Dreamland mag auf der Idee basieren, Märchen zu verkaufen, aber mir bringt es nichts als Albträume und Erinnerungen mit schalem Beigeschmack. Die Energie an diesem Ort gibt mir ebenso das Gefühl zu ersticken wie die schwüle Luft in Florida. Trotz der Sommersonne läuft mir ein Schauer den Rücken hinab, als ich zu Prinzessin Caras Schloss hinaufblicke. Das architektonische Ungetüm, das dem Park meines Großvaters vor fast fünfzig Jahren seinen Erfolg beschert hat, erinnert mich an ein Leben, das ich längst vergessen habe.
Du musst darüber hinwegkommen, du wertloser Dummkopf. Konzentrier dich auf das, was wichtig ist.
Ich bin mir nicht sicher, warum mein Grandpa mich mit der Aufgabe betraut hat, einen Vergnügungspark zu optimieren, der seit achtundvierzig Jahren einwandfrei läuft. Die Tickets sind immer ausverkauft, und wir schöpfen die maximale Kapazität jeden Tag aus. Mit jedem Quartal steigt der Profit; ich frage mich also, was verbessert werden kann.
Um es simpel auszudrücken: Der Park ist perfekt. Fast zu perfekt. Als Vorsitzender unserer Tochtergesellschaft, einem Streaminganbieter, habe ich mich an einem einzigen Tag schon mit mehr Problemen auseinandergesetzt, als in diesem Park in einem Jahr auftreten. Aber da meine Aktien im Wert von fünfundzwanzig Milliarden Dollar auf dem Spiel stehen, werde ich jeden einzelnen Stein umdrehen, wenn ich dadurch Schwächen aufdecken und Dreamlands Stärken ausbauen kann. Es gibt keine andere Option. Meine Brüder zählen darauf, dass ich meinen Teil leiste, um die Zukunft zu sichern, und ich habe nicht vor, sie zu enttäuschen.
Ich verlasse die hölzerne Zugbrücke. Mein Atem geht wieder leichter, als ich mehr Abstand zwischen das Schloss und mich bringe.
Denk dran, wie viel besser das Leben sein wird, wenn du erst mal diese Stadt verlassen hast.
Dieser Gedanke hält mich bei Verstand in einer Welt, die auf nichts aufgebaut wurde als auf negativen Erinnerungen und zerbrochenen Träumen.
* * *
Meine Geduld schwindet mit jeder Hürde, auf die ich stoße. Nach mehreren aufeinanderfolgenden sinnlosen Meetings mit Dreamland-Angestellten will ich unbedingt herausfinden, an welchen Stellen die Leistung des Parks unzureichend ist. Aber seit meiner Ankunft vor achtundvierzig Stunden habe ich nichts Erwähnenswertes in Erfahrung gebracht.
Laut den Akten erreicht Dreamland mit jedem Quartal neue Ziele. Das Einzige, was ich von allen Angestellten gehört habe, war, dass man mehr fordert. Mehr Fahrgeschäfte. Mehr Fläche. Mehr Hotels. Mehr Platz.
Es gibt nur ein Team, das mir bei einer so groß angelegten Expansion helfen kann. Die Entwickler von Dreamland sind renommiert in der Welt der Unterhaltungsparks. Bei jeder Attraktion, jedem Lokal, jedem Souvenirladen und jeder Besucheraktivität in Dreamland hatten sie ihre Finger im Spiel. Daher möchte ich während der nächsten sechs Monate auch mit ihnen Seite an Seite arbeiten. Dass ich alles bis ins kleinste Detail kontrollieren will, wird ein gravierender Unterschied zu der entspannten Einstellung sein, die alle vom vorherigen Direktor gewohnt sind. Doch ehrlich gesagt ist mir das egal. Mit diesem Ansatz ist es mir gelungen, ein Streaming-Start-up in ein milliardenschweres Imperium zu verwandeln, und er wird mir auch hier helfen.
Ich betrete mein Büro und schließe die Tür hinter mir. Die beiden führenden Entwickler zucken in ihren Sesseln zusammen, ehe sie sich wieder sammeln.
Sam, dessen gesunder Menschenverstand ihm aus unerklärlichen Gründen geraten zu haben scheint, ein kariertes Hemd mit einer gepunkteten Krawatte zu kombinieren, kann mir kaum in die Augen sehen. Die Spitzen seines braunen lockigen Haares sind das Einzige, was ich von ihm sehe, während er in sein Notizbuch schreibt.
Jenny, die brünette stellvertretende Managerin, sitzt kerzengerade neben ihm, als könnte mich eine falsche Bewegung zum Explodieren bringen.
Ich nehme Platz. »Lassen Sie uns beginnen.«
Die beiden nicken einstimmig.
»Man erwartet von mir, dass ich einen neuen Plan für den Park ausarbeite, in dem unsere Schwächen aufgedeckt werden. Daher werden wir gemeinsam die Leistung von Dreamlands Attraktionen evaluieren und bestimmen, wie wir unseren Gästen noch mehr entgegenkommen können. In diesem Rahmen sollen bereits existierende Fahrgeschäfte renoviert werden, die Parkfläche soll vergrößert werden und Aufführungen und Wagenparaden sollen moderner werden, sodass sich die Kapitalerträge um fünf Prozent erhöhen – mindestens.«
Sams Augen werden doppelt so groß, während Jennys Miene starr bleibt.
»Meine Analyse im Vorfeld hat gezeigt, dass unsere Konkurrenten in den letzten Jahren schnelleres Wachstum erzielt haben. Und obwohl Dreamland jedes Quartal überdurchschnittliche Gewinne erzielt, möchte ich unsere Konkurrenz übertreffen und ihren Profit einfahren.«
Sam schluckt schwer, und Jenny kritzelt etwas in ihr Notizbuch.
Ich weiß ihr Schweigen zu schätzen, da ich zwischen den einzelnen Meetings nur wenig Zeit habe.
»Bei solchen Projekten dauert es Jahre vom Entwurf bis zur Umsetzung. Daher erwarte ich, dass Ihre beiden Teams Pläne entwickeln, die ich in sechs Monaten dem Vorstand präsentieren kann.«
Es war Declans Idee, den wahren Grund für meine Anwesenheit geheim zu halten. Er glaubt, dass die Leute mich sabotieren könnten, wenn ich meine eigennützigen Absichten für ein Projekt dieser Größenordnung bekannt gebe. Also wird keiner von der Position erfahren, die ich hier während der nächsten sechs Monate einnehmen werde. In ihren Augen werde ich der Direktor sein, von dem sie schon immer geträumt haben. In Wahrheit kann ich es nicht erwarten, endlich aus diesem Höllenloch herauszukriechen und nach Chicago zurückzukehren, um Declan als Finanzdirektor zu ersetzen.
»Sechs Monate?«, krächzt Jenny. Ihr weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht.
»Ich nehme an, das wird kein Problem darstellen.«
Sie schüttelt den Kopf, aber ihre Hand, mit der sie den Stift hält, zittert.
»Ich habe vor, die Idee mit dem fünfzigsten Jubiläum zu verbinden und die Werbetrommel mit Inhalten zu rühren, die den Leuten zu Herzen gehen. Das Projekt sollte sowohl die junge als auch die alte Generation ansprechen, die mit Dreamland-Charakteren aufgewachsen ist. Es soll all das widerspiegeln, was mein Großvater an diesem Park geliebt hat, während wir uns außerdem in eine strahlendere – und modernere – Zukunft bewegen.«
Sam und Jenny nicken eifrig, hängen mir bei jedem Wort an den Lippen und schreiben in ihre Notizblöcke.
»Was immer getan werden muss, tun Sie es. Die Zeit läuft uns davon.«
»Wie hoch ist unser Budget?« Sams Augen leuchten.
»Wir sollten realistisch bleiben – also rund zehn Milliarden für den gesamten Park. Wenn Sie mehr benötigen, werden meine Bilanzbuchhalter einen Blick auf die Zahlen werfen.«
Sam verschluckt sich fast.
»Ich erwarte Resultate. Sonst sollten Sie sich besser beim Jahrmarkt bewerben.«
Jenny starrt mich an, während Sam seinen Blick auf den Teppich senkt.
»Sir, kann ich offen sprechen?« Jenny tippt auf überaus nervtötende Art mit dem Stift auf ihren Notizblock.
Ich schaue auf meine Uhr. »Wenn Sie es für absolut nötig halten.«
»Da Ihr Zeitplan recht straff ist, überlege ich, ob wir die jährlichen Angestelltenideen dieses Jahr früher annehmen können? So könnten die Entwickler mit neuen Ideen arbeiten, statt bei null anzufangen.«
Ich schaue sie blinzelnd an. Das jährliche Einreichen von Ideen bereitet einem nichts als Kopfschmerzen und erfüllt ausschließlich den Zweck, die Angestellten bei Laune zu halten. Wir haben genügend Entwickler, die schon seit Jahrzehnten für Dreamland arbeiten. Sie brauchen keinen nutzlosen Input von Niedriglohnmitarbeitern, die nichts darüber wissen, wie man einen Unterhaltungspark gestaltet.
Aber was, wenn jemand etwas einreicht, das den Entwicklern noch nicht in den Sinn gekommen ist?
Ich gehe Pro und Kontra durch, bis ich zu dem Schluss gelange, dass ich nicht viel zu verlieren habe. »Begrenzen Sie die Einsendungsphase auf zwei Wochen. Ich will, dass Sie beide die Ideen durchgehen und am Ende nur die besten auf meinem Schreibtisch landen.«
Jenny nickt. »Natürlich. Ich bin mir sicher, wir können gut einschätzen, wonach Sie suchen.«
Das ist zu bezweifeln, aber ich mache mir nicht die Mühe, Worte darauf zu verschwenden, sie zu korrigieren. »Machen Sie sich an die Arbeit.«
Jenny und Sam verlassen eilig den Raum, wo ich nun E-Mails beantworte und mich auf das nächste Meeting des Tages vorbereite.
* * *
»Mein Sohn.«
Ich bereue es auf der Stelle, den äußerst ungewöhnlichen persönlichen Anruf meines Vaters entgegengenommen zu haben. Meine Neugier war zu groß, weil er sich in Bezug auf das ganze Dreamland-Business bisher viel zu sehr in Schweigen gehüllt hat. So stellt sich mir die Frage, was er hinter den Kulissen plant.
Ich setze mich auf die Ledercouch gegenüber meinem Schreibtisch. »Vater.«
Wie wir uns anreden, ist nichts weiter als eine Show für öffentliche Auftritte.
»Wie läuft es mit Dreamland? Ich nehme an, du nimmst an unserem Vorstandsmeeting am Montag teil, ganz gleich, welche eigenen Pläne du hast.« Sein Tonfall klingt leichtherzig und zeigt, wie sehr er seine ruhige Fassade über Jahrzehnte perfektioniert hat.
Ich knirsche mit den Zähnen. »Warum interessiert dich das?«
»Weil mich dein plötzliches Vorhaben, nach dem Tod deines Großvaters Direktor zu werden, fasziniert.«
Hält er mich für so dumm?
Natürlich tut er das. Er macht sich über dich lustig, seitdem du auf der Welt bist.
»Rufst du aus einem bestimmten Grund an?«, frage ich mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Ich wollte mich nach deinem Fortschritt erkundigen, nachdem ich mir den Finanzierungsantrag angeschaut habe, den du eingereicht hast. Zehn Milliarden Dollar sind nicht gerade wenig.«
Jeder Muskel in meinem Körper verhärtet sich. »Ich brauche deine Ratschläge nicht.«
»Gut. Ich wollte dir auch keine erteilen.«
»Gott bewahre, dass du dich einmal in deinem armseligen Leben wie ein richtiger Vater benimmst.«
»Interessante Wortwahl von meinem schwächsten Sohn.«
Mein Griff um das Telefon festigt sich. Es war dumm von mir, den Anruf meines Vaters aus reiner Neugier entgegenzunehmen. Ich hätte damit rechnen müssen, dass sich selbst nach dem Tod meines Grandpas nichts ändern würde. Das Einzige, was mein Vater will, ist, mich daran zu erinnern, für wie unfähig er mich hält.
Er versucht nur, dich in den Wahnsinn zu treiben, das ist alles.
»Ich muss auflegen. Ich hab ein Meeting, zu dem ich nicht zu spät kommen kann.«
Nachdem ich das Telefonat beendet habe, atme ich mehrmals tief durch, um meinen Blutdruck zu senken. Ich bin nicht mehr der unbeholfene Junge, der sich nach einer richtigen Bindung zu seinem Vater sehnt. Wegen ihm habe ich meinen Verstand in eine Waffe verwandelt, statt ihn zu einer Schwäche werden zu lassen. Ganz gleich, wie sehr er sich bemüht, mich zu verletzen, ich werde immer als Sieger hervorgehen, weil das Kind, das er einst kannte, nicht mehr existiert. Dafür habe ich gesorgt.