Wähler wollen zwar die Welt verstehen und sie suchen nach einem Modell, das ihnen diese Welterklärung liefern kann, aber sie sind überwiegend nicht bereit, viel Zeit und Aufwand in die Informationsbeschaffung zu stecken, wenn es um politische oder gesellschaftliche Zusammenhänge geht.
Die Probleme, die durch kollektive Entscheidungen (also politisch) gelöst werden müssen, werden immer komplexer und schwieriger zu durchschauen. Für eine Lösung braucht man die Zustimmung einer Mehrheit. Aber jede Mehrheit, die es geben kann, wird vermutlich weder das Problem genau kennen, noch in der Lage sein, die bestmögliche Lösung zu identifizieren.
Die geringe Bereitschaft der Wähler sich mit den Dingen intensiv zu befassen, führt dazu, dass populistische „Einfachlösungen“ in zwei Varianten angeboten werden. Entweder im Kern populistische akademische Lösungen, die nur schwer als solche erkennbar sind, oder solche, die relativ offenkundig falsch sind, dafür aber umso mehr von Fanatismus getragen werden.
Angesichts dieser Diagnose ist es sehr erstaunlich, dass uns in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ein hohes Maß an demokratischer Stabilität, gesellschaftlicher Emanzipation und ökonomischem Erfolg gelungen ist. Erst recht, wenn man bedenkt, wie die Ausgangsbedingungen 1948 waren, und berücksichtigt, dass vieles in Deutschland besser geklappt hat als in anderen westlichen Ländern. Wir sind zur mit Abstand wettbewerbsfähigsten Exportnation dieses Planeten aufgestiegen (unser Pro-Kopf Export ist gigantisch), es gelang auf die wichtigsten sozialen Fragen gute Antworten zu finden und selbst die lokalen Umweltprobleme haben wir weitgehend im Griff. Wie haben wir das gemacht?
Natürlich haben viele Faktoren eine Rolle gespielt, aber drei Voraussetzungen, die von Anfang an gegeben waren, haben ganz sicher einen entscheidenden Anteil gehabt. Da ist erstens das Grundgesetz, das sich als ein großer Wurf erwiesen hat, als eine mehr als solide Verfassung, die die Grundlage für den Föderalismus und die Sicherung der Freiheits- und Bürgerrechte liefert. Als zweites ist der Ordnungsrahmen des Ordoliberalismus zu nennen, der in der Errichtung einer Sozialen Marktwirtschaft seinen Ausdruck fand. Dieser Ordnungsrahmen hat einerseits die ökonomische Dynamik entfacht, die die Grundlage für die private Wohlfahrt und den öffentlichen Reichtum ist, mit dem wir nicht erst seit heute ausgestattet sind, und sie hat andererseits den notwendigen Raum für die Schaffung eines Sozialstaates geschaffen und die Korrektur von partiellem Versagen der Märkte erlaubt. Das dritte Element ist ein demokratisches System, das man als dezentrale (föderale) Parteiendemokratie bezeichnen kann, in der die politische Orientierung lange Zeit mittels eines Ideologieraums erfolgte, der sich als äußerst effektives Instrument der Komplexitätsreduktion und der Entscheidungsdelegation erwiesen hat. Dieser letzte Punkt verdient unsere besondere Aufmerksamkeit.
Eine Demokratie braucht informierte Bürger, um gut funktionieren zu können. Sind Ideologien nicht das genaue Gegenteil von „gut informiert sein“? Im Grunde schon. Sie ersetzen die sachliche Auseinandersetzung auf der Grundlage von Daten, Fakten und transparent formulierten Werthaltungen durch eine „Weltanschauung“, ein vorgefertigtes Bewertungsschema, das Ideen und Gedanken schnell in gut und schlecht zu unterteilen erlaubt, je nachdem, ob sie zu der eigenen ideologisch verkürzten Weltsicht passen oder nicht. Eine ideologische Position kommt nicht ohne Glaubenssätze aus, ohne Anfangsannahmen, an deren Gültigkeit nicht gerüttelt werden kann und darf. Das Denken in ideologischen Kategorien verträgt sich nicht mit der vorurteilsfreien Begutachtung von Argumenten – erst recht nicht, wenn diese Argumente geeignet sind, die eigene ideologische Position zu erschüttern. Wie soll dann ein Ideologieraum, also ein System von Ideologien, ein geeignetes Instrument sein, um das Informationsproblem demokratischer Mehrheiten lösen zu können?
In einer idealen Welt, in der Menschen bereit sind, sich ausführlich und intensiv mit den Inhalten zu befassen, über die sie bei demokratischen Wahlen abstimmen, wären ideologische Positionen ganz sicher keine gute Komplexitätsreduktion. Aber in einer solchen Welt leben wir nicht. In der realen Welt bleibt es dabei, dass Menschen im Durchschnitt nur sehr wenig Mühe darauf verwenden, informiert zu sein, bevor sie abstimmen. Wenn Wähler und Wählerinnen sich nur zu einer minimalen Informationsbeschaffung aufraffen können, dann allerdings kann ein gut organisierter und sortierter Ideologieraum sehr nützlich sein. Und über einen solchen Raum hat die deutsche Demokratie lange Zeit verfügt.
Die ideologischen Positionen waren darin fein säuberlich entlang einer Linie aufgereiht, die von „ganz links“ nach „ganz rechts“ verlief. Linksaußen saßen die Marxisten, Rechtsaußen die Neonazis und alle anderen Überzeugungen sortierten sich dazwischen ein. Lange Zeit wurde das politische Leben in der Bundesrepublik durch die Union auf der halbrechten Position, die Sozialdemokraten auf der halblinken und die Freien Demokraten in der Mitte bestimmt. Bis weit in die Neunziger Jahre hinein waren es diese drei Parteien, die in wechselnden Koalitionen die Mehrheiten stellten. Auch die Massenmedien, vor allem die überregionalen Zeitungen, folgten den ideologischen Positionen der Parteien und verpassten sich selbst einen politischen Standort. Für die Wähler machte das sowohl die Wahlentscheidung als auch die Entscheidung für die richtige Zeitung einfach. Konservative lasen die FAZ, Sozialdemokraten die Frankfurter Rundschau und Liberale die Süddeutsche.7 Die ideologische Nähe war das entscheidende Kriterium dabei und sie entschied auch die Frage, welche Partei man wählt. Je näher die eigene weltanschauliche Position an der Parteiposition war, umso wahrscheinlicher die Stimmabgabe für diese Partei.
Das Elegante an der allgemeinen ideologischen Orientierung war, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Position im „Links-Rechts-Schema“ und den Antworten auf die wichtigen politischen Fragen gab. Ein Grund dafür war, dass es sich in den ersten 40 Jahren der Bundesrepublik dabei fast ausschließlich um Fragen handelte, die so oder ähnlich schon lange auf der politischen Agenda standen. Deshalb war es nicht notwendig sich über ein neuartiges Problem eine Meinung zu bilden. Man konnte hergebrachte und lange eingeübte Positionen einfach übernehmen – nicht selten von den Eltern. Die politische Agenda war nicht sehr lang, aber auf ihr standen die zentralen Fragen, mit denen sich ein aufstrebender demokratischer Rechtsstaat mit einer stark wachsenden Wirtschaft konfrontiert sah, durch den seit dem Kriegsende die Grenze der beiden die Weltpolitik bestimmenden Blöcke Ost und West verlief.
Wirtschafts- und sozialpolitisch ging es darum, wie stark der Sozialstaat umverteilend eingreifen darf. Gesellschaftspolitisch darum, wie stark demokratische Prozesse hierarchische Strukturen ersetzen können und sollen und wie das Leitbild der Familie als Keimzelle der Gesellschaft mit einer gelingenden Emanzipation der Frauen verbunden werden konnte. Außenpolitisch bestimmte der Ost-West-Konflikt das Denken, der ja auch ein Konflikt zwischen dem „rechten“ kapitalistischen Westen und dem „linken“ sozialistischen Osten war. Die ökologische Frage spielte in den ersten 30 Jahren eine untergeordnete Rolle – wenn überhaupt. In dieser Zeit war die ideologische Positionierung, also die Stelle im Links-Rechts-Schema, an der sich ein Wähler oder eine Partei ansiedelte, mit bestimmten Positionen zu allen wichtigen Fragen auf der Agenda verbunden. Je weiter links man sich auf der Skala einordnete, umso stärker trat man für Umverteilung, Demokratisierung, Emanzipation und eine Politik der Entspannung und Offenheit gegenüber dem Osten ein. Rechts von der Mitte war es eher eine konservative Grundhaltung, die weniger auf Umverteilung als auf Wachstum setzte, Demokratisierungsprozesse eher skeptisch sah und mehr die Bedeutung der Familie als die der Emanzipation betonte. Außenpolitisch war die rechte Position eher eine der Stärke, die den Systemwettbewerb annahm und gewinnen wollte. Die Politische Mitte definierte sich vor allem durch die Betonung der Freiheitsrechte (was das Recht der Frauen auf gleichberechtigte Teilhabe einschließt) und der Bedeutung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Außenpolitisch war die politische Mitte vor allem durch Pragmatismus bei gleichzeitiger Bündnistreue geprägt.
Die Beschreibung, welche Position im Ideologieraum mit welchen politischen Positionen verbunden waren, hat nur einen kurzen Absatz in Anspruch genommen. Mehr ist auch nicht notwendig, um anzugeben, was ein Wähler erwarten konnte, wenn er eine Partei wählte, die rechts oder links von der Mitte positioniert war oder ihren Standort in der Mitte suchte. Die Details waren dabei nicht so wichtig. Es genügte zu wissen, wo sich eine Partei ideologisch aufhielt, um eine Vorstellung davon zu haben, welche Position sie in einer bestimmten Sachfrage einnehmen würde. Ging es beispielsweise um Sozialpolitik, etwa die Ausgestaltung der sozialen Grundsicherung oder des Rentensystems, war klar, dass linke Parteien für stärker umverteilende Regelungen eintraten und rechte das nicht taten. Es war diese enge und verlässliche Beziehung zwischen ideologischer Position und konkreter Politik, die aus dem Ideologieraum ein wertvolles Instrument der Komplexitätsreduktion und der politischen Delegation machte. Als Wähler war es nicht notwendig, sich inhaltlich mit den Feinheiten eines umlagefinanzierten Rentensystems, der Bedeutung der Eckrente oder der Rentenformel auseinanderzusetzen. Es reichte, die Ausarbeitung der Einzelheiten den Experten der Parteien zu überlassen, denn es war sicher, dass eine linke Regierung das Rentensystem stärker zur Umverteilung nutzen würde und eine rechte Regierung nicht. Solange man seine eigene Einstellung zur Umverteilung kundtun konnte, und das gelang durch die Einnahme einer ideologischen Position im Links-Rechts-Schema, konnte man sich darauf verlassen, die Partei zu wählen, die verlässlich die eigene politische Position vertrat. Was das konkret bedeutete, war nicht so wichtig.
Ein sehr wichtiger Punkt bei der Komplexitätsreduktion durch den Ideologieraum ist die Tatsache, dass es sich um einen eindimensionalen Raum handelt, in dem die politischen Positionen festgelegt werden. Indem die Vielfalt der politischen Themen auf eine Frage heruntergebrochen wird, vereinfacht sich die politische Diskussion extrem und macht es für die Menschen einfach, ihren eigenen Platz zu wählen und so ohne viel Anstrengung eine politische Position zu finden.
Natürlich hat das Ganze seinen Preis. Wenn die politische Auseinandersetzung nur entlang weltanschaulicher Grenzen geführt wird, ist das in aller Regel nicht sehr konstruktiv. Der unbedingte Glaube daran, dass mehr Umverteilung hilft, ist genauso wenig geeignet, eine Diskussion zu leiten, die zu rationalen Ergebnissen führt, wie der unbedingte Glaube, dass Umverteilung grundsätzlich die Dinge schlechter macht. Ein gutes Beispiel, dass ideologische Überzeugungen zu eklatanten Fehlentwicklungen führen können, ist die Entwicklung des deutschen Sozialstaates.8 Um die Jahrtausendwende herum war Deutschland zum kranken Mann Europas abgestiegen und wurde von massiver Arbeitslosigkeit geplagt. Der Arbeitsmarkt war verkrustet und das Grundsicherungssystem führte die Menschen in eine Armutsfalle, aus der sie aus eigener Kraft kaum herauskommen konnten. Mehr als fünf Millionen Arbeitslose waren die Folge. In dieser Situation geschah etwas Erstaunliches. Eine Bundesregierung, geführt von den Grünen und den Sozialdemokraten ordnete eine Revision des Sozialstaates an, die eigentlich nicht der ideologischen Verortung der beiden Parteien im Ideologieraum entsprach. Die Folgen waren insbesondere für die SPD fatal. Die verlässliche Delegation einer gemäßigt linken Position mit dem damit verbundenen Umverteilungsauftrag war danach nicht mehr gesichert. Der Niedergang der Partei, der nach der Wahl 2005 einsetzte und erst mit der Wahl 2021 vorläufig gestoppt wurde, hängt mit diesem Bruch zusammen.
Trotz der Grenzen, die eine an ideologischen Verkürzungen orientierte Politik hat, dürfte die große politische Stabilität der jungen Bundesrepublik dem funktionierenden Delegationsverfahren auf der Grundlage ideologischer Positionen zu verdanken sein. Aber nicht nur das. Das Denken in einem Links-Rechts-Schema strukturierte auch das Verhalten der politischen Parteien. In der politischen Ökonomie kommt dies in dem berühmten Medianwählermodell zum Ausdruck. Kurz zusammengefasst sagt dieses Modell Folgendes:
Man stelle sich vor, dass alle Wahlberechtigten eine Position im Links-Rechts-Schema haben und sich für die Partei entscheiden, die ihrer eigenen Position am nächsten liegt. Der Medianwähler ist der- oder diejenige, für die gilt, dass sich die Hälfte der restlichen Wähler rechts von ihr befinden und die andere Hälfte links. Wo die Medianwählerin im Ideologieraum sitzt, ist dabei unwichtig und kann sich durchaus im Zeitablauf verändern. Wichtig ist, dass dann, wenn zwei Optionen zur Abstimmung stehen, die Medianwählerin keine Abstimmung verlieren kann. Machen wir ein Beispiel. Die Alternativen A und B stehen zur Abstimmung. A liegt rechts und B links vom Median. Nehmen wir an, dass A dem Median näher ist als B. Dann werden alle, die eine Position rechts vom Median haben, natürlich für die Alternative A stimmen, weil sie ihnen ebenfalls näher ist als B. Da das bereits die Hälfte der Wähler ist, geht die Abstimmung an A. Wäre der Median näher an B, würde mit dem gleichen Argument die linke Position gewinnen. Der Medianwähler kann nicht verlieren. Wenn wir uns ein Zwei Parteien System vorstellen, impliziert das, dass jede Partei versuchen wird, die ideologische Position einzunehmen, die der Medianwähler innehat, denn dann gewinnt sie die Wahl.
Das Medianwählermodell9 ist ein hoch stilisiertes Modell, das in sehr abstrakter Form den politischen Wettbewerb beschreibt. Und es hat seine Grenzen. Beispielsweise kann es nicht ohne Weiteres ein stabiles drei Parteien Gleichgewicht erklären, also genau die Konstellation, die wir in Deutschland lange Zeit hatten. Eigentlich hätte die FDP keinen Platz zwischen den beiden Volksparteien finden können, weil SPD und CDU stets versuchten, die Mitte zu besetzen. Wenn man das Modell aber geeignet erweitert, lässt sich auch die Existenz einer mittleren Partei erklären.10 So abstrakt das Modell auch sein mag, es erklärt sehr gut, warum es für politische Parteien so reizvoll ist, die politische Mitte zu besetzen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das auf den Punkt gebracht, indem er stets behauptet hat, dass dort, wo er stehe, die politische Mitte sei. Das Medianwählermodell macht klar, welches Kalkül hinter dieser Rhetorik stand.
Die Orientierung an der Weltanschauung organisierte nicht nur das politische Geschehen und die Positionen der Tageszeitungen (soweit sie der Qualitätspresse zuzuordnen waren). Es hatte auch einen starken Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ja bis 1984 ein Monopol in Deutschland innehatte. Es galt das Prinzip der politischen Ausgewogenheit, des Proporzes. Maßstab dafür war die ideologische Positionierung der Redakteure. An diesem System gab es viel Kritik, weil es dazu führte, dass nicht allein die journalistische Qualität oder die rhetorische Brillanz für die Besetzung einer Stelle ausschlaggebend war, sondern auch das Parteibuch. Aber auch an dieser Stelle sei eine Lanze für das Links-Rechts-Denken gebrochen, denn im Ergebnis führte es dazu, dass alle wichtigen politischen Positionen in der Berichterstattung vertreten waren.
Das Medianwählermodell funktioniert nur dann, wenn sich die Wähler und Wählerinnen an einem eindimensionalen Raum orientieren. Kommt eine zweite Dimension hinzu, die dafür sorgt, dass die Position einer Partei ein Punkt in einer Fläche ist und nicht mehr ein Punkt auf einer Linie, existiert in der Regel kein Median mehr und das Modell bricht zusammen. Auf den ersten Blick ist genau das passiert, aber wir werden ein dem Medianwählermodell sehr ähnliches Modell dennoch in diesem Buch weiter benutzen. Der Grund ist, dass es sehr wahrscheinlich sein dürfte, dass die Menschen bei jeder Bewertung von Politiken in einer Dimension denken. Sie aggregieren nicht über mehrere Dimensionen hinweg. Sie gewichten bei der Wahl bestenfalls die verschiedenen Dimensionen und wählen dann eine als die für sie wahlentscheidende aus. Was damit gemeint ist, erklärt sich aus den folgenden Überlegungen.
Ende der siebziger Jahre trat eine Veränderung der gesellschaftlichen Diskussion ein, die man im Nachhinein als eine wichtige Zäsur bezeichnen kann, obwohl es noch drei weitere Jahrzehnte dauerte, bis diese Zäsur sichtbar und spürbar wurde. Die Grüne Partei wurde gegründet und das Umweltproblem verschaffte sich seinen Platz auf der politischen Agenda. Entscheidend ist dabei, dass diesem Problem nach und nach eine solche Bedeutung zukam, dass man es nicht einfach als einen weiteren Punkt auf der politischen Tagesordnung behandeln konnte, für den es rechte und linke Lösungen gab. In der Terminologie des Medianmodells gesprochen, entwickelte sich die ökologische Frage eher zu einer zweiten Dimension, die zu der Linie auf der die ideologische Position im Links-Rechts-Raum gemessen wird, orthogonal verläuft. Das heißt nichts anderes, als dass die Positionierung im ideologischen Raum nichts darüber sagt, welche Position jemand zur ökologischen Frage einnimmt. Kurz gesagt: Es kann linke Umweltaktivisten geben, aber es ist genauso möglich ein rechter Umweltaktivist zu sein und auch Vertreter der politischen Mitte können massiv für die Bewahrung der Umwelt eintreten. Die Position einer Partei im Ideologieraum sagt deshalb nichts darüber, wie sich die Partei zu ökologischen Themen verhält. Das ist ein Bruch im System. Es reduziert die Fähigkeit des Ideologieraumes, Komplexität zu reduzieren und eine klare Delegation eigener Präferenzen zu gewährleisten. Allerdings nur dann, wenn der politische Raum tatsächlich als zweidimensional wahrgenommen wird und die Wähler ihre eigene Position in diesem zweidimensionalen Raum bestimmen. Aber das ist extrem schwierig, denn dafür muss man beispielsweise entscheiden, auf wieviel Umweltschutz man verzichten will, wenn man dafür etwas mehr oder weniger Umverteilung bekommt. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich zwei „Räume“ herausbilden, ein ökologischer und ein ideologischer und beide weiterhin eindimensional sind.
Diese Veränderung des politischen Systems hat sich lange Zeit kaum bemerkbar gemacht, weil ökologische Fragen von anderen Fragen überdeckt wurden. Der ökologische Raum war vorhanden, aber für die Wahl nicht entscheidend. Beispielsweise haben der Zusammenbruch des Ostblocks und die deutsche Wiedervereinigung die politische Agenda für mindestens ein Jahrzehnt dominiert. Es gibt nicht „rechte“ oder „linke“ Positionen beim Umweltschutz, aber es gab solche bei der Organisation der Wiedervereinigung und deshalb behielt das Links-Rechts-Schema zunächst seine starke Stellung bei der politischen Organisation des wiedervereinten Deutschlands. Aber damit ist es seit nunmehr 20 Jahren vorbei.
Audiodatei: (▶ https://doi.org/10.1007/000-akf)