KAPITEL SIEBEN

Rowan

Ich nutze die Gelegenheit, um Zahra zu beobachten, während sie damit beschäftigt ist, den Vertrag durchzulesen. Dieses merkwürdige Gefühl in meiner Brust hat nicht aufgehört, seit sie mein Büro betreten hat, und irgendetwas an ihrem Aussehen lässt mich wachsam werden.

Ihre Füße baumeln ein paar Zentimeter über dem Teppich, während die Spitzen ihrer Schuhe auf nervtötende Art den Boden streifen. Von dem beleidigend fröhlichen Erdbeermuster ihres Kleides bis hin zu der Art, wie sie lacht, fühle ich mich durch ihre Anwesenheit irgendwie entwaffnet.

Und das missfällt mir. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie endlich wieder außer Sicht- und Riechweite ist.

Ich ziehe an der Krawatte, die um meinen Kragen gebunden ist, um die Verspannungen in meinem Nacken zu lösen. Mein Blick fällt auf die lächerliche Brosche über ihrem Brustansatz.

Blühe auch dann, wenn die Sonne nicht scheint.

Sie ist ein unangenehm heller Fleck in meinem Büro, und ich bin versucht, sie vor die Tür zu setzen.

Sie runzelt die Stirn, während sie umblättert. Die Geste lenkt meine Aufmerksamkeit auf die rote Farbe ihrer Lippen, und ich stelle fest, dass ich ungewöhnlich fixiert darauf bin, wie ihre Zunge zum Vorschein kommt, um ihren Lippenbogen nachzufahren. Ein heißes Prickeln läuft mir an der Wirbelsäule hinab, während ich mir vorstelle, welche anderen Dinge diese Lippen tun könnten.

Was zur Hölle? Nein. Ich stoße die Luft aus und ignoriere die Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitet.

Sie kräuselt die Nase beim Lesen.

»Problem?«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie verzieht keine Miene. »Nein.«

»Sie haben die gleiche Seite schon zweimal gelesen.«

Sie legt den Kopf schief und schaut mich auf eine Art an, bei der sich meine Nackenhaare aufstellen. »Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mir so viel Aufmerksamkeit schenken.«

Ich muss mich beherrschen, um nicht laut aufzustöhnen.

Was immer sie nun in meiner Miene liest, entlockt ihr ein Grinsen. Sie tippt mit dem Stift auf das Papier. »Verträge wie dieser erfordern meine volle und ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich unterschreibe nichts, ehe ich die Chance hatte, das Kleingedruckte zu lesen.«

»Sie sind nicht besonders genug für Kleingedrucktes.«

Sie wirkt kein bisschen beleidigt über meine Bemerkung, was mich nur noch mehr ärgert. Was hat diese Frau nur an sich, und warum ist sie nicht wie alle anderen? Es ist, als käme sie aus einer Fantasiewelt voller Konfetti und Regenbogen. Ich weiß nicht, in welchem Märchenwald sie aufgewachsen ist, aber niemand kann immer alles so positiv sehen.

»Sie sind gar nicht so, wie Ihr Großvater Sie beschrieben hat.«

Die Holzarmlehnen meines Stuhls ächzen unter meinem festen Griff. »Was haben Sie gesagt?« Der einzige Grund, weshalb meine Stimme tonlos und desinteressiert klingt, ist jahrelange Übung.

Sie betrachtet meine Fäuste mit den weiß hervortretenden Knöcheln. »Vergessen Sie’s. Es ist mir rausgerutscht.«

So etwas kann man nicht einfach vergessen. Ich weiß nicht recht, ob ich sie weiter drängen oder so tun soll, als wäre ich ungerührt von ihrer Bemerkung. »Was auch immer mein Großvater zwischen Tür und Angel zu einer Fremden gesagt hat, wird nichts weiter als Small Talk gewesen sein.«

Sie lacht in sich hinein, aber sagt nichts mehr.

Es juckt mich in den Fingern, mehr herauszufinden, aber ihr Mund bleibt geschlossen, während sie sich wieder dem Vertrag widmet.

Das war’s?

»Wie sind Sie denn mit meinem Großvater ins Gespräch gekommen?«, platze ich heraus und schaue sie mit großen Augen an.

Sie zuckt mit den Schultern. »Schicksal. Und es waren Gespräche. Plural.«

Großartig. Ich setze mein gesamtes Vermögen auf jemanden, der an Schicksal glaubt. »Und was ist während dieser Gespräche passiert?«

»Etwas, das nur Brady und mich etwas anging.«

Brady? Es ist schon das zweite Mal, dass sie ihn so nennt.

Sie unterbricht meine Gedanken mit einem wissenden Lächeln. »Er hatte eine ganze Menge über Sie zu sagen.«

Das Engegefühl in meiner Brust nimmt zu. »Ein Teil von mir will es gar nicht wissen.«

Ihr Grinsen wird breiter. »Aber ein anderer Teil ist neugierig.«

Ich verdrehe die Augen, woraufhin sich ihr Gesicht erhellt wie ein verdammtes Dreamland-Feuerwerk. Ich habe noch nie erlebt, dass mich jemand so angesehen hat. Es ist merkwürdig. Als sei sie tatsächlich an meiner Firma interessiert statt nur daran, sich Vorteile durch mich zu verschaffen.

Meine Haut kribbelt unter ihrem Blick.

»Keine Sorge. Er hat nicht allzu viel über Sie gesagt, außer dass Sie der Träumer unter den drei Enkelkindern seien. Und er hat sich sehr darüber gefreut, dass Sie eines Tages Direktor werden würden. Er hat gesagt, es sei Ihre Bestimmung. Daher bin ich mir sicher, er wäre froh darüber, Sie in seinem Büro zu sehen, wie Sie seinen Lieblingsstuhl ruinieren.« Sie deutet auf die Armlehnen, an denen ich mich festklammere wie an einem Rettungsring.

Ich löse meinen Griff und knacke mit den Fingergelenken. »Das ist alles?«

»So gut wie. Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Wir waren schwer damit beschäftigt, an anderen Dingen zu arbeiten, aber ich weiß noch, in was für hohen Tönen er von seinen Enkelsöhnen gesprochen hat.«

Das Brennen in meiner Brust wird zehnmal stärker. Ich atme ein paarmal tief durch, um die Anspannung meiner Muskeln zu lösen.

Zahra kritzelt ihre Unterschrift unten auf die Seite und reicht mir den Vertrag.

Mit Absicht berühre ich ihre Finger, als ich danach greife. Das gleiche merkwürdige Gefühl wie vorhin blitzt zwischen uns auf, sodass ich innehalte.

Zahra schnappt nach Luft und zieht ihre Hand zurück, um sie unter den Schichten ihres Kleides zu verbergen.

Interessant. Scheinbar war diese Verbindung nicht nur eine einmalige Ausnahme.

»Wann fange ich an?« Sie erhebt sich vom Stuhl und streicht mit einer Hand ihr Kleid glatt.

Mühsam löse ich meinen Blick von der Rundung ihrer Hüfte und schaue ihr ins Gesicht. »Am Montag. Seien Sie um Punkt neun hier.«

»Vielen Dank für die Chance. Wirklich. Ich war einfach schockiert, als ich vorhin Nein gesagt habe, aber ich weiß es ehrlich zu schätzen. Und ich habe nicht vor, Sie zu enttäuschen.« Ein Anflug von Röte breitet sich auf ihren Wangen aus.

Ich finde ihre Reaktionen auf die simpelsten Dinge interessant. Was würde sie wohl sonst noch zum Erröten bringen? Ein Bild davon, wie sich ihre rot geschminkten Lippen um etwas äußerst Unangebrachtes legen, kommt mir in den Sinn.

Sie ist bei dir angestellt. Reiß dich verdammt noch mal zusammen.

Angesichts der unkontrollierbaren Reaktion, die sich in meinem Körper ausbreitet wie eine Reihe zusammenfallender Dominosteine, runzele ich die Stirn. Ich war noch nie der Typ Mensch, der sich zu Leuten hingezogen fühlt, die unter ihm arbeiten.

Was ist anders an ihr, und wie kann ich das Gefühl vertreiben?

Ich stoße angespannt die Luft aus. »Sie finden allein den Weg nach draußen?« Ich greife nach ihrem Vertrag und lege ihn auf den Stapel Unterlagen, um den sich Martha kümmern wird.

Zahra nimmt ihren Rucksack vom Boden. Sie steht auf und dreht sich auf dem Absatz um, womit sie mir einen Blick auf die mindestens fünfzig verschiedenen Anstecker an der Tasche verschafft.

Was hat es damit auf sich?

Mir stockt der Atem, als mir eine Anstecknadel ins Auge sticht. Sie weckt nicht meine Aufmerksamkeit, weil sie auffällig ist, sondern eher, weil sie sich so stark von den anderen unterscheidet. Kein normaler Mensch würde sie unter all den anderen bemerken, aber ich kenne das Symbol, das sie zeigt, viel zu gut.

Vielleicht ist »Miss Sonnenschein« doch anders, als es auf den ersten Blick scheint, und irgendetwas sagt mir, dass die Antwort darauf mit dem Anstecker mit dem schwarzen Semikolon zusammenhängt.

* * *

»Wie läuft’s?« Declan lehnt sich der Kamera entgegen.

»Bei mir stehen von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends Meetings auf dem Programm, aber ich glaube, dass ich endlich weiß, was ich zu tun habe.« Alles dank Zahra.

»Zumindest habe ich einen Bruder, der die Sache ernst nimmt.« Declan wirft Cal einen Blick zu.

Der spannt den Kiefer an. »Ich warte auf einen bestimmten Moment.«

»Klingt nach Ausrede.« Ich zucke mit den Schultern.

Er reibt sich die Stirn mit dem Mittelfinger.

Declan seufzt. »Rowan, wir sollten uns zuerst auf deinen Plan konzentrieren. Danach widme ich mich Cal.«

»Ich brauche niemanden, der mein Leben organisiert. Hab ein wenig Vertrauen in meine Entwicklung, und lass es mich auf meine Art machen. Ich hab mich doch schon bewiesen.«

Declan reibt mit der Hand über seine Bartstoppeln. »Von diesem Projekt hängt eine Menge ab. Wenn einer von uns scheitert …«

Ich presse die Zähne zusammen. »Dann scheitern wir alle. Ich hab es schon bei den ersten fünf Malen, als du es erwähnt hast, verstanden. Gib mir Raum, mich einzuarbeiten. Ich laufe dir schließlich auch nicht hinterher und nerve dich mit der Frage, ob du eine Frau gefunden hast, die deinen unrealistischen Maßstäben gerecht wird.«

»Es gibt keine Maßstäbe in diesem Prozess, weil es sich um eine vertragliche Verpflichtung handelt. Alles, woran ich interessiert bin, ist, jemanden zu finden, der nützlich und fruchtbar ist und ein Gesicht hat, das wohlproportioniert genug ist, um als attraktiv empfunden zu werden.«

Cal grinst. »Mit diesem Charme wirst du in Windeseile vor dem Traualtar landen.«

Declan wirft einen vernichtenden Blick in die Kamera.

»Soll ich dein Trauzeuge werden? Denk drüber nach, bevor du dich entscheidest. Rowan würde nicht wissen, wie man einen Junggesellenabschied plant. Er definiert es als Spaß, bei dir zu Hause Zigarren zu paffen.«

»Das liegt daran, dass es tatsächlich Spaß macht.«

»Denk einfach drüber nach. Ich rede hier von Vegas. Gutem Essen. Stripclubs. Casinos.« Cal hebt bei der Aufzählung nacheinander die Finger.

»Falls du vorhattest, mir die Sache schmackhaft zu machen – ich bin schon bei der Erwähnung von Vegas ausgestiegen.«

Ich lache. »Declans Wohlfühlort ist nun mal sein eigenes Haus.«

Cal reibt sich das stoppelige Kinn. »Okay. Ich werde mich auf einen Kompromiss einlassen und Vegas zu dir nach Hause bringen.«

»Keiner von euch beiden wird mein Trauzeuge, weil ich durchbrennen werde.«

Cal schnaubt. »Du und Rowan seid unfassbar langweilig – kein Wunder, dass ihr euch so gut versteht. Nur ihr würdet freiwillig eine riesige Party verpassen, um für die Hochzeit durchzubrennen.«

Declan bedenkt uns mit dem kleinen Lächeln, das er sich stets für uns aufspart. »Du klingst eifersüchtig.«

»Mr. Kane. Mr. Johnson ist auf Leitung eins. Nur damit Sie vorgewarnt sind, er ist in schlechter Stimmung«, tönt Iris’ Stimme durch Declans Mikrofon.

Cal beugt sich vor. »Der alte Johnson macht Iris immer noch das Leben schwer?«

»Hat er Ihnen wieder gedroht, Iris?« Er schaltet das Mikrofon auf stumm.

Was auch immer Iris ihm antwortet, bewirkt, dass die Vene an Declans Hals zu pulsieren beginnt. Er schüttelt den Kopf und schaltet kurze Zeit später das Mikrofon wieder ein.

Cal runzelt die Stirn. »Eines Tages wirst du es bereuen, dass du Iris vorschreibst, an den Wochenenden zu arbeiten. Die besten Jahre ihres Lebens ziehen an ihr vorbei, während sie sich um dich alten Muffel kümmert.«

Declans Kiefer mahlt. »Nächste Woche. Zur gleichen Zeit.« Er beendet das Video-Meeting, und ich sehe nichts als einen schwarzen Bildschirm.

Statt nach Hause zu gehen und zu essen, öffne ich Zahras elektronischen Angestelltenordner. Irgendetwas an der Art, wie sie über meinen Großvater gesprochen hat, beschäftigt mich, seitdem sie mein Büro verlassen hat. Es wäre unüberlegt von mir, einfach alles zu glauben, was sie über ihn gesagt hat.

Meine ersten Nachforschungen bringen nicht viel ans Tageslicht, abgesehen von der Tatsache, dass sie seit ihres Praktikums zu College-Zeiten eine motivierte Mitarbeiterin des Schönheitssalons ist. Frustriert über meine erfolglose Recherche, schaue ich mir ihre Akte genauer an, lese alles von ihrem ersten Vorstellungsgespräch bei Dreamland bis hin zu ihren College-Zeugnissen. Ich klicke auf ein Dokument, das sie bereits als Angestellte vor drei Jahren eingereicht hat. Es ist mit einer elektronischen Notiz versehen, unterschrieben und datiert von meinem Großvater, zwei Monate vor seinem Unfall. Meeting mit Ms. Gulian organisieren, um zu besprechen, warum ihre Idee abgelehnt wurde und was verbessert werden kann.

Ich gehe die Unterlagen noch einmal durch. Zahra hat eine Idee für das Nebula Land eingereicht? Das ist merkwürdig, wo sie doch nun einen Vorschlag eingesendet hat, mit dem sie das Fahrgeschäft zerreißt.

Als Nächstes öffne ich das eingereichte Dokument mit der Idee für das Nebula Land, das von den Entwicklern vor zwei Jahren ausgewählt wurde, und vergleiche es mit Zahras Version. Jemand namens Lance Baker hat die gleiche Idee wie sie, nur mit ein bisschen mehr Pomp eingereicht. Wie sind beide auf den gleichen Einfall gekommen? Waren sie Partner, die sich zerstritten haben?

Die Fragezeichen in meinem Kopf werden immer größer, doch ich finde keine Antworten, die meine Neugier stillen. Ich durchforste Zahras Ordner nach weiteren Dokumenten, die sie eingereicht hat, aber finde nichts. Sie hat nach der Idee, die sich mein Großvater angesehen hatte, bis zu diesem Jahr nichts mehr eingesandt.

Was hat sie davon abgehalten? Und wer zur Hölle ist Lance Baker?