68. Kapitel: Unity
E
s schlug zwölf von einem nahegelegenen Kirchturm, als sie wieder im Versteck eintrafen. Unity hatte so richtig Hunger. Seit gestern Abend hatte sie nichts Warmes mehr zu essen gehabt. Und zudem war ihr Mund wie ausgetrocknet.
„Ich habe nur TK Pizza anzubieten“, sagte Linda und warf einen fragenden Blick in die Runde. Marc nickte abwesend, aber Unity sagte dankbar: „Gerne.“
Eine halbe Stunde später saßen sie schweigend vor ihren dampfenden Tellern und aßen die überwürzten Fertigpizzas. Es war ein friedlicher Moment an einem furchtbaren Tag. Aber Marc sorgte dafür, dass es tatsächlich nur ein Moment blieb. „Und jetzt?“, fragte er.
Linda und Unity sahen sich an.
„Nun, vielleicht sollte ich einmal den Polizeifunk abhören und checken, ob die uns inzwischen suchen“, sagte Linda. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und schaltete ein altmodisch aussehendes Funkgerät ein.
„Scheiße“, knurrte Marc.
„Na komm“, sagte Unity. „Du hast dich da selbst reingeritten. Also jammere hier jetzt nicht rum.“
Er sah sie mit großen Augen an.
„Stimmt doch, oder?“, fuhrt sie fort. „Du hättest auch einfach weiter deinem Herrn die Stiefel lecken können. Aber das hast du eben gerade nicht getan. Das war mutig von dir. Aber natürlich zieht es auch Konsequenzen nach sich.“
Marc nickte. „Ich hatte mir das eigentlich ganz anders vorgestellt.“
„Und wie?“
„Nun, ich habe an einem Artikel gearbeitet, in dem ich im Detail enthüllen wollte, wie Fitzwilliam mit den Russen zusammengearbeitet hat, um seine politischen Gegner zu diskreditieren. Und ich kann jede meiner Behauptungen mit wasserdichten Quellenangaben belegen.“
„Das ist doch super“, sagte Unity.
„Aber niemand wird mir glauben. Wenn schon die Polizei …“
„Sag mal, hast du es eigentlich nicht kapiert?“, mit einem Mal wurde Unity laut. „Es geht doch nicht darum, ob dir die Polizei glaubt. So funktioniert Journalismus schon lange nicht mehr. Grimson und Fitzwilliam haben das verstanden. Sie werfen einfach mit Dreck und gehen richtigerweise davon aus, dass irgendetwas immer an der Zielperson hängenbleiben wird. So haben sie es mit dem Schatzkanzler gemacht und auch mit Burgess und Hathaway. Wenn du den Spieß umkehren willst, musst du diesen Dreck auf sie zurückwerfen.“
„Und wie soll ich das machen?“
„Nun, erst einmal müssen wir dafür sorgen, dass die Dreckladung noch eine Spur schmutziger wird und mehr stinkt.“
Er sah sie irritiert an.
Unity verdrehte die Augen. „Wir fügen deinem Artikel alles hinzu, was wir seit Montag über die Vorgeschichte der Musketiere und ihre aktuellen Schandtaten herausgefunden haben.“
Marc nickte. „Dann haben wir aber immer noch das Glaubwürdigkeitsproblem.“
„Du hast es immer noch nicht kapiert.“ So langsam wurde Unity ungeduldig. Wie konnte man denn so schwer von Begriff sein? „Wir müssen die Story in die Köpfe der Leute bekommen. Ob sie glaubwürdig ist, ist dabei zweitrangig. Sie muss nur plausibel genug erscheinen, dass sie geglaubt wird. Die Beweise können wir später liefern. Wir brauchen nur das richtige Medium dafür.“
„Nun, wir können die Reportage ja schlecht im Morning Star drucken“, sagte Marc.
„Das wäre auch zu spät“, warf Linda ein, die von ihrem Funkgerät zurückgekehrt war. „Wenn der morgen Früh erscheint, ist Fitzwilliam PM und Grimson würde jedes Exemplar einstampfen lassen, das er in die Finger bekommt. By the way: Die suchen nach uns.“
„Fuck“, schrie Marc. Er wurde kreidebleich.
„Jetzt beruhige dich mal“, sagte Linda. „Unity hat recht. Ihr müsst schnell eine große Reichweite bekommen. Klicks, das braucht ihr für euren Artikel.“
„Wir sollen ihn online posten?“
Linda nickte.
„Aber auf welcher Website?“
„Auf der des Morning Star“, erwiderte sie.
Die beiden Journalisten starrten sie fassungslos an.
„Und wie …?“
„Ich habe mir das Sicherungssystem angesehen. Ich denke, ich komme rein und kann den Artikel auf der Newsseite platzieren.“
„Das kannst du?“ Unitys Achtung oder auch Angst vor Linda stieg noch einmal deutlich an.
„Ja, aber es wird trotzdem wahrscheinlich nicht reichen. Wir müssen sehr viele Leute dazu bringen, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung darauf zu klicken, den Artikel zu lesen, zu teilen und Screenshots zu machen. Dafür haben wir aber nur ein paar Minuten, bis die das merken und alles wieder vom Netz nehmen.“
Unity kam eine Idee. „Die Pressekonferenz.“
Ihr Mund wurde ganz trocken vor Aufregung. „Um sechs will Fitzwilliam mit dem Parteivorstand vor die Presse gehen und seine Kür bekanntgeben. Danach will er zur Queen fahren, die ihn ernennen soll. Das ist die letzte Chance, ihn aufzuhalten.“
„Was willst du auf der PK?“, fragte Marc. „Sie werden dich nicht reinlassen. Vielleicht verhaften sie dich auch.“
„Denk doch mal nach“, sagte Unity. „Wenn ich reinkomme, kann ich eine Frage stellen. Und wenn ich die richtige Frage stelle …“
Jetzt dämmerte es Marc. „Du fragst nach dem Artikel. Und Linda stellt ihn gleichzeitig online. Alle anwesenden Journalisten werden ihn aufrufen.“
„Das ist brilliant“, sagte Linda anerkennend. Unity spürte, wie ihre Wangen warm wurden.
„Es erfordert aber auch ein rigoroses Timing“, fügte Linda hinzu. „Wo findet die PK statt?“
„Im Savoy Hotel.“
Linda lächelte. „Hm, da kenne ich den Chef der IT von früher. Vielleicht wird es an der Zeit, einen Gefallen einzufordern. Es könnte machbar sein.“
„Okay, dann müssen wir aber als erstes unsere Artikel zu einem zusammenfügen“, sagte sie. Marc griff bereits nach seinem Laptop.
Linda sah auf die Uhr. „Ihr habt eine Stunde Zeit.“ Sie klatschte in die Hände. „Das wird super, endlich passiert hier mal was.“
Unity sah sie entgeistert an.
„In der Zwischenzeit organisiere ich, dass wir ins Savoy kommen. An einen Presseausweis komme ich aber nicht.“
„Lass das meine Sorge sein“, sagte Marc. „Ich habe auch einen Gefallen einzufordern.“
Nun klatschte Unity in die Hände. „Okay, denn lasst uns mal loslegen.“