Behutsam lässt
Sarah den Rover ausrollen. Lance sieht über ihre Schulter. Die Karte auf dem Display der Steuerung sagt es: Irgendwo da vorn muss die Abbruchkante sein. Es ist sehr vernünftig, dass Sarah hier schon stoppt, so lange sie nicht wissen, wie der Abhang beschaffen ist.
Lance steigt als erster ab. Er schüttelt seine Beine aus und streckt sich. Seine Oberschenkel schmerzen, aber seit gestern ist es besser geworden. Sein Körper gewöhnt sich anscheinend an die neue Belastung. Und die maßgeschneiderten NASA-Anzüge sind Gold wert. Auf der Erde haben sie in den alten, sperrigen EVA-Suits trainiert. Er hatte gar nicht gewusst, wo man überall Druckstellen bekommen kann!
Sarah folgt ihm. Sie beugt sich über die Steuerkonsole und drückt ein paar Knöpfe. Dann zieht sie den Zündschlüssel ab und steckt ihn ein.
»Den kannst du stecken lassen. Hier klaut uns doch niemand was.«
»Ach ja?«
Volltreffer. Hätte sie ihn bloß nicht daran erinnert. Aber trotzdem – allein das Vorhandensein eines Zündschlüssels scheint ihm abwegig. Die modernen Elektroautos auf der Erde erkennen ihren Fahrer am Abdruck der Finger, mit denen er die Tür öffnet. Aber Lance kennt die Argumente der NASA-Ingenieure – je moderner die Technik, desto eher versagt sie. Einen altmodischen Schlüssel kann man zur Not auch noch selbst aus einem Stück Eisen feilen.
»Wollen wir?«
Sarah gibt ihm die Hand, und sie gehen langsam in westlicher Richtung. Die Sonne nähert sich allmählich dem Horizont. Ob sie heute noch den Abstieg wagen sollten?
»Nein«, sagt Lance laut, als sie die Abbruchkante erreichen.
»Nein?«
»Das schaffen wir heute nicht mehr.«
Sarah nickt. Vor ihnen liegt Hebes Chasma, ein gigantischer Canyon. Es geht einige tausend Kilometer nach unten. Der Boden ist vielleicht zwanzig Kilometer breit, dann erhebt sich mitten im Canyon ein Tafelberg, eine Mesa, der fast so hoch ist wie die gegenüberliegende Seite des Chasma.
»Wahnsinn«, sagt Lance, »da kann der Grand Canyon ja einpacken.«
Sarah zeigt nach unten. »Unsere Route führt an der Mesa vorbei, immer weiter in Richtung Westen. Nach etwa 90 Kilometern müsste es einen befahrbaren Ausgang geben, der uns dann wieder auf die Hochebene führt.«
»Befahrbar sieht das hier ganz und gar nicht aus«, meint Lance.
»Mike hat uns die aktuellsten Bilder aus dem Orbit zusammengestellt. Wir sind etwas zu weit südlich angekommen. Dort vorn müssten wir mit dem Rover nach unten kommen.«
Lance kniet sich auf den Boden und streicht mit dem Handschuh über die Oberfläche. Hier gibt es nur eine sehr dünne Staubschicht. Darunter kommt ein hartes, dunkles Material zum Vorschein.
»Könnte vulkanisch sein«, sagt er.
»Das meinen die Forscher auch. Irgendwann in den tektonisch aktivsten Zeiten des Mars hat sich hier eine Spalte aufgetan.«
»Aber so breit?«
»Daran könnte das Wasser schuld sein, das hier vielleicht einst geflossen ist. Das ist jedenfalls die Theorie«, erklärt Sarah.
»Damals muss der Mars noch verdammt anders ausgesehen haben.«
»Vielleicht, wir wissen es nicht. Wenn es nie zur Entstehung von Leben kam, dann sah es damals hier bis auf das Wasser auch nicht anders aus als heute.«
»Glaubst du das, Sarah?«
»Ich glaube, dass du ein netter Kerl bist. Ansonsten glaube ich nichts. Ich hoffe, dass wir bald die Zeit finden werden, ernsthaft nach Spuren von Leben zu suchen.«
Lance wühlt plötzlich hektisch im Staub. Sarah kommt neugierig näher. Er wartet, bis ihr Fuß in Reichweite ist, dann greift er danach.
»Ha, ich habe Leben auf dem Mars gefunden«, sagt er. Dann steht er auf und umarmt sie.
»Sollen wir unsere Forschung vielleicht im Zelt fortsetzen?«, fragt Sarah nach einer Minute der Stille. »Ich habe gehört, in einer Sauerstoff-Atmosphäre soll das Leben besser gedeihen.«
»Wenn das eine studierte Biologin sagt, kann ich ja wohl kaum widersprechen.«