KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

Zahra

Ich straffe die Schultern und klopfe an die Tür von Rowans Büro. Nach unserem Streit bin ich bereit, mich dem zu stellen, was er mir zu sagen hat, auch wenn es sich seit seiner Nachricht von gestern so anfühlt, als würde mir das Herz für alle Zeiten in der Kehle sitzen.

»Herein.«

Als ich das Büro betrete, sitzt Rowan an seinem Schreibtisch. Sein Hemd ist knittrig, und er hat die Ärmel hochgekrempelt, was seine muskulösen Unterarme zum Vorschein bringt. Beim Anblick der Venen, die sich unter der Haut abzeichnen, wird mein Mund ganz wässrig, und ich verspüre auf einmal das dringende Bedürfnis, sie mit den Lippen nachzufahren.

Als ich ihm ins Gesicht sehe, bleibe ich abrupt stehen.

Rowan trägt eine Brille. Ein Modell mit breitem schwarzem Rahmen, wie sie ein Superheld trägt, wenn er in seine bürgerliche Rolle als Reporter schlüpft. Sein Aussehen bringt mich völlig aus dem Konzept. Es ist … Gott … Wow. Sein Gesicht wirkt durch die Brille strenger, sie betont jeden scharfen Zug darin. Ich möchte die Hand ausstrecken und die dunklen Schatten berühren, die seine Kieferpartie bedecken. Es trägt zu seinem markanten Look bei. Während ein glatt rasierter Rowan schon verlockend ist, lässt diese zerzauste Version von ihm mein Blut im Takt meines unberechenbaren Herzens brodeln.

»Nimm bitte Platz.« Er deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Ich folge seiner Aufforderung und lasse mich darauf fallen. Es ist gar nicht so leicht, sich einigermaßen anmutig zu bewegen, wenn man gerade fast sabbert.

Rowan holt eine Akte heraus und legt sie vor sich auf seinen Schreibtisch. Seine Augen bleiben auf seine geballten Fäuste zu beiden Seiten der Mappe gerichtet, und ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Herz wegen der irritierenden Stille jeden Augenblick explodieren kann.

»Was ist das?« Ich zeige auf die Akte. »Bitte sag mir jetzt nicht, dass es eine Schweigevereinbarung oder was ähnlich Ruchloses ist.«

Er reißt sich die Brille herunter. Bedauernd beobachte ich, wie sie ein Stück über den Tisch schlittert. »Nein, nichts in der Art.«

»Okay, dann …«

Er sieht mir nicht mal in die Augen. »Ich habe dich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in mein Büro bestellt.«

»Entschuldigung, wie bitte?«

»Hör mir erst zu, bevor du etwas dazu sagst, okay?« Er sieht mich aufmerksam an.

»Hm … Okay?«

Er nimmt die Akte in beide Hände, sodass sie sich in der Mitte wölbt. »Vor ein paar Monaten habe ich eine Entscheidung getroffen, deren Auswirkungen weiter reichen, als ich beabsichtigt hatte. Obwohl ich damals nicht mit den besten Absichten gehandelt habe, ist es schnell zu etwas geworden, das mir Spaß gemacht hat.«

»Ich kann dir nicht folgen.«

Er kneift sich mit zwei Fingern in den Nasenrücken. »Ich habe keine Ahnung, wie ich es dir sagen soll, ohne dich wütend zu machen.«

Mich ergreift ein ungutes Gefühl. Wenn Rowan Angst davor hat, mich wütend zu machen, kann das nichts Gutes bedeuten.

»Dann probier es.« Ich beiße die Zähne zusammen. Das Blut rauscht dermaßen laut in meinen Ohren, dass es mir schwerfällt, mich zu konzentrieren.

Er schiebt die Akte zu mir rüber. »Schlag sie auf.«

Mit zitternden Fingern schlage ich die Mappe auf.

Bei der ersten Seite handelt es sich um die Zeichnung meines Mandap von der hinduistischen Hochzeit. Ich fühle mich wie in Trance, als ich Seite um Seite mit Skizzen durchblättere, die ich Scott gebeten habe, für mich zu erstellen. Es befinden sich sogar ein paar Zeichnungen in der Akte, die es in keine meiner Präsentationen geschafft haben, weil Scott und ich uns dagegen entschieden haben.

»Hast du die von Scott?« Meine Stimme zittert. Wie sonst hätte Rowan an all die Bilder kommen sollen?

Er schüttelt den Kopf.

»Stecke ich in Schwierigkeiten? Ich dachte, dass es okay ist, wenn ich mit ihm zusammenarbeite.«

»Nein, du steckst nicht in Schwierigkeiten.«

»Aber woher hast du die Zeichnungen?«

Er stößt den Atem aus. »Weil es keinen Scott gibt.«

Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen. »Wie meinst du das?«

Er spannt den Kiefer an. »Ich war derjenige, der die ganze Zeit über mit dir getextet hat.«

Nach all den Stunden, die ich mich wegen meiner wachsenden Gefühle für Rowan und Scott schuldig gefühlt habe, waren sie dieselbe Person?

»Soll das ein Scherz sein?« Ich schüttle den Kopf, als könnte ich die Wahrheit damit irgendwie ausradieren.

»Nein.«

Galle steigt mir die Kehle hoch. Ich schlucke, versuche den Kloß in meinem Hals loszuwerden, aber es hilft nicht.

Wie konnte Rowan mich so anlügen? Ich habe ihn auf eine seltsame Weise immer für vertrauenswürdig gehalten. Dass sein scharfer Humor und seine pointierte Wortwahl bedeuteten, dass er direkt war. Jemand, der einfach wenig Zeit für Bullshit hat.

O Gott . Rowans tadelloses Timing ergibt auf einmal in jeder Hinsicht Sinn. Zum Beispiel, als er in meinem Büro aufgetaucht war und angeboten hatte, Essen zu bestellen, nachdem ich Scott geschrieben hatte, dass ich noch nicht zu Abend gegessen hatte. Ich würde Stunden brauchen, um alle meine Erinnerungen durchzugehen, um die Punkte zu verbinden, aber das alles muss mich nicht interessieren. Es gibt nur eine Schlussfolgerung.

Ich habe mich in Rowan getäuscht. Er ist die schlimmste Art von Lügner, ein Mann, der mich monatelang an eine Lüge glauben ließ, weil er irgendein krankes Spiel mit mir spielen wollte.

Meine Augen werden feucht, aber ich blinzle die Tränen weg. Ich habe kein Recht, mich über irgendjemanden außer mich selbst zu ärgern. Es ist meine Schuld, dass ich einem Fremden eine Nachricht geschrieben habe, weil ich dachte, ich könnte unbeschadet davonkommen. Ich habe Scott trotz der Warnzeichen, die ich in meiner Naivität ignoriert habe, vertraut.

Hab Spaß , sagt Claire immer wieder zu mir.

Sei mutig , höre ich Ani in meinem Kopf wiederholen.

Und wofür? Für dieses Gefühl, etwas zu verlieren, das ich nie hatte? Scheiß drauf.

Ich schließe die Augen, als könnte ich damit alles abwehren, was sich gerade als bittere Realität herausgestellt hat. »Warum?«

Warum tust du mir so etwas an?

Warum hast du mich monatelang angelogen?

Warum hast du so getan, als würdest du dich für mich interessieren?

Da sind so viele Fragen, die auf mich einstürmen, trotzdem finde ich keine Worte, um sie ihm zu stellen.

Als ich die Augen wieder öffne, senkt Rowan den Blick auf seine Fäuste. »Zuerst war ich mir nicht sicher, was deine Motive angeht. Ich habe dir geschrieben, um sicherzugehen, dass du nach unserem ersten Kuss nicht heimlich etwas gegen mich planst.«

Ist das sein Ernst?!

»Du wolltest mich ausspionieren?«

»Nein, ich wollte nur überprüfen, ob du aufrichtig bist.«

Diese Unterhaltung macht mich vollkommen fertig. Es fällt mir schwer zu fassen, dass er mir nur geschrieben hat, um sicherzustellen, dass ich keinen Skandal anzettele. Der Gedanke tut weh.

»Aber mit der Zeit ist mir klar geworden, dass es dumm von mir war«, fährt er fort. »Weil du der absolut netteste Mensch bist und mit irgendeinem einsamen Kerl Nachrichten austauschst, den du noch nie getroffen hast.«

»Ein Kerl, der gar nicht existiert«, fahre ich ihn an.

»Ich bin er. Und ich schwöre dir, dass ich dich als Scott – abgesehen vom Offensichtlichen – niemals angelogen habe. Nachdem ich meinen Fehler eingesehen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich habe mich auf unsere Unterhaltungen gefreut, und ich wusste, dass du wütend …«

Ich hebe eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und schließe die Augen. »Hör auf.«

Doch er hört mir nicht zu. »Es war nie meine Absicht, die Dinge dermaßen … außer Kontrolle geraten zu lassen. Immer wieder habe ich mir vorgenommen, dir die Wahrheit zu sagen, aber ich wollte, dass du mich ansiehst wie dein verdammtes Handy.«

Ich habe keinen Schimmer, was das bedeuten soll, aber ich werde ihn garantiert nicht danach fragen. »Diese Gefühle sind auf jeden Fall verschwunden.«

Er zieht die Brauen zusammen. »Das meinst du nicht ernst.«

»Ach nein? Und was genau empfindest du für mich?«

Er reibt sich mit dem Daumen über die Unterlippe. »Ich möchte mehr Zeit mit dir verbringen.«

Ich verpasse der Mappe einen Stoß, sodass sie auf seine Tischseite zurückschlittert. »Deine Gefühle sind irrelevant. Es interessiert mich nicht, was du willst, weil ich für nichts davon offen bin. Das alles war ein großer Fehler.«

Es ist nicht zu übersehen, dass sich sein gesamter Körper bei meinen Worten anspannt; die Venen an seinen Unterarmen treten noch stärker hervor als zuvor. »Ich wollte damit aufhören, dir zu schreiben, aber ich habe es nicht geschafft.«

Sein Bekenntnis droht meine Entscheidung ins Wanken zu bringen, und ich hole ein paarmal tief Luft, um das Ausmaß seines Betrugs abzuwägen.

Nein. Er ist gut im Lügen, und außerdem würde er alles mögliche sagen, nur um dich weiter am Haken zu haben. Damit ist jetzt Schluss.

»Ich kann dir nicht vertrauen, wenn du eine Lüge nach der anderen erzählst.« Meine Stimme bricht.

Der Zug um seine Augen wird sanfter. »Ich schwöre dir, dass jedes Wort jeder Unterhaltung, die wir geführt haben, wahr ist. Der Mensch, der ich mit dir bin … das ist mein wahres Ich. Du kennst mich wahrscheinlich besser als jeder andere.«

»Das ist mir egal.« Ich schüttle den Kopf. Wie kann er erwarten, dass ich auch nur eins der Worte, die aus seinem Mund kommen, glaube?

»Ich schwöre, dass ich es dir sagen wollte.«

»Und lass mich raten – es war nie der richtige Moment?«

Er nickt.

Ich stoße ein schrilles Lachen aus. »Ihr Lügner seid alle gleich. Es ist faszinierend, dass ihr ungeachtet der Umstände immer einen Weg findet, eure Taten mit den gleichen klischeebehafteten Gründen zu rechtfertigen.« Nachdem ich ihn mit Tammy erwischt hatte, war Lance schnell dabei gewesen, mich mit ähnlichen Phrasen abzuspeisen, und jetzt tut Rowan genau das Gleiche. Die Wahrheit ist, dass es niemals den richtigen Moment gibt, jemandem das Herz zu brechen.

Er sieht mich blinzelnd an. »Ich verstehe, dass du wütend …«

Ein seltsamer Laut dringt aus meiner Kehle. »Wütend beschreibt nicht mal annähernd, was ich empfinde.«

Ich dachte, ich hätte eine Chance mit Rowan. Im Nachhinein scheint es vielleicht naiv, aber wir hatten eine … Verbindung. Und mit Scott … Es gab viel zu viele Augenblicke, in denen ich mich ihm gegenüber schuldig gefühlt habe, Rowan geküsst zu haben.

Immerhin kennst du jetzt die Wahrheit. Bevor du dein Herz in einem Kampf verloren hast, den du niemals hättest gewinnen können .

Ich erhebe mich auf wackligen Beinen und nehme meinen Rucksack.

»Was hast du vor?« Er steht ebenfalls auf.

»Ich gehe. Wir sind hier fertig.«

»Das ist alles? Ich verdiene eine Chance, dir alles zu erklären und es wiedergutzumachen.«

Ich schüttle den Kopf. »Du verdienst nicht mehr als ein höfliches Hallo, wenn wir uns zufällig im Flur über den Weg laufen sollten.«

»Du bist bereit, wegen dieser Sache Monate der Freundschaft einfach wegzuwerfen? Ich habe dir die Wahrheit gesagt, obwohl mich nichts dazu gezwungen hat. Zählt das überhaupt nichts?«

Glaubt er tatsächlich, dass seine Ehrlichkeit eine dermaßen große Leistung ist? Ich starre ihn an, während ich mich frage, wie er tatsächlich erwarten kann, dass ich ihm auch noch dankbar dafür bin.

Er ist ein Mann, der alles bekommt, was er will. Du bist vielleicht der erste Mensch, der Nein zu ihm sagt.

»Wir waren nie Freunde. Dafür hast du gesorgt, als du dich entschieden hast, mich als Scott anzulügen, während du mich als Rowan manipuliert hast, dich attraktiv zu finden.« Ich lache bitter auf. »Vielleicht hat die Tatsache, dass du keine Freunde hast, gar nichts damit zu tun, dass du ein wenig merkwürdig bist oder dich vor anderen Leuten schützen möchtest. Sondern damit, dass du so verdammt zynisch bist – in Bezug auf alles und jeden. Wer würde sich so jemandem gegenüber öffnen wollen? Ich auf jeden Fall nicht.«

Als er bei meinen Worten zusammenzuckt, fühle ich mich auf der Stelle beschissen. Das bin nicht ich. Ich bin niemand, der andere absichtlich verletzt.

Mit einem Seufzen versuche ich, mich zu beruhigen. »Vielleicht wirst du eines Tages bereit sein, der Welt dein wahres Ich zu zeigen, statt dich hinter dieser Fassade aus Gleichgültigkeit zu verbergen. Das Leben ist zu kurz, um sich aus Angst, verletzt zu werden, zu verstecken. Und es ist außerdem zu kurz, als dass ich jemandem wie dir eine zweite Chance geben würde.«

Ich habe Rowan noch nie in sich zusammensinken sehen, und mir wird schlecht bei dem traurigen Anblick, den er bietet. Trotz allem, was er getan hat, möchte ich ihm nicht wehtun, aber ich werde mich nicht länger zum Schweigen bringen lassen. Dafür habe ich schon viel zu viel Zeit damit verbracht, Angst davor zu haben, für mich selbst einzustehen. Ich habe es nicht getan, als Lance meine Idee geklaut hat, und auch nicht, als Regina mich schlecht behandelt hat, einfach nur weil ihr danach war.

Aber damit ist jetzt Schluss.

Ich verlasse sein Büro, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.

* * *

Ich knalle die Tür zu meinem Zimmer hinter mir zu und lasse mich mit einem Stöhnen aufs Bett fallen.

Kurz darauf streckt Claire den Kopf herein. Die eine Hälfte ihrer Haare ist noch lockig, die andere bereits geglättet. »Was ist passiert?«

Ich setze mich auf. »Erinnerst du dich an Scott?«

»Wie könnte ich Scott vergessen?« Sie trällert seinen Namen.

»Na ja, ich werde es auf jeden Fall versuchen. Ehrlich gesagt möchte ich so tun, als hätte es ihn nie gegeben – was tatsächlich so ist.« Meine Stimme bricht.

»Wovon redest du? Hat er sich als alter Opa herausgestellt? Ich hatte schon so ein Gefühl, nachdem er das eine Mal Casablanca erwähnt hat.«

»Nein. Ich wünschte, es wäre so. Zumindest wäre es einfacher, damit umzugehen, als mit dem, was tatsächlich passiert ist.«

Sie setzt sich im Schneidersitz zu mir aufs Bett. »Was ist denn passiert?«

Meine Unterlippe beginnt unkontrolliert zu zittern. »Wie sich rausgestellt hat, ist Scott Rowan.«

Sie öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Dann sagt sie schließlich: »Oh, wow, das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

Ich lasse den Kopf in die Hände sinken. »Ich auch nicht.«

»Wie hast du es rausgefunden?«

Ich erzähle ihr alles, was ich bisher weiß, und Claire hört geduldig zu, unterbricht mich nur, wenn sie eine Nachfrage hat.

Als ich fertig bin, klatscht sie in die Hände. »Aber letzten Endes ist das alles nicht so schlimm.«

»Wie bitte? Er hat mich angelogen!« Ich schnappe mir ein Kissen und umarme es.

»Ja, hat er. Und das will ich auch gar nicht entschuldigen. Aber jetzt musst du dich wenigstens nicht mehr schuldig fühlen, an beiden interessiert zu sein.«

»Weil ich an keinem von beiden mehr Interesse habe.«

»Ja … Ja, natürlich nicht. Er hat es versaut.«

»Ich dachte … Er schien … Ich meine …« Mir fehlen die Worte, um meine Gefühle zu beschreiben. Noch vor wenigen Tagen habe ich mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, mich in Rowan zu verlieben. Aber nach dieser Geschichte frage ich mich, wieso er glaubt, dass ich ihm jemals verzeihen könnte. Er hat mich monatelang angelogen; wer sagt mir, dass er das nicht wieder tun wird, wenn es ihm gerade in den Kram passt? Immerhin war ich naiv genug, ihm schon einmal zu glauben.

Ein Lügner bleibt ein Lügner, ganz egal, welche Entschuldigungen er vorbringt. Und ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendetwas es wert ist, mich so lange zu täuschen, wie er es getan hat.