Geburtstagsmorgen.
Weil Samstag ist und frei, versammelt sich die gesamte Familie am Esstisch. Sogar Dani ist schon um acht aufgestanden und guckt vom Frühstück zu mir hoch, als ich die Treppe herunterpoltere.
Möhrenfarbene Morgensonne mogelt sich durch den frischen Tulpenstrauß. Vierzehn Strafmündigkeitskerzen brennen auf meinem Geburtstagskuchen.
Der Geschenkecheck geht dieses Jahr schnell. Meine Eltern haben mir schließlich schon Pepper gekauft. Ich habe mir nichts als einen Sack mit Knabbergebäck für die Fete gewünscht, der auf einem leeren Stuhl steht. Über der Lehne hängen als Sonderüberraschung die obercoolen Jeans, die ich jedes Mal anprobiert habe, wenn ich mit Mama in dem kleinen Laden im Ort war. Sie hat es also begriffen! Ich drücke die Jeans an mein Gesicht.
»Noch so ein tolles Geschenk außer Pepper«, sage ich in die Hosenbeine. »Toll. Die ziehe ich heute Abend an!«
Dani überreicht mir einen Briefumschlag.
»Aber nicht laut vorlesen«, verlangt er.
Ich reiße den Umschlag auf und muss kichern. Zwei klasse Karikaturen von Dr. Winkelmann und Frau Fischer. Dani hatte die beiden früher auch in Mathe und Englisch. Unter den Zeichnungen steht:
»Zur Entlastung der Pferdebesitzerin gilt dieser Gutschein für
5 x Hausaufgaben in Mathe
5 x Hausaufgaben in Englisch.«
Ich falle meinem Bruder um den Hals.
»Mann, das kann ich gebrauchen.«
»Darf man wissen, was drinsteht?«, erkundigt sich mein Vater. »Hoffentlich nicht, dass dein Bruder die Hausaufgaben für dich erledigt.«
»Nein«, rufen Dani und ich wie aus einem Mund.
Morgen zeige ich Dani meinen Rap. Jetzt will ich das Thema nicht auf den Tisch bringen. Bestimmt müsste ich mir von Papa ewig lange Vorträge über sinnvolle Freizeitbeschäftigung anhören, nach dem Motto: »Als ich in deinem Alter war, hatte ich schon drei Nobelpreise …«
Wenn Daniel meinen Rap abnickt, stelle ich ihn wirklich ins Netz, schließlich kennt er sich da aus.
Ich puste die Kerzen aus. Nun aber ab in den Stall zu Pepper.
Die Tüten mit Chips, Crackern und Käsestangen verteile ich auf meinen Rucksack und eine Reisetasche, die ich in den Fahrradkorb stellen kann.
Meinen Eltern gegenüber habe ich gestern behauptet: »Wir feiern auf einem leeren Unkrautplatz im Gelände. Der gehört keinem.«
So eine öde Fläche existiert tatsächlich ganz in der Nähe vom Habichthof.
Sofort meldete sich mein Spielverderberpapa zu Wort:
»Gehört keinem, gibt’s nicht. Wir leben hier nicht im Wilden Westen. Jeder Quadratmeter Land gehört irgendwem. Der Gemeinde, der Stadt, dem Landkreis oder der Bundesrepublik Deutschland.«
»Aber auf dem Platz ist nichts drauf, nur Brennnesseln und Disteln.«
»Dann hat ihn vielleicht der Naturschutzbund gekauft. Für Schmetterlinge.«
»Oh, PAPA!«
Auch Mama runzelte die Stirn.
»Hauptsache, ihr hinterlasst dort kein Chaos.«
»Nein, nein. Wir räumen alles wieder auf.«
Letzten Endes hatten meine Eltern dann doch nichts dagegen.
Mein ungutes Gefühl wegen der Flunkerei verdränge ich. Mit dem Duft der ausgeblasenen Kerzen in der Nase starte ich zur ersten Chips-Beförderungstour.
In der Tür drängt Mama mir eine blaue Rolle mit extradicken Müllsäcken auf.
»Dass ihr bloß kein Feuer macht. Und dass ihr alles blitzsauber hinterlasst«, sagt sie schon zum zehnten Mal. »Sonst kommen wir in Teufels Küche. Das ist Umweltverschmutzung und …«
» … wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Millionen Jahren bestraft. Ja, Mama. Wir machen alles sauber. Außerdem keine Panik, ich bin ja jetzt strafmündig und gehe selber dafür in den Knast, wenn wir eine Colaflasche liegen lassen.«
»Mach keine Scherze, Flora.«
Papa greift zum Autoschlüssel.
»Lass mal sein mit dem Fahrrad, Flo. Zur Feier des Tages fahre ich dich zum Stall – mit all deinen Taschen.«
Hilfe! Das fehlte noch, dass Papa Herrn Habicht trifft und sein Misstrauen weckt. Ich will ja mit dem Knabberzeug gar nicht in den Stall, sondern den Vorrat bis zum Nachmittag bei Emily zwischenlagern. Ein Wunder, dass das überhaupt möglich ist. Emis Eltern mögen keinen Besuch. Die Ehlerts benehmen sich, als hätten sie irgendwo Leichen versteckt. Wenn ich bei Emily schlafe, dürfen wir nur in ihrem Zimmer bleiben, nicht mal in den Keller runter.
»Der Platz liegt doch im Gelände, Papa«, fällt mir zum Glück ein. »Mit dem Auto kommst du gar nicht in die Nähe.«
Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
»Wann muss ich heute Abend zurück sein? Quatsch, brauche ich nicht zu wissen, ich schlafe ja bei Emily.«
»Sieh zu, dass ihr um acht bei Ehlerts zu Hause seid.«
»Um acht!«, heule ich auf.
Mama schaltet sich ein. »Ihr könnt euch nicht im Dunkeln allein im Gelände herumtreiben.«
»Wollen wir auch nicht. Um sieben fahren wir zum Stall. Füttern«, sage ich schnell. Ein unbehagliches Schuldgefühl kriecht mir über den Rücken. Mein frisches Lebensjahr fange ich wirklich klasse an. Lauter Ausflüchte und Schwindeleien. »Bis neun? Bitte! Geburtstag ist nur einmal im Jahr.«
»Wenn ihr zum Stall fahrt – in Ordnung. Hast du dein Handy dabei?«
Ich ziehe es aus der Jacke und wackele damit vor Mamas Gesicht herum.
»Aufgeladen, Flo?«
»Voll bis oben hin.«
»Dann los. Und viel Spaß euch allen.«
Ich fahre vorsichtig mit einer Hand hinterm Sattel, die ich auf die Reisetasche drücke, damit sie nicht runterkippt und meine leckeren Chips in tausend Stücke zerbröseln. Emily wartet schon und stapelt meinen Proviant neben den Getränkekisten im Flur.
Den ganzen Tag verbringe ich gut gelaunt im Stall, nachmittags hole ich zu Hause die zweite Fuhre mit Knabbergebäck und Cola ab.
Bevor ich endgültig zum Feiern fahre, werfe ich meinen PC an und stelle meinen Handyfilm mit dem Rap in ein Portal, das wir alle im Stall benutzen.
Warum soll ich auf Danis Urteil warten? Schließlich bin ich mit vierzehn alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen! Plötzlich juckt es mich in den Fingern und ich schreibe dazu: »Heute Performance, weil Geburtstag. Reitrapper FR.«
Ohne Adresse natürlich, ich bin ja nicht blöd.
Endlich kommt die Entwarnungs-SMS von Emily.
Johnny ist von seiner Tante abgeholt worden. Der Chef fährt gerade vom Hof. Kannst kommen. Ich warte zu Hause. Emi
Vor ihrem Carport tippelt Emi schon ungeduldig hin und her, als ich mit dem Fahrrad angeflitzt komme.
»Steht alles im Kofferraum«, empfängt sie mich. »Auch die Colakisten. Mein Vater will sofort los.«
»Gut.«
Emis Vater ist und bleibt ein komischer Typ. Als er mit klimpernden Autoschüsseln die Treppe herunterkommt, murmelt er nur kurz: »Glückwunsch«, dann fährt er uns zum Stall.
Kann er nicht sagen: Liebe Flora, alles Gute zum Geburtstag. Wie alt bist du denn geworden? Hoffentlich habt ihr heute eine schöne Feier.
Stattdessen schweigt Herr Ehlert die ganze Zeit, während ich hinter ihm sitze und auf seine dramatisch gestylte Frisur gucken muss. Macht es den Mann nicht stutzig, dass wir alles zum Habichthof bringen und nicht direkt an den Ort der Fete? Herr Ehlert scheint sich nicht viel daraus zu machen, was wir in unserer Freizeit treiben, obwohl seine eigene Tochter dabei ist. Ich mag ihn nicht besonders, auch wegen seines albernen Dreitagebartes, für den er viel zu alt ist.
Mein Vater bewundert Emis Vater allerdings, weil er so viel Kohle gemacht hat und eine teure Villa besitzt mit zwei Meter hohem Eisenzaun davor. Hätte ich eine Million cash, würde ich keine blöde Villa bauen, sondern ein Schulpferde-Seniorenheim, wo alte Pferde verwöhnt würden und auf riesigen Matratzen liegen könnten. Mit feinstem Weizenstroh. Für jedes Schulpferd würde ich einen Tropf aufhängen, mit einer gesunden Aufbauflüssigkeit drin, die direkt in die Pferdevenen tropfte. Eine Infusion von der Art, wie sie Flemming letztes Jahr wieder auf die Hufe gebracht hat, als er bei einer Kolik vor Schwäche zitterte.
Herr Ehlert parkt auf dem leeren Hof, lädt stumm die Colakisten aus und stapelt sie auf dem Parkplatz. Die einzige menschliche Regung, die er zeigt, ist seine Frage:
»Könnt ihr die Kisten zu zweit tragen?«
»Kein Problem, Papa«, sagt Emi. Er hebt die Hand, dann düst er ab. Wahrscheinlich wieder zum Leichenverstecken …
Wir packen eine Kiste links und rechts und tragen sie zum Stall.
»Echt schade«, sagt Emi und zerrt die schwere Eingangstür mit einer Hand auf, »dass Tapir nicht dabei ist.«
Treffer!
Damit berührt sie meinen wunden Punkt. Dass wir unseren Supertapir nicht in die Sache einweihen, ist wirklich eine Schande.
»Wir können ihm nichts sagen, Emi. Tapir müsste doch sofort Herrn Habicht informieren. Lass uns einfach nicht darüber reden, bitte.«
Gedanken an Tapir kann ich jetzt nicht gebrauchen.
Wir befördern die Kisten durch die Stallgasse über den Hof zum Paddock. Dutzende angebundene rote Luftballons wehen an der Einzäunung, alle mit Pferdegesichtern bemalt. Überrascht bleibe ich stehen.
»Süß! Wer von euch hat sich das ausgedacht?«
»Wirst es nicht glauben – Melly und Gloria.«
Als wir die erste Kiste durchs Gattertor tragen, springen meine Reiterfreundinnen hinter der Ecke hervor und brüllen im Chor: »Herzlichen Glückwunsch!«
Von allen Seiten hagelt es Küsse und Umarmungen. Sogar Melly traut sich an mich heran.
Avatar hüpft an mir hoch, als hätte er Sprungfedern unter den Pfoten. Wahrscheinlich duften meine neuen Jeans schon nach Pepper. Die Zwillinge überreichen mir ein braunes Pfefferkuchenpferd mit schwarzer Mähne.
»Weil du Pepper zum Fressen gern hast«, kichern sie gemeinsam.
Melly und Gloria schenken mir Glitzer-Mähnenspray. GLITZERSPRAY! Wird wohl im Spind verrotten. Höchstens beim Weihnachtsmärchen vielleicht. Pepper ist doch keine Barbiepuppe.
Von den anderen bekomme ich einen neuen Führstrick, ein Halfter und Huffett.
Alle sind richtig nett. Was für eine geniale Eingebung, meine Reiterkollegen einzuladen. Ich fühle mich wunderbar. Avatar sorgt für Stimmung, er kläfft und fiept in allen Tonlagen. Er ersetzt glatt eine ganze Band.
Die Anspannung der letzten Tage fällt von mir ab. Mein vierzehnter Geburtstag zeigt sich wolkenlos sonnig.
»Sollen wir unsere Pferde dazuholen?«, frage ich in die Runde. »Also – Emi und ich?«
Großes Gejohle ist die Antwort.
»Ja, ja, ja!«
»Aber sicher.«
»Super Idee.«
Wir rennen los und führen Pepper und Alpino zum Paddock. Mit steil aufgestellten Ohren passieren sie das Spalier aus wehenden Luftballons.
»Gut, dass wir schon an der Gelassenheitsprüfung arbeiten«, ruft Janne herüber, »sonst müssten wir alle Ballons abschneiden.«
In hohen Sprüngen setzt Avatar über den Hof und schießt zu mir und Pepper herüber. Abgelenkt neigt Pepper den Kopf und stupst den Terrier an. Der leckt ihm blitzschnell über die Nase, flitzt wieder los, hin und zurück, und bleibt schließlich schwanzwedelnd vor uns stehen. Seine Augen glänzen herausfordernd, als wollte er den Pferden bedeuten: Luftballons? Ungefährlich, Jungs. Mir nach.
Mit kurzen Schritten tippeln Pepper und Alpino an der roten Gefahr vorüber.
Prustend traben sie begleitet von Avatar ein Stück über den Paddock, kehren jedoch gleich wieder um, als wir mit unseren Chipstüten knistern. Neugierig stecken sie ihre Nasen zwischen die Tüten, zucken zurück, als die glatte Folie knistert, beugen sich erneut vor. Pepper versucht, eine Chipstüte aufzureißen, und als er scheitert, packt er sie mit den Zähnen und schüttelt sie wie einen jungen Hund.
Wir halten uns den Bauch vor Lachen.
»Guck mal, Avatar, genauso geht es dir, wenn du dich mit den Pferden anlegst«, sagt Kriss. Oder ist es Tessy?
Pepper und Alpi sind kein bisschen ängstlich, obwohl der Paddock von lachenden, lauten Mädchen wimmelt.
Die Pferde sind es gewohnt, dass wir um sie herumwuseln, wenn wir den Auslauf abharken und Pferdeäpfel sammeln.
Neugierig marschiert Pepper von einem zu anderen. Gibt es hier was zu holen? Darf man mal an den Chips lecken? Man darf. Ausnahmsweise.
Es ist wie im Paradies mitten zwischen den Pferden.
Großzügig dulde ich, dass Melly, Gloria und Janne mein Pferd kraulen.
Die Momente, in denen Pepper bei mir vorbeischlendert und seine Nase auf mein Haar drückt, machen jedem in der Runde sofort klar, wer hier Peppers wahrer Schatz ist … Ich quelle fast über vor rosa Wärme.
Nach zwanzig geleerten Chipstüten beschließe ich, dass es Zeit ist für meinen großen Auftritt.
»Jetzt kommt mein Rap«, rufe ich in die Runde.
Auf einen Schlag drehen sich alle zum mir um, sehen mich erwartungsvoll an und kreuzen die Arme vor der Brust. Plötzlich bin ich gar nicht mehr sicher, ob mein Song wirklich etwas taugt. Oder ob danach alle peinlich berührt schweigen, weil sie mir an meinem Geburtstag nicht sagen mögen, dass der Text totaler Schrott ist. Ich hätte es lassen sollen.
Dann fällt mein Blick auf Emi, die mit glühendem Gesicht in der Menge steht und mir aufgeregt zunickt. Also gut. Ich atme tief durch, baue mich am Gattertor auf und lege los.
»Immer nur Menschenköpfe vor meinem Gesicht,
glaub mir, Alter, das pack ich nicht.
Einmal am Tag, da brauche ich:
Fell, Hufe, Schweif …«
Nach den ersten Zeilen fluppt es nur so. Dann der Schluss.
»… komm zu uns auf den Habichthof!«
Atemlos warte ich auf die Reaktion und schließe die Augen. Jetzt bloß keinen Stress! Nach einer grausam langen Sekunde beschallt stürmischer Applaus meine Ohren. Ich öffne meine zusammengekniffenen Lider einen Spalt.
»Voll cool«, ruft Janne.
Die Zwillinge wollen den Rap aus dem Internet runterladen und bei ihren Reiterhofferien vorführen.
Ich fange Mellys Blick auf. Und den von Gloria. Die Superzicken möchten etwas Weltbewegendes zu meinem Kunstwerk sagen, klar.
Spöttisch guckt Melly mich an und holt aus: »Pah, wenn das ein Rap sein soll …«
Dann Gloria: »Die Stelle mit dem schlappen Rappen ist wirklich galaktisch dämlich …«
Meine Rappen-Spitze hat also gesessen.
Insa geht dazwischen, sie hat einen super Instinkt dafür, wann eine Fete kippen könnte.
»Macht mal halblang«, sagt sie zu den beiden. »Möchte nicht hören, was ihr zustande gebracht hättet.«
Die anderen lachen und Melly knurrt mit roten Ohren: »Wieso, ich hab doch nichts gesagt.«
Jetzt geht die Party richtig los. Zwar verkriecht die Sonne sich gerade hinter das Stalldach, aber es ist noch warm und duftet nach Frühling.