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J. WeimannEinfach zu einfachhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-40697-4_15

15. Narrative der Klimapolitik

Joachim Weimann1  
(1)
LS für Wirtschaftspolitik, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, Deutschland
 

Im Folgenden geht es nicht mehr um die Frage, ob wir Klimapolitik brauchen oder nicht. Es wäre in hohem Maße unvernünftig, sich nicht gegen die Risiken eines tief greifenden Klimawandels zu versichern. Dies gilt erst Recht im Hinblick auf unsere Verantwortung für die Lebensgrundlagen der nachfolgenden Generationen. Die Frage ist vielmehr, wie wir zu einer sinnvollen Versicherung kommen. Klar ist nur, dass wir dazu die Emission von Treibhausgasen reduzieren müssen. Das bedeutet, wir müssen auf die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen mehr und mehr verzichten. Das ist nicht trivial, denn erstens ist die Energie, die wir aus den fossilen Brennstoffen gewinnen, für unseren Wohlstand absolut essenziell und zweitens stehen bisher keine alternativen Energiequellen im erforderlichen Umfang bereit. Einfach sofort auf Kohle und Co zu verzichten ist keine Option, denn dann würde alles zusammenbrechen. Wir brauchen eine Transformation, die so gestaltet ist, dass der Übergang gelingt und dabei kein allzu großer Schaden entsteht. Wie sehen die Narrative aus, die den Übergang in eine CO2-arme Wirtschaft beschreiben?

Es gibt zwei zentrale Narrative. Erstens das wissenschaftliche und zweitens das folkloristische. Bevor wir uns diese beiden Kandidaten ansehen, müssen wir die Dinge ein bisschen sortieren. Als erstes muss noch einmal betont werden, dass es nicht um die Notwendigkeit oder den Umfang von Klimapolitik geht, sondern „nur“ um die Frage, wie die klimapolitischen Ziele am besten zu erreichen sind. Das bedeutet, dass wir es mit einer Fragestellung zu tun haben, bei der die Naturwissenschaften nicht gefragt sind. Die naturwissenschaftlichen Kollegen und Kolleginnen sind ja auch vollkommen ausgelastet mit der Erforschung des Systems Erde, das wir bisher nur ansatzweise verstehen. Es besteht keine Notwendigkeit, Physiker mit der Frage zu befassen, wie sich eine Ökonomie umgestalten lässt. Es wäre sogar sehr schädlich, wenn Physiker, Biologen, Klimaforscher usw. sich berufen fühlen, sich zu dieser Frage zu äußern. Dafür sich sie nicht ausgebildet und das ökonomische System unserer Zeit ist so komplex, dass man Laien nicht erlauben sollte, daran herumzubasteln. Leider passiert das immer wieder und das Ergebnis ist, dass Naturwissenschaftler klimapolitische Folklore von sich geben, die andere dann mit wissenschaftlicher Expertise verwechseln.

Die Wissenschaft, die von ihrem Erkenntnisgegenstand her dafür prädestiniert ist, sich Gedanken darum zu machen, wie man eine ökonomische Transformation erheblichen Ausmaßes möglichst gut gestalten kann, ist die Ökonomik. Klimapolitik ist ein zutiefst ökonomisches Problem, denn letztlich geht es um die Frage, wie man mit einem knappen Gut (unsere Atmosphäre) umgehen sollte. Die Lösung von Knappheitsproblemen ist das zentrale Thema der Wirtschaftswissenschaft. Deshalb werden wir uns das ökonomische Narrativ ansehen, das erzählt, wie der Umgang mit der immer knapper werdenden Lagerstätte „Atmosphäre“ zu gestalten ist. Wenn Klimaaktivisten skandieren, dass man auf die Wissenschaft hören solle, ist das nur zu unterstützen. Aber man sollte auf die jeweils zuständige, d. h. kompetente Wissenschaft hören. Bei der Frage, ob wir ein Klimaproblem haben und wie dringend das ist, sind das die Naturwissenschaften. Bei der Frage, was man tun kann, um dieses Problem zu lösen, ist das in ersten Linie die Ökonomik. Aus diesem Grund werden wir uns als erstes das ökonomische Narrativ ansehen und es dann mit der folkloristischen Variante vergleichen.

Die Wissenschaft zu befragen ist ja im Prinzip eine gute Idee, aber gibt es nicht zu jeder Position irgendwelche Wissenschaftler, die sie unterstützen? Wie soll man erfahren, was die wissenschaftliche Position tatsächlich ist? Ein erster Schritt besteht darin, dass man sich auf die wissenschaftliche Welt konzentriert, in der Forschung unabhängig von ökonomischen, politischen oder weltanschaulichen Interessen abläuft. Das bedeutet, dass Institute, die nicht staatlich finanziert sind, sondern Auftragsforschung betreiben, nicht Bestandteil dieser Welt sind. Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute (Max-Planck-Institute, Leibnitz Institute) werden ja gerade deshalb staatlich finanziert und mit dem grundgesetzlichen Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre ausgestattet, damit wirtschaftlich unabhängige (weil verbeamtete) Forscherinnen nicht partikularen Interessen dienen müssen, sondern ihr Wirken ausschließlich der Suche nach der Wahrheit widmen können. Das klappt nicht perfekt, keine Frage. Aber es klappt ziemlich gut.

Im Grunde genommen kann man das ökonomische Narrativ in einem Satz zusammenfassen: „Wir brauchen einen einheitlichen Preis für CO2-Emissionen, weil nur mithilfe eines solchen Preises eine kosteneffiziente Reduktion gelingen kann.“ In der internationalen ökonomischen Profession ist man sich wahrlich nicht immer einig. Aber in diesem Punkt gibt es einen bemerkenswerten Konsens.53 Warum ist das so? Eine zentrale Rolle in dem wirtschaftswissenschaftlichen Narrativ spielt der Begriff „Kosteneffizienz“. Was ist damit gemeint und warum soll das wichtig sein? Und warum brauchen wir dafür einen einheitlichen CO2-Preis? Um das ökonomische Narrativ verstehen zu können, müssen wir diese Fragen beantworten. Das wird ein bisschen dauern und leider wird es auch ein bisschen kompliziert, aber da wir nur an der Oberfläche bleiben, wird es verständlich bleiben (schließlich geht es um das Narrativ und nicht um die Wissenschaft dahinter). Wer es genauer wissen will, wird jeweils auf die entsprechende Lehrbuchliteratur verwiesen.

Wir starten mit der uralten ökonomischen Einsicht, dass alles seinen Preis hat: „There is no free lunch.“ Das gilt selbst für die Dinge, die scheinbar umsonst sind. Eine Stunde faul in der Sonne liegen kostet nichts? Von wegen, sie kostet eine Stunde Zeit, in der wir etwas anderes tun könnten, was uns Freude bereitet oder Einkommen verschafft. Darauf müssen wir verzichten, wenn wir faulenzen, und das ist der Preis, den wir dafür zahlen. Ökonomen sprechen in diesem Fall von Opportunitätskosten. Das hat zur Folge, dass wir sehr häufig zwischen den Kosten und den Vorteilen der Dinge, die wir tun, abwägen müssen. Genau das machen Ökonomen, wenn sie überlegen, wie wir mit den knappen Ressourcen umgehen sollen, die uns Menschen zur Verfügung stehen. Ganz allgemein sollten wir nur Dinge tun, bei denen die Vorteile größer sind als die Nachteile. Das gilt auch für den Einsatz von Ressourcen. Auch die Nutzung der fossilen Brennstoffe hat Vor- und Nachteile. Wir gewinnen damit Energie, die uns ein angenehmes Leben ermöglicht, aber sie führt auch dazu, dass CO2 emittiert wird, was negative Folgen haben kann. Das Problem ist, dass die Abwägung von Vor- und Nachteilen beim Einsatz dieser Brennstoffe nicht gut funktioniert. Wir müssen für die Brennstoffe einen Preis bezahlen, der uns darüber informiert, was es kostet, diesen Brennstoff zu gewinnen, zu transportieren usw. Nur wenn die Vorteile, die wir aus dem Brennstoff gewinnen, größer sind als die Kosten, sollten wir ihn benutzen. Aber die Kosten, die durch die Emission von CO2 entstehen (die Schäden die durch die Klimaveränderung verursacht werden), sind nicht im Preis berücksichtigt. Der Grund dafür ist, dass es für das Gut „Lagerfläche in der Atmosphäre“ keinen Markt gibt und sich deshalb auch kein Preis bilden kann, den man entrichten müsste, um das CO2 in der Atmosphäre lagern zu dürfen. Die Abwägung von Vor- und Nachteilen fällt damit falsch aus, denn es werden zwar alle Vorteile berücksichtigt, aber nicht alle Nachteile. Ökonomen sprechen in einem solchen Fall von einem externen Effekt.54 Die Folge davon ist, dass zu viele fossile Brennstoffe verbrannt werden, weil nicht alle Kosten beachtet werden, die damit verbunden sind.

Es ist offensichtlich, wie man dieses Problem lösen kann. Man muss den fehlenden Preis gewissermaßen künstlich schaffen und auf den Marktpreis für die fossilen Brennstoffe aufschlagen. Das wäre dann der berühmte CO2-Preis. Aber wie macht man das und wie hoch sollte der Preis sein?

Um einen CO2-Preis zu generieren, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann eine CO2-Steuer erheben, oder man installiert einen Emissionshandel. Bei der Steuer setzt der Planer den Preis unmittelbar fest und deshalb stellt sich dort sofort die Frage nach der richtigen Höhe. Ökonomen antworten darauf mit dem Hinweis, dass eine richtige Abwägung von Vor- und Nachteilen dann möglich ist, wenn der Preis dort liegt, wo die Grenzkosten der Vermeidung von CO2-Emissionen (worunter auch die Opportunitätskosten des Verzichts auf fossile Brennstoffe fallen) dem Grenzvorteil aus der Vermeidung (also den vermiedenen Schäden) entspricht. Unter Grenzkosten (Grenzvorteilen) versteht man die Kosten (Vorteile), die anfallen, wenn man die nächste Tonne CO2 einspart. Man braucht diese Marginalbetrachtung, weil es sonst nicht möglich wäre, das Optimum zu bestimmen.

Wenn wir annehmen, dass die Grenzkosten der Vermeidung steigen, wenn immer mehr CO2 vermieden wird, was sehr plausibel ist, und dass die Schäden einer weiteren Tonne CO2 steigen, je mehr CO2 emittiert wird, dann können wir das ökonomische Kalkül, das uns über den optimalen CO2-Preis informiert, grafisch sehr einfach darstellen. Abb. 15.1 zeigt das Ergebnis. Der optimale Preis liegt dort, wo sich die Grenzkosten- und die Grenzschadenfunktion schneiden.
Abb. 15.1

Der optimale CO2-Preis

Dass es sich bei dem Schnittpunkt der beiden Funktionen tatsächlich um ein Optimum handelt, ergibt sich aus folgender Überlegung. Würde mehr CO2 emittiert als in diesem Punkt, wäre der Schaden, den jede weitere Tonne verursacht, höher als die Kosten, die entstehen, wenn dieser Schaden vermieden wird. Würde weniger emittiert, könnte man durch eine höhere Emission Kosten sparen, die höher sind als die Schäden, die man dabei in Kauf nehmen muss. Wie man sieht, legt der Schnittpunkt der Grenzkostenkurve und der Grenzschadensfunktion nicht nur den optimalen CO2-Preis fest, sondern auch die optimale CO2-Emission. Insgesamt beschreibt der Schnittpunkt das, was Ökonomen eine First-best Lösung nennen. Jede Abweichung von dieser Lösung führt dazu, dass Verluste entstehen.

Die Abb. 15.1 suggeriert, dass es eigentlich ganz einfach sein müsste, die First-best Lösung zu bestimmen. Aber der Eindruck täuscht. Um sie nämlich praktisch bestimmen zu können, müsste man die Verläufe der beiden Kurven kennen. Wir müssten also mit Sicherheit angeben können, wie hoch der Schaden einer Tonne CO2 ist, und zwar für jeden Punkt auf der x-Achse, das heißt für jede CO2 Emissionsmenge. Außerdem müssten wir die Vermeidungskosten kennen. Beide Informationen sind nicht zu beschaffen. Weniger aus technischen Gründen als vielmehr aus strategischen. Die relevanten Informationen befinden sich nämlich im Besitz der einzelnen Akteure. Wie hoch beispielsweise die Opportunitätskosten eines Verzichts auf die Nutzung von Energie ist, das weiß das Individuum, das dann weniger heizen kann oder weniger mit dem Auto fährt, und sonst niemand. Genauso sind die Informationen über die wahren Grenzvermeidungskosten im Besitz der einzelnen Emittenten und die haben keinen Anreiz, diese Information preiszugeben. Würde ein Emittent, der nur geringe Vermeidungskosten aufweist, diese wahrheitsgemäß offenbaren, müsste er damit rechnen, dass er zur Vermeidung herangezogen wird. Aus strategischen Gründen ist es deshalb besser, die Kosten zu übertreiben. Da es sich um private Information handelt, wäre ein Planer, der den optimalen Preis bestimmen möchte, aber darauf angewiesen, diese wahrheitsgemäß von den Emittenten zu erfahren.

Die Wirtschaftstheorie hat sich sehr ausführlich mit der Frage befasst, ob man dieses Informationsproblem lösen kann. Leider hat sich dabei gezeigt, dass man beweisen kann, dass es nicht lösbar ist.55 Das bedeutet, dass wir uns von der Idee, den optimalen CO2-Preis bestimmen zu können, verabschieden müssen.

Da die First-best Lösung nicht erreicht werden kann, bleibt nur der Rückzug auf Second-best Instrumente. Darunter versteht man, dass die Bestimmung des optimalen Umweltzustands oder des optimalen Vermeidungsniveaus ersetzt wird durch eine wie auch immer zustande gekommene exogene Vorgabe des Vermeidungsziels. Das berühmte 2 Grad56 Ziel in der Klimapolitik ist ein Beispiel für eine solche exogene Zielvorgabe. Second-best ist dann erreicht, wenn dieses Ziel zu minimalen Kosten erreicht wird. Man spricht in diesem Fall von Kosteneffizienz. Dieser Begriff kam auch schon in der ultrakurzen Fassung des ökonomischen Narratives vor und es lohnt sich, etwas darüber nachzudenken, warum Kosteneffizienz so wichtig ist. Hilfreich ist dabei der folgende ökonomische „Dreisatz“:
  1. 1.

    Unser Ziel ist es, möglichst viel CO2 einzusparen.

     
  2. 2.

    Wir wissen, dass CO2 Einsparungen nur möglich sind, wenn wir dafür knappe Ressourcen einsetzen.

     
  3. 3.

    Die Menge an Ressourcen, die uns dabei zur Verfügung stehen, sind begrenzt.

     
Alle drei Sätze dürften inhaltlich unstrittig sein. Was folgt daraus für die Frage, wie eine rationale Klimapolitik aussehen sollte? Die Antwort ist einfach. Nur wenn wir die Vermeidung von CO2 so organisieren, dass wir stets dort vermeiden, wo die Kosten der Vermeidung am geringsten sind, können wir das Ziel, möglichst viel zu vermeiden, erreichen. Eine rationale Antwort auf die Herausforderung des Klimaschutzes ist deshalb nicht möglich, wenn man die Kosten der Vermeidung von Klimagasen bei der Wahl der klimapolitischen Instrumente nicht beachtet.

Die Forderung nach einer kosteneffizienten Klimapolitik ist essenziell, denn sie bedeutet nichts anderes, als die Forderung, den Klimaschutz, den wir für die eingesetzten Ressourcen bekommen, zu maximieren. Das ist eine zutiefst ökologische Forderung, die eigentlich auf den Bannern aller Klimaaktivistinnen stehen sollte. Eine kostenineffiziente Klimapolitik hat zwei Effekte: Sie erreicht mit den eingesetzten Ressourcen (die dann nicht mehr für Wohlfahrtssteigerungen im weitesten Sinne zur Verfügung stehen) einerseits weniger Klimaschutz als bei kosteneffizientem Einsatz möglich wäre, und für die Vermeidung, die noch erreicht wird, legt sie den Menschen viel höhere Lasten auf und beschränkt ihre Freiheitsrechte in viel stärkerem Maße, als es notwendig gewesen wäre.

Um kosteneffizient CO2-Emissionen zu reduzieren, ist der Einsatz eines CO2-Preises unumgänglich. Wir haben oben gesehen, dass Emittenten einen strategischen Anreiz haben, ihre wahren Kosten der Vermeidung nicht aufzudecken. Um Kosteneffizienz herzustellen, muss Vermeidung aber stets dort stattfinden, wo die nächste Tonne CO2 zu den niedrigsten Kosten vermieden werden kann. Ein zentraler Planer scheitert daran, weil er die dafür notwendigen Informationen nicht haben kann. Das bedeutet, dass kosteneffiziente Klimapolitik darauf angewiesen ist, das herzustellen, was Ökonomen Anreizkompatibilität nennen. Damit ist gemeint, dass die Anreize für die ökonomischen Akteure so gesetzt sein müssen, dass es in ihrem Interesse liegt, genau das zu tun, was gesellschaftlich optimal ist, also kosteneffizient CO2 zu vermeiden. Die folgende Überlegung zeigt, warum ein CO2-Preis dabei so essenziell ist.

Nehmen wir an, dass ein Emittent für jede Tonne CO2 die er emittiert, einen Preis entrichten muss. Gleichzeitig kann die Emission durch Kosten verursachende Maßnahmen vermieden werden. Das bedeutet, dass die Emittenten eine Abwägung vornehmen werden. Sie werden den CO2-Preis mit den Kosten vergleichen, die eine Vermeidung verursacht. Und sie werden sich dabei an den wahren Vermeidungskosten orientieren, denn das ist jetzt eine rationale Strategie. Solange nämlich der Preis exogen vorgegeben ist und nicht vom Verhalten des Emittenten abhängt, befindet sich der Emittent in der Rolle eines Preisnehmers, der seine Emissionsmenge dem exogen vorgegebenen Preis anpasst. Vermeidung der CO2-Emission wird solange stattfinden, bis die Kosten der Vermeidung (die mit der vermiedenen Menge steigen), genauso hoch sind wie der Preis. Mehr zu vermeiden lohnt sich nicht, weil es dann ja sinnvoller wäre, den Preis zu zahlen. Weniger zu vermeiden lohnt sich auch nicht, weil die Vermeidungskosten geringer wären als der Preis für eine Emission. Dieses Kalkül führt dazu, dass für jeden Emittenten gilt:

$$ Grenzvermeidungskosten = C{O}_2 - Preis. $$
Dieses Ergebnis hat zwei für das Verständnis von CO2-Preisen entscheidende Implikationen. Die erste ist, dass CO2-Preise, gleichgültig wie sie zustande kommen und welche Höhe sie haben, stets die aktuellen Vermeidungsgrenzkosten widerspiegeln. Wenn sich die Preise endogen bilden, wie beispielsweise beim Emissionshandel,57 sind sie damit exzellente Signale, weil sie anzeigen, zu welchen Kosten das vom Planer vorgegebene Reduktionsziel erreicht werden kann. Die zweite Implikation ist, dass dann, wenn es einen einheitlichen CO2-Preis gibt, der für alle Emissionen gilt, das Kalkül der Emittenten dazu führt, dass sich die Grenzvermeidungskosten aller Quellen angleichen. Wenn überall solange vermieden wird, bis die Grenzvermeidungskosten gleich dem CO2-Preis sind, und alle sich an dem gleichen Preis orientieren, dann sind eben im Ergebnis auch die Grenzvermeidungskosten überall gleich hoch. Genau das ist aber die Bedingung, die erfüllt sein muss, wenn man kosteneffizient vermeiden will. Solange es Quellen mit unterschiedlichen Grenzvermeidungskosten gibt, kann man die Gesamtkosten dadurch senken, dass Vermeidung von der Quelle mit den höheren Kosten zu der mit den geringeren Kosten verlagert wird. Erst wenn das nicht mehr möglich ist (weil die Grenzvermeidungskosten überall gleich sind), befinden wir uns in einem kosteneffizienten Zustand.

Damit ist klar, warum Ökonomen so vehement fordern, einen einheitlichen CO2-Preis als klimapolitisches Instrument einzusetzen. Ein solcher Preis führt zu einer anreizkompatiblen Situation, in der sich das Informationsproblem in Luft auflöst und sichergestellt ist, dass die Vermeidung von CO2-Emissionen kosteneffizient erfolgt. Zwei Instrumente erreichen das. Wird eine CO2-Steuer festgesetzt, wird der CO2-Preis festgelegt und dessen Höhe bestimmt, wieviel CO2 eingespart wird. Alternativ kann der Planer einen Emissionshandel einführen, bei dem er die Menge festlegt, die maximal noch emittiert werden darf. Diese Menge bestimmt dann, welcher Preis sich auf dem Markt für Emissionsrecht einstellt. Im Emissionshandel bestimmt also die Menge den Preis und bei der CO2-Steuer der Preis die Menge. Dieser Unterschied ist für das Verständnis der beiden Instrumente essenziell. Bildet sich beispielsweise in einem Emissionshandel ein niedriger Preis heraus, dann bedeutet das eben nicht, dass kein CO2 vermieden wird (das wäre eine schlechte Nachricht), sondern, dass die Grenzvermeidungskosten bei der aktuellen Mengenbegrenzung sehr niedrig sind – und das ist eine gute Nachricht.

Der europäische Emissionshandel hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie gut ein Markt in der Lage ist, die besten, weil kostengünstigsten Vermeidungsmöglichkeiten zu finden. Zwischen 2012 und 2018 sind die Emissionen im EU-ETS um 557 Mio. Jahrestonnen gesunken und das zu Kosten von damals 7 € pro Tonne. 2020 wurde das eigentlich für 2030 anvisierte Ziel einer Reduktion um 40 % gegenüber 1990 bereits übertroffen. Das EU-ETS ist mit dieser Leistung das weltweit erfolgreichste Klimaschutzinstrument.

Damit ist das wissenschaftliche Narrativ zu der Frage, wie man am besten Klimapolitik betreiben sollte, erzählt. Natürlich nur in den Grundzügen. Aber es dürfte bereits klar geworden sein, dass es sich um ein Narrativ handelt, das nicht ganz einfach zu erzählen ist, weil es doch eine Menge Verständnis erfordert und auch in seiner einfachsten Form vergleichsweise komplex und kompliziert ist. Dabei ist es sehr praxisnah und führt zu unmittelbar umsetzbaren politischen Empfehlungen, die sich auf einen reichen Schatz an empirischen Erfahrungen berufen können, die allesamt zeigen, dass die theoretischen Überlegungen der Ökonomen hohe praktische Bedeutung haben und sich in der realen Welt bestens bewähren.

Dass das so ist, bekommt leider niemand so richtig mit, weil die Medien das folkloristische Narrativ erzählen. In dem hat der Emissionshandel nicht funktioniert, weil der Preis zu niedrig war. Dass ein niedriger Preis im ETS eine gute Nachricht ist, weil er signalisiert, dass die Vermeidung dort zu sehr geringen Kosten erfolgt, war den Folkloristen ebenso wenig bekannt wie die Tatsache, dass in einem ETS nicht der Preis die Vermeidungsmenge bestimmt, sondern die festgelegte Vermeidungsmenge den Preis. Damit kommen wir zum Kontrastprogramm, dem folkloristischen Narrativ.

Das folkloristische Narrativ ist sehr viel einfacher als das wissenschaftliche der Ökonomen. Kosten kommen darin nicht vor, denn, wenn es um die Rettung der Welt geht, dürfen Kosten keine Rolle spielen. Die Frage, wo und wie CO2-Emissionen reduziert werden, wird deshalb auch nicht so entschieden, dass man dort vermeidet, wo die CO2-Reduktion besonders preiswert zu haben ist. Nein, in der Regel wird dort reduziert, wo viel emittiert wird. Die Aufforderung, beispielsweise im Verkehrssektor oder bei der Wärmeversorgung der Wohnungen und Häuser zu vermeiden, wird in den Nachrichten regelmäßig mit dem Hinweis darauf versehen, dass dort besonders viel CO2 emittiert werde. Dass dort die Vermeidungskosten exorbitant hoch sind und dass man mit den Ressourcen, die in diesen Sektoren für die Vermeidung von CO2 verbraucht werden, an anderer Stelle ein Vielfaches an CO2 einsparen könnte, wenn man kosteneffizient vorgehen würde, bleibt dabei verborgen, denn Kosten spielen ja keine Rolle …

Genauso einfach, wie entschieden wird, wo CO2 zu vermeiden ist, wird auch entschieden, wie das zu geschehen hat, das heißt, mit welcher Technologie. Und auch dabei spielen die Kosten keine Rolle. Wir haben uns festgelegt. Energie soll aus erneuerbaren Quellen stammen, vor allem aus der Sonneneinstrahlung und dem Wind. Genauer gesagt aus der Sonneneinstrahlung in Deutschland und aus deutschem Wind, denn bei der Festlegung, wo Vermeidung stattfinden soll, haben wir uns auch festgelegt: vor der eigenen Haustür! Im Ergebnis heißt das, dass wir im Energiesektor Fotovoltaikanlagen und Windkraftanlagen benutzen, um Strom zu erzeugen und in den übrigen Sektoren auf Strom umstellen, der natürlich aus erneuerbaren Energien stammt. So entsteht eine konsistente, einfach zu erzählende Geschichte, ein sehr erfolgreiches Narrativ: Wenn wir alle Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen, fahren wir die CO2-Emission auf Null und stoppen so den Klimawandel. In diesem Narrativ gibt es böse Energien (Atomstrom und alle fossilen Brennstoffe) und es gibt gute Energien (aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse). Gute Energien erkennt man daran, dass sie kein CO2 erzeugen und keinen atomaren Abfall. Das ist so einfach wie in einem alten Hollywood Film. Da erkennt man auch auf den ersten Blick, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Allerdings wissen wir auch, dass das wahre Leben nicht so einfach ist wie die Hollywood Welt uns glauben lassen wollte. Und so ist es auch mit dem folkloristischen Narrativ. Schaut man etwas genauer hin, zeigen sich die Abgründe.

Wenn rationale Klimapolitik darin besteht, dass wir die Ressourcen, die uns für den Klimaschutz zur Verfügung stehen, so einsetzen, dass wir damit eine maximale CO2 Reduktion erreichen können, dann beschreibt das folkloristische Narrativ das genaue Gegenteil von rationaler Klimapolitik. Beginnen wir mit dem Energiesektor.

Wie schon mehrfach angesprochen, wird dieser Sektor (in dem Strom produziert wird) bereits durch das EU-ETS reguliert – und das sehr effektiv und kosteneffizient. Effektiv, weil das politische Ziel, die Emissionen in diesem Sektor bis 2030 um 40 % zu senken (gegenüber 1990), bereits 2020 erreicht worden ist. Zwar hat die Covid-19 Pandemie 2020 dazu einen Beitrag geleistet, aber schon vor der Pandemie wurde im ETS-Sektor deutlich mehr vermieden als durch den Cap (die noch zulässige Gesamtmenge an Emissionen im ETS) vorgesehen war. Kosteneffizient, weil diese Vermeidungsleistungen zu nach wie vor sehr moderaten Kosten realisiert wurden. Der Preis für ein Emissionsrecht liegt momentan bei 60 € und man kann davon ausgehen, dass die massive Verknappung der Rechte, die 2023 eintreten wird und die durch die jüngsten Reformpläne der EU noch einmal stärker ausfallen dürfte, bereits eingepreist ist.

Warum also sollte man einen Bereich, der schon so erfolgreich reguliert ist, noch einmal regulieren? Das ist eine gute Frage, denn ein nationaler Alleingang, wie ihn Deutschland mit dem EEG hingelegt hat, hat dramatische Folgen. Im Vergleich zu einer reinen ETS Lösung führt er dazu, dass die Vermeidung von CO2 teurer werden muss, weil ein nationaler Alleingang nun einmal einen Mechanismus nicht nutzen kann, der für die Herstellung von Kosteneffizienz sehr wichtig ist. Der Ausgleich der Grenzvermeidungskosten, der zur Kostensenkung führt, muss über möglichst alle Quellen erfolgen und das bedeutet, auch über die Länder hinweg, die im ETS zusammengeschlossen sind. Das EEG gilt aber nur in Deutschland. Ein Grenzkostenausgleich ist damit nicht möglich und das bedeutet, dass die Vermeidung in Europa insgesamt teurer wird, wenn wir ein nationales Instrument einbauen.

Aber vielleicht vermeiden wir ja durch das EEG mehr? Solange Europa ein funktionierendes ETS hat, in dem der Cap eine bindende Restriktion ist, kann das nicht passieren. Der Bau von Windkraftanlagen in Deutschland führt bestenfalls dazu, dass wir im deutschen Energiesektor weniger CO2 emittieren. Tatsächlich war bis etwa 2015 selbst das nicht der Fall, weil die Stromnachfrage gestiegen ist und wir die Atomkraftwerke teilweise abgeschaltet haben. Aber gehen wir von sinkenden CO2-Eimssionen in Deutschland aus. Was geschieht mit den Emissionsrechten, die Deutschland dann nicht mehr braucht? Nun, die werden verkauft und die Emissionsberechtigung wird irgendwo anders in Europa wahrgenommen. Das ETS funktioniert nach dem Prinzip eines Wasserbettes. Wenn man es an einer Stelle nach unten drückt, steigt es woanders, an der Wassermenge ändert sich nichts. Der Vergleich hinkt etwas, denn der EU-ETS ist ein Wasserbett, bei dem das Wasser langsam abgelassen wird, dessen Niveau also ständig sinkt. Aber entscheidend ist die Tatsache, dass eine nationale Maßnahme im Energiesektor im Hinblick auf die CO2-Emissionen in Europa wirkungslos bleibt. Wirkungen hat das EEG natürlich schon: Wir haben inzwischen in Deutschland die höchsten Strompreise der Welt und zahlreiche Kulturlandschaften haben erheblich unter dem Bau von immer höheren Windkraftanlagen gelitten.

Das EU-ETS ist in einem gewissen Sinne Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Die hohe Vermeidungsleistung hat dazu geführt, dass lange Zeit ein Emissionsrechteüberschuss entstanden ist und die Preise sehr niedrig waren. Die niedrigen Preise boten den Anhängern des folkloristischen Narratives die Gelegenheit, gegen das ETS zu polemisieren. Der Vorwurf: Bei den niedrigen Preisen lohnen sich Wärmepumpen und Windkraftanlagen ja gar nicht. Da entsprechend dem Narrativ aber nur solche Anlagen CO2 einsparen (sollen), bewirkt das ETS ja gar keine CO2-Einsparung! Das ist natürlich Unsinn. Die richtige Interpretation der Daten sagt etwas ganz Anderes: Der Markt für Emissionsrechte führt dazu, dass die Grenzvermeidungskosten so weit fallen, dass man so kostspielige Dinge wie Wärmepumpen und Windkraftanlagen eben nicht braucht, um die durch den Cap vorgegebene Einsparung (40 % bis 2030) zu realisieren. Eigentlich ist das eine super Nachricht, aber leider wurde sie so nicht überbracht, sondern im Sinne des folkloristischen Narratives als Kritik am ETS formuliert. Das hat dem ETS eine Reform eingebracht, die vordergründig zum Ziel hatte, den Preis für Emissionsrechte zu erhöhen, damit der Emissionshandel „endlich funktioniert“. Tatsächlich ging es aber darum, durch die Reform das Wasserbettphänomen zu beseitigen, um weiter erzählen zu können, dass erneuerbare Energien in Deutschland CO2 einsparen.58

Die Details dieser Reform darzustellen, würde den Rahmen sprengen, denn in diesem Buch geht es nicht primär um Klimapolitik. Der interessierte Leser sei an dieser Stelle an Timme und Weimann (2019) verwiesen. Dort findet sich eine detaillierte Darstellung. Im Ergebnis führt die Reform dazu, dass überschüssige Emissionsrechte in eine Reserve überführt werden und aus dieser dann ab 2023 Rechte gestrichen werden. Das führt erstens zu einer ruckartigen Absenkung des Cap und hat zweitens zur Folge, dass der Wasserbetteffekt solange ausgesetzt ist, bis die Reserve aufgebraucht ist und der Cap wieder bindet. Letzteres wird spätestens 2025 der Fall sein. Das bedeutet, dass sowohl für den Kohleausstieg Deutschlands, als auch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, der 2021 beschlossen wurde, gelten wird, dass sie sich nicht auf die europäischen CO2-Emissionen auswirken werden. Wie hoch diese ausfallen, wird in Brüssel entschieden, wenn der Cap des ETS neu justiert wird. Dieser Cap wird über die CO2-Emission entscheiden und es wird keine Rolle spielen, wie viele Windräder wir in Deutschland aufstellen, denn ein funktionierender Emissionshandel neutralisiert jede nationale Klimapolitik. Windräder sind ein Symbol. Sie signalisieren riesige Placebos der Klimapolitik. Ohne Wirkung, aber man fühlt sich besser.

Wie sähe eine Energiepolitik aus, die nicht dem folkloristischen Narrativ folgt? Sie bestünde vermutlich aus vier Teilen. Der erste wäre die ersatzlose Abschaffung des EEG. Die Emissionen im Energiesektor sind gedeckelt und werden systematisch und kosteneffizient reduziert. Die EU ist dafür die richtige, weil internationale Institution. Der zweite Teil besteht darin, dass für eine Übergangsphase die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Brennstoff- und Technologiesubstitution von Kohle zu GuD Kraftwerken geschaffen werden. Die Substitution selbst wird durch den Emissionshandel erzwungen, weil die dort steigenden CO2-Preise (bei immer weiter sinkendem Cap) die Kohle unrentabel machen werden. Der dritte Teil dürfte darin bestehen, den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig zu machen. Zumindest sollte diese Option ernsthaft diskutiert werden. Der letzte Teil schließlich sollte darüber diskutieren, ob es möglich ist, fossiles Gas durch Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe zu ersetzen, die im Sonnengürtel der Erde produziert werden. Dort liegen die Energiereserven der Erde, dort haben wir erneuerbare Energien im Überfluss und vielleicht macht deshalb dort die Umwandlung von Solarenergie in flüssige Brennstoffe ökonomisch und ökologisch Sinn. Momentan müsste es den Deutschen und den Europäern eigentlich darum gehen, sich entsprechende Zugänge und Kapazitäten zu sichern, bevor es andere tun (was längst geschieht). Leider lässt das folkloristische Narrativ, an das die Politik und viele Andere fest glauben, eine solche Strategie nicht zu.

Der zweite Teil des folkloristischen Narratives erzählt, dass es gut ist, alle fossilen Brennstoffe, die wir benutzen, um unsere Häuser zu heizen und unsere Autos anzutreiben, durch Strom zu ersetzen. Auch dabei zeigt sich das Narrativ wenig flexibel, denn es schreibt genau vor, wie das vor sich zu gehen hat. Im Haus kommt die Wärmepumpe zum Einsatz, im Auto die Batterie und der Elektromotor. Die CO2-Vermeidungskosten, die dabei anfallen, sind gewaltig. Bei einer Wärmepumpe muss man im günstigsten Fall mit etwa 600 € pro Tonne rechnen und wenn es schlecht läuft mit weit über 1000 €. Das liegt daran, dass Wärmepumpen teuer sind und sehr viel Strom brauchen, der eben längst noch nicht CO2 frei produziert werden kann. Beim E-Auto sind die tatsächlichen Kosten sehr schwer zu bestimmen, aber ersatzweise kann man sich die Steuersubventionen ansehen, mit denen E-Autos versehen werden (und ohne die sie kaum verkäuflich wären). Wird ein E-Auto 10 Jahre gefahren und für vier Jahre als Dienstwagen genutzt, kann sich die Subvention auf über 20.000 € pro Auto addieren (bei 200.000 gefahrenen km), was bei sehr optimistisch angenommener Einsparung von 10 t CO2 zu Vermeidungskosten von über 2000 € pro Tonne führt. Zur Erinnerung, der Preis für ein Emissionsrecht im ETS-Sektor(und damit die Vermeidungskosten pro Tonne) beträgt gegenwärtig 60 €.

Natürlich sind synthetische Kraftstoffe auch im Wärmemarkt und im Verkehrssektor eine Alternative, die sehr attraktiv sein könnte. Ein im Sonnengürtel hergestellter synthetischer Brennstoff ist sofort CO2 neutral, während ein E-Auto das erst dann sein kann, wenn sämtliche Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Aber auch hier schlägt das Narrativ wieder zu. Diesmal mit der Geschichte, dass die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen viel zu teuer ist und nicht energieeffizient sei. Das ist schon erstaunlich. Auf der einen Seite spielen jetzt plötzlich Kosten doch eine Rolle, auf der anderen Seite dann aber wieder doch nicht. Zunächst rechnen die Ingenieure vor, wie viel Energie verloren geht, wenn man aus Solarenergie oder Windkraft erst Wasserstoff und dann einen flüssigen Brennstoff herstellt. Dabei geht tatsächlich viel Energie verloren und es wäre in der Tat effizienter, den Strom direkt zu nutzen. Macht man das Ganze in Deutschland, führt diese Ineffizienz zu horrenden Preisen für die synthetischen Kraftstoffe. Soweit so gut. Aber wenn man die Produktion in den Sonnengürtel verlegt, spielt der Energieverlust ökonomisch keine Rolle mehr, weil Solarenergie dort in solch einer Menge verfügbar ist, dass es praktisch keine Rolle spielt, wieviel davon verloren geht. Die Kraftstoffe können unter den dort herrschenden Bedingungen zu sehr niedrigen Preisen produziert werden. An dieser Stelle spielt das Kostenargument aber wieder keine Rolle. Der Vorstandsvorsitzende von VW Herr Diess hat in einer Talkshow auf den Hinweis, dass man synthetische Brennstoffe im Sonnengürtel herstellen könnte, geantwortet, dass die Herstellung an allen Stellen der Erde gleich energieineffizient wäre. Stimmt. Aber eben nicht gleich teuer und deshalb wäre es wahrscheinlich kosteneffizient, den Verkehrssektor mit synthetischen Kraftstoffen zu versorgen – und es kommt auf die Kosteneffizienz an, wenn wir rationale Klimapolitik machen wollen.

Fassen wir an dieser Stelle einmal zusammen. Das folkloristische Narrativ der Klimapolitik beherrscht in Deutschland die Szene. Es kommt aus der informierten Ecke des Verständnisraumes und stammt von Technikern und Naturwissenschaftlern, die Folklore für ökonomische Wissenschaft halten. Das Narrativ ist einfach und leicht verständlich, denn es erzählt eine konsistente und in sich geschlossene Geschichte. Deshalb hat es das Median Verständnis überzeugt und auch viele, die links davon angesiedelt sind. Nicht erfolgreich ist es bei denen, die tatsächlich glauben, dass man gesicherte Erkenntnisse braucht, um vorsorglich Klimaschutz zu betreiben. Aber das ist eine kleine Randgruppe. Die große Mehrheit glaubt dem Narrativ. Ich bin sicher, dass auch der überwiegende Teil der verehrten Leserschaft dieses Buches das tut. Natürlich hoffe ich, dass ich den Glauben ein wenig erschüttern konnte, bin da aber nicht sehr zuversichtlich. Entscheidend ist, dass die große Mehrheit derer, die an den demokratischen Wahlen in diesem Land teilnehmen, von den wesentlichen Inhalten des Narratives überzeugt sind. Weil das so ist, agieren die Medien im wohlverstandenen Eigeninteresse, wenn sie das Narrativ weitererzählen und pflegen, denn nur dann werden sie Leser und Zuschauer finden. Und Politiker tun gut daran, Dinge zu sagen, die mit dem Narrativ konform sind, denn nur dann können sie auf Zustimmung hoffen.

Aber nun stellen Sie – verehrte Leserin und verehrter Leser – sich einmal vor, dass die Ökonomen mit ihrem Narrativ Recht haben. Die Ausführungen, die ich hier dazu gemacht habe, finden sich in ähnlicher Form in Gutachten des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesfinanzministerium oder der Monopolkommission oder dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Lage.59 Es handelt sich also nicht um die verwirrte Meinung eines Einzeltäters. Es könnte also tatsächlich sein, dass stimmt, was hier ausgeführt wurde. Dann haben wir mit dem folkloristischen Narrativ ein ernsthaftes Problem. Dann geben wir sehr viele Milliarden für eine nutzlose bis kontraproduktive Politik aus, zerstören unsere Kulturlandschaften sinnlos und belasten uns selbst und die nachfolgenden Generationen mit den weltweit höchsten Strompreisen und anderen schweren Lasten, ohne dass es einen Sinn ergibt. Wenn das rauskommt, werden uns unsere Kinder und Kindeskinder die Hölle heiß machen. Sie werden zurecht fragen, wie das passieren konnte. Aber bei einem Generationenproblem wird es nicht bleiben. Das Vertrauen in die Politik und das demokratische System, das ja alles das mit breitem Konsens durchgesetzt hat, wird in Verruf geraten.

Es ist ziemlich sicher, dass die Klimapolitik nicht das einzige Feld ist, auf dem uns das herrschende Narrativ in die Irre führt. Beispielsweise dürfte die Frage, wie in Zukunft das Rentensystem gestaltet werden muss, in den nächsten Jahren einiges an Wucht gewinnen. Sind wir auf diesem Feld zu Lösungen fähig, die komplex, aber richtig sind? Andere folkloristische Narrative machen immer stärker auf sich aufmerksam. Beispielsweise das Narrativ, das Ordnungspolitik und Märkte in Verruf bringen möchte und stattdessen auf staatliche Lösungen setzt, die sich längst als unterlegen erwiesen haben. Oder man denke an das Narrativ, das steif und fest behauptet, dass die Welt immer schlimmer wird, und fest die Augen davor verschließt, dass in den letzten 30 Jahren die Weltgemeinschaft Fortschritte gemacht hat, die ihresgleichen suchen.60

Zum Glück leben wir in einem Land mit einer stabilen Demokratie und einer leistungsfähigen und robust aufgestellten Wirtschaft. Wir halten Fehler aus. Aber nicht beliebig viele Fehler und nicht beliebig schwere Fehler. Es ist noch nicht sehr lange her, da galt Deutschland als der kranke Mann Europas und die Zahl der Arbeitslosen hatte 5 Mio. erreicht. Auch wir sind anfällig und wie stark unsere Demokratie wirklich ist, wird sich erst zeigen, wenn wir in Krisen geraten, die uns stärker fordern als die Pandemie oder ein Konjunkturabschwung. Das Klimaproblem ist von diesem Kaliber. Unter anderem deshalb wurde es hier als Beispiel benutzt. Wenn in unserer Demokratie nur noch die einfachen Lösungen mehrheitsfähig sind, wenn wir zu den guten, aber komplexen Lösungen nicht mehr die Kraft und den Mut aufbringen, dann geraten wir über kurz oder lang in ernste Schwierigkeiten. Deshalb macht es viel Sinn, darüber nachzudenken, was man denn tun kann, um den guten Narrativen, die uns informieren und nicht manipulieren, eine neue Chance zu geben.