4.

Nachdem wir Tapir am Fuchsredder abgesetzt haben, fährt mein Vater weiter zum Habichthof. In einer halben Stunde beginnt der Unterricht für die Antiken, wie wir die alten Reiter über dreißig nennen. Habi hat also noch etwas Zeit.

»Ich will jetzt Nägel mit Köpfen machen«, sagt Papa mit entschlossener Stimme, als wir vor der beleuchteten Reithalle einbiegen, wo er den letzten Parkplatz erwischt.

Mein Herz flattert. Ich wage kaum zu atmen. Monatelang sind wir kreuz und quer durch die Gegend gefahren und haben uns Verkaufspferde angesehen. Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, reicht es Papa. Nun will er, dass sofort Schluss ist.

Eigentlich möchte ich sofort losrennen, als ich die Autotür hinter mir zuschlage. Stattdessen schleiche ich in Zeitlupe auf unseren Stall zu. Wie im Traum, wenn man nicht vorwärtskommt. In der nächsten halben Stunde entscheidet sich mein Schicksal. So sehr ich mich freue, aber Papas plötzlicher Entschluss ist mir fast ein bisschen unheimlich. Es ist alles so unwirklich.

Wie denkt er sich das mit Pepper?

Mein Vater benimmt sich, als würde er einen Einkaufszettel abhaken:

3 Brötchen

2 Melonen

1 Pferd

Als müsste er nur hingehen zu Herrn Habicht, auf Pepper zeigen und der Kauf wäre perfekt: »Packen Sie mir den braunen Holsteiner dort drüben bitte in Geschenkpapier ein.«

Es würde mich nicht wundern, wenn meine Unterlippe bis auf die Zahnreihe durchgekaut wäre, bis wir im Stall ankommen. Ständig muss ich auf der Lippe herumbeißen, so nervös bin ich. Hoffentlich benimmt Papa sich anständig – sonst kann ich Pepper vergessen. Zwischen meinem Vater und Lennart Habicht stimmt nämlich die Chemie nicht. Im Bruchteil einer Sekunde bricht zwischen den beiden das schönste Wortgefecht aus, wenn man nicht aufpasst. Das ist der Grund, warum ich meinen Vater nur in Notfällen mit in den Stall nehme.

Für meine fiese Meinung über Papa – wo er doch so nett ist, mir ein Pferd zu schenken – gebe ich mir zwei Punkte auf der »Fiese-Flora-Skala«.

Zwei Minuspunkte sind genug. Schließlich kaufen meine Eltern mir das Pferd nicht ohne Hintergedanken. Sie benutzen es als Lockmittel, um mich bei der Stange zu halten. Schulmäßig.

»Hoffentlich bleibt das Pferd für dich ein Ansporn, das Gymnasium weiter durchzuziehen«, kommt da auch schon von meinem Vater.

Na bitte!

Meine Eltern haben genaue Vorstellungen, was ich erreichen soll. Notfalls setzen sie dafür größere Preise aus – wie ein Pferd. Vielen anderen auf meiner Schule geht es ähnlich mit ihren Eltern. Außer Emily. Sie hat ihren Haflinger nur deshalb so schnell bekommen, weil ihre Eltern sich nicht um sie kümmern wollen.

Noch glaube ich nicht an ein Happy End.

Obwohl – die Fahrräder von Melly und Gloria sind nirgends zu entdecken. Das werte ich als gutes Omen.

Papa wuchtet die eiserne Stalltür auf.

»Weißt du eigentlich, wie lange ich nicht mehr mit deiner Mutter im Konzert in Hamburg war?«, fragt er über die Schulter. »Oder mit Dani auf dem Autoübungsplatz? Dein Bruder steht kurz vor der Führerscheinprüfung. Das geht nicht so weiter, dass wir Woche für Woche unsere freien Tage vergeuden, um Pferde zu testen.«

»Ist aber doch spannend, andere Reitställe anzugucken, Papa.«

Mich nervt das Herumfahren nicht. Allerdings vermisse ich es auch nicht, mit Mama ins Konzert zu gehen. Oder mit Dani zum Autoüben.

Mit welchen Nebensächlichkeiten Leute sich aufhalten können. Ich habe ganz andere Befürchtungen. Wirklich tief gehende.

Mich befällt nämlich soeben die Sorge, dass Melly Lanz heute vielleicht mit dem Bus hier ist und nun doch in Peppers Box herumhängt. Wenn die mitkriegt, dass Pepper und ich ein Traumpaar werden, schleift sie sofort ihre furchtbare Mutter als Verstärkung herbei.

Die Lanz ist der Schrecken der Stallgasse. Obwohl sie gar nicht reitet, hängt sie ständig bei uns herum. Um jeden Preis muss sie ihren Willen haben, diese herrschsüchtige Kuh. Jede Wette, die Lanz-Bande setzt Habi unter Druck.

Ich sehe Frau Dr. Lanz schon vor mir, wie sie sich mit den Händen durch ihre blondierten Haare fährt und die Verzweifelte spielt …

»Sie dürfen Pepper nicht an diese Flora Rohde verkaufen, Herr Habicht. Sie wissen, wie sehr Melanie Scarlett an ihm hängt. Das Kind würde die Trennung nicht verkraften.«

Dabei könnte sie ihrer blöden Melly selber ein Pferd kaufen, wenn sie nicht ihr ganzes Geld für einen limonengrünen Jeep ausgegeben hätte. Die schweineteure Panzerkarre braucht sie als Schutz vor Katastrophen, sagt Dr. Lanz, weil die Welt schlecht ist. Wenn ich nicht definitiv wüsste, dass die Lanz Psychologin mit eigener Praxis ist, würde ich sie für die durchgedrehte Exfrau eines Geldsacks halten. Ist sie aber nicht. Ihr ausgefallener Jeep nennt sich in der Werbung König des Berglandes – das sagt ja wohl alles über die Lanz-Meise. Wo wir mitten in der platten norddeutschen Tiefebene wohnen und nicht im Hochland von Peru.

Jedenfalls steht fest, dass Frau Dr. Lanz jeden Trick kennt, um unserem Habi die Hölle heiß zu machen. Sie und Melly können auf Kommando losheulen. MIT TRÄNEN. So einen Auftritt musste der ganze Stall im letzten Juli miterleben. Da hat die Lanz-Gang so lange geweint, bis Melly beim Gruppenausritt meinen Pepper reiten durfte. Und ich guckte in die Röhre. Wir hätten zumindest eine Münze werfen können, das wäre gerechter gewesen.

Vorsichtig spähe ich in die Stallgasse. Aus einigen Boxen dringen Frauenstimmen. In den Boxen von Collin, Siri, Mounty und Flemming erkenne ich ein paar Antike. Und hinten bei den Fjordies Oskar und Halvor wird gelacht. In Peppers Box steht niemand. Auch keine Melly Lanz. Sehr gut.

Augenblicklich lässt das Rumoren in meinem Magen nach. Pepper hat also die nächste Stunde frei. Mein Wallach scheint das zu wissen, denn er beugt sich entspannt über sein frisches Stroh.

Als ich seine Tür öffne, hebt er den Kopf, grummelt erfreut und dreht sich in der Box um. Er nimmt den Hals herunter und begrüßt mich auf die süßeste Weise der Welt. Mit seinen weichen Nüstern schnobert er über meinen Arm.

Ach Pepper, dafür liebe ich dich! Für deine punktgenaue Vorstellung unserer Romeo-und-Julia-Geschichte … du weißt genau, wann es darauf ankommt.

Und jetzt kommt es darauf an.

So eine herzzerreißende Begrüßung muss Papa regelrecht umfegen. Dass dieses Pferd das einzig Wahre für seine Tochter ist, kann er wohl kaum übersehen. So eng, wie Pepper und ich miteinander sind! Zwischen uns passt kein Strohhalm.

Aber statt genau das auszusprechen, kommt nur von ihm: »Was ist denn an diesem Tier besser als an allen anderen Pferden?«

Frustriert lasse ich die Schultern fallen. Für ihn sieht ein Pferd aus wie das andere.

Von sämtlichen Pferden auf diesem Planeten hat Papa dieselbe Meinung: Vorne beißen sie, hinten treten sie und nach allen vier Seiten fallen sie steil ab.

»Ach Papa.«

Ich hake ihn unter und himmle ihn an. Sicherheitshalber, falls er sich die Sache wieder überlegt.

»Ich kenne Pepper so gut. Du weißt doch: rosa Wärme …«

»Rosa Wärme! Meine Güte, Flo, du bist fast vierzehn!«

Ich kenne seine empfindliche Stelle und gebe zurück: »Hättest du lieber einen zweibeinigen Freund für mich?«

»Der Himmel bewahre!« Papa seufzt. »Also dann: Wenn es ein Schulpferd sein muss, in Gottes Namen.«

In der Mitte der Stallgasse beugt sich Lennart Habicht über einen Großballen und zieht das Netz vom Stroh herunter. Garantiert hat er Papa längst erkannt und hofft, dass er ihn nicht in ein Gespräch verwickelt.

Papa macht sich groß und steuert mit weit ausholenden Schritten auf Habi zu.

Ich gehe hinter meinem Vater. Was heißt gehen: Federleicht wie eine Ballerina auf Spitzenschuhen tanze ich über die Stallgasse. Alles in mir kribbelt und vibriert. Wunderbare rosa Wärme breitet sich in meinem Körper aus. Wenn ich nachher den Stall verlasse, heißt Pepper vielleicht schon Pepper Rohde.

Habi arbeitet stur vor sich hin und blickt erst hoch, als Papa unmittelbar vor ihm steht. Schweigend nimmt er die schwarze Baseballkappe ab und und fährt sich über den kahl rasierten Kopf.

Papa schiebt die Hände in die Hosentaschen.

»Sie wissen ja, dass wir ein Pferd für meine Tochter suchen.«

Herr Habicht setzt seine Kappe wieder auf und rückt sie langsam zurecht. Er mustert Papas dunklen Office-Anzug, der so gut in eine Stallgasse passt wie ein Mercedes auf eine Go-Kart-Bahn.

»Haben Sie das Traumpferd endlich gefunden?«

Es ist nicht Papas Art, lange um den heißen Brei herumzureden.

»Meine Tochter will Pepper. Das Schulpferd dort drüben.«

Er zeigt auf Peppers Box.

Ich nehme mir vor zu schweigen und presse die Lippen aufeinander. Die Chance ist zu groß, etwas Falsches zu sagen.

Lennart Habicht holt Luft.

»Sie sind aber mal direkt.«

»Das spart Zeit«, antwortet Papa.

Breitbeinig stehen sie sich gegenüber, beide stemmen die Hände in die Hüften, ihre Ellenbogen stehen weit vom Körper ab. Mit hochgereckten Köpfen mustern sie sich.

Ich platze fast vor Lachen.

Die beiden können einfach nicht normal miteinander reden. Neulich hat Mama mir unter vier Augen etwas anvertraut.

»Papa fühlt sich zwischen den Pferden unsicher und versucht, das durch große Auftritte zu vertuschen.« Sie findet das normal – wegen der männlichen Hormone. »Die stacheln jeden Mann an, sich vor anderen wichtig zu machen. Da muss man nachsichtig sein als Frau.«

Nett gemeint von Mama, mir Nachhilfeunterricht über Imponiergehabe zu geben. Aber darüber muss mir keiner etwas erzählen.

Imponierverhalten sehe ich schließlich täglich auf der Weide, wenn die männlichen Pferde sich groß machen und mit erhobenen Köpfen aufeinander zutraben. Wie sie einander mit angelegten Ohren umkreisen, um die günstigste Angriffsposition zu erlangen. Wie sie in die Knie gehen, um ihre Beine vor Bissen zu schützen. Wie sie dramatisch steigen. Und statt bissige Worte zu tauschen wie Menschen, versuchen Pferde, sich gegenseitig durch echte Bisse in Hals und Widerrist zu Boden zu zwingen. Erst wenn ein Pferd die Flucht ergreift, ist der Kampf um die Führung entschieden. Meistens passiert nicht viel bei diesen ruppigen Spielen. Gefährlich wird es nur, wenn beide Pferde fast gleichrangig sind und keiner aufgeben will.

So eine Situation scheint mir zwischen Papa und Habi zu herrschen. Jeder hat seine Stärken, nur steht Herr Habicht sozusagen auf der eigenen Weide. Heimvorteil für ihn. Habi senkt seine Stimme.

»Ist besser, wenn nicht der halbe Stall zuhört. Wenn es um Schulpferde geht, verbreiten sich schnell die wildesten Gerüchte. Stimmt’s, Flo?«

»Absolut.«

Als er sich wieder an meinen Vater wendet, schleicht Emily hinter mir vorüber und schiebt mir ein Päckchen zu.

»Denkst du an das Mineralfutter für Habi?«, wispert sie ängstlich.

»An nichts anderes«, sage ich und klemme den Karton unter den Ellenbogen.

Ich sehe Emily nach, wie sie mit gesenktem Kopf über die Stallgasse zum Ausgang flitzt. Wenn ich mich nicht um Emi kümmere, geht sie ein.

Für meinen Botendienst gebe ich mir in Gedanken acht Punkte auf meiner »Feine-Flora-Skala«.

Irritiert unterbricht Habi das Geflüster. Ihm entgeht nichts. Ich reiche ihm das Mineralfutter.

»Alpino soll das Zeug sechs Wochen lang fressen, Herr Habicht. Würden Sie das bitte jeden Morgen ins Futter mischen?«

Abwesend nickt er und greift nach der Packung.

Dann sagt er zu meinem Vater: »Kommen Sie doch mit in mein Büro, Herr Rohde. Ich habe leider nicht endlos Zeit, in zwanzig Minuten beginnt der Unterricht.«

Einen Moment zögert Papa, dann klopft er mir auf die Schulter und sagt: »Warte hier, ist besser, wenn wir das unter Erwachsenen besprechen.«

Gerade will ich empört aufjaulen, da sind die beiden schon hinter der Feuerschutztür zum Büro verschwunden.

»Mist!«

Wütend bücke ich mich nach einem herumliegenden Hufkratzer und schleudere ihn gegen die Tür. Wie behandeln die mich? Ich muss draußen bleiben. Wie ein Hund vorm Supermarkt. Sitz, Flora. Fehlt nur noch, dass sie mir einen Trinknapf hinstellen.

Mit beiden Händen umklammere ich die Boxenstäbe und spreche mit Pepper.

»Was hecken die da drinnen nur aus?«

Mit einem Auge schielt mein Freund zu mir nach hinten, grunzt kurz als Zeichen, dass er mich zur Kenntnis nimmt, und mampft weiter.

Wieso stehe ich hier untätig herum, während nur zehn Pferdelängen weiter über meine Zukunft entschieden wird? Das Geheimgespräch hinter verschlossenen Türen lässt mir keine Ruhe. Ich muss hören, was sie sagen, um notfalls eingreifen zu können.

Ich laufe nach draußen und drücke mich an der Außenwand entlang bis unter das gekippte Bürofenster, wo ich mich auf die Knie fallen lasse. Die Erde fühlt sich kühl an. Ist ja erst März. Feuchtigkeit kriecht durch die Reithose. Hoffentlich bemerkt Papa nachher die dunklen Flecken nicht, sonst reimt er sich zusammen, dass ich gelauscht habe. Er kennt mich leider ziemlich gut. Ihn zu überlisten, ist Schwerarbeit. Mein Vater ist das Misstrauen in Person, ist ja schließlich sein Beruf. Wäre er nicht Revisor geworden, könnte er eine steile Karriere als Wachhund machen …

Weil ich drinnen nichts höre, hänge ich meinen Gedanken nach.

Meine Eltern sind manchmal schwierig. Ohnehin verlangt Papa ständig, dass ich mir überlege, warum ich etwas will. Aber seit der Sache mit dem versprochenen Pferd ist es noch schlimmer geworden. Bevor wir anfingen zu suchen, musste ich eine Liste anlegen: »Warum ich ein eigenes Pferd möchte.« Mit sechs guten Gründen. Das muss man sich mal vorstellen.

War natürlich kein Problem für mich.

Liste: »Warum ich ein eigenes Pferd möchte«

1. Weil ich reiterlich weiterkomme.

2. Weil ich diese demütigende Abhängigkeit nicht mehr ertrage.

3. Weil ich mir die Reitstunden besser einteilen kann, wenn wir in der Schule Nachmittagsunterricht haben.

4. Weil ein eigenes Pferd mein größter Wunsch ist, seit ich mit dem Reiten begonnen habe. Mein Interesse daran war nicht nach zwei Monaten vorbei wie bei meinen Tennis- und Klavierstunden.

5. Weil ein Pferd immer für mich da ist, wenn ich mich mit Freunden verkracht habe.

6. Weil ein Pferd Ruhe ausstrahlt und rosa Wärme verbreitet.

Ich bin sogar auf acht verteufelt gute Gründe gekommen:

Punkt 7: Um Melly Lanz und ihrer blöden Mutter das Maul zu stopfen.

Punkt 8: Um ein Lebewesen in der Nähe zu haben, das nicht unaufhörlich plant, prüft und Listen anlegen lässt wie meine Eltern.

Die letzten beiden Punkte habe ich gestrichen.

Als ich die Liste schrieb, fand ich es eigentlich sogar ganz witzig, über alles nachzudenken und gute Gründe zu finden. Natürlich gebe ich das nicht zu. Sonst bricht bei uns zu Hause ein Listenwahn aus und ich muss bald für jede Knopfbatterie eine schriftliche Begründung einreichen. Mit Eltern kann man nicht vorsichtig genug sein.

Endlich tut sich etwas im Büro. Es gluckert, als ob Kaffee oder Wasser eingegossen wird. Kurz darauf erhasche ich ein paar leise Brocken von Habi. Dann dringt nichts mehr nach draußen. Umkreisen die beiden sich gerade wie zwei Hengste vor dem Kampfspiel? Liegt einer bereits am Boden?

Aber dann …

»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass ein Schulpferd siebentausendfünfhundert Euro wert ist?«, bellt Papa.

Siebentausendfünfhundert Euro?

Das hätte ich nicht gedacht. Mehr als der Blüter. Mehr als die elegante Venus. Obwohl mein Schatz natürlich jeden Preis der Welt wert ist – aber ob Papa das wohl auch so sieht? Nennt Herr Habicht diese Summe nur, um Papa zu verschrecken? Tapir meint ja, Habi will Pepper überhaupt nicht verkaufen.

Geizig ist Papa nicht – allerdings muss er immer das Gefühl haben, das Geschäft seines Lebens zu machen. Was ich mir alles von ihm anhören musste! Mama behauptet zwar, er wollte mich damit nur aufziehen, aber mal ehrlich – ich fand’s nicht besonders witzig:

»Am liebsten hätte ich drei Pferde zum Preis von einem.«

Oder: »Gibt es keine Rotstiftaktion? Hengste mit kleinen Fehlern zum Mitnahmepreis?«

Oder: »Warum veranstalten die Holsteiner Züchter keinen Winterschlussverkauf?«

»Und überhaupt – was ist mit Ebay?«

Davon träumt mein Vater wahrscheinlich wirklich: Bei Ebay bis zur letzten Minute warten und dann blitzartig zuschlagen. Drei, zwei, eins … meins. Bloß, dass es keine Pferde bei Ebay gibt. Das ist glaube ich sein größter Kummer.

Weil keine Antwort von Herrn Habicht kommt, nehme ich an, dass er nach Papas Vorderfußwurzelgelenk schnappt. Um ihm zu imponieren.

Es geht weiter. Papas Stimme.

»Die Pferdezeitschriften stehen voll mit billigeren Pferden. Viertausend, fünftausend Euro. Massenhaft.«

Habi kontert: »Aber offenbar war für Ihre Tochter nicht das richtige dabei.«

»Was soll denn an diesem Pepper so teuer sein? Der ist schon neun, das ist nicht gerade jung. Die anderen Verkaufspferde waren erst vier oder fünf. Die halten viel länger.«

Ich greife mir an den Kopf.

»Oh Papa! BITTE! Rede nicht so einen Müll«, murmele ich unter meinem Bürofenster, aus dem Habis lang gezogener Seufzer dringt.

So klingt es, wenn sich ein müdes Pferd aufstöhnend ins Stroh fallen lässt. Und müde ist Habi bestimmt. Müde, den Leuten immer wieder dasselbe zu erzählen.

Ständig muss Herr Habicht wiederholen, dass gute Schulpferde nicht auf Bäumen wachsen. Dass ein Pferd wie Pepper alles erfüllt, was ein Lehrpferd so genial macht. Es mag Menschen, kommt mit vielen unterschiedlichen Reitern klar, ist gelassen, freundlich, gesund, greift andere Pferde auf der Weide nicht an, gibt brav die Hufe beim Schmied, lässt sich gut reiten, ist im Gelände eine Lebensversicherung, geht Dressur und kann ein bisschen springen. Nimmt falsche Hilfen der Anfänger nicht krumm. Und mit neun Jahren hat ein Pferd wie Pepper genau das richtige Alter als erstes Privatpferd einer jungen Reiterin.

»Wenn Pepper privat wird«, sagt Herr Habicht, »bleiben womöglich etliche Reitschüler weg und suchen sich einen neuen Stall. Aus Enttäuschung, weil sie ihren vierbeinigen Liebling nicht mehr reiten können.«

Papa: »Sie wollen sagen, dass Sie weniger verdienen, wenn dieser Pepper nicht mehr zur Verfügung steht?«

»Genau so ist es. Für einen wie Pepper findet man schwer Ersatz. Da muss ich viel durch die Gegend fahren und suchen. Im Grunde müsste ich zehntausend Euro für so ein gutes Pferd nehmen.«

Sie wechseln noch ein paar Sätze, aber die Verhandlung stockt irgendwie.

Keiner lenkt ein. Mein Herz wird bleischwer. Das klingt nicht gut.

An Habis Stelle würde ich Pepper auch nicht verkaufen, wenn ich ehrlich bin.

»Ich muss dann mal los«, sagt Herr Habicht, begleitet von polternden Stuhlbeinen. »Der Reitunterricht, Sie verstehen …«

Die beiden sind kein Stück weitergekommen.

Ich springe auf die Füße und sause durch die Grünanlagen zurück. Als ich die Stallgasse erreiche, geht gerade die Bürotür auf.

Es würde mich nicht wundern, wenn Papa und Habi nach ihrem Imponierkampf blutend herausträten.

»Wo sind die Bisswunden?«, frage ich süffisant.

Verständnislos starren beide mich an. Nach ein paar Sekunden kapiert Habi meinen Spruch und grinst. Allerdings etwas schief.

Demonstrativ schnipst mein Vater ein paar Flusen von seinem Anzug.

»Wir gehen.«

Schnell versuche ich, noch einen letzten Blick von Pepper zu erhaschen, aber vor seiner Box haben sich zwei Antike aufgebaut. Mit lächerlicher Babystimme buhlen sie um seine Zuneigung: »Wo ist denn unser süßer Spatz?«

Widerlich.

Herr Habicht hebt stumm die Arme, was wohl so viel heißen soll wie: Bei so viel Sturheit kann ich auch nichts tun.