»Hast du schon gesehen,
was die NASA-Leute geschickt haben?«
Gabriella sitzt in der Kommandozentrale der Endeavour vor einem Bildschirm und sieht Ewa an, die gerade die Leiter hochgeklettert ist.
»Bin gerade aufgestanden«, antwortet Ewa. Sie hat so schlecht geschlafen wie lange nicht. Warum finden Theo und Rebecca da draußen kein Eis? Sie haben in der Gruppe lange darüber diskutiert. Es kann sich um einen dummen Zufall handeln; vielleicht befinden sich links und rechts ihrer Route riesige Eisreserven, aber ausgerechnet auf ihrem Weg nicht. Oder die von den Planetenforschern aufgestellten Modelle stimmen eben nicht.
»Sie haben zwei Nachrichten von Spaceliner-1 empfangen«, sagt Gabriella.
»Das Privatvergnügen dieses amerikanischen Multimilliardärs? Wie hieß er gleich?«
»Ja, genau das. Sie kommen in fünf Monaten hier an.«
»Na hoffentlich nicht genau hier. Dann müssen sie gestartet sein, bevor die Erde verstummt ist?«
»Sieht so aus«, sagt Gabriella. »Du klingst, als hättest du etwas gegen sie?«
»Das ist doch genau das Gegenteil dessen, was wir uns immer für die Besiedelung des Mars vorgestellt haben. Sie wollen eine Kolonie bauen, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten funktionieren soll.«
»Angesichts dessen, dass nun jede Hilfe von der Erde ausbleibt, ist das vielleicht nicht das bessere Konzept, aber das, das die höchste Überlebenswahrscheinlichkeit bietet.«
»Das kannst du nicht ernst meinen, Gabriella. Und was haben sie uns zu sagen?«
»In der ersten Nachricht bieten sie an, dass wir uns formell eingliedern. Die zweite wird dir besonders gefallen. Moment.« Gabriella drückt ein paar Knöpfe. Daraufhin erscheint ein schmales Gesicht auf dem Bildschirm. Der Mann muss etwa Ende 30 sein, das glaubt Ewa an den Falten auf seiner Stirn zu erkennen, denn der fehlende Bartwuchs lässt ihn jünger erscheinen. Die Ohren stehen leicht ab. Der Sprecher gibt sich als Rick Summers zu erkennen, Administrator der Spaceliner-1. Gabriella dreht die Lautstärke auf.
»Die Stelle meine ich«, sagt sie.
»Vielleicht interessiert Sie ja das Angebot, das ich Ihnen machen möchte«, beginnt Summers. Seine Stimme klingt in dieser Lautstärke unangenehm.
»Wenn Sie sich zur Unterstützung unserer Mission verpflichten, ernenne ich Sie von meiner Seite unkündbar zu meinem Stellvertreter. Sie brauchen diese Entscheidung – wenn Sie nicht wollen – niemandem zu verraten, sie bleibt unter uns. Alles, woran mir liegt, ist Ihre Loyalität, und Sie werden diese Entscheidung nicht bereuen. Lassen Sie sich bitte alle Zeit der Welt mit Ihrer Reaktion. Allerdings werden Sie verstehen, dass ich dieses Angebot nur so lange aufrechterhalten kann, bis ich die erste zustimmende Antwort erhalten habe.«
Ewa lacht. Der Mann sucht offensichtlich einen Spion in ihrer Crew. Seine Unverfrorenheit imponiert ihr. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Summers Administrator des privaten Raumschiffs ist. Was immer seine genaue Funktion ist, jedenfalls scheint damit eine gewisse Macht verbunden zu sein, sonst könnte er solche verführerischen Angebote nicht unterbreiten. Ewas erster Impuls ist, Gabriella die Nachricht löschen zu lassen. Aber das würde bedeuten, dass sie der Mannschaft nicht vertraut. Gibt es wirklich jemanden, der auf diese primitive Manipulation hereinfällt? Sie befinden sich zwar alle in einem psychischen Ausnahmezustand, doch Ewa hatte bisher nicht das Gefühl, dass die Loyalität zu ihrer Mission darunter gelitten hätte. Trotzdem ist sie unsicher. Die meisten werden das Angebot zwar rundheraus ablehnen. Aber es werden noch schwerere Zeiten kommen, das ist sicher. Mit der Zeit könnte Summers Angebot als langsam wirkendes Gift in die Gedanken der Mannschaft einsickern. Ewa schüttelt den Kopf. Indem sie den anderen misstraut, ebnet sie Summers ebenfalls den Weg.
»Am besten, du spielst das auch den anderen vor«, sagt sie zu Gabriella.
»Sollen wir nicht über unsere Reaktion darauf abstimmen? Die NASA-Leute haben Summers eine Ablehnung geschickt.«
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Aber wenn jemand aus der Crew anders denkt, können wir gern abstimmen. Ich glaube, das Ergebnis wird ganz eindeutig sein.«