11.

Der Auftritt der aggressiven Löwin Dr. Lanz hat mir gereicht.

Als die Reitstunde vorüber ist, führe ich Pepper vor allen anderen in die Box, sattle schnell ab und verkrieche mich bei ihm. Während Melly, Gloria und Emily ihre Pferde putzen, drücke ich mich an die hölzerne Trennwand zur Nachbarbox. Sie müssten schon ihre Nasen über die Halbtür hängen, um mich zu entdecken.

Mich soll heute niemand mehr ansprechen, Pepper.

Mein großer Brauner findet das auch, denn während er mit den Lippen ein Bündel Stroh ergreift, stupst er mich mit der Stirn an.

Genau. Wir gehören zusammen.

Neben seinen Hufen kauere ich im frisch eingestreuten Stroh. Ich kann nicht widerstehen, eine Handvoll zu greifen und daran zu schnuppern. Wie gut das duftet. Mein T-Shirt ist feucht. Kühle kriecht über meinen Rücken. Ich müsste meine Jacke vom Haken in der Stallgasse holen, aber dann könnte ich mich genauso gut vor Peppers Box aufbauen und rufen: Hallo, hier bin ich. Will mich noch jemand auf eine Reitbeteiligung ansprechen?

Mein linker Fuß schläft ein. Aus meiner unbequemen Position heraus verlagere ich ächzend das Gewicht. Das ist doch krank: Ich hocke in einem Versteck, nur um meine Ruhe zu haben. Wozu habe ich ein eigenes Pferd, wenn ich mehr um Pepper kämpfen muss als zu Zeiten, als er noch Schulpferd war?

Am liebsten würde ich meinen Schlafsack von zu Hause holen und bei Pepper übernachten. Sobald ich »zu Hause«

denke, folgt unweigerlich als zweiter Gedanke: Hausaufgaben. Mein Mathebuch wartet.

»Ist Flo schon weg?«

Mellys fragende Stimme.

Automatisch drücke ich mich neben Pepper tiefer ins Stroh.

Bitte jetzt nicht äpfeln, Pepper.

Dann höre ich Gloria: »Sieht so aus. Komm, wir verschwinden, Habi hat heute schlechte Laune.«

Die Stalltür fällt ins Schloss.

Mit steifen Beinen richte ich mich auf. Wenn ich nicht ebenfalls schnellstens verschwinde, holt Papa die Polizei. Um mich zu suchen. Himmel, muss ich demnächst einen Punkt »Verstecken spielen« auf meine Zeitliste setzen?

»Bis morgen, mein Schatz.«

Ich drücke Pepper einen Kuss auf die Wange und will gerade gehen, da sitze ich bereits wieder in der Falle.

Auf der Stallgasse drücken sich zwei Antike herum. Annette Tauscher und Eva Vollmer, beide mollige Frauen um die vierzig. Reiten schon lange auf dem Habichthof, immer abends. Als ich Peppers Boxentür schließe, stürzen sie sofort auf mich zu.

»Wie nett, dich zu sehen, Flora«, sülzt Frau Tauscher. Was ist mit ihrer Stimme passiert? Sonst redet sie doch normal. »Meinen herzlichen Glückwunsch zu deinem prachtvollen neuen Pferd.«

»Von mir ebenfalls«, flötet Eva Vollmer. »So ein toller Bursche, dein Pepper. War immer mein Lieblingspferd.«

»Meins aber auch.«

Eifersüchtig mustern die Frauen sich gegenseitig. Schlagartig wird mir klar: Die sind ebenfalls hinter einer Reitbeteiligung her. Da hilft nur Flucht.

Ich drücke mich an ihnen vorbei zum Ausgang.

»Danke. Schönen Abend noch.«

»Warte doch mal.«

Annette Tauscher hält mich am Ärmel fest.

»Ich würde gern mit dir über Pepper sprechen.«

Eva Vollmer erwischt mich am anderen Ärmel.

»Da ist ja eine ganz neue Situation entstanden«, säuselt sie. »Du gehst doch aufs Gymnasium, da kannst du sicher nicht jeden Tag zum Reiten kommen.«

Diese weiche Stimme, als ob sie Kreide verschluckt hätte, genauso seltsam hat Mellys Mutter vor Peppers Kauf mit mir geredet. Rechts und links halten mich die Antiken fest. Hilfe! Schon wieder komme ich mir vor wie eins der sieben Geißlein, kurz bevor es verschlungen wird.

Pepper beugt sich ins Stroh hinab, als ich hilfesuchend in seine Box schaue. Lacht er etwa? Zumindest wirken seine hochgezogenen Lefzen so. Wahrscheinlich freut er sich diebisch, dass er kein Mensch ist.

Die Antiken reden und reden. Sie sind schrecklich nett zu mir, dabei haben sie mich die letzten vier Jahre kaum wahrgenommen. Ich wette, bis gestern wussten die nicht mal meinen Namen.

»Wir können doch du sagen«, schlägt Annette Tauscher aus heiterem Himmel vor. »So unter Reitern. Ich bin die Annette.«

»Und ich die Eva.«

Und dann reden sie weiter so geschwollen und erwachsen mit mir, als hätte sich mein Alter über Nacht umgedreht. Von knapp vierzehn auf einundvierzig. Die beiden sind ja nicht übel, aber Lichtjahre von mir entfernt. Ich kann doch nicht auf einmal Annette und Eva zu zwei Antiken sagen. Jede von ihnen ist alt genug, um meine Mutter zu sein. Danke, ich habe schon eine.

Mein Handy vibriert. Eine Gelegenheit, mich aus den Griffen zu befreien. Ich ziehe mein Handy hervor und sehe aufs Display. Mama.

Bist du noch im Stall?

Während die Antiken weiter auf mich einreden, simse ich zurück.

Schon unterwegs.

Jetzt reicht es.

»Meine Eltern machen sich Sorgen. Tut mir leid, ich muss wirklich los.«

Kann ich vielleicht irgendwann in Ruhe mit meinem Pepper schmusen? Und ihn einfach nur normal reiten? Oder muss ich mich ab sofort von allen zutexten lassen?

Völlig erschöpft mache ich mich durch die Dunkelheit auf den Weg nach Hause.