Benito
Als ich auf den Parkplatz der Gin Mill einbiege, sehe ich Skye gerade aus dem Café kommen. Ich drücke kurz auf die Hupe, woraufhin sie zu mir rüberschaut. Und dann erscheint ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht.
Und bämm! Dieses Lächeln erschüttert meinen Körper wie ein mächtiges Donnergrollen. Sie dreht um und kommt zum Auto geeilt, während ich das Fenster herunterlasse.
»Du hier!«, ruft sie aus. »Es ist doch noch gar nicht Feierabendzeit, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, aber ich habe vor meinem nächsten Termin kurz Zeit. Außerdem gibt’s was zu feiern, also lass uns zusammen Mittag essen gehen. Wie wär’s mit Worthy Burger?«
»Mit was?« Sie wirkt ahnungslos.
»Junge Frau, es ist an der Zeit für ein bisschen Vermont-Aversionstherapie. Steig ein.«
Erneut erscheint ein Grinsen auf ihrem Gesicht. »Vorschlag: Wenn du mich zu der Autovermietung in der Whiting Road fährst, gehe ich danach mit dir mittagessen.«
»Du nimmst dir einen Mietwagen?«
Sie verdreht ihre hübschen Augen. »Ich muss wegen der Arbeit noch mal nach Burlington. Sag nichts dazu.«
»Würde ich nie. Ich bringe dich auch zu der Vermietung. Los.«
Skye steigt auf der Beifahrerseite ein, und ich fahre Richtung Whiting Road los. Dann erzähle ich ihr von Worthy Burger und warum es sich lohnt, für ein Mittagessen einen Weg von einer halben Stunde auf sich zu nehmen. »Ich kann deren leckeres Bier leider nicht trinken, weil ich noch arbeiten muss«, komme ich zum Schluss. »Aber die Burger schmecken himmlisch. Oh, und die haben Speckmarmelade!«
»Speckmarmelade?«
»Vertrau mir. Du musst außerdem unbedingt die diversen verrückten Sorten eingelegtes Gemüse probieren.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Als wir Jugendliche waren, konnte ich Skye nie ausführen. Keiner von uns hatte genug Geld, um es für Restaurantbesuche auf den Kopf zu hauen. »Es gibt noch Hunderte anderer Läden, die ich dir zeigen will. Das ist erst der Anfang. Wir müssen in Burlington mexikanisch essen gehen. Und in Chester japanischen Aal probieren.«
Skye stöhnt. »Na, vielen Dank auch, jetzt knurrt mir der Magen. Was gibt’s denn zu feiern?«
»Das Foto, das du geschickt hast. Heute Morgen habe ich einen anderen Drogendealer in diesem Auto gesehen. Im Grunde hat mir Rayanne nur noch ein weiteres Puzzleteil geliefert. Durch dieses Foto kann ich Sparks mit dem Kerl aus der mittleren Ebene in Verbindung bringen.«
»Siehst du?«, sagt Skye. »Rayanne versucht zu helfen. Sie ist keine Kriminelle.«
Ich strecke die Hand aus und drücke ihr Knie. »Ich weiß, Baby. Aber Rayanne ist noch nicht aus dem Schneider. Woher hat sie das Foto?«
»Sie hat es selbst gemacht.«
»Ja, aber wo?«
Es entsteht ein kurzes Schweigen, weshalb ich zur Beifahrerseite schaue und merke, dass sie mit sich zu ringen scheint.
»Ich weiß es nicht«, sagt Skye.
Hmmm. Da muss ich später noch mal nachhaken. »Wo genau willst du eigentlich hin? Das hier ist die Whiting Road. Aber ich habe keine Ahnung, wo hier eine Autovermietung sein soll.«
»Oh, Zara meinte, es ist beim Toyota-Händler. Ich habe schon angerufen und einen Wagen reserviert.«
Just als sie das sagt, kommt das Autohaus in Sicht. Und ich fühle mich schlagartig unwohl. Megaunwohl. Denn bei diesem Toyota-Händler arbeitet meine aktuelle Affäre im Kundendienst. Das Autohaus gehört ihrem Vater.
Guter Gott. Wie schaffe ich es nur immer wieder, mich in solche Situationen zu bringen?
Ich biege in eine Parklücke ein, von der aus wir durch die riesige Glasfront in den Ausstellungsraum sehen können. Eigentlich ist es ein ganz schönes Gebäude. Es wurde erst vor Kurzem gebaut. Ich war noch nie hier. Warum auch?
»Bis gleich«, sagt Skye, macht die Autotür auf und springt raus, ehe ich mir überlegen kann, ob ich etwas sagen soll.
Mit langen Schritten geht sie auf den Eingang zu. Drinnen spricht sie eine dunkelhaarige Frau am Empfang an. Gott sei Dank sehe ich meine Affäre nirgendwo. Ich schwöre mir innerlich, sie endlich zurückzurufen und die Sache offiziell zu beenden, sobald ich nachher wieder am Schreibtisch bin.
Die dunkelhaarige Frau schickt Skye zu einem anderen Schreibtisch, wo ihr ein Mann ein Formular aushändigt. Und ich entspanne mich fast schon, als im Hintergrund eine Tür aufgeht und Jill Sullivan keine drei Meter von Skye entfernt den Raum betritt.
Ach du heilige Scheiße.
Kurz flackert Hoffnung in mir auf, dass die beiden Frauen einander nicht wiedererkennen werden. Aber wem will ich denn etwas vormachen? In dem Moment, als Jill Skye sieht, rutscht ihr alles aus dem Gesicht. Sie sagt … etwas. Es könnte lauten: Kann ich behilflich sein? Oder vielleicht auch: Oh, du bist’s. Denn Skye versteift sich.
Jill marschiert zu einem Bord, an dem verschiedene Schlüssel hängen. Sie starrt es kurz an, als wüsste sie nicht mehr, zu welchem Zweck es dient. Dann nimmt sie einen Schlüssel, wirbelt herum und knallt ihn vor Skye auf den Tresen.
Inzwischen bin ich bereits ausgestiegen und stiefele auf die Eingangstür zu. Jill hat einen grimmigen Zug um den Mund, als ich hereinkomme und den großen Raum durchquere. Und als sie hochschaut und mich sieht, zeigt ihre Miene gar keine Überraschung.
»Hallo«, sage ich so freundlich wie möglich, sobald ich bei den beiden Frauen ankomme.
Jill hat bereits durchgeladen und ist bereit abzufeuern. »Jetzt verstehe ich, warum du nicht mehr auf meine Nachrichten antwortest«, blafft sie. »Wie gnädig von dir, mir zu verdeutlichen, dass du eine Neue hast.«
»Jill«, sage ich warnend.
Sie hat ja das Recht, wütend zu sein, aber alles hat seine Grenzen. Das mit Jill und mir war bloß eine Bettgeschichte, das habe ich von Anfang an klargestellt. Skye ist vor nicht mal einer Woche wieder in die Stadt geschneit, und ich hatte ganz gut damit zu tun, einen klaren Kopf zu behalten, während ich dafür sorge, dass ihre Stiefschwester nicht ins Gefängnis kommt, ihr Stiefvater aber schon.
Ja, stimmt, seit Skye aufgetaucht ist, habe ich überhaupt nicht mehr an Jill gedacht. Und es war unhöflich, nicht auf ihre Nachrichten zu reagieren.
Kann sein, dass ich ein Arschloch bin, weil ich mir gerade nicht etwa Sorgen um Jill mache. Skye sieht mich gar nicht an. Sie setzt mit heftigem Strich ihre Unterschrift unter das Formular und schiebt es Jill hin.
»Es tut mir leid«, setze ich an. Dabei ist nicht mal klar, bei wem ich mich entschuldige. Es tut mir leid, dass ich Jill gegenüber respektlos war. Und es tut mir leid, dass Skye hier ist und das alles mitbekommt.
»Tut es dir nicht«, wendet Jill ein. »Wenn es dir leidtäte, würdest du hier nicht mit deiner absoluten Lieblingsschnalle reinkommen. Und du hättest nicht die Nerven, auch noch überrascht zu tun, wenn ich deswegen beleidigt bin.«
»He, so war das – «
»Spar dir das«, schnauzt mich Jill an. »Ich hätte längst mit dir Schluss machen sollen. Ist ja nicht so, als würdest du irgendein Interesse an mir zeigen, wenn wir nicht gerade nackt sind.«
Ich kann regelrecht fühlen, wie Skye neben mir der Schock trifft. Sie macht einen Schritt zur Seite, als wolle sie Abstand zwischen sich und mich bringen.
»Also …«, presse ich hervor. Scheiße! Egal was ich sage, eine der beiden Frauen wird sauer sein. »Ich habe dir nie was vorgemacht«, versuche ich es.
»Schätze nein«, räumt Jill in sanfterem Tonfall ein. »Ich hab’s bloß laufen lassen, weil du so gut in der Kiste bist. Kyla, Süße«, sagt sie mit einem höhnischen Grinsen, als sie sich Skye zuwendet.
»Skylar«, korrigiere ich sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ach ja. Skylar. Du solltest ihn unbedingt mal ein paar Handschellen mitbringen lassen. Darauf steht er total.«
Skye keucht schockiert.
Schulterzuckend deutet Jill zur Hintertür. »Es ist der silberne RAV4 draußen. Bitte vollgetankt zurückbringen.«
Skye nimmt den Schlüssel und stratzt zur Tür. Ich kann es ihr nicht verdenken.
Ich bleibe mit Jill zurück, die ebenfalls die Zähne zusammenbeißt und aussieht, als wolle sie jemanden schlagen. Wahrscheinlich mich.
»Es war nicht so, wie du denkst«, sage ich zu ihr. Ich würde niemals zwei Frauen gegeneinander ausspielen.
»Nein? Du hast nicht etwa augenblicklich meine Nummer vergessen, als sie nach zehn Jahren wieder in der Stadt aufgetaucht ist?«
»Zwölf.«
»Was macht das für einen Unterschied?«, fragt Jill und klingt dabei traurig.
»Ich wollte kein Arsch sein.«
»Weiß ich, okay? Mein Gott.« Sie bekommt glasige Augen. »Und ich wollte nicht wieder zu dem fiesen Mädchen werden, das ich mit achtzehn war. Aber es war ein Schock, sie zu sehen. Dabei hatte ich mich schon gefragt, wo du steckst.«
»Ah, na ja. Entschuldige.« Nochmals. »Ich habe nicht nachgedacht. Wir beide hätten wahrscheinlich einfach, äh, Freunde bleiben sollen.«
Jill zupft ein Taschentuch aus einer Box auf dem Tresen und betupft sich die Augen. »Wir waren nie Freunde, Benny. Ich bin bloß ein Mädchen, das schwer in dich verknallt war und nie kapiert hat, wann es aufgeben muss.«
Autsch. »Dann tut es mir leid, dass ich bloß ein Kerl bin, der es nie geschnallt hat.«
»Geh schon«, schnieft sie. »Du musst ein bisschen bei deiner Süßen zu Kreuze kriechen. Ich glaube, sie wusste nicht, dass du echt so ein Deppo bist, wie deine kleine Nichte immer sagt.«
Noch mal autsch. »Okay. Wir reden ein andermal.«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, antwortet sie.
Ich gehe nach draußen und sehe mich nach Skye um. Doch da ist kein silberner RAV4 und auch keine Skye. Also laufe ich ums Gebäude und schaue die Whiting Road entlang.
Der silberne RAV4 fährt zügig ohne mich die Straße hoch.