46. Kapitel: John
W as machen Sie denn in Cambridge?“, fragte die Journalistin.
„Das geht Sie gar nichts an“, erwiderte John. Er wollte sich zum Gehen wenden, doch sie hielt ihn am Ärmel fest. „Also ich suche nach der Verbindung zwischen Grimson, Hamilton und Maddock. Und Sie?“
„Kein Kommentar.“
„Wir sind auf derselben Seite“, sagte sie leise.
„Das bezweifle ich stark“, sagte John. „Bisher hatte ich eher den Eindruck, dass Sie weit auf der anderen Seite stehen.“
Ein neuer Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sie zog die Nase kraus und senkte den Blick. War das Reue oder nur gut geschauspielert?
„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen mit meinem Artikel geschadet habe.“
„Geschadet?“ John spürte, wie die Wut aus ihm herausquoll wie der Qualm aus seiner brennenden Wohnung. „Sie haben meine berufliche Existenz zerstört. Glauben Sie, nach der Geschichte würde noch irgendjemand bei mir eine Behandlung wollen?“
Sie sah zu Boden, trippelte dabei jedoch von einem Fuß auf den anderen. „Es tut mir leid“, sagte sie.
„Das hilft mir auch nicht weiter“, sagte John. Doch die Wut ließ langsam nach, vor allem, weil die Scham, die er im Gesicht der Journalistin zu lesen glaubte, sehr echt aussah.
„Ich möchte Ihnen helfen. Wirklich.“
„Sie wollen eine Story.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Das heißt … Ich will schon eine Story. Aber ich will, dass Ihnen diese Story hilft. Grimson hat mich benutzt. Und dafür soll er bezahlen.“
„Ich habe keine Lust darauf, mich von Ihnen für Ihre Rache benutzen zu lassen.“
„Das habe ich auch nicht vor. Ich will Ihnen nur helfen, wieder auf die Beine zu kommen.“
„Das liegt nicht in Ihrer Macht.“
„Ich könnte es versuchen“, sagte sie.
John seufzte. Er hatte die Schnauze voll von dem ganzen Mist. „Na gut. Wollen wir einen Kaffee trinken gehen? Dann erzähle ich Ihnen alles?“
Sie fanden rasch einen urigen Pub im Herzen von Cambridge. John schilderte der Journalistin in groben Zügen, was vorgefallen war. Sie hörte ihm konzentriert zu und unterbrach ihn nur ab und zu, um Verständnisfragen zu stellen.
„Das heißt, Sie haben nicht nur Grimson gegen sich, sondern auch James Fitzwilliam?“, fragte sie.
John nickte.
„Fuck, da stecken Sie ja schön in der Scheiße!“
„Das können Sie laut sagen. Sie sollten es sich noch einmal gut überlegen, ob Sie sich tatsächlich auf meine Seite schlagen wollen. Ich habe die Presse und den mächtigsten Politiker im Land gegen mich.“
„Das macht die Story umso interessanter“, sagte sie und zwinkerte ihm zu. „Am spannendsten finde ich aber die Sache mit dem Tagebuch. Einen dieser Traumschnipsel haben Sie schon gefunden?“
John nickte. „Im Freud Museum in London. Versteckt unter den Kissen seiner Couch. Aber leider lagen wir mit unseren Vermutungen bezüglich des zweiten Hinweises daneben.“
„Wie lautet der?“
„Es hat etwas mit dem Almus Pater zu tun.“
„Muss es nicht Alma Mater heißen?“, fragte sie. „Ich habe zwar nicht studiert, aber eine Menge College-Serien angeschaut.“
John musste sich zusammennehmen, um nicht zu grinsen. Die Journalistin war charmant. Und unter anderen Umständen hätte er sich womöglich gut mit ihr unterhalten. Aber er hatte nicht vergessen, dass sie für einen Großteil des Schlamassels, in dem er nun steckte, mitverantwortlich war. Und dass sie sich nun austauschten, bedeutete noch lange nicht, dass er ihr vertraute.
„Ja, leider hat Maddock keine Übersetzungshinweise hinterlassen“, sagte er.
„Worauf haben Sie getippt?“, fragte sie.
„Auf die Kapelle des Selwyn College. Aber da war nichts. Ich bin rausgeschmissen worden.“
Miss Wilmore lachte. John sah sie erst irritiert an, dann grinste er.
„Wer ist der Almus Pater?“, fragte sie.
„Ja, wenn wir das wüssten. Wir hatten auf Gott oder auf Christus getippt, weil Alma Mater manchmal auch für die Jungfrau Maria steht.“
„Aber eigentlich bezieht es sich doch auf das College, oder?“
„Möglich.“
Ihre Nasenflügel weiteten sich. Sie holte etwas aus ihrer Umhängetasche. Es war ein Flyer mit einem Porträt darauf.
„Wer ist das?“, fragte er.
„George Augustus Selwyn. Der Gründer des College“, sagte sie.
„Der Gründervater“, murmelte John, in dessen Hirn eine Querverbindung einrastete.
„Der Almus Pater“, ergänzte die Journalistin, die offenbar zu demselben Schluss gekommen war wie John.
„Er hat den nächsten Traum an einem Ort versteckt, der mit Selwyn zusammenhängen muss“, sagte sie.
Sie holte ihr Smartphone aus der Tasche und googelte den Namen. Dann las sie vor:
„George Selwyn war der erste anglikanische Bischof von Neuseeland.“
John spürte, wie seine Eingeweide sich zusammenzogen.
„Hoffentlich hat er den Hinweis nicht in Neuseeland versteckt.“
„Das glaube ich nicht“, erwiderte die Journalistin. „Das College wurde erst nach Selwyns Tod gegründet und seine letzten Lebensjahre hat er in England als Bischof von Lichfield verbracht.“
„Dann gibt es trotzdem Hunderte möglicher Verstecke“, seufzte John.
„Hm“, erwiderte die Journalistin. „So schwer wird er es Ihnen doch nicht gemacht haben. Maddock meine ich. Wenn der wollte, dass Sie das Puzzlestück finden, sollte die Aufgabe lösbar sein.“
John zuckte mit den Achseln. Er schaute den Flyer an. Selwyns ernste Miene erwiderte seinen Blick. Sag mir, wo der Hinweis ist, hätte John beinahe gefleht. Und dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen den Kopf. Es war so einfach.