Sol 11, NASA-Basis
»Kann es sein, dass dich die blonde Ewa mit ihrem Lächeln über den Tisch gezogen hat?«, fragt Lance.
Mike schüttelt den Kopf. »Wir müssen doch miteinander auskommen«, verteidigt er sich.
Lance ist sauer, denn Mike ist zwar formell Missionschef, doch eigentlich treffen sie alle grundlegenden Entscheidungen gemeinsam. Es wurmt ihn, dass Mike den Bohr-Roboter und einen KRUSTY beinahe ohne Gegenleistung und ohne vorherige Abstimmung weggegeben hat. Deshalb hat er über Nacht ihre Vorräte katalogisiert.
»Ich fürchte, dass allein die Anwesenheit der MfA-Leute unser Überleben aufs Spiel setzt«, sagt Lance. »Schaut euch doch diese Liste an.«
Er ruft das Ergebnis seiner Arbeit auf den Bildschirm.
»Wir brauchen pro Mann und Tag 0,2 Kilogramm Sauerstoff, wenn man von 80 Prozent Wiederaufbereitungsquote ausgeht. Hinzu kommen ein halbes Kilogramm Trockennahrung und ein Kilogramm Konserven, dazu noch vier Liter Trinkwasser, wovon wir etwa 3,2 Liter recyceln können.«
»Das sind ja die bekannten NASA-Zahlen. Was willst du damit sagen?«, fragt Mike.
»Moment. Dir scheint entgangen zu sein, dass sich die Umstände drastisch geändert haben. Bisher waren wir zu viert und haben – Notfälle eingeschlossen – für gut zwei Jahre geplant. Aber nun müssen wir bis an unser Lebensende vorausdenken.«
»Aber dazu haben wir doch auch noch viel Zeit.«
»Meinst du? Wir sind ja nicht mehr zu viert. Wir versorgen gerade neunzehn Menschen.«
»Die meisten Ressourcen können wir hier erzeugen.«
»In Maßen, ja. Sauerstoff können wir aus dem CO2 der Atmosphäre abspalten, allerdings brauchen wir dazu Energie. Du hast gerade einen unserer KRUSTYs weggegeben. Strom brauchen wir auch, um Methan als Treibstoff herzustellen und Pflanzen zu züchten. Die hundert Kilowatt, die ein KRUSTY maximal erzeugt, sind gar nicht so viel.«
»Du übertreibst, Lance. Seit wann bist du so ängstlich?«
»Seit ich weiß, dass wir nie wieder Nachschub erhalten werden. Rechne doch mal mit. Wir haben etwa 650 Kilogramm Sauerstoff in Flaschen. Das hätte für vier Leute etwa 800 Tage lang gereicht. Bei 19 Menschen sind es gerade einmal noch 168 Tage. Weniger als sechs verdammte Monate! Und da ist der Sonderverbrauch noch gar nicht eingerechnet, der beim Entlüften der Rover-Kabine entsteht.«
»Wir können Sauerstoff aus dem Antriebssystem der Endeavour entnehmen.«
»Die dann nicht mehr flugfähig ist. Aber ich bin noch nicht fertig. Machen wir mit der Nahrung weiter. Vorhanden sind knapp fünf Tonnen, die ebenfalls für zwei Jahre reichen. Zumindest für vier Menschen. Wenn wir mit der MfA teilen, ist wieder vor Ablauf von sechs Monaten Schluss.«
»Die haben eigene Vorräte mitgebracht.«
»Ach ja? Wir haben all ihr Hab und Gut in unserem Rover transportiert. Das war kaum eine Tonne.«
»Ein Teil ihrer Vorräte ist mit der Endeavour mitgekommen.«
»Hast du das Rechnen verlernt? Sie sind fast viermal so viele Leute wie wir. Sie bräuchten also selbst nicht fünf, sondern zwanzig Tonnen Nahrung, wenn das für zwei Jahre reichen soll.«
»Das bekommen wir schon hin«, sagt Mike mürrisch.
Lance sieht ihn an. Mike wirkt gerade wie ein kleines Kind auf ihn, dem man einen Luftballon weggenommen hat. Sarah und Sharon sehen zu.
»Nun sagt ihr doch mal was«, meint Lance.
»Was soll ich sagen«, antwortet Sarah, »du hast ja Recht, Lance. Aber Mike auch, irgendwie.«
»Das geht doch gar nicht.« Allmählich wird Lance wütend. »Soll ich noch mit dem Wasser anfangen? Allein für uns vier brauchen wir am Tag 3,2 Liter Frischwasser. Da sind die Pflanzen noch gar nicht berücksichtigt. Aus Mineralien gewinnen wir im Moment etwa zwei Liter pro Tag.«
»Die MfA-Leute wollen ihre Siedlung in der Nähe von Wassereis-Vorräten bauen. Sie könnten uns dann mitversorgen.«
»Vorräte, die sie noch nicht einmal gefunden haben. Und wenn, dann müssten wir das Wasser über mehr als tausend Kilometer transportieren.«
»Deine Zahlen stimmen ja, Lance, aber du siehst das trotzdem zu pessimistisch. Das sind lösbare Probleme«, sagt Mike.
»Die wir nicht hätten, wenn du nicht …«
»Lance, da muss ich widersprechen«, sagt Sarah ruhig. »Ob wir nun etwas abgeben oder nicht, irgendwann sind unsere Vorräte auf jeden Fall aufgebraucht. Wir müssen also Ersatz finden, nun eben etwas schneller. Das schaffen wir.«
Lance sieht sich um. Sharon nickt, sie ist wohl derselben Meinung wie Sarah. Vielleicht stimmt es ja auch. Aber der Zeitdruck, unter den sie Mikes Entscheidung setzt, macht ihm zu schaffen.
»Okay«, sagt er schließlich. Seine Wut ist verraucht. »Dann sollten wir uns schnellstmöglich an die Arbeit machen. Das Hauptproblem scheint mir die Energie zu sein. Wenn wir genug davon haben, können wir ausreichend Sauerstoff und Wasser gewinnen.«
»Gleich danach kommt der Nahrungsanbau«, sagt Sarah. »Ich werde mich als Biologin darum kümmern. Lance, du könntest dir die Stromproduktion vornehmen. Hast du schon eine Idee?«
»Allerdings. Ich würde gern Windräder bauen.«