WENIGER ALS EINE
WOCHE
BIS ZUR ZWEITEN
VOLLMONDNACHT
I ch kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal durchgeschlafen habe. Mit Varyan, so viel ist sicher. Aber wie lange ist das her? Ich verliere das Zeitgefühl, seitdem wir nicht mehr auf Reisen sind. Unterwegs habe ich jeden Tag gezählt, ebenso wie die Münzen, die ich notgedrungen für unsere Unterkunft zahlen musste. Auch wenn es eigentlich Garreths Münzen waren. Trotzdem konnte ich nicht aus meiner Haut und habe geknausert, wo es nur ging.
Doch hier im Hain muss ich für nichts bezahlen. Es gibt Essen im Überfluss. Jeder hat etwas zu tun, ohne sich zu Tode zu arbeiten. Alle sind fröhlich und glücklich und strahlen eine solche Lebensfreude aus, dass mir speiübel davon wird.
Ich hasse es hier.
Ich kann nicht sagen, ob es mit dem Verlust von Caligram zusammenhängt, aber ich kann die gut gelaunten Unterhaltungen während der Mahlzeiten nicht mehr hören. Ich will das verdammte Essen nicht mehr schmecken müssen. Ich will nicht weiterhin so tun müssen, als sei bei mir alles in bester Ordnung, wenn mich jemand fragt. Und das passiert ständig. Garreth und ich sind als Einzige aus Bellvor quasi eine Kuriosität. Kinder, die nie aus dem Hain herausgekommen sind, bitten darum, unsere runden Ohren berühren zu dürfen, und fragen uns, ob wir mit ihnen schlechter hören.
Niemand gibt mir das Gefühl, unerwünscht zu sein – mit Ausnahme von Colette, vielleicht, aber das wird damit zusammenhängen, dass ich sie schier mit Blicken erdolche, wann immer sie in meiner Nähe ist. Jeder begegnet mir freundlich.
Trotzdem hasse ich jede Minute, die ich hier sein muss.
Ich rede mir ein, dass ich so empfinde, weil ich nichts Richtiges zu tun habe. Die Waffenübungen, die ich ein paar Heranwachsenden zeige, fordern mich nicht im Mindesten. Während meine Schützlinge nach zwei Stunden Übung verschwitzt ins Gras plumpsen, verdrücke ich mich in ein angrenzendes Waldstück und übe bis zum Umfallen. Oder bis Garreth mich findet und zum Essen holt.
Ich wünschte, ich könnte in alte Muster zurückfallen. Früher – vor Garreth, Caligram und Varyan – habe ich meine Probleme ertränkt. Aber nicht einmal das ist mir vergönnt, denn in diesem verfluchten Hain gibt es nicht einen einzigen Tropfen Alkohol!
Wäre ich nicht derart frustriert und wütend, würde ich über diese Tatsache wohl in Tränen ausbrechen.
Auch Garreth fällt auf, dass ich gereizter bin als sonst. Beinahe fühle ich mich in die Anfangszeit mit Caligram zurückversetzt, als Varyan es darauf anlegte, mir den letzten Nerv zu rauben. Im Stillen schimpfe ich mit mir darüber, dass ich ihn mir nun herbeiwünsche. Ich würde fast alles dafür tun, seine Stimme hören zu können, die meine angekratzten Nerven beruhigt.
»Du musst etwas essen«, murmelt Garreth neben mir, als wir uns zum Mittag auf dem Platz eingefunden haben.
Ich schiebe die Karotte seit einer gefühlten Ewigkeit vom oberen Rand meines Tellers an den unteren und wieder zurück, während ich ins Leere starre. Mir macht das nichts aus, aber es wurmt mich, dass es Garreth aufgefallen ist.
»Meine Wunden sind verheilt«, sage ich. »Ich brauche keine besonders ausgewogenen Mahlzeiten mehr.«
Tatsächlich spüre ich nichts mehr von den Verletzungen, die ich davongetragen habe. Mein Körper ist genauso wendig und biegsam wie vor dem Angriff der Kromer. Dank Garreths und Karlis Hilfe ist noch nicht mal eine Narbe zurückgeblieben.
»Tu mir den Gefallen und iss«, beharrt Garreth.
Ich unterdrücke den Drang, ihn anzuschreien. Das will ich nicht. Ich will nicht mit ihm streiten, erst recht nicht vor all diesen fremden Menschen; das hat Garreth nicht verdient.
Aber ein Teil von mir sehnt sich nach einem Ventil für all meinen angestauten Frust. Ich hasse die Fröhlichkeit und die achtsame Sorge, die mir entgegengebracht wird. Ich hasse es, dass Garreth offenbar in mir lesen kann wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Doch er ist nicht derjenige, gegen den sich meine Wut richtet. Sie ist einfach da, und es fällt mir mit jedem Tag schwerer, sie im Zaum zu halten. Garreth ist ständig bei mir und trifft mit seinen Äußerungen und seinen wissenden Blicken einen Nerv.
Um mich von meiner aufkeimenden Wut abzulenken, deute ich auf seine bandagierte Hand. »Was ist passiert?«
Schnell verbirgt er die Hand unter dem Tisch. »Ich war unachtsam beim Hacken von Kräutern. Der Schnitt ist ziemlich tief.«
Ich runzele die Stirn. Garreth mag in Liebesdingen unbeholfen sein, aber definitiv nicht im Umgang mit Kräutern. Dass er sich einen Schnitt zugezogen hat – noch dazu einen, wegen dem er die gesamte Hand samt einzelner Finger verbinden muss –, glaube ich nicht.
Ehe ich zu einer Erwiderung ansetzen kann, tritt die Hexe Karli zu mir.
»Wenn es deine Zeit zulässt, würde ich mich gern mit dir unterhalten.«
Damit wendet sie sich ab und verlässt den Platz. Ich spiele mit dem Gedanken, einfach sitzen zu bleiben, aber da ich nichts Besseres zu tun habe, folge ich ihr.
Karli führt mich an den nördlichen Rand ihres Hains, der direkt an die Ödnis grenzt. Der faulig-schwere Geruch, der bei jedem Atemzug meine Lunge flutet, lässt mir beinahe das Mittagessen wieder hochkommen.
»Du wirkst nicht überrascht«, sagt die Hexe, nachdem sie meine Reaktion auf den Anblick vor mir gemustert hat.
»Ich sehe die Ödnis nicht zum ersten Mal.« Knapp erzähle ich ihr, dass ich einst im nördlichen Bellvor gelebt habe, das aber ebenfalls der Ödnis anheimgefallen ist. »Ich war jung damals. Heute muss die Ödnis sich noch weiter ausgebreitet haben. In Bellvor haben wir keinen Hain, der sie stoppt.«
»Ihr habt eine Hexe in eurem Reich«, sagt Karli, »wobei meine Schwester, die Feuerhexe, nicht sonderlich gut darin ist, die Ödnis einzudämmen. Das schafft nur meine Magie. Ihre Feuermagie dient dazu, die Schäden zu begrenzen.«
Ich schnaube wenig belustigt. »Und ich habe mich schon gefragt, ob es Zufall ist, dass es in den nördlichen Gebieten oft zu verheerenden Feuersbrünsten kommt.«
Karli zuckt lediglich mit den Schultern. »Jede von uns tut, was sie kann. Zumindest die, die sich direkt mit der Seuche und der Ödnis konfrontiert sehen.«
Ihre Bemerkung entlockt mir ein Schmunzeln, denn ich weiß genau, auf wen sie anspielt. »Während andere sich in ihrem sicheren See verkriechen, meinst du?«
Die Hexe schenkt mir ein verschwörerisches Lächeln. »So in etwa. Aber ich habe dich nicht hergebracht, um über meine Schwestern zu reden.«
»Sondern?«
»Ich möchte dir ein Angebot machen.«
Noch bevor ich ihr Angebot höre, will ich es ablehnen. Keine Ahnung, woher dieser Impuls rührt. Vor einigen Wochen hätte ich nahezu jedes Angebot und jeden Auftrag angenommen.
»Die Bewohner meines Hains«, sagt Karli, »mussten sich alle einst der Ödnis oder der Seuche stellen. Die meisten von ihnen sind die letzten Überlebenden ihrer Familie. Der Rest wurde vom Roten Tod dahingerafft.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Kommt mir bekannt vor.«
Karli nickt. »Im Gegensatz zu dir sind sie jedoch verstört und ängstlich. Und diejenigen, die bereits länger hier sind, trauen sich nicht zurück in die Außenwelt. Sie haben hier ihren Platz gefunden, den ich ihnen nie wegnehmen werde, solange es mir möglich ist.« Sie deutet auf das verwüstete Land vor uns. »Gegen diese Ödnis kann ich bestehen. Aber ich fürchte mich davor, dass es im Landesinneren zu einem weiteren Ausbruch kommen könnte. Es ist mir nicht möglich, meinen Hain zu verlassen.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Meine Magie behandele ich wie einen kostbaren Schatz.« Anstatt auf meine Frage einzugehen, hockt sie sich hin und berührt das verfaulte und fast schwarze Gras direkt an der Grenze zur Ödnis. Unter ihrer Berührung werden die Halme wieder grün und richten sich auf, während auch die umliegende Erde ihre ungesunde Färbung verliert.
Ich ziehe scharf die Luft ein. »Es gibt ein Heilmittel?«
Wenn es die ganze Zeit ein Heilmittel gegen die Ödnis gibt, warum weiß niemand etwas davon? Warum nutzt es die Hexe nicht, um die Ödnis so weit zurückzudrängen, bis sie sich nicht mehr ausbreiten kann?
Karli erhebt sich wieder. Unverwandt erwidert sie meinen Blick. »Nein.«
Ich schlucke trocken, dabei schaue ich von ihr zu dem geheilten Stück Gras, das sich langsam erneut bräunlich färbt. »Aber …«
»Es gibt keine Heilung«, sagt die Hexe. »Ich kann nur das Land retten, das noch nicht völlig von der Seuche befallen ist. Wenn es zu schwach ist und bereits zu lange unter den Folgen leidet, kann auch ich nichts mehr tun. Wie eben bei der Grasnarbe.« Sie neigt den Kopf. »Wenn es aber zu einem frischen Ausbruch kommen sollte, kann meine Magie helfen und Schlimmeres verhindern.«
»Ich wiederhole meine Frage: Was hat das mit mir zu tun?«
Karli schweigt eine Weile. Fast knicke ich unter ihrem berechnenden Blick aus den schneeweißen und irgendwie gruseligen Augen zusammen, doch ich halte das Kinn oben.
»Ich ging davon aus, dass du«, mit einer Kopfbewegung deutet sie auf mich, »ein eigenes Interesse daran hättest, die Menschen vor der Seuche zu beschützen.«
»Du sagtest selbst, dass es kein Heilmittel gibt«, entgegne ich.
»Das stimmt auch. Aber du könntest trotzdem helfen.«
»Warum sollte ich das tun?«
Anstatt mir zu antworten, tritt Karli direkt vor mich und berührt meine Schläfe mit der Fingerspitze. Sofort fluten Bilder meinen Kopf, die ich beim besten Willen nicht abschütteln kann. Erinnerungen an meine Eltern, wie sie leblos und blutüberströmt in ihrem Bett liegen. Der widerliche Gestank von Blut, der über all in der Luft hängt. Die nackte Angst, die selbst von meinem kindlichen Ich Besitz ergreift und mich lähmt. Die unumstößliche Gewissheit, nun ganz allein auf der Welt zu sein.
Und dass ich der Grund dafür bin.
Als Karli ihre Hand zurückzieht, verschwinden die Bilder. Dennoch sacke ich unter ihrer Last schier zusammen. Einer Last, die ich mit aller Kraft zu vergessen versucht habe. Lediglich gegenüber Varyan habe ich mich geöffnet.
»Es war nicht deine Schuld«, sagt Karli unvermittelt.
Zögerlich hebe ich den Kopf. »Was?«
»Die Seuche wäre über eure Burg gekommen, ob du zum See gegangen wärst oder nicht. Einer der Flüchtlinge schleppte sie in die Mauern ein.«
Sie umschließt mein Gesicht mit beiden Händen. Ich fürchte mich davor, gleich wieder von unerwünschten Erinnerungen heimgesucht zu werden, doch ich spüre nichts als die Wärme ihrer Berührung.
»Varyan wird dir das bereits gesagt haben, aber ich wiederhole es«, murmelt sie sanft. »Es wird Zeit, dass du dir selbst vergibst.«
Mein nächster Atemzug ist lang und tief. Es fühlt sich an, als würde mit der Luft ein Teil der Schuld aus mir entweichen, die ich all die Jahre mit mir herumgetragen habe. Ganz verschwindet sie nicht; vermutlich wird sie das nie. Obgleich Karli meint, die Schuld läge nicht bei mir, werde ich nie den Blick der Magd vergessen können, die mich zusammen mit meinen toten Eltern entdeckte und im Zimmer einschloss, um mich meinem Schicksal zu überlassen. In ihrem Gesicht lag solcher Schrecken, als sähe sie sich nicht einem Kind, sondern einem furchtbaren Ungeheuer gegenüber.
»Du könntest helfen, dass weniger Überlebende auf diese Weise angesehen werden«, sagt Karli. »Nicht einmal eine Hexe wie ich kann die Seuche aufhalten, aber ich würde gern mehr tun, als lediglich die Grenzen meines Reiches zu schützen. Du gehörst zu den wenigen, die die Schrecken der Seuche erlebt haben, aber davongekommen sind. Du weißt, wie sich jene fühlen, die alles verloren haben.«
»Aber … ihnen kann ich nicht helfen«, krächze ich.
Karli nickt bedächtig. »Du könntest jedoch dafür sorgen, dass weniger als gewöhnlich betroffen sind.«
Ich mache einen Schritt zurück und befreie mich aus ihrem Griff. Nicht weil er mir unangenehm ist; es liegt zu viel Erwartung darin.
Erwartung, die ich vermutlich nicht erfüllen kann.
»Ich habe bereits einen Auftrag«, sage ich. Mit der linken Hand fahre ich über das Hexenmal an meinem rechten Handgelenk. »Ich habe keine Zeit für eine weitere Aufgabe.«
Der Blick der Hexe folgt der Bewegung meiner Finger. »Ich verstehe. Ich werde dir meine Magie nicht aufschwatzen, wenn du sie nicht willst.«
»Das ist es nicht.« Ich stoße den Atem aus. »Wann immer ich mit Varyan trainiert habe, war einer der Höhepunkte des Trainings stets der Moment, wenn er mir eine Kostprobe seiner Magie gezeigt hat. Ich wollte sie ebenfalls wirken können, aber das wird wohl nie passieren. Caligram wird nicht ewig in meinem Besitz sein, und ohne Artefakt werde ich keine Magie wirken können. Dein Angebot ehrt mich, obwohl ich nicht ganz begreife, warum deine Wahl auf mich gefallen ist, jedenfalls wäre es eine Verschwendung, wenn du deine Magie an mich gibst.«
Ein Lächeln breitet sich auf Karlis Lippen aus. »Als Varyan zu Lebzeiten zu mir kam, habe ich ihm meine Magie verweigert. Heute würde ich sie ihm anvertrauen. Und dir gleicherma ßen.« Sie vollführt eine Geste, woraufhin die Schmiedin Colette mit einem Schwert zwischen den Bäumen hervortritt. »Eure Zeit mag begrenzt sein. Vielleicht begegnet euch auf eurem weiteren Weg die Seuche nicht. Ich würde es euch wünschen. Doch wenn es Menschen da draußen gibt, die die Prinzipien meiner Magie vertreten, dann sind das du, Varyan und Garreth. Ihr drei mögt ein außergewöhnliches Gespann sein, aber nicht nur ich setze große Hoffnungen in dich, Delmira Vendelin.«
Ich reiße mich vom Anblick des reich verzierten Schwerts los, als ich mich auf seltsame Weise an den Tag meiner Weissagung zurückerinnert fühle. Die Priesterin sagte damals etwas Ähnliches. Und sie kannte ebenfalls meinen vollen Namen.
Ich unterdrücke die Nachfrage diesbezüglich; genau wie die Priesterin wird Karli mir nicht verraten, woher sie meinen Nachnamen kennt.
Stattdessen sage ich: »Ich würde mich geehrt fühlen, deine Magie nutzen zu dürfen, solange dieses Können nicht an einen festen Auftrag gebunden ist.«
Damit entlocke ich Karli ein Lächeln, ehe sie Colette näher winkt. »Das trifft sich gut: Caligram ist fertig.«
Meine Aufmerksamkeit zuckt wieder zurück zu dem Schwert. »Das … ist Caligram?«
Ich habe es insgeheim gehofft, doch wenn ich dieses Schwert irgendwo anders als in Colettes Händen gesehen hätte, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass es sich dabei um das verrostete und verwitterte Ding handeln könnte, das bloß mit viel Fantasie als sagenumwobenes Schwert durchging.
»Berühre es bitte vorerst nur am Griff«, mahnt Karli, während ich bereits einen Schritt auf Colette zu gemacht und die Hand nach der ebenen und im Sonnenlicht funkelnden Klinge ausgestreckt habe.
Meine Finger zittern protestierend, als ich sie dazu zwinge, sich dem Griff anstatt der Klinge zuzuwenden.
»Den Griff kannst du abnehmen«, flüstert Colette verschwörerisch. »Ich zeige dir nachher wie. Ich dachte nur, das Schwert sollte auch wie eines aussehen, wenn es schon einer Prinzessin präsentiert werden muss.«
»Danke«, murmele ich.
Unter anderen Umständen wären Colette und ich vermutlich besser miteinander ausgekommen. Vielleicht hätte ich in ihr sogar eine Freundin finden können, schließlich ist sie eine Frau, die sich – ebenfalls wie ich – für Dinge interessiert, über die andere Gleichaltrige die Nase rümpfen. Doch die Umstände waren keine anderen. Ich werde erst später herausfinden, welche Qualen sie Varyan während der Restauration zugefügt hat. Ich wünschte, wir hätten einen anderen Weg gefunden.
Ich lege die Hand um den Griff, der sich sogleich gegen meine Handfläche schmiegt, als würde er genau dorthin gehören. In meinem Kopf spüre ich nichts und höre auch nicht Varyans Stimme. Nun da der Stahl durch einen neu angefertigten Griff geschützt ist, gibt es keine direkte Verbindung zu ihm.
»Ich überreiche euch nun einen Teil meiner Magie«, sagt Karli. »Sobald der Handel mit meiner Schwester endet, wird sie bei Varyan verbleiben. Bis dahin bist du jedoch diejenige, die sie wirken kann, Delmira.«
Die Aussicht darauf lässt mich für einen Moment meine Schwermut darüber, dass ich Varyans Stimme nicht höre, verschwinden. Lediglich das Gefühl, Karli zu enttäuschen, weil ich unterwegs nach Valencia keinen Ausbruch der Seuche finde, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.
Während ich den Griff umfasse, tritt Karli zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Sogleich durchströmt mich eine ungeahnte Kraft und Wärme. Ein Kribbeln nistet sich in meinen Fingerspitzen ein, ehe es zu Caligram fließt. Als ich die Augen aufschlage, fühle ich mich nicht anders, doch da ist etwas Neues in mir, das zuvor nicht da war. Es ruht wartend darauf, dass ich es einsetze, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
»Ein Teil meiner Magie ruht nun in deinem Artefakt«, sagt Karli, nachdem sie einen Schritt zurück gemacht hat. »Möget ihr sie weise nutzen.«
Ich neige den Kopf. »Ich danke dir für dein Vertrauen, aber –«
»Keine Sorge«, unterbricht sie mich. »Ich bin sogar dankbar, wenn du sie nicht einsetzen musst. Für den Fall der Fälle seid ihr jedoch gerüstet. Und nun geh! Ich beschäftige Garreth für ein paar Stunden. Du hast Varyan sicherlich eine Menge zu erzählen.«
Ich hauche ein von Herzen kommendes Danke an sie und Colette, ehe ich Caligram behutsam in meinen Gürtel stecke und zu meiner Unterkunft eile.