Krass.«
Emily betrachtet mich voller Bewunderung, während sie eine große Portion Heu von der Schubkarre hebt und unserem Oldenburger Fuchs Chico über die Boxentür wirft.
»Echt krass, Flo.«
Sie meint meinen Rap, von dem ich ihr gerade ein paar Brocken vorgeflüstert habe. Morgen kommt meine große Rap-Stunde auf der Paddock-Geburtstagsparty. Endlich ist Freitag und damit der Abend vor meiner Fete. Ich habe supertolle Karten am PC gestaltet und als Mailanhang verschickt.
Pepper hat den Namen gewechselt.
Er heißt jetzt PEPPER ROHDE.
Darum gebe ich eine Fete. Kommt zu Flos Stallparty, Samstag,
28. März, 18 Uhr auf dem Paddock.
Top secret!!! Absolute Verschwiegenheitspflicht!!!
Vor allem vor Tapir und Herrn Habicht. Das kann sich ja wohl jeder denken.
Ich bin total aufgedreht und will auf keinen Fall nach Hause. Mit gleichmäßigem Tuckern ackern weit draußen Traktoren. Die Bauern arbeiten noch mit Scheinwerfern auf dem Feld. Auch die Vögel liegen noch nicht in den Federn. Vom Fliederstrauch am Paddock dringt Finkenzwitschern in den Stall, dazu flötet eine späte Amsel. Schöner kann ein Geburtstagsvorabend nicht beginnen.
Emi und ich sind die Letzten im Stall, nur Herr Habicht läuft noch durch die Gegend. Weil morgen keine Schule ist, dürfen wir länger bleiben und beim Füttern der Schulpferde helfen. Abends mache ich das am allerliebsten, weil ich von Tapir weiß, wie wichtig Raufutter nachts für unsere Pferde ist.
Tapir sagt: »Wenn Pferde über einen Zeitraum von mehr als sechs bis acht Stunden kein Heu oder Stroh oder Gras kauen können, bekommen sie Koliken oder sogar Magengeschwüre.«
Während ich im Geiste die Strophen meines Raps durchgehe, hebe ich den letzten Berg Heu von der Schubkarre und werfe ihn in die Box von Sandro, unserem Hannoveraner Schimmel. Mit hochgeschobenen Ärmeln, weil ich das Heugefühl auf der Haut so liebe. Die Halme kitzeln auf meinen Unterarmen.
Aus der Box gegenüber schielt Pepper zu mir hoch, ohne seine Nase aus dem Abendessen zu nehmen. Schon seit zehn Minuten liegt das duftende Heu vor seinen Hufen. In diesem Fall liegt es aber nicht dort, weil ich Pepper als meine Nummer eins zuerst gefüttert habe – sondern weil Pepper der Ranghöchste in der Herde ist.
Peppers Blick sagt: Dein Glück, dass du mir zuerst was gegeben hast. Sonst hätte ich leider über die Tür springen müssen, um Sandro in den Hals zu beißen.
»Weiß ich doch«, sage ich leise in seine Richtung. »Tapir sagt, das Leitpferd muss zuerst sein Futter haben, dann stimmt die Ordnung.«
Zufälligerweise deckt sich das haargenau mit meinen Wünschen …
Ich gehe zu Pepper hinüber, hole Schwung an seiner brusthohen Boxentür und hänge mich bäuchlings über die Kante.
»Morgen darfst du mit uns feiern, Pepper. Ich hab nämlich Geburtstag. Vierzehn. Mein Vater sagt, dann bin ich strafmündig und für alles verantwortlich. Für alles, also auch für dich. Wie findest du das?«
Pepper ahnt entweder nicht, was strafmündig heißt, oder es interessiert ihn nicht. Oder beides. Denn er wendet sich nicht eine Sekunde von seinem Abendessen ab. Als gäbe es kein Strafgesetzbuch und keine Verantwortung und kein Morgen, sondern nur diese einzige kostbare Minute, in der nichts anderes zählt als duftendes Heu.
Ich glaube, so ist es wirklich, denn auch Tapir behauptet: »Pferde kennen keine Zukunft und planen nicht. Sie wissen nicht, was das Wort ›morgen‹ bedeutet oder ›nächste Woche‹ oder ›in den Ferien.‹«
Ob man Pferde deswegen beneiden sollte?
Wenn ich meinem Pepper zusehe, wie zufrieden er vor sich hin mampft, denke ich: Ja. Mir ginge es auch schlagartig besser, wenn ich nicht wüsste, dass Dr. Winkelmann bereits fiese Aufgaben für die nächste Klassenarbeit austüftelt. Egal. Im Moment gibt es nur Pepper, sein Heu und mich. Wie gemütlich sein Kauen aussieht. Schon breitet sich wieder rosa Pferdewärme in mir aus.
»Hey, Flora! Träum nicht.«
Emi holt mich aus meiner rosa Pferdewelt zurück. Ihre Schubkarre ist auch leer, sie ist mit dem Füttern durch. »Ich will mehr von deinem Rap hören.«
Bevor ich loslegen kann, taucht am Ende der Stallgasse der Chef auf und ich halte lieber den Mund. Ich will unseren Stallbesitzer nicht misstrauisch machen. Wenn er mich rappen hört, überlegt er es sich am Ende noch mit Neumünster. Sein Spürsinn ist mindestens so zuverlässig wie der von Avatar.
Aus dem Augenwinkel verfolge ich, dass er nach der tropfenden Tränke von Halvor sieht, unserem Fjordpferd. Der wilde Kerl hat die Wasserleitung halb abgerissen. Nach kurzem Check verlässt Habi die Box und geht Richtung Ausgang.
»Falls was ist, Mädchen, ich bin auf dem Parkplatz«, ruft er uns zu. »Das gute Wetter muss man nutzen, ich will meinen Wagen saugen.«
»In Ordnung«, rufe ich zurück.
»Jetzt aber den ganzen Text«, sagt Emily und zieht mich nach draußen zu den Außenboxen.
Ich werfe mich in Pose, ziehe meine Kapuze auf und hole tief Luft.
»Dein Handy«, sagt Emily schnell, ehe ich anfangen kann. Ich fische es aus der Tasche und werfe es ihr zu. Dann lege ich los:
»Immer nur Menschenköpfe vor meinem Gesicht,
glaub mir, Alter, das pack ich nicht.
Einmal am Tag, da brauche ich:
Fell, Hufe, Schweif,
zwei Meter vierzig Kuschelzone,
in Farbe und live,
es geht nicht ohne.«
Alpinos blonde Mähne erscheint in der Boxentür. Irritiert sieht er zu mir herüber. Ich lasse mich davon nicht aus dem Konzept bringen und zwinkere Alpi beruhigend zu, während Emi meine Generalprobe filmt. Sie bedeutet mir mit der Hand: mehr Action. Soll sie haben. Ich probiere ein paar Moves aus, die ich in den alten Hip-Hop-Videos gesehen habe, die sich Dani immer auf YouTube reinzieht. Soll ja schließlich real wirken. Dabei muss ich mir zwar das Lachen verkneifen, aber ich glaube, es sieht gar nicht so schlecht aus.
»Hör ich das Schnauben in meinen Ohr’n,
rast mein Herz und ich bin schon verlor’n.
Klar kriegt mein Pepper einen Kuss
auf die Nüstern. Ein absolutes Muss.
Und mein Tag ist endlich perfekt,
wenn er mir übern Scheitel leckt.«
Emily reckt den Daumen hoch. Das spornt mich noch mehr an. Ich lehne mich lässig gegen Alpinos Boxentür und verschränke gangsterlike die Arme vor der Brust. Der Hafi macht den Hals lang und knabbert an meiner Jacke. Das gibt mir den Rest: Vor Lachen kann ich kaum weiter. Beim vorletzten Reim ist meine Stimme total heiser.
»Ich hab krass gute Laune,
denn ich hab ja meinen Braunen
und keinen schlappen Rappen
oder ein paar nasse Kaulquappen.«
Die Sache mit dem schlappen Rappen musste rein, um Melly und Gloria auf die Palme zu bringen, schließlich reiten sie den schwarzen Flemming häufig. Klar habe ich nichts gegen unseren Brandenburger Rappen. Mir ging es nur um eine Spitze gegen die Durchgeknallten. Übrigens habe ich Flemming als Wiedergutmachung eine Zwei-Kilo-Schale Möhren mitgebracht. Damit muss die Sache zwischen uns aus der Welt sein.
Ich stimme die letzten vier Zeilen an:
»Für meinen Pepper gäb’ ich alles weg:
iPhone, iPod, iPad, iMac.
Join the riding school, ja, sei nicht doof:
Komm zu uns auf den Habichthof!«
Emily ist hin und weg. Ihr ewig blasses Gesicht schimmert rosa.
»Me-ga-gut.«
Sie reicht mir das Handy. »Stell das ins Internet, Flo. Du wirst berühmt, wetten? Ich weiß auch schon einen coolen Künstlernamen für dich: Reitrapper FR. FR, also Flora Rhode.«
Künstlername!
Noch eine Portion rosa Wärme für mich. Für dieses Lob hat Emily in den nächsten Wochen viele Hilfsaktionen gut.
»Meinst du wirklich, ich soll das ins Schülerportal stellen?«
»Nein, besser auf eine allgemeine Seite. Wenn dein Gymnasium Wind von Pepper bekommt, bist du unten durch. Auf unserer Schule sind die meisten ziemlich blöde, was Reitställe angeht.«
»Bei uns genauso.«
Weil ich mich meiner kleinen, schüchternen Emi plötzlich so verbunden fühle – denn außer ihr sagt niemand Künstlerin zu mir – teile ich mit ihr mein Geheimnis und berichte von Tapirs Sternen für Zootiere.
Vom Außenstall aus sieht man direkt in den Himmel. Ich strecke meinen Arm zu dem extrem funkelnden Punkt unten rechts am großen Wagen empor.
»Das ist Peppers Stern.«
»Wahnsinn.«
Andächtig betrachtet Emi den strahlenden Himmel. »Wissen die anderen das auch? Also die Zwillinge oder Janne zum Beispiel?«
»Keiner weiß das. Außer Tapir, aber der hat mich ja erst draufgebracht. Wehe, du erzählst das herum.«
Mir kommt es plötzlich vor, als könnte man mit vierzehn keine Sterne mehr für Pferde aussuchen, ohne sich lächerlich zu machen.
»Ich schweige«, schwört Emi und hebt die rechte Hand.
Die Idee mit dem Himmel findet sie so gut, dass sie sich für Alpino auch einen Stern aussucht. Den vordersten an der Deichsel des Großen Wagens.