Das Klima schweißt die Menschen zusammen.
Die Überschrift klingt nach einem Sonderangebot. Welche Krisen meine ich? Die Auswahl ist ja groß. Klar, an Corona kommt keiner vorbei. Am Klima auch nicht. Und dann bin ich noch im besten Alter für eine Midlife-Crisis. Okay, das ist keine globale, eher eine persönliche Krise, aber meine kühne These lautet: Bei allen dreien geht es um unser Verhältnis zur Endlichkeit von Zeit und Ressourcen, um jeden Einzelnen und das große Ganze, um die Sterblichkeit von uns und allem, was da kreucht und fleucht – womit wir das Artensterben als dritte globale Krise eingemeindet hätten.
Alles, was ich zu Corona sagen könnte, wäre, wenn Sie dieses Buch lesen, schon wieder überholt. Ich habe unmittelbar erfahren, wie herausfordernd die Krise für die Pflegekräfte war und ist. Und welche Hürden es beim Impfen gibt, nicht nur psychologische und kommunikative. Eine alte Medizinerweisheit sagt: Nicht der Impfstoff schützt, sondern die Impfung. Das heißt, auch die schiere Logistik kann eine Herausforderung sein. Corona stellt vieles in Frage, vor allem unsere Annahme, es könnte immer so weitergehen wie bisher. Während ein Großteil der Diskussionen um das »Zurück zur Normalität« kreist, erhärtet sich bei nicht wenigen Wissenschaftler:innen, mit denen ich spreche, und bei mir selbst der Verdacht, dass es nie mehr wird »wie früher«, sondern dass wir einen Vorgeschmack auf »neue Zeiten« bekommen, die ungemütlicher und weniger vorhersagbar sind, als uns lieb ist. Woran werden wir uns gewöhnen müssen?
Corona – harmloser als eine Grippe? Auf der Intensivstation glaubt das keiner.
An den Anblick von Maskierten im Alltag haben wir uns ja bereits gewöhnt. Jetzt warte ich nur noch darauf, dass die Gesichtserkennung meines Handys mich auch mit Maske akzeptiert. Dabei erkenne ich mich selbst gerade kaum wieder. Für alle, die mich nur mit dem Fernsehen in Verbindung bringen, mag es vielleicht neu sein, aber seit dreißig Jahren ist meine Haupttätigkeit, mit medizinisch-kabarettistischen Programmen live vor Publikum aufzutreten. Bühnenkünstler waren jedoch die Ersten, die in der Coronakrise ihren Job verloren haben. Denn ähnlich lobbylos wie die Pflegekräfte sind die Freiberufler:innen des Kulturbetriebs. Von einem auf den anderen Tag wurden Tourneen abgesagt, Aerosole haben eben einen längeren Atem als Agenturen, Veranstalter:innen, Techniker:innen und Künstler:innen – obwohl die Veranstaltungsbranche einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland ist, mit etwa 1,7 Millionen Beschäftigten und Umsätzen von einhundertdreißig Milliarden Euro. Fußballer können vor leeren Rängen spielen. Aber Kabarett funktioniert nun einmal nicht ohne Publikum. So wenig wie wir uns selbst Witze erzählen können: Was ist grau und egal? Ein Irrelefant! Hm. So kommt einfach keine Stimmung auf. Erst recht nicht, wenn alle Kulturschaffenden als mehr oder minder irrelevant angesehen werden. Zu ihnen zählt auch die große Gruppe derer, die für Licht, Ton, Bühnenbau und die Abläufe hinter den Kulissen sorgen. Dabei brauchen wir die Kunst als seelischen Spiegel, um Ideen zu entwickeln, gerade jetzt fehlen uns positive Utopien. Was für eine traurige Gesellschaft, in der jeder für sich alleine zu Hause hockt und auf Bildschirme starrt.
Corona führt uns vor Augen, wie viel wir nicht im Griff haben, was alles wir nicht von Monitoren »wegwischen« können. Plötzlich wird der Wert eines öffentlichen Gesundheitswesens, der Wert von »public health«, wiederentdeckt, nachdem Gesundheitsämter jahrzehntelang flächendeckend kaputtgespart wurden. Klar ist, dass nicht nur Beatmungsgeräte zählen, sondern viel wichtiger die Menschen sind, die wissen, wie man sie bedient und wie es dem Patienten wirklich geht. Leben und Tod sind mehr Gemeinschaftswerk als Einzelleistung. Corona zeigt uns, welche Schieflagen es schon zuvor in unserer Gesellschaft gab. Wie fest verankert ist die Demokratie in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger? Welchen Stellenwert hat die Wissenschaft? Was passiert, wenn sich viele in den gar nicht besonders sozialen Medien genau diejenigen Informationen heraussuchen, die zu ihrer Weltsicht passen? Der Wert von guter Kommunikation in Pandemien wurde und wird unterschätzt. Also: lieber informiert und desinfiziert als desinformiert und infiziert.
Haben Sie mitgezählt? Das waren schon mehr als drei Krisen: Pflege und Älterwerden, Corona, Klima und Umweltzerstörung, Kulturverlust und Desinformation – hinter allem steckt die eine große Frage: Wie wollen wir leben? Was ist uns eigentlich wichtig? Wer trägt die Last, wer das Risiko, wer die Kosten? Müssen sich junge Menschen beim Feiern einschränken, damit sie mit ihren Großeltern noch viele Geburtstage feiern können? Müssen sich im Gegenzug die Älteren mit ihrem Konsum einschränken, damit die jungen Menschen noch was zum Feiern haben, wenn sie selber Rentner sind? Und bedeutet Einschränkung nur Verzicht oder gewinnen wir vielleicht sogar an Lebensqualität, wenn wir plötzlich nicht mehr so viel durch die Gegend düsen? Ich mag Perspektivwechsel: Vom Weltraum aus betrachtet waren wir immer schon im »Homeoffice«, weil wir gar kein anderes Zuhause haben als diese eine Erde. Und die wird nun einmal nicht von Menschen beherrscht, sondern von einer Überzahl von Viren und Mikroben. Worüber beschweren wir uns eigentlich? Haben wir ernsthaft geglaubt, dass alles immer nach unseren Vorstellungen weitergehen würde, so wie uns Menschen das am besten passt? Uns brechen gerade ein paar Zacken aus der Krone unserer Selbstüberschätzung, die Krone der Schöpfung zu sein.
Welche Krise wird die entscheidende für unser Überleben sein? Meine Midlife-Crisis werde ich spätestens bis zur Mitte des Jahrhunderts überwunden haben. Dann freue ich mich, wenn es mich noch gibt und jemanden, der mich pflegt. Bis dahin hatte ich hoffentlich auch schon mein »Impfangebot« gegen Covid-19 und gegen die Varianten Covid-20 bis -30. Wogegen es aber nie einen Impfstoff geben wird, ist die Überhitzung der Erde. In diesem Fall erleben wir auch keine erste und zweite Welle, sondern nur Hitzewellen und Anstiege. Bei globalen Krankheiten helfen keine Globuli, gegen planetares Fieber helfen noch nicht einmal Wadenwickel um den Äquator herum. Es helfen nur intakte Regenwälder, Eis an den Polen und Permafrostböden, damit die Erde und wir einen kühlen Kopf bewahren können. Deshalb ist das die Krise, mit der ich mich im Folgenden vorrangig beschäftigen werde. Wir sind die erste Generation, die erlebt, wie die Bedrohung auch in Deutschland ankommt. Und wir sind die letzte, die noch Einfluss darauf nehmen kann, wie es weitergeht. Die Wissenschaft sagt das sehr deutlich. Es ist das dickste Brett vor unserer Nase. Also hilft nur bohren. Am Brett, nicht in der Nase. Das kann auch etwas Befreiendes haben – also, wenn schon Krise, dann richtig. Willkommen!