Sol 84, NASA-Basis
»Ah, das tut gut.«
Lance liegt auf dem Rücken auf seiner Liege. Sarah sitzt auf seinen Unterschenkeln und cremt sein Hinterteil und seine Oberschenkel ein. Die Blessuren der langen Fahrt sind noch immer nicht ganz verschwunden. Sarah gibt ihm einen Klaps und steht auf.
»Dankeschön, Sarah.«
»Hörst du das? Da draußen muss etwas los sein«, sagt sie.
Lance dreht den Kopf zur Seite und lauscht. Da ist ein zischendes Geräusch.
»Da muss jemand in der Schleuse sein«, sagt er.
»Ich schau mal nach«, meint Sarah und verlässt seine Kabine.
Lance setzt sich hin und sucht seine Hose. Sie ist unter das Bett gerutscht. Er zieht sie an. In den vergangenen Tagen hat er vor allem viel geschlafen und nebenbei mit Mike die Mitbringsel ihres Ausflugs sortiert. Die Solarpanele, haben sie beschlossen, heben sie für schlechte Zeiten auf – falls etwa mal der KRUSTY versagt. Mit ihrer Leistung können sie tagsüber immerhin die Lebenserhaltung betreiben. Nachts können sie notfalls einen Generator anschließen, der auf Methanol-Basis funktioniert.
Die Tür öffnet sich wieder.
»Komm schnell, die Leute von der MfA sind da«, kündigt Sarah an. »Ich gehe schon mal raus.«
Dann schließt sie die Tür wieder hinter sich.
»Ich warte einfach drinnen«, sagt Lance, obwohl er weiß, dass sie es nicht mehr hört. Er zieht seine Schuhe an und schlendert nach drüben in den Besprechungsraum. Dann hört er Geräusche aus der Schleuse und postiert sich direkt vor ihrer Luke.
Die Lampe neben der Tür wechselt auf Grün, und schon wird die Luke von innen geöffnet. Ein Wesen in einem der klobigen Anzüge der MfA steigt heraus, gefolgt von Mike. Lance liest den Namen auf dem MfA-Anzug. Ellen, das muss dann die neue Chefin sein, Ellen Blake. Er erinnert sich an sie als zarte Person, die stets dieser Ewa an den Lippen hing, aber er muss sich dann wohl getäuscht haben. Die beiden schließen die Tür wieder, damit Platz für die nächsten ist.
Während sich Ellen und Mike noch aus den Anzügen schälen, trifft die nächste Ladung ein. Lance zuckt zurück. Das ist Guillermo, dieser Mistkerl, der ihn mit der Pistole bedroht hat.
»Alles gut«, sagt Sharon, die hinter Guillermo aus der Schleuse tritt und Lance’ Reaktion bemerkt hat.
»Lance?«, fragt Ellen. »Entschuldige, ich habe Guillermo absichtlich mitgebracht, weil er sich bei dir entschuldigen wollte.«
Lance entspannt sich wieder. Entweder dieser Guillermo hatte da draußen wirklich einen Blackout, oder Ellen hat ihre Leute im Griff. Der Mann setzt seinen Helm ab und kommt auf ihn zu.
»Es tut mir leid«, sagt er. »Ich war da draußen wirklich ein Arschloch. Ich habe es nicht mal gemerkt, das ist das Schlimmste. Ich dachte immer, ich hätte so eine Art moralischen Kompass, aber der ist in den vergangenen Wochen wohl ziemlich verstellt gewesen. Stattdessen habe ich nur an uns gedacht, so wie Ewa es uns in der letzten Zeit als richtig verkauft hatte. Aber das soll keine Ausrede sein. Ich bin so froh, dass Sarah mich außer Gefecht gesetzt hat. Wo ist sie eigentlich?«
»Danke«, sagt Lance und nimmt die ihm angebotene Hand. Er ist noch nicht ganz überzeugt, aber die Entschuldigung schien ihm ehrlich gemeint zu sein. »Sarah kommt gerade hinter dir aus der Schleuse.«
Guillermo dreht sich zu Sarah um. Er wartet, bis sie den Helm abgenommen hat.
»Ich möchte mich für den kräftigen Tritt da draußen bedanken«, sagt er. »Den hatte ich wirklich verdient. Du hast mir damit auf gewisse Art das Leben gerettet, ich hätte es nicht ausgehalten, wenn ich einen von euch wirklich verletzt hätte.«
»Gern«, antwortet Sarah. »Wenn du wieder mal einen Tritt brauchst, weißt du, wo du mich findest. Wie geht es Shashwat?«
»Es war ein glatter Durchschuss. Die Wunde heilt gut, aber die Fahrt wäre zu anstrengend gewesen.«
»Könnt ihr alle mal ein bisschen Platz machen? Ketut kommt gar nicht aus der Schleuse heraus«, ruft Mike. Dann kommt er nach vorn geeilt und nimmt Ellen die Teile ihres Anzugs ab.
»Dann haben wir mehr Platz hier«, sagt er. Lance bemerkt, dass Mike die junge Frau kaum aus den Augen lässt. Arme Sharon, da hat sie keine Chance mehr. Ellen dürfte etwa in Mikes Alter sein, und wie man hört, trägt sie gleich mehrere Doktortitel.
»Bitte zur Seite treten!«
Diese Stimme kennt Lance noch nicht. Das muss also Ketut sein, der nicht aus der Schleuse kommt. Jetzt realisiert Lance auch, warum. Der MfA-Astronaut trägt einen fünfeckigen Stapel vor sich her. Besonders schwer kann das Material nicht sein, denn der Stapel ist höher als Ketut selbst.
»Das ist unser Gastgeschenk an euch«, sagt Ellen. »Es sind die letzten Reste der großen Kuppel, die wir eigentlich über unserer Siedlung errichten wollten. Stell doch den Stapel mal ab, bitte.«
Ketut geht auf die Knie, was im Anzug gar nicht so einfach ist, und setzt den Stapel auf dem Boden ab. Er schwankt leicht. Ellen greift hin und zieht eine dünne, durchsichtige Scheibe von der Spitze, die die Form einer Bienenwabe hat.
»Das ist Kevlargewebe, weniger als einen Millimeter dick. Daraus wollten wir die Kuppel bauen. Leider konnten wir nur diesen Stapel aus der Santa Maria retten, der Rest fliegt mit unserem Schiffswrack um die Sonne. Das Material müsste aber immer noch für eine kleinere Kuppel reichen. Oder ihr deckt ein Beet damit ab.«
»Dankeschön«, sagt Mike als ihr offizieller Vertreter. »Ich habe eine großartige Idee, was wir damit anstellen können. Aber jetzt macht ihr euch erst einmal frisch, und dann gibt es Essen.«