Sol 7, NASA-Rover
Einer hatte an Bord des Rovers gehen müssen, und das Los war auf Mike gefallen. Er hat überhaupt keine Lust, zehn Stunden durch die öde Marslandschaft zu tuckern. Fünfzehn Kilometer pro Stunde – mit dem Fahrrad wäre er schneller. Schade, dass er sein Mountainbike nicht mitbringen konnte. Bei der niedrigen Gravitation wäre so eine Tour durch die Marswüste sicher spannend. Und die Sprünge, die er unter diesen Bedingungen hinbekommen würde! Wenigstens muss er den Rover nicht selbst steuern, denn die Automatik hält den Kurs. Hätte er doch bloß die Endeavour eher landen lassen, dann säße nun ein MfA-Mensch hier drin und müsste sich langweilen.
Die Ebene, die sie gerade durchqueren, ist aber auch das Musterbeispiel einer kargen Mars-Landschaft. Wenn er wenigstens ein paar Urstromtäler begutachten oder den Ausblick auf den zwanzig Kilometer hohen Olympus Mons genießen könnte! Stattdessen sind selbst die herumliegenden Felsbrocken ausnehmend kleine Vertreter ihrer Kategorie. Manchmal entdeckt er Muster, die wie Spuren gigantischer Fahrzeuge wirken. Sie sind aus dem Wind geboren, der hier seit Jahrmillionen ungehindert weht, dabei Sand wie ein Reibeisen über den Untergrund treibt und so einst tief im Fels verborgene Strukturen sichtbar macht. Mike betrachtet die Anzeigen der Steuerung. Wenn er die Geschwindigkeit auf 20 Kilometer pro Stunde erhöht, verkürzt er die verbleibende Fahrzeit um zwei Stunden – doch zugleich sinkt die Reichweite des Rovers von 500 auf 400 Kilometer. Das ist zwar immer noch deutlich mehr, als auf dem Plan steht, aber in der lebensfeindlichen Umgebung kann eine Sicherheitsreserve nie schaden. Der Rover wird von einer Methanol-Brennstoffzelle angetrieben, die neben der zur Fortbewegung nötigen Energie auch Wasser und Kohlendioxid produziert. Das Kohlendioxid wird durch eine Art Auspuff in die Atmosphäre geleitet, die bereits zum größten Teil aus diesem Gas besteht. Das Wasser hingegen wird aufgefangen und zum Teil mit Hilfe von durch Solarzellen auf dem Dach erzeugtem Strom in Wasserstoff – für den Antrieb – und Sauerstoff – zum Atmen und für den Antrieb – aufgespalten. So braucht Mike sich weder um seine Wasser- noch um seine Atemluft-Vorräte Sorgen zu machen, im Gegenteil: je schneller er fährt, desto größer werden sie.
Aber es gibt am Ende natürlich doch einen begrenzenden Faktor, und das ist die Größe des Methanol-Tanks. Die NASA hatte eine Reichweite von 500 Kilometern pro Tankfüllung als ausreichend erachtet, denn der Operationsradius rings um die Basis sollte bei maximal 100 Kilometern liegen. Methanol ist im Gegensatz zu Wasserstoff allerdings so bequem zu handhaben, dass sie bei Bedarf auch einen Ersatzbehälter einpacken und so die Reichweite verdoppeln können.
Mike seufzt. Lange Fahrten hat er schon als Kind gehasst. Wegen der Flugangst seiner Mutter hatten sie immer mit dem Auto von der Ost- zur Westküste fahren müssen, um zu Thanksgiving die Großeltern zu besuchen. Im mittleren Westen, etwa auf halbem Weg, hatte es ähnlich trostlos wie hier ausgesehen. Aber da hatten sie zumindest alle zwei Stunden an einer Tankstelle gehalten. Wenn Mike jetzt aufs Klo muss, hat er nur die tragbaren Urinbehälter. Für seine Passagiere hat er extra sieben Stück eingepackt. Für große Bedürfnisse gibt es eine chemische Toilette, die allerdings nicht für längere Reisen mit acht Menschen an Bord dimensioniert ist. Aber das natürliche Schamgefühl der Passagiere wird dieses Problem wohl nicht akut werden lassen, verhindert doch der enge Innenraum des Rovers mit seinen acht Quadratmetern Grundfläche dafür eine unbeobachtete Toilettenbenutzung. Die Rückfahrt wird bestimmt lustig. Vermutlich wird er sich dann noch nach der Ruhe der Hinfahrt sehnen.
»Kommst du gut voran?«
Mike schreckt auf. Er muss kurz eingedöst sein.
»Ja, Sarah«, antwortet er, ohne auf die Instrumente zu sehen. Der Autopilot hätte ihn schon geweckt, hätte er ein Problem registriert.
»Die Endeavour fragt, ob sie dann nicht langsam landen darf. Muss eng sein dort oben, und sie langweilen sich wohl.«
»Ich sehe da kein Problem. Der Rover läuft tadellos.« Mike klopft auf die Konsole und bewegt die Lenkhebel, als habe er die ganze Zeit selbst am Steuer gesessen.
»Gut, dann gebe ich ihnen Landeerlaubnis. Schlaf gut, Mike.« Sarah lacht.
»Ich habe nicht …«, sagt er, aber Sarah hat die Verbindung schon unterbrochen.
Mike massiert sich die Schläfen und sieht auf die Karte. Er hat noch vier Stunden vor sich. Es wird Zeit für einen Anruf.
»Rover an MfA-Kapsel, bitte kommen.«
Es dauert eine Weile, bis er Antwort erhält.
»Ewa hier. Was gibt es Neues?«
Die Chefin. Lance hat Recht, sie hat etwas. Sie wirkt ein bisschen abgehoben, denkt er. Nein, das ist das falsche Wort. Sie ist distanziert. Man kann ihr nicht vorwerfen, dass sie nicht für ihre Leute kämpfen würde, sie macht einen guten Job als Commander, obwohl sie dafür ja wohl nicht ausgebildet wurde. Aber da ist ein Abstand zwischen ihr und der Welt. Oder kommt es ihm nur so vor, weil er sie indirekt auf dem Bildschirm sieht? Auf die erste echte Begegnung ist er schon sehr gespannt.
»Ich wollte nur den Status abfragen. Planmäßige Ankunft in vier Stunden«, antwortet er.
»Bei uns ist alles bestens. Wir freuen uns auf den Rover und sind überaus dankbar.«
Ewa lächelt dazu, aber da ist sie wieder, die Distanz. Vielleicht ist sie einfach nur introvertiert? Er hat schon öfter erlebt, dass introvertierte Menschen auf andere distanziert wirken, obwohl sie gern Teil des Ganzen wären. Es geht ihm selbst oft genug so. Mit Sarah, Sharon und Lance kommt er gut zurecht, weil er sie schon so lange kennt, sie sind längst zur Familie geworden.
»Wenn ich irgendetwas tun kann …«, bietet er an.
»Uns fehlt noch immer die zündende Idee, wie wir unsere Tiere in den Rover bekommen. Aber das hat Zeit bis zur zweiten Fahrt.«
»Verstehe. Ich grübele dann auch mal nach. Vielleicht gibt es einen Hausfrauen-Trick.«
Ewa lacht. »Ich bezweifle, dass die typische Hausfrau schon mal so ein Problem lösen musste.«
»Oh, da könnte ich dir Geschichten erzählen! Meine Mama, sie kommt aus Italien, genauer gesagt aus Sizilien, hat behauptet, sie hätte den Schnellkochtopf erfunden, nachdem sie den Stromboli beobachtet hatte.«
»Dann ist dein Name also eigentlich Michele, nicht Mike?«
»Michele hat mich nur meine Mama genannt.«
»Und wie war das mit dem Schnellkochtopf?«
»Den gab es schon, bevor meine Mutter geboren wurde. Aber sie blieb steif und fest dabei. Und irgendwann hat sie mir mal einen uralten, eindeutig selbst zusammengeschweißten Schnellkochtopf im Schuppen ihrer Mutter gezeigt. In ihrem Dorf haben sie mit solchen Töpfen heimlich Schnaps gebrannt.«
»Spannend.«
»Nun ja, es hilft uns wohl gerade nicht weiter.«
»Das stimmt, wir hätten die Tiere gern lebend, nicht gekocht.«
»Ich kann ja meiner Mutter mal eine Nachricht schicken.«
»Mach das, Mike. Wir sehen uns also in vier Stunden?«
Er sieht auf die Uhr.
»Drei Stunden, 56 Minuten.«
Ewas Gesicht verschwindet, und der Bildschirm schaltet sich automatisch ab. Mike grübelt. Er hat noch eine Menge Zeit. Vielleicht sollte er seiner Mutter wirklich mal wieder eine Nachricht schicken? In zwanzig Minuten könnte sie die Erde erreichen. Wie spät wird es in Baltimore gerade sein? Weil der Marstag knapp 40 Minuten länger als ein Tag auf der Erde ist, hat Mike längst jedes Gefühl für die Uhrzeit in der Heimat verloren. Schon auf dem Hinflug hat sich die Crew auf die Marszeit eingestellt.
Er startet die Spracheingabe. Früher war alles einfacher. Er hat sich im Urlaub eine Postkarte gekauft, möglichst groß »Ich bin hier und mir geht es gut« darauf geschrieben und das Ergebnis der guten alten Post anvertraut. Was soll er seiner Mama erzählen? Es ist alles so kompliziert. Er weiß nicht einmal, ob es ihm gut geht. Es sieht zwar im Moment so aus, aber vielleicht hat sich im Material der Schleuse bereits ein haarfeiner Riss gebildet, der in drei Tagen zu einer explosiven Entlüftung der Basis führen wird? Mike schüttelt den Kopf. Das ist nicht, was seine Mama hören will. Also beschreibt er ihr seinen Tagesablauf, berichtet von seinen Kolleginnen und Kollegen und erzählt, wie langweilig die Marswüste aussieht. So kommen fünfzehn Minuten zusammen. So redselig war er lange nicht mehr. Zum Schluss schildert er ihr das Problem, das sie mit den Tieren haben: Wie bekommt man ein Lebewesen ohne Raumanzug durch eine lebensfeindliche Umgebung? Auf diese Weise in sein Leben einbezogen zu werden, tut ihr sicher gut. Wenn sie Ratschläge geben konnte, hatte sich seine Mama früher immer am wohlsten gefühlt.
Mike speichert die Botschaft und leitet sie über die Basis an das Deep Space Network. Er stellt sich vor, wie die High-Gain-Antenne der Basis jetzt die Position eines der drei Orbiter sucht. Dann geht seine Botschaft digital ins All, wird von dem Satelliten empfangen, aufbereitet und verstärkt und schließlich in Richtung Erde abgestrahlt. Sein Bericht und seine Frage fliegen mit Lichtgeschwindigkeit durch die Kälte, bis eine der großen Schüsseln sie auffängt, vielleicht in Spanien oder in Australien, je nachdem, welche gerade in die passende Richtung guckt. Die Nachricht landet bei Mission Control in Florida, wo sie sich wahrscheinlich jemand anhören wird, der sie dann als privat einstuft und als Dateianhang per E-Mail weiterleitet. Das alles dauert, schätzt er, nicht mehr als eine Stunde. Dann hängt es nur noch von seiner Mutter ab, wann sie ihre Nachrichten zum nächsten Mal ansieht. Eigentlich kann man gar nicht sagen, dass sie weit entfernt wären. Die ersten Erforscher der Antarktis jedenfalls hatten es viel schwerer, mit ihren Nachrichten die Heimat zu erreichen. Manche schafften es gar nicht; erst als man viel später ihre Leichen fand, erfuhren die Angehörigen, was passiert war. Wenn hingegen auf dem Mars etwas passiert, weiß die ganze Welt am nächsten Tag Bescheid – es sei denn, das ist nicht erwünscht.
»Wir sehen dich!«, meldet Ewa über die Funkverbindung. Mike ist erstaunt, denn es ist schon dunkel draußen. Anscheinend sind seine Positionslichter nachts besser erkennbar als das unbeleuchtete Fahrzeug im Dunst des Tages. Er schaltet auf die Kamera um. Tatsächlich, weit vor ihm blinkt ein Licht, das kann nur die Kapsel sein.
»Ist es ein Problem, wenn ihr im Dunklen umsteigen müsst?«
»Überhaupt nicht«, sagt Ewa.
»Und braucht ihr meine Hilfe?«
Mike hofft, dass Ewa verneint. Doch dann fällt ihm ein, wie das Einsteigen in den Rover ohne den nicht an die Kapsel passenden Druckschlauch funktioniert: Er muss den Sauerstoff absaugen und dann die Schleuse öffnen. Dazu muss er seinen Raumanzug tragen. Also kann er dann auch gleich noch beim Umzug helfen.
»Mit deiner Hilfe würde es sicher schneller gehen«, antwortet Ewa, »aber ich will nicht unverschämt sein.«
»Nein, ich bin schon dabei, mich umzuziehen, kein Problem.«
Mike greift nach seinem Anzug. Durch das flexible Material hat er ihn schnell übergezogen. Er hängt sich den Rucksack um und verbindet alle Kabel und Schläuche. Der Rover hat den Zielort inzwischen erreicht. Er stoppt automatisch mit drei Metern Abstand zur Kapsel. Mike setzt den Helm auf und startet die Pumpe. Es wäre ja schade um die Atemluft. Dann öffnet er den Notausgang, der sich am hinteren Ende des Rovers befindet. Er besteht aus einer gut isolierten Doppeltür. Die innere Seite schwingt nach innen auf, die äußere nach außen. Mike tritt in den Durchgang und es entfährt ihm ein »Mist«. Der Boden ist etwa einen Meter zwanzig entfernt. Das hatte er anders in Erinnerung.
»Ewa? Ihr werdet ganz schön klettern müssen. Ich warte im Eingang, um euch hochzuhelfen.«
Wenigstens muss er dann nicht raus in die eiskalte Nacht. Er sieht auf das Multidisplay an seinem Arm. Die Temperatur ist schon auf minus achtzig Grad gefallen. Bis zum Sonnenaufgang wird es noch viel kälter werden, minus 130 Grad sind zu erwarten.
Vor ihm bewegt sich ein Lichtschein hin und her. Das wird die Helmlampe eines gehenden Astronauten sein. Bald erkennt er die Konturen. Der Raumanzug wirkt altertümlich. Die MfA hat wohl auf dem Flohmarkt eingekauft. Diese Modelle waren vor 25 Jahren der letzte Schrei. Sich darin so flüssig zu bewegen wie die Figur, die immer nähert kommt, ist eine echte sportliche Leistung. Jetzt sieht Mike, dass der Mensch eine Kiste trägt, die er sich quer über dem Bauch platziert hat. Er muss also nicht nur sich selbst, sondern auch noch eine Last schleppen – Mikes Achtung für die Neuankömmlinge steigt weiter.
»Hi, ich bin Ellen.« Mike sieht in ein noch sehr jung wirkendes Gesicht, dessen Besitzerin durchaus unter 18 sein könnte. Die MfA wird doch keine Kinder auf die Reise ohne Rückflugticket geschickt haben?
»Ich bin Mike«, antwortet er, »Physiker und Commander der NASA-Mission.«
»In deinem Alter schon? Glückwunsch«, sagt Ellen. »Aber willst du mir nicht die Hand reichen?«
Er gibt ihr die Hand zum Gruß. Sie packt sie und zieht kurz daran. Beinahe wäre Mike aus dem Gleichgewicht geraten.
»Um mich hochzuziehen, meinte ich«, sagt Ellen.
Mike strengt sich an. Samt ihrem Anzug wiegt die Frau nicht mehr als 30 Erd-Kilo, doch es fühlt sich an wie das Doppelte. Er muss wirklich mehr trainieren, auch die Armmuskeln, nicht nur auf dem Rad, denkt er. Der Anzug ist so sperrig, dass er sich an die Wand der Kabine quetschen muss, um Ellen durchzulassen. Sie lässt die Kiste fallen. Mike spürt die Erschütterung unter den Füßen.
»Bitte ein bisschen aufpassen«, sagt er, »das ist unser einziger Rover.«
»Entschuldige«, sagt Ellen. »Ich hole dann mal noch ein paar Kisten. Du bist hier der, der allen die Hand reicht?«
»Sonst kommt ihr ja hier kaum hoch«, sagt Mike und zeigt entschuldigend nach unten.
Ellen springt auf den Marsboden und kommt in den Knien federnd auf. Dann dreht sie sich um und greift nach etwas, das sich direkt unter dem Ausstieg befindet. Es ist eine Leiter. Mike wird rot. Zum Glück merkt das in der Nacht niemand. An die Leiter hat er nicht gedacht. Ellen zieht sie heraus und stellt ihr Ende auf dem Boden auf.
»Ist ein bisschen bequemer als an deiner Hand«, sagt sie.
Nach 45 Minuten ist der Rover so vollgepackt, dass Mike und seine sechs Passagiere gerade noch darin Platz finden. Ob es besser wird, wenn dann alle ihre Raumanzüge abgelegt haben? In dem Gewusel fällt es Mike schwer, Ewa zu finden. Endlich erkennt er ihre blonden Haare. »Kowalska« steht auf ihrem Namensschild.
»Wie sieht es in der Kapsel aus?«, fragt er.
»Um eine zweite Fahrt kommen wir nicht herum, aber das war ja klar. Beim nächsten Mal wird es bestimmt nicht ganz so eng.«
»Und die Tiere?«
»Die sind ganz brav. Wir haben sie in einem Drahtkäfig untergebracht.«
»Dann fehlt ja nur noch die zündende Idee«, sagt Mike.
Ein Kopf erscheint vor dem Ausstieg. Es ist Rebecca.
»Wollte mich nur verabschieden«, sagt sie.
Ewa kommt zur Tür und kniet sich hin.
»Gibt es etwas?«, fragt sie.
»Ich … nein«, antwortet Rebecca. »Nur ein komisches Gefühl im Magen, wahrscheinlich, weil ich das erste Mal seit acht Monaten wieder ganz allein sein werde. Ihr geht mir ja manchmal ziemlich auf den Geist, aber heute werde ich euch vermissen, scheint mir.«
»Wir sind bald wieder da«, sagt Ewa.
Es lässt sich nicht bestreiten: Sechs Menschen, die seit langer Zeit nicht mehr richtig geduscht haben, verbreiten nicht weniger Düfte als ein paar Ziegen und Schafe. Mike hat keinen überempfindlichen Geruchssinn, aber die vielfältigen, neuen Aromen im Rover entgehen ihm nicht. Doch es bestätigt sich ebenso die Tatsache, dass der Geruchssinn zu den anpassungsfähigsten Sinnen gehört. Was ihm nach dem Ablegen der Raumanzüge noch Übelkeit verursacht hat, fällt nach einer Stunde Fahrzeit kaum noch auf.
Seine Passagiere haben sich auf den Kisten und am Boden verteilt. Es ist nicht genug Platz, dass alle liegen könnten. Einige dösen mit geschlossenen Augen. Gabriella, die Ärztin, schnarcht laut. Mike weiß, dass er unter diesen Umständen sowieso nicht schlafen kann. Er muss einfach durchhalten. Dann bemerkt er, dass Andy seine Arme schützend um ein großes Display gelegt hat. Er stupst ihn an.
»Sollen wir uns ein paar Filme ansehen? Mission Control schickt uns regelmäßig eine kleine Bibliothek zum Zeitvertreib. Wir sollen die zwar eigentlich nach dem Ansehen löschen, aber ich entferne immer den Kopierschutz und sichere sie auf meinem privaten Speicher.«
»Das ist ja cool!«, sagt Andy. »Ich habe auch einen kleinen Vorrat, aber alles ist vor der Abreise entstanden und schon hundert Mal angesehen.«
»Mit fehlt hier im Rover leider ein großer Bildschirm, aber den hast du ja …« Mike zeigt auf das, was Andy im Arm hält.
»Hat vermutlich die größte Diagonale im Umkreis von Millionen Kilometern«, erklärt Andy.
»Das dürfte hinkommen.« Mike steht auf, öffnet eine Klappe in der Wand und zieht ein Kabel heraus.
»Passt das?«, fragt er.
Andy betrachtet den Stecker am Ende des Kabels. Sein Blick ist skeptisch.
»Sieht schlecht aus, aber das bekommt man mit einer Kombizange hin«, antwortet er. »Darf ich?«
»Aber bitte keinen Kurzschluss fabrizieren. Ohne Strom geht hier gar nichts mehr.«
»Schon klar. Hier ist ein Profi am Werk.«
Mike beobachtet Andy noch einen Moment, doch der scheint sich wirklich auszukennen. Bald werden sie zusammen Filme sehen können. So wird er die letzten Stunden gut überstehen. Da bemerkt er, dass die Konsole einen eingehenden Ruf meldet. Er klettert über ein paar Kisten und drückt den Bestätigung-Knopf.
Rebecca sieht in die Kamera. Mike erkennt sofort, dass es ihr schlecht geht.
»Sorry, dass ich euch störe, aber ich fürchte, das Bauchgrummeln vorhin hatte nicht nur psychische Ursachen. Ich habe mir irgendwas eingefangen.«
»Schau mal, Ewa«, sagt Mike. Rebeccas Chefin stellt sich neben ihn. Ewa wirft nur einen kurzen Blick auf den Bildschirm, dann holt sie Gabriella.
»Kannst du mir die Symptome schildern?«, fragt die Ärztin.
»Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Zitteranfälle«, zählt Rebecca auf. Mittendrin hält sie sich kurz die Hand vor den Mund.
»Wie lange geht das schon?«
»Es ging kurz nach eurer Abfahrt los. Ich dachte, ich hätte bloß etwas Falsches gegessen und mit einer Sitzung auf der Toilette wäre das erledigt.«
»Wenn ich dich so ansehe, kann man nicht davon sprechen.«
»Es kommt in Wellen. Am besten ertrage ich es, wenn ich wegdöse. Ich fühle mich so schwach.«
»Es kann verdorbene Nahrung sein, aber es ist auch möglich, dass wir etwas von der Erde mitgebracht haben. Ich müsste das erst genauer untersuchen.«
»Hauptsache, es ist keine Mars-Krankheit. Dann würde bestimmt bald mein Bauch platzen und ein Alien käme heraus. Oder ich würde mich in einen lebenden Toten verwandeln.«
Rebecca scheint Humor zu haben, stellt Mike fest.
»Du siehst zu viele Filme. Manche Viren sind ganz schön zäh und können Monate im Trockenen überleben. Aber vielleicht ist auch von den Tieren etwas zu uns rübergewandert. Wir hatten ja doch recht engen Kontakt«, sagt Gabriella.
»Müsste dann nicht zuerst ich erkranken?«, fragt Ewa. »Ich habe mich meist um die Tiere gekümmert.«
»Vielleicht ist dein Immunsystem besser, und du warst zwar ein Wirt, aber es ist bei dir symptomlos geblieben. Aber da kann ich wirklich nur spekulieren.«
»Und was ist dein ärztlicher Rat?«, fragt Ewa.
»An die Patientin: ausruhen und viel trinken. An dich und Mike: Wir können sie so nicht in der Kapsel lassen. Wenn Rebecca das Bewusstsein verlieren sollte, braucht sie jemanden, der sich um sie kümmert und ihren Kreislauf wieder in Schwung bringt.«
»Das Bewusstsein verlieren? Ich fühle mich zwar schwach«, sagt Rebecca, »aber so schlimm scheint es nicht zu sein. Gibt es nicht irgendein Medikament?«
»Ich kann dich nicht auf Verdacht behandeln. Um herauszubekommen, was es ist, muss ich dich untersuchen und Stuhl- und Blutproben analysieren.«
»Das heißt, wir holen sie ab?«, fragt Mike.
Er sieht auf die Karte. Es sind etwa 53 Kilometer zurück zur Kapsel.
»Dauert etwa dreieinhalb Stunden«, sagt er.
»Ja, das wäre mein Rat«, sagt Gabriella. »Nun müsst ihr sehen, was ihr damit anfangt.«
»Eine Frage noch«, meint Mike, »holen wir uns damit nicht vielleicht die Krankheit in den Rover?«
»Das kann ich nicht ausschließen. Aber wir können der Ansteckung durch Hygiene vorbeugen. Und wer ganz viel Angst hat, kann ja seinen Raumanzug tragen.«
Das fehlte noch, für die ganze Rückreise im Anzug zu stecken, denkt Mike.
»Es sieht so aus, als müssten wir Rebecca in der Kapsel ersetzen. Ich brauche einen neuen Freiwilligen«, sagt Ewa, an die anderen gewandt.
Niemand meldet sich. Die Stille wird schon peinlich, da geht Andys Finger nach oben.
»Gut, ich mach’s«, sagt er, »aber unter einer Bedingung.«
»Und?«
»Mike überspielt mir vorher seine Filmsammlung.«
Ewa sieht Mike an. Sie scheint sich über Andys freiwilligen Einsatz zu freuen. Aber wenn Andy geht, wird er seinen Bildschirm mitnehmen, also kann Mike seine Filme nicht sehen. Er könnte natürlich Andy auch Gesellschaft leisten. Aber nein, dann müsste er noch länger auf den Komfort der Basis verzichten. Das kommt gar nicht in Frage.
»Einverstanden«, sagt er, »aber du versprichst mir, dass du mich danach auf keinen Fall spoilerst.«
Theo und Gabriella tragen Rebecca zu zweit von der Kapsel bis zum Rover. Mike sieht die drei kommen. Die Patientin hat die Arme um ihre Helfer gelegt, läuft aber auf den eigenen Beinen. Der Rest der Crew wartet im Inneren; wie vorhin müssen alle ihre Raumanzüge tragen. Dann schließt sich die Außentür. Mike stellt fest, dass er sich gar nicht von Andy verabschiedet hat – und dass die Luft nach ihrem kompletten Austausch gerade doch deutlich besser riecht als zuvor. Alles hat eben seine guten und seine schlechten Seiten.
Für Rebecca wird ein Platz im hinteren Teil freigeräumt. Theo hilft dabei, zur Sicherheit trägt er seinen Raumanzug noch. Gabriella hingegen zeigt das für Ärzte so typische Verhalten, das den Laien glauben lässt, die Mediziner wären gegen jede Ansteckung immun.
»Es ist alles eine Frage der Hygiene«, sagt Gabriella. »Diese Tücher hier töten alles, was mich anstecken könnte. Ich muss nur ein bisschen aufpassen.«
Mike lächelt entschuldigend. Sie hat wohl seinen Blick bemerkt. Hier hinten gibt es für ihn nichts zu tun, also begibt er sich nach vorn zur Steuerung, wo es jetzt noch enger ist als zuvor. Er betrachtet die Treibstoffanzeige und ist froh, dass er vorhin nicht schneller gefahren ist. Sonst würde jetzt das Methanol langsam knapp. Aber weil er brav war, hat er immer noch hundert Kilometer Reichweite in Reserve. Was kann da schon schiefgehen?
Nur schade, dass er jetzt nicht einmal auf dem Mini-Bildschirm der Steuerung Filme sehen kann. Wie soll er da bloß die nächsten Stunden überstehen? Gabriella, die vorhin am lautesten geschnarcht hat, ist zumindest keine Gefahr, denn sie kümmert sich um die Kranke. Rein aus Langeweile besucht er sie, indem er vorsichtig über die am Boden und auf Kisten Schlafenden steigt.
»Weißt du schon etwas?«, fragt er sie.
»Rebecca ist stabil. Ich denke, in drei Tagen ist sie wieder auf dem Damm. Aber es war gut, dass wir umgedreht haben. Ich gebe ihr gerade eine Infusion, damit sie ein bisschen zu Kräften kommt.«
»Und die Ursache?«
»Ich bin noch nicht mit allen Tests durch. Ich habe hier ein Testset«, sie zeigt auf einen silbern glänzenden, fast würfelförmigen Koffer, »das habe ich mir aus privaten Mitteln für diese Reise angeschafft. Es besteht aus zwanzig Mehrfach-Tests, die jeweils auf bestimmte Eiweiße reagieren.«
»Was hilft es dir zu wissen, welche Eiweiße Rebecca im Blut hat?«
»Ich teste nicht nur Blut, auch Stuhl, siehst du, da sind noch zwei Proben. Willst du sie in den Testbehälter geben?«
Gabriella reicht ihm zwei Röhrchen, die am Ende einen Metallverschluss haben.
»Sind außen keimfrei, ist doch klar«, sagt sie.
»Danke, ich will mich nicht in deine Arbeit einmischen.«
»Wie du meinst. Das Testergebnis kommt durch die Zusammenfassung aller Tests zustande. Wenn ich weiß, dass der Test Eiweiß A und B, aber nicht C und D im Blut sowie E und F, aber nicht G im Stuhl nachgewiesen hat, dann ergibt sich daraus ein hoffentlich eindeutiges Ergebnis. Dann kommt nur ein Verursacher in Frage.«
»Hoffentlich?«
»Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Ich kann nur die häufigeren Keime auseinanderhalten. Aber das Risiko, dass Rebecca ein seltenes Virus erwischt hat, ist natürlich auch sehr gering.«
»Und was ist mit Viren oder Bakterien vom Mars? Außerirdisches Leben?«
»Fängst du auch schon so an? Das ist doch wohl allgemeiner Konsens, dass das höchstens noch in fossiler Form existiert. Die haben so lange mit Sonden danach gesucht …«
»Aber trotzdem haben sie uns hinterhergeschickt, gibt dir das nicht zu denken?«
»Es wäre doch auch spannend, Mars-Fossilien auszugraben, oder? Das würde uns viel über die Entstehung des Lebens auf der Erde verraten.«
»Und wenn es doch noch Mars-Leben gibt?«
»Dann wäre es garantiert nicht in der Lage gewesen, Rebecca anzustecken. Ihr Organismus müsste für Mars-Keime so fremd sein wie für dich … was kommt dir denn am fremdartigsten vor, Mike?«
»Die Frauen«, antwortet er, »die Frauen.«
»Guten Morgen, Leute!« Andy wirkt auf dem Bildschirm ausgesprochen fröhlich.
»Wieso strahlst du denn diese gute Laune aus?«, fragt Mike, »ich hoffe, das ist nicht ansteckend. Eine Infizierte an Bord reicht mir.«
»Ich habe so gut geschlafen wie lange nicht. Nur ich und ein paar nette Tiere. Schaut her, Peterchen will euch auch einen guten Morgen wünschen.«
Andy hält eine Ziege ins Bild und hebt ihren Vorderhuf wie zum Gruß.
»Das ist gar nicht Peterchen, das ist Eliza«, sagt Ewa, die plötzlich neben dem Bildschirm steht. »Erkennst du denn nicht den Unterschied?«
»Bin ich Biologe oder was? Ist doch auch egal. Ich wollte euch nur sagen, dass ich jetzt einen kleinen Morgenspaziergang unternehme. Muss doch meine alten Knochen ein bisschen an die Gravitation gewöhnen.«
»Alte Knochen? Du bist 2006 geboren, steht in deiner Personalakte, also bist du jetzt 36.«
»Fast 37«, sagt er. »Was weißt du denn sonst noch über mich?«
»Ich weiß alles«, antwortet Ewa, »zum Beispiel dass du eigentlich Andrej heißt und in Georgien geboren wurdest.«
»Das war jetzt aber kein großes Geheimnis, findet man alles im Netz.«
»Mit den anderen Sachen will ich dich nicht bloßstellen.«
»Das ist aber nett, Ewa. Aber glaub mir, wenn in meiner elektronischen Akte der MfA etwas über mich gestanden hätte, das mir nicht gefällt, dann hätte ich das längst gelöscht.«
»Na das ist ja toll. Dann weiß ich also nur das über dich, was du die Organisation wissen lässt?«
»Du weißt doch längst viel mehr über mich, schließlich haben wir sechs Monate auf kleinem Raum zusammengehockt. Du weißt sogar, wie meine Pupse stinken, und das steht in keiner Akte.«
»Das habe ich verdrängt«, sagt Ewa.
»Und ich verdränge mich jetzt aus der Landekapsel, ha ha. Das Wetter scheint mir besser als gestern.«
»Sieh dich vor«, sagt Ewa. »Eigentlich sind Außenmissionen nur zu zweit erlaubt. Aber Peterchen hat ja leider keinen Anzug. Entferne dich bitte nicht aus der Sichtweite der Kapsel.«
»Aye-aye, Captain.«
Andy beendet die Verbindung. Mike sieht aus dem Bullauge des Rovers. Der Staubschleier scheint heute tatsächlich dünner als gestern. Man könnte beinahe von einem sonnigen Tag sprechen. Das wird die Akkus freuen, die von den Solarpanelen aufgeladen werden.
Er dreht sich um und sucht Gabriella. Dabei fällt ihm Ellen auf, die sich in einer Ecke gerade mit dem Pinkelbecher abmüht. Er dreht sich schnell weg. Da ist die Ärztin ja.
»Wie geht es unserer Patientin?«, fragt er.
»Sie hat viel geschlafen und trinkt gut. Aber was sie isst, ich habe ihr etwas trockenen Zwieback gegeben, erbricht sie sehr schnell wieder. Ich schätze, das wird sich nicht vor morgen bessern.«
»Hast du denn herausgefunden, was die Ursache ist?«
»Es sieht alles nach einer Norovirus-Infektion aus. Aber die Tests weisen nicht auf das Virus hin, es fehlen gleich drei typische Marker.«
»Und wenn es eine mutierte Variante ist? Die Viren an Bord waren wie wir lange der ionisierenden Strahlung des Alls ausgesetzt.«
»Theoretisch möglich, ja, aber dass die Mutation sich gleich in drei Merkmalen unterscheidet, aber trotzdem noch auf dieselbe Weise krank macht, erscheint mir unlogisch.«
»Hast du einen anderen Verdacht?«
»Ja, ich dachte an ein Gift. Es gibt einige, die solche Symptome verursachen, Übelkeit und Erbrechen sind ganz typisch. Aber das Test-Set ist nicht für Gifte entworfen, sondern für Keime.«
»Du meinst, jemand habe Rebecca vergiftet?«, fragt Ewa. Die MfA-Kommandantin hat sich zu ihnen gesellt.
»Ich meine, dass Rebecca ein Gift zu sich genommen hat. Ob es ihr verabreicht wurde oder ob sie es selbst getan hat, kann ich nicht sagen.«
»Warum sollte sie sich vergiften?«, fragt Ewa.
»Sie wollte das sicher nicht. Vielleicht war es ein Unfall. Es gibt einige an sich essbare Nahrungsmittel, die unter Umständen auch giftig sein können, etwa Gurken oder Zucchini. Wenn ein solches Exemplar oder Produkte daraus in unseren Vorräten waren und sie sich davon etwas zubereitet hat, dann könnte das eine Erklärung sein.«
»Du klingst aber nicht sehr überzeugt, Gabriella«, sagt Mike.
»Das bin ich auch nicht. Rebeccas starke Reaktion darauf wundert mich. Die Konzentration des Gifts ist meist so gering, dass man es gar nicht schafft, davon eine lebensgefährliche Dosis zu sich zu nehmen.«
»Die Zubereitung oder das Gefriertrocknen könnten die Konzentration erhöht haben«, meint Ewa.
»Das ist möglich. Wenn sie eine Tüte Zucchinipulver in ihrem Tee verwendet hat, vielleicht irrtümlich … wir müssen sie das fragen, wenn sie wach ist.«
»Das werden wir«, sagt Ewa.
Noch 44 Kilometer. Aus der Basis hat sich gerade Sarah gemeldet, um mitzuteilen, dass die Endeavour erfolgreich gelandet ist. Alle haben sich gegenseitig gratuliert. Mit dem Umstieg wollen sie aber noch warten, bis der Rover wieder einsatzbereit ist – damit wird es dann um einiges komfortabler.
»Bevor ich es vergesse: deine Mutter hat geantwortet«, sagt Sarah zum Abschluss des Gesprächs.
»Oh, das ist ja … schön«, antwortet Mike.
»He, ein bisschen mehr Begeisterung bitte. Deine Mutter hat dich gesäugt und gewickelt. Hätte ich mich geweigert.«
»Du hast wie immer Recht. Also leite mir die Nachricht schon weiter.«
»Ist unterwegs.«
Drei Minuten später liegt das Datenpaket im Posteingang. Es besteht aus einem Video und einem Text. Er startet zuerst den Film. Seine Mutter erklärt ihm, wie sie ihre Tage verbringt und dass sie sich sehr über seine Nachricht gefreut hat. Ja, Mama, das weiß ich doch, denkt er, und dann bekommt er ein schlechtes Gewissen.
»Wegen des Problems, das du mir geschildert hast. Eure Tiere, für die ihr keine Raumanzüge eingepackt habt: Ich wusste ja überhaupt nicht, dass ihr Tiere mitgenommen habt? In den Dokumentationen, die sie dauernd über euch bringen, wird das nie erwähnt.«
Ist ja auch klar, denkt Mike, die Tiere gehören ja den MfA-Leuten.
»Jedenfalls habe ich mir Gedanken gemacht, und ich glaube, ich habe eine Lösung. Am Sonntag sehe ich doch immer diese Krimireihe. Da wurde vor zwei Wochen eine Frau umgebracht, indem man ihr das Gesicht mit Folie umwickelt hat. Das fiel mir ein, und dann kam ich darauf, dass wir Haushaltsfolie ja auch ganz oft verwendet haben. Wusstest du, dass Bananen nicht so schnell reifen, wenn man die Stile mit Folie umwickelt? Man kann damit sogar ganz toll Gänsebrust braten und pochierte Eier zubereiten. Aber egal, wenn man mit der Folie hantiert, merkt man schnell, was sie alles aushält, obwohl sie doch so dünn und durchsichtig ist. Deshalb habe ich mir gedacht, ihr könntet doch die Tiere mit ganz viel Folie umwickeln! Beim Kopf lasst ihr ihnen einen Ballon oder eine große Tüte mit Sauerstoff, sodass sie nicht ersticken. Das ist vermutlich nicht sehr angenehm, aber Sterben ist noch unangenehmer. Was meinst du? Bitte lass wieder von dir hören. Deine Mama.«
Das Video ist zu Ende. Der beigelegte Text enthält Anleitungen, was man mit Haushaltsfolie so alles anstellen kann. Mike überlegt. Der Tipp mit der Folie ist vielleicht gar nicht so dumm. Wenn sie die Tiere als letztes in den Rover holen, müssen sie höchstens zehn Minuten in der Folie durchhalten.
Er ruft Ewa und erklärt ihr die Lösung. »Meinst du, die Tiere lassen sich das gefallen?«
»Sie werden sich bestimmt wehren, aber bevor wir sie umbringen, holen wir sie doch lieber so in Sicherheit. Sag deiner Mutter einen schönen Gruß! Sie hat vielleicht das Überleben der ersten menschlichen Kolonie auf dem Mars gerettet.«
»Das wird sie freuen«, sagt Mike und ist ein bisschen stolz auf seine Mama.
»Die Frage ist nur, ob wir genug Folie in der Kapsel haben. Ansonsten müssten wir welche aus der Basis mitbringen.«
»Das frage ich am besten Andy, er kann ja nachsehen.«
Mike baut an der Konsole eine Verbindung zur Kapsel auf. Die Funkstrecke steht. Der Sender des Rovers und der Empfänger der Kapsel stehen miteinander in Kontakt. Aber niemand antwortet.
»Andy, bitte kommen«, sagt Mike ins Mikrofon. Stille. Vielleicht erleichtert er sich gerade, oder er steckt in der Schleuse und hört nichts.
»Andy, bitte kommen.«
»Andy, bitte kommen.«
Ewa merkt, dass etwas nicht stimmt. Es ist zwar albern, aber sie probiert es ebenfalls und sagt:
»Andy, bitte kommen.«
Keinerlei Reaktion.
»Andy, das ist kein Scherz, wenn du das hörst, melde dich bitte sofort.«
Mike dreht die Lautstärke hoch, doch das einzige, was sie hören, ist das Rauschen der statischen Elektrizität.