EPILOG

Lesereise

Ein Jahr später

»Das ist mir egal, Howard«, schrie Joshua Maxfield in sein Mobiltelefon. »Laut Vertrag steht mir die beste Suite in jedem Hotel der Lesereise zu. Das hier ist nicht die beste Suite. Die Aussicht ist beschissen, und die Taj-Mahal-Suite hat nicht nur die beste Aussicht, sondern ist außerdem größer.«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Joshua«, erwiderte Howard Martin, Verlagsleiter bei Scribe Publishing. »Margo hat bei der Buchung extra nachgefragt. Man sagte ihr, die Präsidentensuite sei die beste und größte. Auf jeden Fall ist sie die teuerste.«

»Und es stand eine Flasche fünfzehn Jahre alter Scotch in meinem Zimmer«, fuhr Maxfield fort, ohne auf Martin einzugehen.

»Wollten Sie das denn nicht? War es die falsche Marke?« fragte Martin.

»Die Marke hat gestimmt, aber es war fünfzehn Jahre alter Scotch. Ich habe diese Idiotin ausdrücklich gebeten, dafür zu sorgen, dass der Scotch mindestens fünfundzwanzig Jahre alt ist. Können Sie es sich nicht leisten, fähige Mitarbeiter einzustellen?«

»Wir sind da, Mr. Maxfield«, sagte Barbara Bridger vom Vordersitz der Limousine aus. Maxfield hob einen Finger, um sie verstummen zu lassen, und setzte seine Tirade fort. Der Chauffeur öffnete ihm die Tür und wartete geduldig. Schließlich unterbrach Maxfield die Verbindung und stieg aus, während er immer noch leise über die Inkompetenz von Scribes Pressechefin vor sich hin schimpfte.

Die Hintertür von Murder for Fun öffnete sich, und Jill Lane eilte nach draußen, um ihren Autor zu begrüßen.

»Mr. Maxfield, Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr ich mich geehrt fühle, Sie kennen zu lernen. Ich liebe Ihre Bücher.«

Maxfield setzte ein Lächeln auf und nahm ihre Hand. »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Die Lesung in Ihrer Buchhandlung ist der Höhepunkt der ganzen Tour.«

Weder Jill Lane noch Joshua Maxfield sahen, wie Barbara Bridger die Augen verdrehte. Sie konnte es kaum erwarten, diesen egomanischen Mistkerl am Ende des Abends wieder loszuwerden, und überlegte hin und her, ob sie Jill wohl erzählen sollte, wie sehr Maxfield geflucht und gewütet hatte, weil man einem Künstler wie ihm die Schmach zumutete, in einer kleinen, auf Kriminalliteratur spezialisierten Buchhandlung auftreten zu müssen.

»Der Laden ist gerammelt voll, und die Presse ist auch da. Sie sind unser größter Publikumsmagnet seit … na ja, seit Miles Van Meter.«

»Ich hoffe nur, ich werde nicht verhaftet«, scherzte Maxfield.

Jill lachte und führte ihn und Barbara hinein und in den vorderen Teil der Buchhandlung. Die Zuschauer applaudierten, sobald sie den Autor erblickten. Er nickte bescheiden. Jill trat an das Mikrofon.

»Vor etwas mehr als einem Jahr wurde hier in diesem Geschäft genau an dieser Stelle Miles Van Meter verhaftet, einer der teuflischsten Serienmörder aller Zeiten. Er hatte zuvor aus seinem Bestseller Die schöne Schläferin gelesen. Das Buch gab vor, die wahre Geschichte eines Verbrechens zu erzählen, doch inzwischen wissen wir, dass es sich um eine Ansammlung falscher Behauptungen gehandelt hat. Ziel der Beschuldigungen war unser heutiger Gast, aber begangen wurden die schrecklichen Morde von Miles und seiner Schwester Casey. Zum Glück sitzen die Van Meters mittlerweile beide hinter Gittern. Casey hat in Oregon gegen ihren Bruder ausgesagt und erhielt im Gegenzug eine lebenslange Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung. Miles Van Meter wurde in Oregon wegen der Morde an Norman Spencer und Tanya Jones zum Tode verurteilt und bekam für die versuchte Ermordung von Ashley Spencer zudem mehrere Haftstrafen auferlegt. Daneben stehen Miles und seiner Schwester noch einige Prozesse in anderen Bundesstaaten bevor, bei denen ihnen ebenfalls die Todesstrafe droht.

Joshua Maxfield, unser Gast am heutigen Abend, hat eine lange Zeit im Gefängnis erdulden müssen, weil ihm fälschlich die Verbrechen der Van Meters angelastet wurden, aber er hat sein Martyrium in Kunst verwandelt. Noch in der Todeszelle hat er Eingesperrt verfasst, einen Roman über die Qualen eines Mannes, der unschuldig im Zuchthaus sitzt. Das Buch wurde zwei Monate nach Mr. Maxfields Entlassung aus dem Staatsgefängnis von Oregon veröffentlicht und steht ein Jahr nach seinem Erscheinen noch immer auf der Bestsellerliste der New York Times.

Doch heute Abend ist Mr. Maxfield nicht wegen Eingesperrt hier, sondern um Reingelegt vorzustellen, seinen autobiographischen Bericht über den Fall Van Meter und die Jahre hinter Gittern. Reingelegt kam Anfang der Woche auf den Markt, und wir haben soeben erfahren, dass auch dieser Titel sofort auf der Bestsellerliste der New York Times gelandet ist, und zwar auf Platz eins. Nun aber darf ich Ihnen ohne weitere Umstände Joshua Maxfield vorstellen.«

Das Publikum applaudierte, und Joshua genoss es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Er wollte nicht, dass der Beifall je wieder aufhörte. Es war ein so herrlicher Klang. Nach all den Jahren der Vergessenheit fand seine Begabung endlich die verdiente Anerkennung. Er war ein Genie, daran bestand kein Zweifel. Ein überragendes literarisches Genie, dessen Werke auf ewig fortleben würden. Die Jahre zwischen Der Wunschbrunnen und Eingesperrt hatten lediglich eine kleine Unterbrechung beim Aufstieg zum Gipfel des Erfolgs dargestellt. Sein Verlag schrie bereits gierig nach dem nächsten Buch, und er würde sofort im Anschluss an die Lesereise mit der Arbeit daran beginnen. Vorerst jedoch war er natürlich viel zu aufgewühlt, um sich Gedanken über ein mögliches Thema zu machen. Ehrlich gesagt, er hatte noch nicht mal den Hauch einer Idee.