»Theo,
schön dich zu sehen.« Es ist so dunkel in ihrer Blase, dass der Bildschirm blendet. Theo dimmt die Helligkeit, auch, um Rebecca nicht zu wecken, die noch schläft.
»Hallo Ewa«, sagt er leise.
»Kommt ihr denn gut voran?«
»Sehr gut, wenn es so weitergeht, sind wir einen Tag eher am Ziel.«
»Vergesst nicht, dass ihr auch vorher schon nach Eis suchen könnt. Es liegt dann nur etwas tiefer.«
»Na klar. Aber du meldest dich nicht vor Sonnenaufgang, um uns daran zu erinnern?«
Kurz flammt Hoffnung in Theo auf. Hat sich vielleicht die Erde wieder gemeldet?
»Nein, Theo. Ich wollte euch warnen. Die Orbiter sehen, dass ein Staubsturm auf euch zukommt.«
»Wann?«
»In etwa vier Stunden erreichen euch die größten Windgeschwindigkeiten.«
»Danke für die Warnung. Wir fahren trotzdem los.«
Ewa lacht.
»Das dachte ich mir schon. So kenne ich dich, Theo. Viel Glück!«
Sie beendet die Verbindung.
Er beschließt,
Rebecca zu wecken. Es könnte sein, dass sie heute Zeit einbüßen, also fahren sie am besten eher los.
Seine Kollegin liegt auf dem Bauch und hat den Kopf auf ihren Unterarm gebettet. Ihm bleibt nur ein Drittel der Matratze, aber da er am liebsten auf der Seite schläft, stört ihn das nicht.
»Du pustest mir beim Atmen in den Nacken«, hatte Rebecca am zweiten Abend festgestellt.
»Ich kann mich auch zur anderen Seite drehen«, hatte er geantwortet.
»Lass mal, es stört mich nicht, im Gegenteil, ich finde es sehr beruhigend, als würde jemand auf mich aufpassen. Als Kind hatte ich einen Hund, der immer in meinem schmalen Bett neben mir in meinen Nacken gehechelt hat.«
Ein Hund. Theo hatte laut gelacht. Aber wenn es ihr beim Einschlafen hilft, ist er eben ein Hund. Wahrscheinlich riecht er auch längst wie einer. Ihre Waschmöglichkeiten sind auf dieser Campingtour sehr begrenzt. Die Methanol-Brennstoffzelle erzeugt zwar Wasser, mit dem sie sich waschen können, aber die Menge ist übersichtlich, und mitgebrachtes Trinkwasser wollen sie nicht vergeuden.
»Aufstehen«, sagt er und berührt ihr Bein. Rebecca bewegt sich, aber anscheinend träumt sie noch, denn sie dreht sich auf den Rücken und schläft weiter. Quer über ihre rechte Wange, auf der sie gelegen hat, verläuft ein Abdruck.
»Tut mir leid, Rebecca, aber wir müssen dann los«, sagt er lauter.
Sie öffnet die Augen.
»Oh, ist es schon Morgen?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt sanft und etwas belegt.
»Fast. Es ist ein Sturm angesagt, deshalb müssen wir eher los.«
»Okay, gib mir zehn Minuten.«
Theo dreht sich um. Er füllt lösliches Kaffeepulver in die Wärmekanne, schüttet Wasser darauf und stellt den Heizer an. Das Getränk wird jetzt auf 37 Grad erwärmt. Die Brühe schmeckt zwar nur entfernt wie echter Kaffee, aber das Koffein verfehlt seine Wirkung bei ihm nie. Er dreht den Verschluss der Aludosen mit dem Brötchenteig nach rechts. Ihr Inhalt wird jetzt chemisch erhitzt. Nach 45 Sekunden kann er die Dosen komplett aufschrauben. Je ein Teigbatzen kommt ihm entgegen, der optisch an ein Brötchen erinnert. Er ist zwar nicht knusprig, aber warm.
»Marmelade oder Schoko?«, fragt er.
»Marmelade. Erdbeere«, sagt Rebecca. Er zieht die beiden Hälften ihres Brötchens an der Risskante auseinander und träufelt aus einer Tube rote Creme darauf. Dann klappt er den Teigfladen wieder zusammen. Auf sein Brötchen kommt eine braune Creme.
»Fertig«, sagt er.
»Ich auch«, antwortet Rebecca.
Theo dreht sich wieder zu ihr und reicht ihr Brötchen und Kaffee. Dann beißt er von seinem eigenen Frühstück ab.
Der Himmel verhält
sich heute seltsam. Wüsste Theo nicht, was auf sie zukommt, würde er sich Sorgen machen. Die Sonne hat er heute noch gar nicht gesehen. Nachdem sie aus ihrer Zeltblase gekrochen waren, hatte sie noch einen verwaschenen Fleck am Himmel gebildet. Inzwischen, es ist jetzt acht Uhr, kann man die Himmelsrichtung nur noch grob anhand der Helligkeit des Firmaments bestimmen. Seit einer halben Stunde wird es nicht mehr heller, sondern wieder dunkler.
»Sollten wir nicht irgendwo anhalten und uns in Sicherheit bringen?«, fragt Rebecca von hinten.
»Das wird nicht nötig sein, es sei denn, die Sicht wird zu schlecht«, antwortet er.
Ewa meldet sich per Funk. »Bei euch alles okay? Die Orbiter sagen, der Sturm hat euch fast erreicht.«
»Es ist nur ein bisschen dunkel geworden.«
»Das ist der Staub in der Atmosphäre.«
»Wieso trifft er euch eigentlich nicht? Er kommt doch aus Süden, und ihr seid direkt südlich von uns?«
»Du vergisst die Rotation des Planeten. Dadurch werden die Strömungen abgelenkt.«
»Klar«, sagt Theo, »hätte ich auch selbst drauf kommen können.«
»Aber seid trotzdem vorsichtig!«
»Natürlich.«
Er beendet die Verbindung. Theo erinnert sich an seine Kindheit. Wenn sie mit dem Auto nachts von seiner Großmutter nach Hause fuhren, hatten häufig weiße Nebelwände die Straßen blockiert. Sein Vater war ohne zu zögern hindurchgefahren. Das hatte ihn als Kind zutiefst erschreckt. Innerhalb des Nebels lag eine andere Welt. Würden sie je wieder hinausfinden?
Er hat sich Staubstürme auf dem Mars so ähnlich vorgestellt. Aber natürlich sind sie in nichts vergleichbar. Die Sichtweite ist zwar etwas geschrumpft, aber er kann immer noch mindestens 150 Meter in die Ferne sehen. Deshalb geht er auch kein bisschen vom Gas. Der Staub scheint vor allem über ihnen zu hängen. Doch das ist eine optische Täuschung. Wenn er nach oben sieht, erkennt er eine bräunliche Wand. Dort befindet sich eine viele Kilometer dicke Staubschicht. Am Boden funktioniert die Täuschung nicht, weil ihm herumliegende Gesteinsbrocken ein Gefühl von Perspektive geben.
»Sieht beängstigend aus, diese Wand über uns«, sagt Rebecca.
»Die Luft ist da nicht dichter als hier unten.«
»Ich weiß«, antwortet sie.
Aber sie hat Recht. Es ist, als würden sie unter einem riesigen Felsen hindurchfahren, der sich allmählich auf sie herabsenkt. In Fahrtrichtung lässt die Perspektive den Felsen immer weiter zu Boden sinken, doch je weiter sie vorankommen, desto weiter entfernt sich die Grenze, wo der Himmel den Boden berührt.
Theo sieht auf die Uhr. Es ist halb zehn.
»9 Uhr 30«, sagt er. »Schlimmer wird es nicht.«
Das Messgerät des Rovers zeigt ihm eine Windgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde an. Da er in Windrichtung ebenfalls zwanzig fährt, bläst der Sturm offenbar mit 60 Kilometern pro Stunde. Aber es fühlt sich allenfalls wie ein schwacher Wind auf der Erde an. Er hätte sich wirklich nicht solche Sorgen zu machen brauchen. Nächstes Mal kann er Rebecca ausschlafen lassen. Eine dünne Atmosphäre hat eben auch ihre Vorteile.
Theo ist froh, dass sie den Sturm nicht irgendwo abgewartet haben. Es herrscht eine hypnotische Atmosphäre. Er befindet sich nicht mehr auf dem Mars, sondern im Gemälde eines expressionistischen Malers. Er wird nun für ewige Zeit das Ziel ansteuern, das hinter dem Rand des Bildes liegt, während die Sohle eines Riesen versucht, ihn zu zerquetschen.