KAPITEL 12

Varyan

N ichts zu danken‹ ?

Warum bin ich auf einmal so freundlich zu Mira? Wie kam ich bloß auf die Idee, eine Verbindung mit ihr einzugehen? Gut, das könnte ich noch damit erklären, dass ich auf gar keinen Fall zulassen darf, dass Caligram in andere Hände fällt. Ich habe es schon immer gehasst, diesen fremden, grapschenden Händen ausgesetzt zu sein. Nur bei Mira ist das anders. Bei ihr ist vieles anders. Auch die Verbindung …

Es hätte mir, verdammt noch mal, nicht so sehr gefallen dürfen …

Doch das tat es. Ich habe jede noch so kleine Sekunde genossen.

Ich durfte wieder die Welt sehen. Das Licht. Nicht bloß Dunkelheit. Es waren nicht meine Augen, durch die ich blickte, aber es war tausendmal besser als die Schwärze, die mich jetzt wieder umgibt.

Ich durfte mich bewegen. Nicht meinen eigenen Körper, aber doch in einer Art, die mir vertraut war.

Ich konnte meine Umgebung riechen – den satten Duft von Wäldern, den ich seit meinem Fluch nicht mehr wahrnehmen konnte.

Für die Dauer unserer Verbindung fühlte ich mich … lebendig.

Dabei war das nicht Teil der Abmachung! Ich wollte Mira und ihren liebestollen Begleiter so lange durch Lerthau irren lassen, bis die Zeit nahezu abgelaufen war. Mira hätte ihren Teil des Handels nicht einhalten können. Damit hätte sie den Zorn der Seehexe auf sich gezogen und vielleicht meinen Platz einnehmen müssen.

Und ich wäre endlich frei. Zwar tot, aber frei. Ich könnte meinen Frieden im Tod finden, der mir seit unzähligen Jahren verwehrt wurde. Ich müsste kein Sklave mehr sein.

Doch die letzte Zeit geriet mein Plan mehr und mehr ins Wanken. Zwar schickte ich sie weiter auf Umwege, zögerte allerdings, wenn es darum ging, sie vollends in die Irre zu leiten. Besonders als Caligram die Reise eingehüllt in Stoff verbringen und ich auf Mira verzichten musste. Ich vergaß den Grund, warum ich sie in die Irre führen, sie opfern wollte. Mit der vergessenen Begründung schlich sich das schlechte Gewissen erneut in mein Bewusstsein.

So ungern ich es zugebe, wurden Miras Berührungen und die kleinen Blicke in ihre Gedanken zum Inbegriff meines Daseins. Ihrer beraubt, wurde mein Gefängnis noch einsamer und kälter, als es sowieso schon war.

Vielleicht gestand ich ihr deshalb, dass ich ihre Berührungen mochte, kurz bevor dieser Korven sie in einem Hinterhalt überraschte.

Ich habe vergessen, wie es ist, von einem anderen Menschen wohlwollend berührt zu werden. Das Grapschen unzähliger Hände musste ich über mich ergehen lassen, egal wie laut ich in meinem finsteren Gefängnis aufbegehrte und mich dagegen wehrte.

Doch am schlimmsten waren ihre Berührungen. Sie stellten die einsame Hölle meiner Verbannung in den Schatten, und ich fürchtete mich vor ihnen.

Bei Mira jedoch verspüre ich weder Ekel noch Hass. Ich sehne sie sogar herbei und fühle mich unvollständig, wann immer sie sie mir verweigert. Dann beginne ich sogar meine harschen Worte ihr gegenüber zu hinterfragen.

Dabei bin ich selbst an meiner Misere schuld. Ich hätte netter zu ihr sein sollen, aber das gehörte nicht zu meinem Plan. Das tut es auch jetzt nicht.

Ich habe ihr lediglich geholfen, weil Caligram nicht in andere Hände fallen darf. Nicht auszudenken, was ein Mensch mit dunklem Herzen mit dem magischen Schwert der Götter anstellen könnte.

Oder was die Seehexe tun würde, um ihren wertvollsten Besitz zurückzuerlangen …

Ich habe Mira bloß aus purem Eigennutz geholfen, nicht weil ich sie beschützen wollte. Oder weil ich sie gar mag. Das tue ich nicht. Sie ist lediglich mein Weg in die Freiheit.