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J. WeimannEinfach zu einfachhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-40697-4_10

10. Ein Experiment

Joachim Weimann1  
(1)
LS für Wirtschaftspolitik, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, Deutschland
 

Sie glauben nicht daran, dass gebildete Menschen fest an ihren Narrativen festhalten, auch dann, wenn es gute Gründe gibt, diese zu korrigieren? Machen Sie die Probe aufs Exempel. Allerdings müssen Sie dazu zunächst selbst Ihr Weltbild unter Umständen ein Stückchen korrigieren. Seit etwa zwei Jahren ist der Weltöffentlichkeit und vor allem der deutschen Bevölkerung klar geworden, dass wir ein Plastikproblem haben. Jedenfalls haben Teile der Ozeane eines und zwar in einem schier unvorstellbaren Ausmaß. Die Bilder der Plastik Inseln und der verendeten Tiere, haben sehr viele Menschen erreicht und berührt. Die Folge war, dass Plastik seitdem eine ganz schlechte Presse hat. Plastik zu benutzen wurde im Rekordtempo in Deutschland zu einer politisch extrem unkorrekten Sache, erst recht, wenn das Plastik die Form einer Tüte hat. Die Politik überbot sich mit Vorschlägen, wie der Plastikkonsum einzuschränken sei und viele Firmen nahmen den Hype zum Anlass, ihre Verpackung abzuspecken (spart Kosten) und dann damit zu werben (gewinnt neue Kunden). Hinter allen diesen Aktivitäten steht die Vermutung, dass es unter anderem der deutsche Plastikmüll ist, der im Meer landet. Diese Vermutung hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Der Anteil ganz Europas an dem in den Ozeanen schwimmenden Müll liegt bei 0,28 %.34 Es gibt 500 Mio. Europäer und 82 Mio. Deutsche, was einem Anteil von 16,4 % entspricht. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass überall in Europa die Abfallbeseitigung gleich gut funktioniert, beträgt der Anteil Deutschlands am Meermüll damit 0,046 % (16,4 % von 0,28 %). Allerdings können wir getrost davon ausgehen, dass die Abfallbehandlung in Deutschland besser ist als in vielen anderen europäischen Ländern. Wir haben nämlich bei Kunststoffabfällen eine Wiederverwertungsquote von 99,5 %.35 Wiederverwertung bedeutet, dass die Stoffe recycelt oder energetisch verwertet werden, also aus ihnen in speziellen Kraftwerken Energie gewonnen wird. Bevor Sie argumentieren, das würde ja wieder CO2 freisetzen und andere Giftstoffe, sollten Sie bedenken, dass die Kraftwerke dem EU ETS unterliegen, also jede Emission dieser Werke an anderer Stelle eingespart wird. Außerdem ist die Technik der Kraftwerke weltführend und erlaubt es die Luftschadstoffe so weit herauszufiltern, dass die Grenzwerte weit unterschritten werden.

An dieser Stelle wird gern auf die Müllexporte verwiesen, die Deutschland tätigt. Ein Blick auf die Daten des Umweltbundesamtes36 zeigt allerdings, dass Deutschland bei den notifizierungspflichtigen Abfällen (die Umweltprobleme bereiten können) Nettoimporteur ist. Wir importieren also mehr Müll, als wir exportieren, was wiederum mit der sehr hoch entwickelten Technik in Deutschland zusammenhängt.

Zusammengefasst, das zweifellos gigantische Müllproblem in den Ozeanen wird durch unsere Maßnahmen zur Reduktion von Plastik nicht einmal marginal berührt. Wir machen uns etwas vor, wenn wir annehmen, dass wir ein gutes Gewissen haben können, weil wir jetzt Papiertüten statt Plastiktüten verwenden und keine Plastikstrohhalme mehr benutzen. Alles das sind Placebos. Viel Wind um Nichts. Wenn wir wirklich etwas gegen das Plastikproblem unternehmen wollten, müssten wir dort ansetzen, wo der Müll tatsächlich herkommt. 86 % stammen aus Asien, den Rest teilen sich Südamerika und Afrika. Wir müssten bereit sein, dafür zu sorgen, dass in diesen Ländern sorgsam mit dem Müll umgegangen wird. Was nicht einfach sein dürfte, denn es fehlt an Infrastruktur, an einem entwickelten Umweltbewusstsein und vor allem an Geld.

Nun zu dem Experiment. Vergewissern Sie sich, dass Sie die Zahlen, die hier genannt wurden, im Kopf haben und auch die Quellen angeben können. Auf der nächsten Party oder dem nächsten Treffen mit Freunden und Bekannten lassen Sie ein paar Bemerkungen fallen, die darauf hinauslaufen, dass Sie die Plastik-Verbote nicht verstehen und der Meinung sind, wir sollten uns nicht länger mit Placebo Politik zufriedengeben. Und wenn es dann zu Nachfragen kommt, dann kommen Sie mit Ihren Zahlen, Daten und Fakten rüber.

Werden Sie es schaffen, Ihre Umgebung davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee ist, die Verschmutzung der Weltmeere in Deutschland zu bekämpfen? Probieren Sie es aus. Wenn Sie es schaffen, die Runde am Ende davon zu überzeugen, dass man über das Plastik Problem anders nachdenken muss, als das die deutsche Politik gemacht hat, dann kann man Ihnen nur zu Ihrem Freundeskreis und Ihrer Überzeugungskraft gratulieren. Es steht aber zu befürchten, dass der Confirmation bias zuschlagen wird. Das Narrativ, dass die deutschen Aldi Tüten schuld sind, wird vermutlich unbeschadet durch den Abend kommen. Sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit erleben, wie schwer es ist, ein Narrativ in die Flucht zu schlagen. Ein Beispiel. In einer Diskussion mit einem Medienwissenschaftler habe ich einmal das Plastik-Beispiel erwähnt. Mein Gegenüber hat dann argumentiert, dass wir natürlich schon schuld seien, denn in Deutschland würden die Stoffe produziert, aus denen man Plastik macht. Meinen Hinweis, dass die Produktion von Plastik nicht das Problem sei, weil Kunststoffe für unser Leben von extrem hohem Wert sind, sondern dass das Problem die Entsorgung von Abfall im nächstgelegenen Fluss ist, hat er nicht wirklich gelten lassen.

Einmal ehrlich, verehrter Leser, ist es nicht erstaunlich, dass die vielen Umweltaktivisten, die wir seit einiger Zeit haben, nicht auf die Idee kommen, dass wir mit dem, was wir gegen das Plastikproblem tun, den Weltmeeren genau Nullkommanull helfen? Wo sind die Aufrufe, die Demos und die Medienberichte, die energisch fordern, den Meeresbewohnern endlich wirklich zu helfen und nicht einfach nur so zu tun? Vielleicht liegt dieses Komplettversagen daran, dass wir für das Problem schon eine leichte Lösung gefunden haben, die jeder versteht: Weniger Plastik gleich weniger Müll gleich Problem gelöst. Lösungen dieser Art sind so verflucht einfach und so verflucht leicht unter die Leute zu bringen, aber eben auch verflucht falsch.