Ich hatte eigentlich vorgehabt, am Samstag zurück nach Chicago zu fliegen, um rechtzeitig für das Vorstandsmeeting am Montag dort zu sein. Aber nach meinem schwachen Moment mit Zahra habe ich, kaum dass ich ihr Büro verlassen hatte, meinen Piloten angerufen, dass er das Flugzeug startklar machen soll. Ich hätte nicht bei ihr vorbeischauen sollen. Es war schließlich nicht so, dass ich irgendetwas von ihr gebraucht hätte, aber nach meinem Treffen mit Jenny und Sam konnte ich einfach nicht anders, als bei Zahra vorbeizuschauen. Als würde ich dem Ruf einer Sirene folgen, die mich ins Verderben stürzen wird.
Sie passt in keine Kategorie – was mein Interesse an ihr nur umso größer macht. Alles an ihr ist seltsam. Von ihrer Vintage-Garderobe bis zu ihren Anstecknadeln hat sie nichts mit dem ordentlichen Aufzug der Geschäftsleute gemein, den ich gewohnt bin.
Mein Interesse an ihr gefällt mir genauso wenig wie die Tatsache, dass ich mich in ihrer Gegenwart wie ein unhöflicher Mistkerl verhalte. Zwischen meiner falschen Identität und der Art, auf die mir Zahra unter die Haut geht, brauche ich verdammt noch mal etwas Abstand von allem, was meinem objektiven Denken im Wege steht.
Als ich mein Penthouse mit Blick über den Chicago River betrete, verspüre ich augenblicklich Erleichterung. Das hier oben ist meine entspannte Welt, weit weg von Frauen mit emaillierten Anstecknadeln, die mich ablenken, und Angestellten, die den universellen Code für »verpiss dich« nicht verstehen. Man sagt, dass man dort zu Hause ist, wo das Herz zu Hause ist, aber ich bin vom Gegenteil überzeugt. Zu Hause ist, wo mich niemand stört. Das bedeutet wahren Frieden für mich.
Ich dusche, bestelle mir etwas zu essen und öffne ein Bier, während ich mir die Übertragung eines Footballspiels ansehe.
Als mein Handy vibriert, nehme ich es vom Couchtisch.
Zahra: Ich weiß, dass du keine großen Dankesworte magst, aber die Zeichnung ist UNGLAUBLICH . Ich bin gerade aus dem Meeting raus – es gab Standing Ovations.
Und das war es dann auch schon wieder mit meinem Plan, die nächsten Tage mal nicht an Dreamland zu denken. Ich will das Handy gerade wieder auf den Tisch legen, als eine weitere Nachricht eingeht.
Zahra: Okay, das war ein wenig übertrieben. Aber es wurde geklatscht.
Ich beiße mir in die Wange, als ob ich damit mein Lächeln ausradieren könnte.
Ich: Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt absurd bist?
Zahra: Klar. Absurd umwerfend ist zufällig mein zweiter Vorname.
Ich: Mittlerweile bin ich fast überzeugt, dass du vollkommen verrückt bist.
Ihre nächste Nachricht erscheint, bevor ich Luft holen kann.
Zahra: Fast überzeugt? Dann muss ich mich anstrengen – halbe Sachen mache ich nämlich nicht.
Das Lachen platzt einfach aus mir raus. Ein rauer Laut, den ich nicht von mir kenne.
Ich: Ich verstehe langsam, warum Rowan dich eingestellt hat.
Tue ich gerade wirklich so, als wäre ich jemand anderes?
Zahra: Und ich verstehe, warum er dich eingestellt hat.
Zahra: Ich hab’s eben einfach drauf, wenn ich mich mal selbst loben darf.
Ich: Wenn du meinst …
Mit meiner Nachricht verdiene ich mir ein GIF von jemandem, der in seinen Kaffeebecher kichert. Ich bin so sehr daran gewöhnt, dass Leute aufs Stichwort lachen, dass ich vergessen habe, wie man eine andere Person wirklich unterhält.
Das Handy vibriert in meiner Hand.
Zahra: Also, was hältst du davon, wenn wir eine Art Partnerschaft eingehen?
Über meine Antwort muss ich nicht nachdenken.
Ich: Nichts.
Zahra: Komm schon. Du hast dir doch noch nicht mal meinen Vorschlag angehört.
Ich: Sorry, meine Bank nimmt kein Monopoly-Spielgeld an.
Ich kneife mir in den Nasenrücken. Wie lahm war das bitte?
Doch aus irgendeinem Grund bringt mir mein Kommentar drei lachende Emojis ein.
Zahra: Du bist ziemlich witzig.
Ich: Ich glaube, das ist das erste Mal, dass mich jemand als witzig bezeichnet.
Ich stöhne auf, als ich mir die Nachricht noch einmal durchlese. Ich bin auf dem besten Weg, mein Alter Ego zum kompletten Loser zu machen – ähnlich meinem wahren Ich.
Zahra: Was wirklich merkwürdig ist, Scott. Vielleicht musst du dir einfach ein paar neue Freunde suchen, die deinen Humor zu schätzen wissen.
Freunde? Was für Freunde? Je höher man auf der Karriereleiter nach oben steigt, desto schwieriger wird es, zu denjenigen darunter eine Verbindung aufzubauen. Vielleicht unterhalte ich mich deswegen so gerne mit Zahra. Vielleicht liegt es nicht an ihrer besonderen Art, sondern eher daran, dass ich bei ihr das Gefühl habe, loslassen und ich selbst sein zu können.
Zahra: Vergiss die Idee mit dem Spielgeld, ich hab eine bessere. Ich bin bereit, in Form von Essen, Drinks oder was auch immer du möchtest zu bezahlen.
Bevor ich mir eine Antwort überlegen kann, erscheint auf dem Display eine weitere Nachricht von ihr.
Zahra: Was ist mit hochwertigen Buntstiften, sind die in deiner Währung was wert? Ich hab noch einen Coupon für den Bastelladen um die Ecke. Den habe ich mir von meiner Mom ausgeliehen.
In meiner Brust zieht sich etwas zusammen, und auch wenn ich das Gefühl nicht direkt als unangenehm empfinde, alarmiert es mich. Dennoch ignoriere ich die Warnzeichen und schreibe ihr eine weitere Nachricht.
Ich: Wie leiht man sich denn bitte einen Coupon aus?
Zahra: Okay, wenn du es genau wissen willst … Betrachte es als Spende.
Meint sie das ernst? Und noch wichtiger: Warum grinse ich mein Handy an? Ich zwinge meine Mundwinkel nach unten und beiße die Backenzähne aufeinander.
Ich: Ich kann dir leider nicht helfen. Zu viel zu tun.
Gut. Ich muss zusehen, dass ich aus der Nummer rauskomme, bevor es zu spät ist.
Zahra: Oh. Okay, klar. Verstehe ich. Rowan hat erwähnt, dass die Animatoren gerade wie wild an neuen Filmen arbeiten. Bist du auch dabei?
Ich habe ein komisches Gefühl im Bauch, das nichts mit meinem Take-out von eben zu tun hat. Ich bin mir nicht sicher, was der Grund dafür ist, aber alles in mir schreit, dass ich meine Gefühle nicht näher analysieren sollte.
Ich: Ich muss los. Bitte Rowan, dass dir jemand anderes helfen soll.
Meine Worte vermitteln ein Gefühl von Endgültigkeit, von dem ich hoffe, dass es auch ankommt. Ich drehe die Lautstärke am Fernseher hoch, um die Gedanken in meinem Kopf zu übertönen.
Ein paar Minuten später vibriert mein Handy erneut an meinem Oberschenkel.
Zahra: Ich melde mich morgen mit einem besseren Angebot, sobald ich mir was überlegt hab.
Ich: Fang bloß nicht an, Organe zu verkaufen.
Fuck . Es ist, als hätte ich mich bei ihr absolut nicht unter Kontrolle.
Zahra: Auf keinen Fall. Das ist Plan E. Davor hab ich noch drei bessere Optionen in der Tasche.
Ich schicke einen Fluch zur Decke, während ich mich frage, wie verdammt noch mal ich hier reingeraten bin – ich albere mit einer Frau herum, die nicht mal weiß, wer ich wirklich bin.
Und das Schlimmste daran ist, es fängt an, mir zu gefallen.
* * *
Meine Präsentation beim Vorstandsmeeting verläuft ohne Probleme. Selbst mein Vater hat außer einigen grundlegenden logistischen Rückfragen nichts zu meinem Zeitplan hinzufügen. Ich habe etwas anderes erwartet, deswegen mache ich mich angesichts seiner ruhigen Fassade auf das Schlimmste gefasst.
Irgendetwas ist im Busch. Ich weiß nur nicht, was.
»Irgendwas stimmt nicht mit unserem Vater.« Declan nimmt an seinem Schreibtisch Platz.
»Ist mir auch aufgefallen. Eigentlich hatte ich mich heute auf was anderes gefasst gemacht.« Ich nehme schräg gegenüber von ihm Platz. Das Treffen mit Declan muss ich allein durchziehen, weil Cal sich mal wieder drückt.
»Dass er in Bezug auf das Testament so eisern schweigt, sagt mir, dass er uns etwas verheimlicht. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, aber ich behalte ihn im Auge. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis er seine Karten ausspielt.« Declan reibt sich die Unterlippe.
In diesem Moment öffnet Iris die Tür mit dem Ellbogen, während sie zwei Becher Kaffee und eine Tüte mit Take-out-Frühstück jongliert. »Müssen Sie so viel essen, Mr. Kane? Ihr Arzt hat gesagt, dass Sie auf Ihren Cholesterinspiegel achten sollen, jetzt, da Sie langsam älter werden.«
Declan geht zwar auf die sechsunddreißig zu, aber alt ist er deswegen noch lange nicht.
Er kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Was habe ich Ihnen über das Lesen meiner Personalakte gesagt?«
Iris reicht mir meinen Kaffee und ein Sandwich. »Wie soll ich denn bitte sonst die Informationen mit Ihrem persönlichen Hintergrund für all Ihre potenziellen Verehrerinnen zusammenstellen?«
»Ganz einfach: gar nicht«, antwortet er trocken.
»Wie läuft die Ehefrauensuche?«, erkundige ich mich.
Iris grinst, als sie Declan sein Frühstück hinstellt. Trotz aller Bemühungen meines Bruders, sich professionell zu verhalten, wandert sein Blick von mir zu Iris’ Rock.
Iris bemerkt es nicht einmal. »Ich kann Ihnen eins sagen: Allein im letzten Monat war ich auf mehr Dates mit Frauen als Ihr Bruder in der ganzen Zeit, die ich schon für ihn arbeite.«
Declans Blick verharrt auf seiner Assistentin, während sie das in Plastikfolie verpackte Besteck vor ihm auf den Tisch legt.
Und ich fühle mich schlecht, weil ich Zahra geküsst habe.
Ich räuspere mich, was Declan aus seiner Trance reißt. »Iris überprüft die Frauen sehr genau, bevor ich mich mit ihnen treffe.«
»Und da behaupten die Leute, es gäbe keine Romantik mehr auf dieser Welt.«
»Was erwartest du von mir? Mich auf die altmodische Art zu verlieben?« Declan grinst höhnisch.
Die Idee ist lächerlich. Nach allem, was wir nach dem Tod unserer Mutter mit unserem Vater durchgemacht haben, hat keiner von uns die Absicht, sich zu verlieben. Denn wenn wir daraus eines gelernt haben, dann, dass diese nutzlose Emotion die Menschen schwach und machtlos macht. Sie trübt das Urteilsvermögen und hat die Macht, alles zu zerstören.
In seiner verliebten Version war mein Vater sein bestes Selbst. Aber mein Vater mit gebrochenem Herz? Abstoßend. Erbärmlich. Dermaßen verloren in seinem Selbstmitleid, dass er seine eigenen Kinder zerstört hat, weil er es nicht ertragen konnte, dass sie glücklicher waren, als er selbst es war.
Nein danke. Ich bin bereit, das Risiko einzugehen, mit meinem Job verheiratet zu bleiben. Da spielt die Scheidungsrate keine Rolle.
Iris lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen. »Mr. Kane hat keine Zeit zu verlieren, also ist das wohl naheliegend.«
»Sie kennen ihn nach all den Jahren am besten.« Ich zucke mit den Schultern.
Declan schnappt sich die Papiertüte vom Schreibtisch und nimmt Iris’ Take-away-Box heraus, um sie vor sie zu stellen.
Ich habe heute viele merkwürdige Dinge gesehen, aber das toppt alles.
»Also lass den ganzen Scheiß drum herum weg und sag mir, was bei euch tatsächlich los ist«, grollt Declan.
Als ich mich von Iris abwende, um meinen Bruder anzusehen, stelle ich fest, dass seine Schultern unter dem Anzug angespannt wirken. Was beunruhigt ihn so sehr?
Wahrscheinlich das Gleiche wie dich.
Ich schüttle den Gedanken ab und lege meinen Bericht der vergangenen Woche dar – abzüglich der zunehmenden Anziehungskraft, die meine Angestellte auf mich ausübt.