt ihr mich das überhaupt alles?«
Eva-Karin Holm räusperte sich. »Während der Ermittlungen haben sich Hinweise ergeben, dass du und Leif Jørgensen in der Vergangenheit Geschäfte gemacht habt.«
»Was hat das mit den Morden zu tun?«
Die Kriminalbeamten schwiegen.
»Es stimmt«, gab der Politiker bereitwillig zu. »Leif und ich haben früher zusammengearbeitet. Wir waren sogar Freunde. Unsere Väter haben sich kennengelernt, als beide dabei waren, ihre Unternehmen aufzubauen. Unsere Firma stellt klimatechnologische Lösungen für die Wirtschaft her. Heiz- und Lüftungsgeräte, Gebläsekonvektoren, Kühlanlagen. Unsere Geräte sind überall in Hotels, in Krankenhäusern bis in den IT -Sektor zu finden. Damit gehören wir zu den führenden Lieferanten für Lufttechnikkomponenten in Europa und haben dementsprechend viel mit Logistikern zu tun. Eine Zusammenarbeit mit Jørgensens Spedition lag also nahe.«
»Irgendwann aber nicht mehr«, erwiderte Rasmus trocken. »Was ist passiert?«
Jesper Troelsen warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. »Menschen sollten nur den Job machen, von dem sie etwas verstehen, den Rest sollten sie Profis überlassen.« Er hielt einen Moment inne, ehe er weitersprach. »Leif ist kein Geschäftsmann, das ist er nie gewesen. Er hat den Überblick über seine Finanzen verloren. Anfangs habe ich ihm mit lukrativen Aufträgen unter die Arme gegriffen. Aus Freundschaft. Doch ich musste auch auf die Belange meines Unternehmens achten. Und die ließen diese Zusammenarbeit irgendwann nicht mehr zu. Leif hat das nicht verstanden.«
Sie erreichten das Strandende. Anstatt des hellen Sandes zogen sich ab hier Steine und allerlei Gestrüpp am Wasser entlang.
»Damals, als Liva verschwand, hattet ihr aber noch Kontakt?«, hakte Rasmus nach.
»Wenig. Als sich abzeichnete, dass unsere geschäftliche Zusammenarbeit in naher Zukunft beendet sein würde, hat das unsere Freundschaft belastet.« Jesper Troelsen runzelte die Stirn. »Leif begann wieder mit dem Trinken und wurde mir und meiner Familie gegenüber ausfällig. Deshalb habe ich irgendwann die Reißleine gezogen.«
Sie traten den Rückweg an.
»Nur der Ordnung halber«, sagte Rasmus. »Wo warst du vorletzten Donnerstagabend?« Er bemerkte, wie sich seine Vorgesetzte neben ihm versteifte.
Der Politiker reagierte gelassen. »Die Abgeordneten der Regierungsparteien hatten ein letztes Zusammentreffen vor der Sommerpause. In Christiansborg. Anschließend hat es noch einen gemeinsamen Umtrunk mit dem Premierminister gegeben.«
»Danke, das sollte reichen«, sagte Eva-Karin Holm.
»Habt ihr sonst noch Fragen an mich?« Jesper Troelsen sah Rasmus an.
»Dein Sohn … Allem Anschein nach verliert er häufiger die Nerven. Wäre es denkbar, dass er das auch im Fall von Liva und Peter getan hat?«
Jesper Troelsens Kiefermuskeln spannten sich an. »Du fragst mich jetzt ernsthaft, ob ich meinen Sohn für einen Mörder halte? Und erwartest darauf auch noch eine Antwort?«
Rasmus nickte.
»Die Antwort lautet Nein«, erklärte der Politiker. Jegliche Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. »Oder habt ihr mit etwas anderem gerechnet?« Er machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich ohne ein weiteres Wort.
Rasmus blickte der hohen Statur hinterher. »Wir mussten ihn befragen, wie jeden anderen auch.«
»Ein wenig mehr Fingerspitzengefühl hätte trotzdem nicht geschadet«, erwiderte Eva-Karin Holm scharf. »Der Mann wird vielleicht eines Tages unser Land regieren.«
»Damit ist er nicht unantastbar.« Rasmus beobachtete, wie Jesper Troelsen den Fjordvejen überquerte, um den Weg zum Sommerhaus zu nehmen. »Und das Gleiche gilt für seinen Sohn.«
Flensburg, Deutschland
Vibeke saß an ihrem Schreibtisch in der Polizeiinspektion und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Es war bereits die fünfte an diesem Vormittag. Sie hatte erneut bis tief in die Nacht an Werners Krankenbett gesessen. Die meiste Zeit hatte ihr Vater geschlafen, doch hin und wieder war er aufgewacht, hatte irgendetwas gemurmelt, ehe ihm wieder die Augen zufielen. Ob er sie erkannt hatte, blieb ungewiss.
Trotzdem war Vibeke voller Zuversicht. Die Ärzte hatten sie darauf vorbereitet, dass diese Phase nicht nur Stunden, sondern sogar Tage und Wochen anhalten konnte.
Noch vor dem anberaumten Mitarbeitermeeting hatte sie ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten geführt, ihm Werners gesundheitliche Situation dargelegt und um einen Aufschub des eingeleiteten PDU -Verfahrens gebeten, um den Heilungsprozess nicht zu verzögern. Jeder Schritt zur richtigen Zeit, hatte der Arzt gesagt.
Der Polizeipräsident war sehr verständnisvoll gewesen, hatte seine Wertschätzung gegenüber ihrem Vater zum Ausdruck gebracht und einem vorläufigen Aufschub zugestimmt.
Das anschließende Meeting war unaufgeregt verlaufen. Ihr Team bearbeitete derzeit nur den Fall der erschlagenen Rentnerin, der so gut wie ausermittelt war, nachdem der in Untersuchungshaft sitzende Ehemann ein vollständiges Geständnis abgelegt hatte. Auch die Ergebnisse der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin bargen keinerlei unerwartete Überraschungen; was blieb, war ein Haufen Papierkram.
Es klopfte, und Kriminalkommissar Michael Wagner erschien in der Tür. »Dein Besuch ist da.« Er errötete unter seinem blonden Backenbart.
Offensichtlich fiel es ihm immer noch schwer, seine Vorgesetzte zu duzen. Seit Vibeke ihren Mitarbeitern vor einigen Tagen das Du angeboten hatte, lief der junge Ermittler jedes Mal rot an, sobald er sie ansprach. Dieses Problem hatte Klaus Holtkötter nicht. Im Gegensatz zu seinem Kollegen hatte ihr Stellvertreter darauf bestanden, dass er und Vibeke sich weiter siezten. Alles andere entspräche nicht den korrekten Umgangsformen, wie er ihr mit finsterem Blick erklärte.
Eine Frau in geblümtem Maxikleid und Jeansjacke trat hinter Michael Wagner hervor. Sie hatte eine zierliche Figur, hellblondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, und ein freundliches Lächeln. Vibeke schätzte sie auf höchstens Ende zwanzig.
»Ich bin Solveig Gulbrandsen.« Sie hatte einen niedlichen Akzent. Die beiden Frauen reichten sich zur Begrüßung die Hand.
»Bitte nehmen Sie Platz.« Vibeke deutete auf den Besucherstuhl. »Möchten Sie auch einen Kaffee?«
»Nein danke. Ich hatte heute schon reichlich davon.« Solveig Gulbrandsen zog ihre Jeansjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne, ehe sie sich setzte.
»Danke, dass Sie den Weg auf sich genommen haben. Sie sprechen gut Deutsch. Wie lange leben Sie schon in Hamburg?«
»Über zehn Jahre. Ich bin als Au-pair-Mädchen aus Norwegen gekommen und wollte eigentlich nur ein Jahr bleiben, aber dann habe ich mich erst in die Stadt und später dann in meinen Mann verliebt.« Sie lächelte breit. »Also bin ich geblieben.«
»Erzählen Sie mir von Liva«, forderte Vibeke sie auf. Sie griff nach Zettel und Stift.
»Ich traf sie das erste Mal vor etwa anderthalb Jahren im Jussi «, erzählte die Norwegerin. »Das ist ein skandinavisches Krimi-Buch-Café in Hamburg. Wir sind über ein Buch ins Gespräch gekommen, und als sie erwähnte, sie käme aus Schweden, habe ich ihr von unserer skandinavischen Gruppe erzählt und sie zu einem Treffen eingeladen.« Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ehrlich gesagt war ich überrascht, als Laura dort tatsächlich auftauchte, denn ihre Reaktion auf meine Einladung war eher verhalten gewesen.« Sie bekam feuchte Augen. »Es tut mir leid, dass Laura tot ist. Ich habe sie gemocht.«
»Wissen Sie, ob sie einen Freund hatte?«
Solveig Gulbrandsen schüttelte den Kopf. »Sie redete nicht viel, erst recht nicht über Privates. Manchmal kam mir das etwas seltsam vor. Ein Typ aus unserer Gruppe, er ist Schwede, meinte, dass Laura nie und nimmer aus Malmö käme, weil sie nie Schwedisch mit ihm sprach. Ich dachte, er wolle sich nur wichtigmachen.« Sie kramte in ihrer Handtasche und zog ein paar Fotos heraus, die sie der Kriminalbeamtin reichte. »Die habe ich Ihnen mitgebracht. Laura hasste es, fotografiert zu werden, aber auf einigen Bildern ist sie trotzdem drauf.«
Vibeke betrachtete die Fotos aufmerksam. Trotz der dunkel gefärbten Haare erkannte sie die Frau mit dem zarten Gesicht sofort. Liva Jørgensen stand hinter einem Verkaufsstand mit selbst gebasteltem Weihnachtsschmuck und lächelte eine ältere Dame an. Sie wirkte gelöst und sympathisch.
»Darf ich die Fotos behalten?«
Die Norwegerin nickte. »Deshalb habe ich sie mitgebracht.«
»Wann haben Sie Liva das letzte Mal gesehen?« Vibeke legte die Fotos beiseite und langte wieder nach ihrem Stift.
»Das war etwa vor einem Dreivierteljahr, bei einem unserer Gruppentreffen. Sie sagte mir, sie ginge zurück nach Schweden.«
»Hat sie Ihnen einen Grund dafür genannt?«
Solveig Gulbrandsen nickte. »Ihre Mutter war schwer erkrankt. Laura wollte nach Hause, um ihr beizustehen.«
Vibeke ließ ihren Stift sinken.
Padborg, Dänemark
Sören Molin verschränkte die Arme vor der Brust. »Liva Jørgensen ist nicht zurück nach Dänemark gekommen.«
»Aber nach Flensburg.« Vibeke deutete auf die Stelle der deutsch-dänischen Landkarte, auf der ihre Heimatstadt markiert war. Im Anschluss an das Gespräch mit der Norwegerin hatte sie sich umgehend auf den Weg ins GZ gemacht, um dem Team von der neuen Entwicklung zu berichten.
»Liva könnte jederzeit über die Grenze gefahren sein«, erklärte sie mit Nachdruck. »Und wie wir wissen, hat sie das letztendlich auch getan. Das beweist die Fahrkarte, die wir in ihrem Portemonnaie gefunden haben. Liva hat ihre Mutter besucht.« Vibeke ärgerte sich maßlos, dass sie Agnes Jørgensen anstandslos geglaubt hatte, keinen Kontakt zu ihrer Tochter gehabt zu haben. Sie hätte hartnäckiger sein müssen.
Sören schüttelte den Kopf. »Das macht alles keinen Sinn.«
»Vielleicht doch.« Rasmus trat neben Vibeke und tippte auf einen Punkt nördlich von Kollund. »Hier liegt Grasten. Erinnert ihr euch, dass wir uns gewundert haben, warum Liva nicht mit dem Bus aus Padborg, sondern aus der Gegenrichtung kam?« Er wandte sich an Pernille Larsen. »Kannst du kurz checken, wie man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Apenrade zum Fjordvejen nach Kollund kommt?«
Die dunkelhaarige Polizistin nickte und zog ihre Computertastatur zu sich heran.
Vibeke fragte sich, worauf ihr dänischer Kollege hinauswollte.
»Es gibt eine Busverbindung von Apenrade nach Kliplev.« Pernille sah auf ihren Monitor. »Von dort aus gelangt man mit einer anderen Linie nach Kollund. Und zwar über Grasten.«
»Agnes Jørgensen liegt in Apenrade im Krankenhaus. Und das zum wiederholten Mal.« Rasmus setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »Vibeke hat recht. Liva hat ihre Mutter besucht.« Er griff nach einem Stift und kratzte sich damit im Nacken. »Agnes Jørgensen hat uns die ganze Zeit belogen, und wir haben uns von ihr einwickeln lassen. Sie wusste, dass ihre Tochter noch lebt.«
Es wurde völlig still im Raum.
Jens Greve fand seine Sprache als Erster wieder. »Warum haben die beiden das geheim gehalten?«
»Weil es offenbar jemanden gibt, der nicht wissen durfte, dass Liva am Leben war.« Rasmus feuerte den Stift mit grimmiger Miene auf seine Schreibtischunterlage. »Man hat uns die ganze Zeit für dumm verkauft.«
Jens runzelte die Stirn, zog eine Akte zu sich heran und blätterte darin herum. »Leif und Agnes Jørgensen haben ausgesagt, dass sie zur Tatzeit gemeinsam vor dem Fernseher saßen.«
»Was sie vermutlich auch getan haben«, erwiderte Rasmus mit grimmigem Blick. »Aber am Nachmittag … da war Agnes im Krankenhaus, darauf wette ich.«
»Flensburg war Livas Sicherheitsabstand«, sagte Vibeke mit einem Blick auf die Landkarte. »Von dort aus ist es nur ein Katzensprung über die Grenze. Wir sollten zu Agnes Jørgensen ins Krankenhaus fahren und sie mit unseren Erkenntnissen konfrontieren.«
Rasmus nickte. »Hoffen wir, dass uns ihr Arzt nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Am besten, ich rufe ihn vorher an.«
»Es gibt übrigens noch eine zweite Busverbindung von Apenrade nach Kollund.« Pernilles Finger flogen über die Tastatur ihres Computers. »Die Fahrt dauert nur halb so lang.«
»Warum hat Liva dann einen Umweg in Kauf genommen?«, fragte Jens verblüfft.
»Die Strecke führt über Kruså«, fügte Pernille ergänzend hinzu. »Man muss dort umsteigen, um den Bus an die Küstenstraße zu nehmen.«
»Die Jørgensen leben in Kruså«, erinnerte Vibeke. »Liva muss befürchtet haben, von jemandem erkannt zu werden. Von den Nachbarn oder alten Bekannten.« Sie blickte in die Runde. »Oder von Leif.«
Rasmus’ Handy klingelte. Er sah aufs Display und nahm das Gespräch an. Hin und wieder gab er einsilbige Antworten, dann legte er auf.
»Das war Eva-Karin Holm«, erklärte er stirnrunzelnd. »Jesper Troelsens Alibi für den Mordzeitraum an Liva Jørgensen wurde bestätigt.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Interessant ist aber, dass Mette Troelsen angibt, sie wäre letzten Donnerstagabend nicht im Sommerhaus gewesen, sondern hätte sich mit einer Freundin in Kopenhagen getroffen. Jesper Troelsen hat damit kein Alibi für den Mord an Peter.«
»Das heißt aber nicht automatisch, dass er nicht dort war«, warf Sören ein.
»Und warum hat er dann gelogen?«
»Vielleicht war er überrumpelt. Er wird nicht damit gerechnet haben, nach seinem Alibi befragt zu werden.« Sören grinste breit. »Oder er hat gar nicht bemerkt, dass seine Frau nicht zu Hause war. In manchen Ehen kommt so etwas durchaus vor.«
»Gibt es denn weitere Berührungspunkte zwischen Jesper Troelsen und den Jørgensens?«, mischte sich Jens Greve ins Gespräch. »Ich meine, abgesehen von der geschäftlichen Beziehung?«
Rasmus schüttelte den Kopf. »Zumindest keine, die wir derzeit kennen.«
Die Einweihung der Demenzstation, schoss es Vibeke in den Sinn. Jesper Troelsen hatte als Unterstützer dieses Projekts vermutlich häufiger mit dem Krankenhaus zu tun, in dem Agnes Jørgensen als Patientin lag. Sie wusste nicht, wie dieser Umstand in Zusammenhang mit den Morden stehen konnte, doch sie hatte eine vage Ahnung, dass sie etwas Wichtigem auf der Spur war.
»Ich muss mal kurz telefonieren.« Sie griff nach ihrem Handy und verließ das Büro, die Blicke ihrer Kollegen im Nacken.
Nach zehn Minuten in der Warteschleife des Krankenhauses und viermaligem Durchstellen erhielt Vibeke die Auskunft, dass Jesper Troelsen nicht nur die Demenzstation seit Jahren unterstützte, sondern auch als Besucher einer Patientin häufig vor Ort war. Die Patientin hieß Agnes Jørgensen.