Kapitel 14
Wenn sie dafür wochenlang in Theas Halle geschuftet hatte, im Staub und im Dreck, in muffigen Arbeitsklamotten, mit Farbe an den Händen und im Haar, ohne gepflegte Mittagspause und geräumiges, blitzsauberes Damen-WC – dann hatte sich alles mehr als gelohnt. Lianne war seit zwei Tagen Strandkorbvermieterin und fragte sich seit 1,95 Tagen, warum zum Teufel sie nicht eher auf diese Idee gekommen war.
„Du fängst klein an, zur Einarbeitung“, hatte Philipp gesagt. „Du bekommst die Vermietung an der Seeschlösschen-Brücke. Nur 60 Körbe.“
Kräftiger Sonnenschein seit einer Woche, Menschen in gewaltigen Scharen an der Küste. Eine frische Brise ließ einen schützenden Strandkorb umso verlockender wirken. Liannes Meldung lautete deshalb auch ohne Badewetter: zu 80 Prozent gebucht.
„Zwei Kaffee, mit Milch bitte.“ Vor dem weißen Holzhäuschen mit dem blau gestrichenen Türrahmen und den ebenfalls in Blau gehaltenen Blumenkästen (Geranien, tatsächlich), Liannes Arbeitsplatz, stand der ältere Herr aus Lübeck, der sich gestern als „Stammkunde“ vorgestellt hatte. Klaus von Salzen und seine Frau Inge mieteten seit Jahren einen Saisonkorb, „immer denselben, die Nummer 36“, verbrachten so viel Zeit wie möglich darin, „die Nase im Wind und in der Sonne“, nicht die schlechteste Art, den Ruhestand zu leben.
Lianne wertete es als gutes Omen, dass das sympathische Ehepaar ausgerechnet die Nummer 36 bevorzugte – genau den Strandkorb, den Lianne an ihrem ersten Arbeitstag in Theas Halle aufgefrischt hatte. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sorgfältig sie die Zahl auf der Korbrückseite mit dunkelblauer Farbe nachgemalt hatte.
Lianne schenkte zwei Kaffee für die von Salzens ein, in Blechtassen mit maritimem Ankermotiv anstatt in Einwegbecher. Diese Neuerung hatte Philipp durchgesetzt, so viel Umweltbewusstsein hatte Lianne ihm gar nicht zugetraut.
Einen modernen Kaffeeautomaten hatte Philipp allerdings nicht durchbekommen. Thea verwies auf die funktionstüchtige, klassische Kaffeemaschine, deren sanftes Murmeln und Brodeln Lianne an ihre Kindheit und die Küche ihrer Eltern erinnerte.
Kaffee kochen war eine ihrer ersten Aufgaben am Morgen, nach dem Aufschließen des Strandkorbvermieterhäuschens (ein schönes Wort, brachte 50 Punkte beim Scrabble). Neben vielen anderen: Körbe kontrollieren, sie in Reih und Glied rücken, Müll einsammeln, den Sand vom Holzplankenweg fegen, der zwischen den Körben zum Meer hinunterführte. Luft- und Wassertemperatur auf der Kreidetafel am Holzhäuschen notieren, die Kasse zurechtstellen. Tageskörbe wurden am häufigsten vermietet, seltener die günstigeren Nachmittagskörbe (ab 15 Uhr) und neben den Saison- auch Wochenkörbe. Strandgebühr musste Lianne kassieren und das Ticket ausgeben. An einem großen Brett in ihrem Häuschen hingen die nummerierten Schlüssel, sie musste notieren, welche Körbe vergeben waren und auf einem Plan zeigen, wo diese standen.
„Einige Leute wollen prinzipiell in die erste Reihe ans Wasser, egal wie voll es ist, da musst du dann geschickt argumentieren“, hatte Philipp angemerkt, ohne zu erklären, was mit „geschickt argumentieren“ gemeint sein könnte. Besetzte Strandkörbe waren schließlich besetzte Strandkörbe, oder nicht?
Lianne betrat den Holzplankenweg. In der Sonne glitzernde Ostseewellen, das weiße Dach des Teehauses im Licht des Tages blendend hell. Ein paar Möwen am Himmel, irgendwo lachte ein Kind, ansonsten friedliche Stille. Herrlich. Ihr Reich. Lianne fühlte sich wie eine Mischung aus Königin, Hausmeisterin und Tagesmutter.
„Der Anfang ist entspannt, aber spätestens, wenn die Sommerferien beginnen, geht die Rennerei los – hoffentlich“, hatte Philipp einen Ausblick auf das gegeben, was Lianne erwartete. „Wenn du 100 oder 150 Körbe hast, wird dir garantiert nicht langweilig – solange das Wetter mitspielt.“
Das glaubte Lianne sofort. Als Strandkorbvermieterin sollte sie auch Getränke und Strandspielzeug ausgeben sowie ältere Zeitschriften und zerlesene Taschenbücher verleihen. Lianne stellte Strandaschenbecher zur Verfügung, hielt einen Erste-Hilfe-Koffer und Ersatz-Sonnencreme bereit. Sie schritt regelmäßig ihre Strandkorbreihen ab, sah nach dem Rechten: „Keine laute Musik, bei Streit zur Not schlichten und aufpassen, dass keiner eine Strandmuschel aufbaut – das ist zwischen den Strandkörben nicht erlaubt“, hatte Philipp weitere Aufgaben umrissen. Das Hundeverbot vom 1. April bis 30. September müsse selbstverständlich eingehalten werden, und gelegentlich müsse sie auch psychologische Fähigkeiten aufwenden und als Kummerkasten zur Verfügung stehen.
Philipp arbeitete zudem an einer Internetseite für die Harms-Strandkörbe. Vielleicht noch in dieser Saison sollten die Gäste ihre Körbe online vorbestellen können. Zudem plante er besondere Angebote: Strandkörbe für exklusive Feiern, Geburtstage „oder auch Heiratsanträge“. Lianne lag es auf der Zunge, nach einem Korb für eine stilvolle Scheidung zu fragen, aber so sehr wollte sie sich dann doch nicht entblößen.
Ein toller neuer Arbeitsplatz mit einem weiteren Vorteil: Der Kiosk von Britt und Meeno stand nur wenige Meter entfernt an der Promenade, kein Problem also, nach Feierabend bequem auf einen kleinen Plausch vorbeizuschauen. Was Lianne gleich tun würde – die letzten Gäste für heute gaben soeben ihren Schlüssel ab. Lianne hatte bereits ihre letzte Runde zwischen den Körben gedreht und nachgesehen, ob etwas in der „Umkleidekabine“ – ein dunkelgrauer Sichtschutz mit dem Logo der Tourismus GmbH, einem weißen Seepferdchen mit Kreis – liegengeblieben war. Gerade goss sie die Geranien in den Blumenkästen, als ihr Handy klingelte: Britt.
„Lianne! Bist du noch am Strand?“ Die Freundin klang gehetzt.
„Ja, sicher, was ist denn los?“
„Du musst so schnell wie möglich zum Kiosk kommen! Das ist ein Notfall!“
So viel zum Thema „Feierabendplausch“. Lianne Paulsen, von der Strandkorbvermieterin zur Cocktail-Königin: was für ein Karriereschritt.
Das laue Wetter hatte zunächst einige frühe Sekttrinker an den Kiosk gelockt, zu denen sich schnell weitere kontaktfreudige Zeitgenossen gesellten. Binnen 30 Minuten entwickelte sich eine muntere Spontanparty vor dem schmucken, weißen Kiosk-Häuschen, sodass Britt sich nicht mehr in der Lage sah, den Ansturm allein zu bewältigen. Deshalb der Notruf an Lianne.
„Noch zwei Mojitos und einen Cuba Libre!“
Für ihre zierliche Figur hatte Britt eine erstaunlich kräftige Stimme, stellte Lianne zum wiederholten Mal fest. Seit sie den beengten Innenraum des Kiosk betreten hatte, schenkte sie ohne Unterlass Getränke aus.
„Es gibt nur drei Sorten Cocktails“, lautete Britts knappe Ansage: „Mojito, Caipi und Cuba Libre. Die Zutaten stehen hinten auf dem Tisch, die Rezepte hängen da an der Wand.“
Auf dem Tisch ein beachtliches Arsenal aus Rohrzucker, Limetten, Minzblättern, Sodawasser und Cola sowie brasilianischer Cachaca und weißer und kubanischer Rum. Keinerlei Ingredienzien für die „Timmendorfer Pfütze“, zu Liannes Erleichterung – allein beim Gedanken an dieses Getränk bekam sie Kopfschmerzen.
„Zwei Mojitos, einen Cuba Libre, bitte sehr.“ Lianne stellte das kleine Tablett auf den Tresen, von dem aus Britt eine Flasche Prosecco und zwei Gläser nach draußen reichte. Rund um die Stehtische drängten sich fröhliche Menschen. Irgendjemand hatte einen Bluetooth-Lautsprecher mitgebracht und erfreute die Anwesenden mit südamerikanischer Musik. Die Stimmung war ausgelassen, aber gediegen. Mit einsetzender Dämmerung wurde das Teehaus in blaues Licht getaucht.
„Danke, Britt, schreibst es auf, okay?“ Eine vertraute, sonore Stimme. Philipp hatte auch den Weg zu diesem heiteren Beisammensein gefunden. Welche junge Eroberung wohl heute mit Timmendorfs attraktivstem Werktätigen Prosecco genießen durfte?
„Grüß dich, Lianne“, sagte Philipp. „Nett, dass du hilfst. Du hast das hier doch als Nebenverdienst angemeldet, oder?“
Lianne starrte ihn erschrocken an. Philipp lachte. „War natürlich nur ein Spaß. Frohes Schaffen noch.“ Er verschwand mit dem Prosecco und den Gläsern nach links, zu den ausgeklappten Holzverkleidungen der Kiosk-Fenster, die als Abstellflächen dienten.
Lianne beugte sich vor, um einen Blick auf Philipps Begleiterin zu werfen – und sah direkt in die blassgrünen Augen ihrer Chefin.
„Ich bin’s nur. Heute gibt’s mal olle Tante anstatt junges Gemüse.“ Thea lachte krächzend und zog an ihrer Zigarettenspitze.
„Hallo, Thea. Schön. Und Wohlsein. Ist nur ein Freundschaftsdienst hier“, fügte Lianne hinzu, aber Thea winkte ab, wobei sie mit ihrer Zigarette Philipps Gesicht nur um Millimeter verfehlte.
„Schon klar, kein Problem“, gluckste Thea, woraufhin Lianne an ihren mit Rum und Limettensaft verklebten Arbeitsplatz zurückkehrte.
„Noch eine Stunde, dann haben wir es geschafft“, raunte Britt ihr zu. In den folgenden 60 Minuten ließ die Cocktail-Nachfrage kurz nach, schnellte aber auf ein Rekordhoch, nachdem Britt „Letzte Runde!“ gebrüllt hatte. Lianne holte alles aus sich heraus, bis Britt – die in weiser Voraussicht zuvor komplett abkassiert hatte – eine schwere Messingglocke läutete und resolut die Glasscheiben des Kioskes zuschob.
„So.“ Sie lehnte sich seufzend an den Tresen und schloss die Augen. Lianne musterte die zarte, blonde Freundin, die viel arbeitete, zu Hause drei männliche Wesen zu bändigen hatte, mit ihrem Geld haushalten musste und trotzdem immer gut gelaunt war und genau zu wissen schien, was zu tun war.
„Das gibt es nur in Timmendorf.“ Britt kicherte. „Jetzt könnte ich auch einen Cocktail vertragen.“
„Kommt sofort, Chefin. Was darf’s denn sein?“
„Ein Mojito, bitte, extra stark“, erwiderte Britt. „Machst du dir auch einen?“
Lianne blickte zögernd auf Gläser, Limetten, Schneidebrett und Rumflaschen. „Ach nein“, erwiderte sie. „Mit Cocktails bin ich erst einmal durch, denke ich.“
„Wie du meinst.“ Britt sah Lianne zu, als sie den Mojito ansetzte.
„Komm, wir gehen kurz mal raus.“ Britt griff nach dem Glas. „Jetzt haben wir uns unseren Feierabend verdient.“
„Aber müssen wir nicht noch aufräumen?“ Lianne sah sich um. In diesem Kiosk war heute wirklich gearbeitet worden, das war nicht zu übersehen.
„Später. Oder morgen früh, mach dir keine Gedanken.“ Britt hielt auffordernd die Tür auf. Die beiden Frauen traten nach draußen. Die dortige Stehparty war noch in vollem Gange, die meisten der Versammelten hatten sich bei der letzten Runde mit Vorrat eingedeckt. Was wohl mit den Gläsern geschehen würde? Sollten sie diese nicht einsammeln? Aber vielleicht war Timmendorf zu schick, als dass hier irgendjemand Gläser klaute?
„Schööön Aaamd.“ Sigrid Steenkamp saß auf einer der hinteren Holzbänke an der Seite, in der einen Hand eine Flasche Rotwein, die nicht aus Britts Sortiment stammte. Die schmale Frau trug ein sackartiges, bordeauxfarbenes Kleid, passend zum Getränk, dachte Lianne.
„Ja, guck du nur“, maulte Sigrid sie angriffslustig an. „Denksss wohl, dassich mir euren Schampus nich leisten kann. Schickimicki-Pack.“ Sie erhob sich unsicher und wankte davon wie ein missmutiger, betrunkener Zwerg auf dem Weg zurück in seinen Stollen unter Tage.
„Wir müssen leider auch los.“ Hinter Lianne stand Philipp, den Arm um eine derangiert aussehende Thea gelegt. „Meine liebe Tante fühlt sich nicht so gut.“
„Ich fühle mich spitze“, gab Thea undeutlich zurück. „Meinetwegen können wir gerne noch ein winziges Gläschen …“
„Nein“, sagte Philipp streng. „Kein winziges Gläschen. Morgen ist auch noch ein Tag.“ Er schob Thea energisch nach vorn. Widerstrebend ließ sie sich zu dem kleinen Stichweg ziehen, der zur Strandallee führte.
„Bis morgen, ihr Süßen!“, rief Philipp über die Schulter.
Lianne sah ihnen bedauernd hinterher. Vielleicht sollte sie sich auch die Kante geben wie Thea, um von Philipp fürsorglich nach Hause geleitet zu werden. Natürlich würde sie trotz aller Trunkenheit fantastisch aussehen und ihm nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, sondern ihn mit verführerischem Lächeln auf einen Kaffee hereinbitten, um dann …
„Ein gezielter Anschlag war das, wenn ihr mich fragt, ein ganz gezielter Anschlag!“ Dröhnende Stimme, am hinteren Tisch, dicht am Promenadenweg, zwei Männer: Jupp Schmitz und dieser Steco. Musste Letzterer nicht in seinem Strand-Treff arbeiten? Zumindest war Lianne sofort klar, wovon Jupp sprach – es musste um den Vandalismus beim Frühlingsgolfen gehen. Jupp schien kein anderes Thema mehr zu kennen. Hoffentlich fing er an Britts Kiosk nicht auch eine Schlägerei an.
„Unglaublich, diese Geschichte“, lallte Jupp. „Da hat jemand was gegen Timmendorf. Aber der wird mich kennenlernen.“
„Das ist doch Unsinn, Jupp“, hielt Steco dagegen. „Du steigerst dich da rein. Und was dann passiert, haben wir neulich erlebt – für den peinlichen Auftritt mit Ole solltet ihr euch beide schämen.“
„Mit Jupp gehen eben manchmal die Pferde durch.“ Ein dritter Mann trat an den Tisch. Lianne erkannte den Ferrari-Fahrer, den sie mit Thea am Timmendorfer Platz getroffen hatte. Martin Schmitz trug heute eine teuer wirkende, dunkelblaue Segler-Jacke, die ihm deutlich besser stand als das enge Poloshirt neulich.
„Aber du solltest wirklich nicht übertreiben, Bruderherz“, fuhr Martin Schmitz fort. „Nach allem, was ich gehört habe, haben sich lediglich ein paar Randalierer ausgetobt. Das war bestimmt nur ein dummer Streich.“
„Ein dummer Streich?“, schimpfte Jupp. „Pure Zerstörungswut, wenn ich nur an den Sachschaden denke.“ Sein knallrotes Gesicht ließ einen kurz bevorstehenden Infarkt befürchten. Zum Glück ist die Herzklinik nicht weit entfernt, dachte Lianne.
„Ach, Jupp, du darfst das alles nicht so wichtig nehmen“, erklärte Steco gelassen. „Außerdem hat das Frühlingsgolfen ja trotzdem stattgefunden.“
Jupp holte tief Luft, doch sein Bruder legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. „Lass gut sein, Jupp.“
„Hast recht, Martin“, brummte Jupp. „Was soll’s. Wollen uns nicht den schönen Abend verderben lassen, was?“
Er lachte meckernd, schlug Steco so kräftig auf die Schulter, dass dieser schmerzlich das Gesicht verzog.
„Steco, alter Buddha-Fan. Dich kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen, was? Ein bisschen Meditation, und die Sache läuft, hahaha.“ Jupps Zorn hatte sich offenbar in nichts aufgelöst.
Martin Schmitz erblickte Britt und Lianne und kam auf sie zu.
„Martin, bist du auch wieder im Lande.“ Britt ließ sich mit Küsschen rechts und links begrüßen. „Darf ich dir meine Freundin Lianne vorstellen, sie ist …“
„Wir kennen uns schon“, strahlte Martin. Bevor Lianne Maßnahmen zur Gegenwehr ergreifen konnte, hatte er sie an beiden Armen gepackt und ebenfalls mit Küsschen bedacht. „Hab euch die ganze Zeit hinterm Tresen wirbeln sehen. Aber ich dachte, dass du für Thea arbeitest?“
Interessiert musterte er Lianne. Ja, guck du nur, dachte sie missgelaunt, so sieht die arbeitende Bevölkerung aus. Sie trug noch ihr Arbeitsoutfit vom Strand: Segelturnschuhe, Jeans, leichter, ausgeleierter Pulli – das Ganze von der Rum- und Limetten-Schlacht gezeichnet.
„Lianne hat mir heute geholfen, ohne sie wäre ich verloren gewesen“, erklärte Britt.
„Ja, ihr habt alles gegeben“, gab Martin anerkennend zurück.
„Ach, so schlimm war es auch nicht.“ Britt nahm einen Schluck von ihrem Mojito. „Außerdem habe ich nichts gegen ein gutes Geschäft, der Winter war lang genug.“
„In der Tat“, nickte Martin und warf Lianne einen weiteren interessierten Blick zu. „Für diejenigen, die in Timmendorf ihr Geld verdienen müssen, waren es harte Monate. Das können sich die Leute hier ja gar nicht vorstellen.“
Er wies mit einer Armbewegung auf die umstehende Partymeute, die sich mittlerweile zerstreute und anderen Zielen zustrebte, um der drohenden Austrocknung zuvorzukommen.
„Und du wohnst also in Timmendorf?“, fragte Martin. „Allein? Verheiratet? Kinder? Und so, wie du aussiehst, machst du sicher viel Sport?“
„Bin ich die Auskunft?“, fragte Lianne gereizt zurück. Martin Schmitz wirkte zwar sympathischer als sein Bruder, aber das ging eindeutig zu weit.
„Oh, entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Martin, du lernst es nie.“ Britt trank ihren Mojito aus und stellte das Glas auf einen Stehtisch.
„Jetzt müssen wir los“, sagte sie. „Wir haben noch etwas vor.“
„Tatsächlich?“ Lianne sah die Freundin ratlos an.
„Ja, lass dich überraschen.“
„Dann will ich euch nicht länger aufhalten.“ Martin tippte sich lässig mit dem Zeigefinger an die Schläfe, wie es Cowboys mit gigantischen Hüten in altmodischen Western-Filmen taten, drehte sich um und ging die Promenade hinunter, der leicht schwankenden Silhouette seines Bruders folgend, mit dem breitbeinigen Schritt jener Männer, die vor Kraft kaum gehen können.
Britt schloss die Tür zum Kiosk auf, ging hinein und tauchte kurz darauf mit zwei Tabletts wieder auf.
„Die Gläser sollten wir noch einsammeln. So viel Vertrauen habe ich auch nicht in die Timmendorfer.“
„Ich habe mich schon gewundert.“ Binnen weniger Minuten hatten sie die Tische abgeräumt. Britt zog eine voluminöse Tasche hinter einem Regal hervor.
„Und jetzt machen wir es uns nett“, erklärte sie vergnügt.
„Das heißt?“ Lianne hatte immer noch keine Ahnung, woraus die Überraschung bestehen könnte.
„Wir gönnen uns eine Nacht am Strand“, verriet Britt – und freute sich über Liannes verblüfftes Gesicht.