Sol 21, MfA-Expedition
»Aua! Ich hab dir doch gesagt, dass du an dieser Stelle ganz vorsichtig sein musst!«
»Entschuldige, Rebecca.«
»Mann, Theo, das tut sowieso schon höllisch weh.«
»Ich weiß.«
Die Innenseiten von Rebeccas Oberschenkeln sind mit blauen Flecken übersät. Schlimmer sind aber die offenen Stellen. Vor vier Tagen sind sie bei ihr zum ersten Mal aufgetreten. Theo hat seit vorgestern ebenfalls welche. Er fürchtet sich schon: Wenn er Rebecca fertig eingecremt hat, müssen sie wieder in ihr Folterinstrument steigen, den Raumanzug. Die ersten Wunden haben sich an den Gelenken gebildet, wo an der Innenseite Stoff-Wülste auf die Haut drücken, die bei der langen Fahrt mit dem Rover auf dem Untergrund schaben. Dass sie auch nicht mehr richtig sitzen können, weil sich an Oberschenkeln und Po Blasen gebildet haben, ist vergleichsweise neu.
Er drückt auf die Tube, quetscht einen Strang Creme heraus und verteilt ihn vorsichtig auf Rebeccas Haut. Um eine der Druckstellen zu erreichen, schiebt er achtlos ihre Unterhose ein Stück zur Seite. Seine Gedanken sind bei ihren medizinischen Vorräten.
»Es tut mir leid, dass ich vorhin im Zelt geschimpft habe«, sagt Rebecca. »Ich weiß ja, dass es keine Absicht war.«
»Kein Problem«, antwortet Theo und lenkt den Rover zwischen zwei Felsblöcken hindurch. Er hat sie gestern zum ersten Mal laut angeschrien, weil sie zu lange zum Aufsteigen auf den Rover gebraucht hat. Das ist alles völlig normal, sagt er sich. Sie können sich seit Tagen kein bisschen aus dem Weg gehen. Tag und Nacht verbringen sie gemeinsam. Theo glaubt Rebecca inzwischen besser zu kennen als jede der drei oder vier festen Freundinnen, die er auf der Erde gehabt hatte. Immerhin gehen sie sich noch nicht an die Gurgel.
Vielleicht hilft auch die Routine dabei. Theo legt Wert darauf, dass sie bei ihrem Plan bleiben. Sie fahren jeden Tag zur gleichen Zeit los, starten das Bodenradar exakt alle zehn Minuten und beziehen nach zehn Stunden ihre kleine Basis. Eigentlich hätten sie schon vor vier Tagen Eis finden sollen. Sie haben inzwischen über 2000 Kilometer in nördlicher Richtung zurückgelegt, knapp 1500 waren geplant gewesen. Irgendwann muss Schluss sein.
»Rebecca, ich denke, wir müssen uns ernsthaft Gedanken darüber machen, ob wir diese Fahrt nicht abbrechen«, sagt er.
»Dann ist Mars für Alle endgültig gescheitert«, antwortet sie. »Willst du das wirklich?«
»Ewa meint, wir finden einen anderen Weg, Wasser zu gewinnen.«
Ewa hatte sie tatsächlich schon vor drei Tagen gebeten, die Rückreise anzutreten, aber da war er auch noch gegen das Aufgeben gewesen. Inzwischen fragt er sich, ob das eine gute Entscheidung war. Vielleicht will es ihnen der Mars nicht so leicht machen? Sie haben sich zu sehr auf eine Theorie verlassen: Eis kann bis 40 Grad nördlicher Breite unter dem Boden existieren. Aber das heißt ja nicht, dass es auch dort sein muss.
»Du kannst doch selbst rechnen, Theo. Die Gewinnung aus Mineralien ist viel zu energieaufwändig. Wir werden sowieso schon chronisch unter Energiemangel leiden, spätestens, wenn der KRUSTY, den uns die NASA-Leute geben wollen, in zehn Jahren keinen Brennstoff mehr hat.«
»Zehn Jahre sind eine lange Zeit, bis dahin finden wir Alternativen.«
»Aber dann müssen wir unsere Siedlung vielleicht noch aufwändig umziehen. Lass uns noch ein paar Tage durchhalten.«
»Je weiter wir in den Norden kommen, desto kälter werden die Winter, das kostet uns dann auch Energie, und gleichzeitig sinkt die Effizienz von Solaranlagen.«
»Das sind nur ein paar Prozent. Wenn wir Eis finden, holen wir das auf alle Fälle wieder rein.«
Rebecca hat ja Recht. Sollten sie keine Eisvorräte aufspüren, wären die bisherigen Pläne zum Siedlungsbau obsolet. Vielleicht müssen sie sich dann mit den vier NASA-Leuten zusammentun. Wäre das nicht sowieso schlauer? Muss es unbedingt eine eigene »Mars für Alle«-Siedlung geben? Wer sind denn »Alle«, wenn die Erde schweigt?
»Unsere medizinischen Vorräte reichen schon jetzt nicht für den ganzen Rückweg. Die letzten Tage werden die Hölle werden«, sagt Theo.
»Das halten wir durch, wenn wir eine gute Nachricht im Gepäck haben.«
»Und wenn nicht?«
»Ach, Theo, ich kenne dich gar nicht so pessimistisch.«
»Ich sehe jeden Morgen die offenen Stellen an deinem Hinterteil.«
»Glaub mir, ich sehe sie zwar nicht, aber ich spüre sie bei jeder Bodenwelle.«
»Und das willst du dir wirklich weiter antun?«
»Gib uns noch drei Tage, okay? Dann kehren wir um.«
»Zwei Tage, als Kompromiss.«
»Einverstanden.«