KAPITEL SIEBZEHN

Zahra

Scott hat mir auf meine Nachricht, in der ich mich bei ihm bedankt habe, noch nicht geantwortet, und es ist inzwischen schon fast eine Stunde her, seit Rowan hier war und mich fast geküsst hätte.

Und du hättest ihn dich beinahe küssen lassen .

Vielleicht lag es an der Art, wie er auf meine Lippen gestarrt hat. Oder daran, dass mir in seiner Nähe jedes Mal auf unangemessene Weise wahnsinnig heiß wird.

Ich versuche mich damit abzulenken, indem ich an meiner Präsentation weiterarbeite, aber ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich in Gedanken abschweife. Es ist ein komisches Gefühl, einen ganzen Tag lang kein Wort mit Scott zu wechseln, und ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Es ging so schnell, dass er zu der Person geworden ist, der ich am Morgen zuerst und abends, bevor ich einschlafe, zuletzt schreibe.

Ich habe zwar keine Ahnung, wie er aussieht, aber ich weiß, dass er ein gutes Herz hat. Ich habe mich schon immer auf mein Bauchgefühl verlassen, und irgendetwas an Scott sagt mir, dass ich dranbleiben sollte, egal wie schüchtern er auch sein mag.

In der Hoffnung, so seine Aufmerksamkeit zu erregen, schicke ich ihm eine Nachricht mit den Anmeldedaten für meinen Streaming-Account.

Ich: Wenn du auch nur ein Wort über meine Zuletzt-gesehen-Liste verlierst, bringe ich dich um.

Ich: Also, wenn ich erst mal deine HP -Adresse rausgefunden habe.

Ich lausche meinem Herzschlag und zähle die Sekunden.

Nichts.

Frustriert schalte ich den Klingelton aus und pfeffere das Handy in eine Schreibtischschublade in der Hoffnung, dass es von der Dunkelheit verschluckt und nie wieder ausgespuckt wird.

Während der Mittagspause hole ich es dennoch wieder heraus – und sehe, dass ich mehrere neue Nachrichten von Scott bekommen habe.

Scott: Wenn du meinen Aufenthaltsort ausfindig machen willst, würde ich vorschlagen, dass du mit einer IP -Adresse anfängst.

Scott: Und ich werde ein mildes Urteil fällen.

Ich grinse albern auf mein Handy hinunter.

Ich: Von wegen. Du hast dir doch schon ein Urteil gebildet.

Scott: Ich? Nein.

Scott: Aber würdest du Von einem Herzog verführt empfehlen?

Ich: Halt die Klappe.

Scott: Das ist aber nicht nett.

Ich: Den habe ich nur zu Recherchezwecken angesehen.

Deswegen und aus anderen Gründen.

Auf keinen Fall werde ich zugeben, dass ich von Juliana De la Rosa und den Verfilmungen ihrer Bücher besessen bin.

Mein Handy vibriert.

Scott: Selbstverständlich. Immerhin bist du eine sehr gewissenhafte Dreamland-Angestellte.

Etwas an seiner Nachricht lässt meine Wangen in Flammen aufgehen.

Scott: Lust, mir auseinanderzusetzen, warum du siebzehn verschiedene Verfilmungen von Stolz und Vorurteil in deiner Liste hast?

Ich: Nennen wir es eine virtuelle Kuscheldecke.

Scott: Aber wer braucht bitte siebzehn Versionen von einem Film?

Ich: Dieselbe Person, die auch mit achtzehn glücklich wäre.

Scott: Du bist wirklich einzigartig.

Ich: Einzigartig ist zufällig mein zweiter Vorname.

Scott: Was ist aus Absurd Umwerfend geworden?

Ein Ziehen in meinem Herzen, als wenn Scott seine Faust darum geschlossen hätte.

Ich: Du bist ganz schön aufmerksam.

Scott: Was leicht ist, wenn du ein offenes Buch bist.

Ich: Vielleicht sollte ich es dir ein wenig schwerer machen.

Nachdem Minuten vergangen sind, und ich immer noch keine Antwort bekommen habe, lasse ich den Kopf auf die Schreibtischplatte sinken. Kaum dass er ein wenig Interesse zeigt, mache ich ihm so viel Angst, dass ich ihn damit in die Flucht schlage.

Mein Handy vibriert.

Scott: Versuch’s ruhig. Ich leide unter ziemlich kämpferischem Ehrgeiz.

Scott: Aber keine Sorge, ich gewinne. Jedes Mal.

Auf einmal habe ich einen ganzen Schwarm winzig kleiner Schmetterlinge im Bauch. Es ist das erste Mal, dass Scott so offensiv mit mir flirtet.

Ich: Für jemanden, der sich hinter einem Bildschirm versteckt, klingst du ganz schön selbstbewusst, was deine Fähigkeiten angeht.

Ich wollte einen flirtenden Ton treffen, aber anscheinend habe ich danebengegriffen.

Je mehr Zeit ohne eine Antwort von ihm vergeht, desto unruhiger werde ich. War ich zu schnell zu offensiv? Dabei sollte es nur ein Scherz sein.

Die Antwort auf die Frage, die ich mir selbst stelle, wird von den Stunden beantwortet, die vergehen, ohne dass ich etwas von Scott höre, und am Ende des Tages fühle ich mich ganz leer.

Vielleicht habe ich einen wunden Punkt getroffen, der ihn verlegen macht. Er könnte mit Problemen mit seinem Körper oder mit einer Form von Sozialphobie zu kämpfen haben, die ich verschlimmert habe, weil ich neugieriger bin, als ich es sein sollte. Und die Wahrheit ist, ich fange an, unsere Freundschaft zu genießen. Es würde mich wahnsinnig traurig machen, wenn ich ihn verschreckt hätte, vor allem, nachdem mich eine einzige Flirtnachricht von ihm ganz kribbelig gemacht hat.

Ab sofort, das schwöre ich mir, werde ich ihn nicht mehr mit Fragen zu seiner Identität belästigen. Sie spielt keine Rolle. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass er sich langsam öffnen wird, wenn ich ihm nur die Zeit gebe, mit mir warm zu werden. Wenn ich Ralph, der alle hasst, zum Lächeln bringen kann, dann kann ich alles schaffen.

* * *

Mist! Ich komme zu spät!

Ich stopfe Laptop und Handy in meine Handtasche, bevor ich aus meinem Büro stürze.

Die Lagerhalle ist menschenleer, als ich auf dem Weg zum Konferenzraum hindurchrenne. Meine Atemzüge kommen keuchend und abgerissen, als ich die Tür aufreiße und damit Jenny unterbreche. Alle Köpfe drehen sich in meine Richtung, und ich werde knallrot.

»Unpünktlichkeit wird hier nicht toleriert. Wenn das noch mal vorkommt, werden Sie die Zeit wieder reinarbeiten müssen.« Rowan macht sich nicht mal die Mühe, von seinem Handy aufzusehen.

Sein Rüffel lässt mich gefühlt fünf Zentimeter schrumpfen.

Als ich mich hastig umsehe, wird mir klar, dass der einzige freie Sitzplatz der neben Rowan ist. Meine gerechte Strafe dafür, dass ich geflirtet habe, statt zu arbeiten.

Großartig. Grandios. Der Tag kann kaum noch besser werden.

»Setzen Sie sich oder verlassen Sie den Raum.« Sein autoritärer Tonfall ärgert mich.

Mit hoch erhobenem Kopf setze ich mich auf den Stuhl neben ihn. Sofort steigt mir sein Duft in die Nase. Er erinnert mich an eine Meeresbrise, mit der ich vielleicht rechnen würde, wenn ich gerade auf den Fidschis Urlaub mache, aber nicht hier. Ich rücke mit dem Stuhl so weit wie möglich von ihm ab, ohne den Entwickler zu meiner anderen Seite zu stören.

»Da wir jetzt endlich komplett sind, fahren Sie fort.« Rowan bedeutet Jenny mit einer Geste weiterzusprechen.

Mein Magen zieht sich zusammen.

Jenny bedenkt mich mit einem freundlichen Lächeln, bevor sie sich wieder an alle Anwesenden richtet. »Wer möchte anfangen?«

Niemand rührt sich. Niemand erhebt sich von seinem Platz, während sich Jenny in der Runde umsieht. Ein komplettes Kontrastprogramm zu unserem Meeting am vergangenen Freitag, und ich bin mir sicher, dass das allein an dem Mann mit dem Stirnrunzeln neben mir liegt.

»Na kommt schon.« Jenny lacht nervös. »Müssen wir erst Namen ziehen?«

Niemand bewegt sich auch nur einen Zentimeter.

»Ich fange an.« Auf wackeligen Beinen, die jede Sekunde unter mir nachgeben könnten, stehe ich auf.

Rowan sieht mich mit seinem üblichen leeren Blick an, bevor er nickt. Seine dunklen Augen erinnern mich an den Weltraum – unendlich, gefährlich. Etwas, worin ich mich verlieren könnte.

Mit zittrigen Händen öffne ich PowerPoint. Mein Lampenfieber hat sich seit meiner ersten Präsentation etwas gelegt, trotzdem fange ich jedes Mal an zu zittern. Rowans Blick jagt mir ein Prickeln den Rücken hinab, das ich nicht richtig einordnen kann. Am Ende klicke ich zweimal auf die falsche Datei, bevor ich mich wieder unter Kontrolle habe. Erst nach ein paar tiefen Atemzügen schaffe ich es endlich, dass sich mein Herzschlag beruhigt.

Während meiner Präsentation ignoriere ich Rowan. Seine gerechte Strafe dafür, wie er mich vor allen anderen behandelt hat.

Nach meinem Schlusssatz beginnen die Entwickler zu klatschen, und ich fühle mich ein wenig besser.

»Da ist noch viel Luft nach oben«, wirft Rowan ein.

»Wie bitte?« Ich drückte die zu Fäusten geballten Hände an mein Kleid.

»Wie wäre es, wenn wir den kompletten Aufbau des Fahrgeschäfts ändern.«

»Den ganzen Aufbau?« Tief durchatmen, Zahra.

»Anstatt dass die Achterbahnwagen den fliegenden Drachen darstellen, lassen wir den Drachen Teil der Fahrt sein. Wir behalten Ihre Bergidee bei, aber ich möchte, dass die Achterbahn in die dunklen Höhlen eintaucht, als würden die Fahrgäste dem Drachen entkommen. Ich will Feuer, Spezialeffekte, Animatronik und Rückwärtsspuren.«

Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr aus der Bahn wirft, die Tatsache, dass Rowans meine Idee im Vergleich mit seiner blass wirken lässt, oder der Ausbruch von Leidenschaft in seiner Stimme, die mir vollkommen neu ist. Es ist, als hätte ihn jemand an eine Steckdose angeschlossen und sein Bewusstsein eingeschaltet. Sein finsterer Gesichtsausdruck weicht einem verhaltenen Lächeln, während er auf die Projektion sieht. Das Licht bringt einen wunderschönen honigfarbenen Braunton in seinen Augen zum Vorschein, der mir bisher noch nicht aufgefallen ist.

»Rückwärts? So etwas hatten wir noch nie.«

»Offensichtlich.« Sein trockener Tonfall gibt mir das Gefühl, über den IQ einer Erbse zu verfügen. »Ihre Idee bildet einen guten Ausgangspunkt, aber wir müssen den Einsatz erhöhen. Nächster.« Er entlässt mich mit einer Handbewegung.

Ich möchte auf Rowan sauer sein, weil er meine Idee auseinandergenommen hat, bis daraus ein komplett anderes Konzept geworden ist, aber es begeistert mich. An eine rückwärtsfahrende Achterbahn habe ich noch nie gedacht.

Er will, dass ich den Einsatz erhöhe? Kann er haben. Aber er sollte sich warm anziehen.

Mit gerecktem Kinn nehme ich wieder neben Rowan Platz. Ich bin ihm näher als eben und als es mir lieb ist, und daran ist allein der Entwickler zu meiner anderen Seite Schuld, der meinen Stuhl so weit wie möglich von sich weggeschoben hat. Als wäre meine nach hinten losgegangene Präsentation ansteckend.

Während des restlichen Meetings klammere ich mich an meinem Stift fest. Jedes Mal, wenn Rowan sein Bein bewegt, sprühen Funken meinen Körper hinauf bis zu meinem Herzen. Ich bin versucht, mir während einer kurzen Pause den Platz von jemand anderem zu schnappen, aber das wäre lächerlich unreif. Es ist schließlich nur sein Bein.

Und warum wirst du dann jedes Mal rot, wenn er dich streift?

Mein Stift bohrt sich durch mehrere Seiten meines Notizhefts.

Alle anderen präsentieren ihre Ideen, die eine breite Palette von Fahrgeschäften bis hin zu einem neuen Hotel, das auf einem Dreamland-Film basiert, abdecken. Ich bin dankbar, mich zuerst gemeldet zu haben, da sich Rowans Stirnrunzeln mit jeder Präsentation vertieft. Er schreibt wie wild Notizen und stellt Fragen, als befänden wir uns in einem Gerichtssaal und die Entwickler sich im Kreuzverhör. Das Feedback, das er mir gegeben hat, verblasst im Vergleich mit den harten Urteilen, die die anderen von ihm zu hören bekommen.

Ein kollektives Seufzen der Erleichterung ist zu hören, nachdem der letzte Kollege seine Präsentation beendet hat.

»Die Ideen waren bestenfalls suboptimal.« Rowans Ton ist schärfer als sonst. Er steht auf und knöpft sein Jackett zu.

»Ich möchte, dass Sie alle damit aufhören, meine Zeit zu verschwenden, und mich stattdessen mit bahnbrechenden Ideen überraschen, die mich beeindrucken. Wenn ich weiterhin den Eindruck habe, dass Ihre Vorschläge mangelhaft sind, dann werde ich gezwungen sein, Leute zu finden, die bereit sind, den Job gleich beim ersten Mal richtig zu erledigen. Betrachten Sie dies als erste und letzte Warnung.«

Der Entwickler neben mir schluckt laut. Ich schaue zu ihm hinüber und bemerke den Schweißfilm auf seiner Stirn. Als mir der Geruch in die Nase steigt, den er ausströmt, bin ich auf einmal froh, weiter von ihm entfernt zu sitzen.

»Bis auf Weiteres wird von den Mitarbeitern erwartet, dass sie Zwölf-Stunden-Tage absolvieren, um Produktivität und Kreativität zu steigern.«

»Bekommen wir eine Gehaltserhöhung?«, meldet sich jemand von hinten zu Wort.

Rowans ausdrucksloser Blick jagt mir einen Schauer über den Rücken. »Soll ich Sie alle etwa noch dafür belohnen, dass Sie durchschnittlich sind?«

O mein Gott. Hat er das gerade wirklich gesagt?

Rowans Frustration mag in gewisser Hinsicht verständlich sein, ist aber deswegen noch lange nicht gerechtfertigt. Die Entwickler sind es nicht gewohnt, in so schneller Folge neue Ideen zu produzieren. Jeden Freitag ein innovatives Konzept zu präsentieren, ist hart. Auch ich habe damit zu kämpfen – nicht, dass ich das jemals eingestehen würde.

»Gehaltserhöhungen werden verdient, nicht vergeben.« Damit verlässt Rowan den Konferenzraum, ohne sich zu verabschieden.

Wir sinken alle auf unsere Stühle.

Jenny räuspert sich. »Wow, das hat gesessen. Gibt es Fragen?«

Jemand stöhnt auf, und ich recke in Gedanken solidarisch eine Faust.