KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

Rowan

Bin ich zynisch? Ja.

Habe ich Angst? Nein.

Ich werde es Zahra beweisen. Ich bin bereit, mich offen zu zeigen und mich zurückweisen zu lassen, wenn ich ihr damit klarmachen kann, dass ich mich nicht hinter einer Maske verstecken muss. Die Person, die ich in ihrer Gegenwart war, ist dieselbe, die ich heute bin, und ich werde sicherstellen, dass sie keinen Grund hat, an mir zu zweifeln. Sie ist der erste Mensch, für den ich bereit bin, die Mauer, die ich um mich herum errichtet habe, ein wenig bröckeln zu lassen. Nicht mal meine Brüder kennen mich so gut wie sie, deswegen werde ich nicht einfach aufgeben, nur weil sie mich herausfordert.

Ich seufze. Der heutige Abend ist nicht das kleinste bisschen so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Zahras Reaktion auf mein Bekenntnis war alles andere als ideal. Vielleicht war ich zu optimistisch, was das Gespräch angeht – zu erwarten, dass sie mir verzeihen würde, weil sie mich kennt. Aber ich habe keine Chance bekommen, ihr von meiner Vergangenheit zu erzählen und davon, warum ich von Anfang an so zurückhaltend war. Und um ehrlich zu sein, gibt es einen Teil von mir, der sich fragt, ob es das Risiko wert ist, mich ihr zu offenbaren, wenn sie mir dennoch nicht verzeiht.

Ich muss mir etwas überlegen und planen, was als Nächstes zu tun ist. Anstatt bis spät in die Nacht zu arbeiten, gehe ich nach Hause, um zu trainieren, zu duschen und schnell zu Abend zu essen. Als ich mich ins Bett fallen lasse, ist es Viertel nach zwölf.

Ich zücke mein Handy und checke meine E-Mails. Das typische Muster, in das ich heute Abend zurückverfallen bin, fühlt sich leerer an als sonst. Ich habe mich an Zahras regelmäßige Nachrichten und unsere Gespräche über Gott und die Welt vor dem Schlafengehen gewöhnt.

Ich lege mein Telefon auf meinen Nachttisch und schalte die Nachrichten ein in der Hoffnung, mich in den Schlaf zu langweilen.

Als mein Telefon vibriert, beschleunigt sich mein Herzschlag. Bereut Zahra, was sie im Büro zu mir gesagt hat?

Ich nehme mein Handy. Als ich sehe, dass es eine Nachricht im Gruppenchat mit meinen Brüdern ist, legt sich ein schweres Gewicht auf meine Brust.

Declan: Vater hat seinen eigenen Brief erhalten. Damit ist es offiziell.

Cal schickt eine Reihe Flüche.

Verdammt . Ich hatte bereits das Gefühl, dass er auch einen bekommen würde, also überrascht mich die Nachricht nicht so sehr, wie sie es tun sollte. Ich bin eher neugierig, was in dem Brief steht, weil die Beziehung meines Vaters zu meinem Großvater seit dem Tod meiner Mutter angespannt war. Der einzige Grund, aus dem Vater nach Grandpas Unfall die Geschäftsführung übernommen hat, war, dass Declan nach Großvaters Meinung noch zu jung war.

Ich: Hast du rausfinden können, was drinsteht?

Declan: Bisher nicht. Wir sollten uns gegenseitig auf dem Laufenden halten, ob er etwas tut, das ungewöhnlich für ihn ist.

Cal: Möchtest du die kurze oder die lange Version?

Declan: Ihr habt geredet?

Cal: Er hat mich letzte Woche überraschend angerufen.

Ich: Was hat er gesagt?

Cal: Er hat gefragt, ob ich Hilfe brauche. ICH .

Cal: Ich frage mich, bei wem ich mich für die merkwürdige Unterhaltung bedanken darf – bei Jim, Jack oder Johnnie?

Declan: Ich hab dich gewarnt, dass das passieren wird, wenn du dich nicht unter Kontrolle hast.

Nicht wieder das . Declan hat Cal schon mal zu einem Entzug gedrängt, das war während des Colleges. Das war der Auslöser, der ihre ohnehin schon nicht besonders gute Beziehung endgültig kaputt gemacht hat. Declan hat es vielleicht aus Liebe getan, aber Cal ist nie darüber hinweggekommen.

Ich: Hat er dich nach deinem Brief gefragt?

Vielleicht hängt er sich an Cal dran, weil er glaubt, aus ihm am ehesten eine Antwort rauszubekommen. Zu ihm hat er immer die beste Beziehung gehabt.

Cal: Nein. Ich glaube nicht, dass er von unseren Briefen weiß.

Declan: Dann sollte es auch dabei bleiben.

Gut. Ein Hindernis weniger, das mir im Weg steht. Beim Gedanken, nach Chicago zurückzukehren, geht es mir normalerweise immer besser, aber dieses Mal zieht sich mein Magen bei der Vorstellung nur noch mehr zusammen. Zum ersten Mal fühlt es sich nicht nach einer leichten Entscheidung an, und ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.

* * *

Meine erste Idee, Zahras Aufmerksamkeit zu erregen, ist über ihre Liebe fürs Essen. Das hat schon in der Vergangenheit funktioniert, also kann ich meine Theorie auch gleich in die Tat umsetzen.

Ich finde sie genau dort vor, wo ich sie haben möchte – in ihrem Büro ohne irgendwelche anderen Entwickler drum herum. Sie starrt auf ihren Computer, bevor sie etwas in ein leeres Dokument tippt.

Ich lasse die mitgebrachte Tüte auf ihren Schreibtisch fallen. »Ich komme mit einem Entschuldigungsabendessen.«

Sie schiebt die Tüte bis an die Kante ihres Schreibtisches, ohne auch nur eine Sekunde den Blick vom Bildschirm zu lösen. »Kein Interesse.«

Sie tippt weiter.

Ich beiße die Zähne zusammen, unsicher, wie ich ihre Aufmerksamkeit erregen soll, wenn sie mich noch nicht mal ansieht. Essen sollte eigentlich einen Effekt auf sie haben, vor allem wenn sie hungrig ist. Aber anscheinend funktioniert das nur, wenn sie tatsächlich an meiner Gesellschaft interessiert ist.

»Wie wäre es mit ein paar selbst gebackenen Entschuldigungs-Cupcakes? Ani hat mir ihr Rezept gegeben.« Ich hole den Plastikbehälter aus der Tüte und stelle ihn neben ihren Arm.

Okay, ja, Ani hat sie gebacken – während ich zugesehen habe.

Sie schaut zu mir rüber und fixiert mich. »Bist du hier, um etwas wegen der Arbeit zu besprechen?«

Ihr kalter Tonfall sorgt dafür, dass ich das Gesicht verziehe. »Nein.«

»Dann raus. Ich möchte nicht mit dir reden.«

Verdammt, diese Version von Zahra ist mir neu. Und ich glaube, es ist schlimmer als ihre Reaktion auf meine blöden Kommentare zu ihrem Mentorenprogramm.

»Gib mir wenigstens eine Chance, es dir zu erklären. Ich bin die ganze Sache nicht richtig angegangen, aber ich hatte meine Gründe.«

»Kein Grund in der Welt wäre gut genug.« Sie steht auf und drückt mir die Tüte mit dem Essen in die Hände. Dann nimmt sie den Plastikbehälter mit den Cupcakes und stellt ihn auf die Pappkartons mit chinesischem Take-out, wobei sie darauf achtet, die Glasur nicht zu zerdrücken. Ich verdiene die nette Geste nicht, aber sie tut es trotzdem, weil sie einfach so verdammt gut ist.

Und ich bin nur verkorkst – in der Art, wie ich handle, und in der, wie ich denke.

Ich hasse diesen finsteren Blick, mit dem sie mich anstarrt. Viel lieber würde ich sie zum Lächeln bringen, und ich fühle mich noch beschissener, weil mir klar ist, dass ich der Grund für ihre Wut bin.

Wenn du es ihr nur früher gesagt hättest …

»Zahra … Ich hätte wegen Scott nicht lügen dürfen. Ich habe ihn benutzt, um einen Weg …« Ich beende den Satz nicht, als sie sich ihren Rucksack schnappt und den PC herunterfährt. »Wo willst du hin?«

Sie würdigt mich keines Blickes. »Ich gehe nach Hause. Vielleicht solltest du das Gleiche tun.«

Ich möchte ihr sagen, dass zu Hause nur ein weiterer leerer Ort ist, an dem ich mich schrecklich fühle. Aber sie lässt mir keine Chance dazu, als sie in der nächsten Sekunde aus dem Büro stürmt und mich mit einer Tüte Essen und der Leere stehen lässt, die meine Brust ausfüllt.

* * *

»Okay, lass uns mal annehmen, jemand hat deine Schwester verletzt. Alles rein hypothetisch.«

»O nein.« Ani lässt die Stirn in eine Hand sinken.

Ich drehe mich auf der Bank ein Stück zur Seite, um sie ansehen zu können. »Was?«

»Dann hast du meiner Schwester wehgetan?«

»Nein.« Ja . Aber woher weiß sie das?

»Wusste ich doch, dass sie wegen irgendwas traurig ist!« Ani springt von der Bank auf und beginnt, davor auf und ab zu laufen.

»Wie meinst du das?«

»Sie hat unsere Verabredung zum Abendessen abgesagt. Familienzeit verpasst sie nur dann, wenn sie traurig oder krank ist.«

Fuck . Das ist das Letzte, was ich möchte.

»Ich hab’s versaut.«

Ani verdreht die Augen. »Verstehe.«

»Wie kann ich es wiedergutmachen?«

»Kommt drauf an, was du getan hast.«

Bin ich wirklich bereit, Ani meine Probleme zu gestehen, um ihre Schwester besser zu verstehen?

Jepp, anscheinend bin ich es .

»Es hat mit einer ziemlich schlechten Idee angefangen.« Dann erzähle ich ihr alles. Und je länger ich rede, desto beschissener fühle ich mich wegen allem. Und Anis Miene hilft auch nicht gerade.

»Und? Sag was.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Sie hat Scott wirklich gemocht. Ich habe sie mit Claire über ihn sprechen hören.«

Ich zucke zusammen. »Wenn du mir mit einer Idee auf die Sprünge hilfst, wie ich sie zurückgewinnen könnte, schulde ich dir was. Alles, was du willst.«

»Alles, was ich will?«

Ich nicke.

Ani schiebt sich die Haare hinter die Ohren. »Ich weiß nicht. Wenn sie denkt, dass du wie Lance bist, gibt sie dir vielleicht nie wieder eine Chance.«

Über die Option werde ich nicht mal im Ansatz nachdenken. »Verstanden. Aber was würdest du machen, wenn du an meiner Stelle wärst?«

»Das ist einfach. Gib ihr einen Grund, dir zu vertrauen. Einen sehr guten Grund.« Ani klingt, als sei das die leichteste Übung der Welt.

Nur dass ich keine Ahnung habe, wie ich jemanden dazu bringen kann, mir zu vertrauen. Ich hatte nie Veranlassung dazu.

»Wie soll ich das machen? Sie glaubt kein Wort, das aus meinem Mund kommt.«

»Du bist doch ein kluges Köpfchen. Überleg dir was.«

* * *

Ich spähe in Zahras Büro. Falls sie meinen Blick im Rücken spürt, ignoriert sie es. Das einzige Anzeichen dafür, dass sie meine Anwesenheit stört, ist das winzige Stirnrunzeln, das sie zeigt.

Ich betrete die verbotene Zone und setze mich auf die Schreibtischkante.

Ihre Augen werden schmaler, während sie auf die Unterlagen vor sich starrt. Ihre Anstecknadel ist heute eine mit Flower-Power-Vibe. Sie passt zu ihrem Retro-Shirt und der ausgestellten Jeans. Bisher habe ich noch nie gesehen, dass sie ihr Outfit und den Pin aufeinander abgestimmt hat, aber es ist süß.

»Wir müssen reden.«

Das einzige Geräusch, das zu hören ist, ist das Rascheln des Blatt Papiers in ihrem verkrampften Griff. Das Schweigen zwischen uns erreicht ein unangenehmes Level.

»Es wird gemeinhin als unhöflich angesehen, seinen Chef einfach zu ignorieren.«

Sie spannt deutlich den Kiefer an.

Ich werfe einen Blick auf das Blatt in ihren Händen und lese die Überschrift.

Das darf nicht wahr sein.

Ich reiße es ihr aus der Hand, worauf sie auf ihrem Drehstuhl zu mir herumfährt und mich anstarrt.

»Gib mir das zurück.«

»Nein.«

Ihre Nasenflügel beben. »Du führst dich auf wie ein Kleinkind.«

Tue ich das? Aber ich bin bereits zu weit gegangen, um mir unnötige Gedanken deswegen zu machen, als ich das Blatt in vier Teile zerreiße.

Sie sieht mich blinzelnd an, als hätte ich den Verstand verloren. Und ehrlich gesagt habe ich das vielleicht tatsächlich, aber sie kann das hier unmöglich ernst meinen. Das werde ich nicht zulassen.

»Du wirst nicht kündigen.« Ich werfe das Kündigungsschreiben in den Papierkorb unter ihrem Schreibtisch. Und weil ich ein Arsch bin, streife ich dabei ganz leicht ihr Bein. Obwohl sie eine Jeans trägt, sagt es mir alles, als sie bei der Berührung ganz leise scharf einatmet.

Zahra fühlt sich zu mir hingezogen, ungeachtet des Timings, des Ortes oder der Umstände. Nichts, was sie sagt oder tut, wird mich vom Gegenteil überzeugen. Auch wenn ich es versaut habe, bin ich durch damit, ihr mehr Zeit zu geben, die Dinge zu überdenken.

Sie verschränkt die Arme. »Du kannst mich nicht zwingen hierzubleiben.«

»Doch, könnte ich.«

Sie starrt mich an. »Nein. Es ist zu kompliziert geworden.«

»Dann ent kompliziere es.«

»Ich kann nicht einfach meine Gefühle abstellen und weitermachen, als wäre nichts von alledem passiert.« Sie deutet zwischen mir und ihr hin und her.

»Ich wollte dir nicht wehtun.« Beim Gedanken daran zieht sich meine Brust auf unangenehme Weise zusammen.

»Du hast monatelang gelogen, was deine Identität angeht. Und ich habe mich auch noch schuldig gefühlt, weil ich an zwei Männern gleichzeitig interessiert war, während du die ganze Zeit über wusstest, wer ich bin. Das ist grausam.« Ihre Stimme bricht.

Mein gesamter Körper reagiert auf das Schimmern der Tränen in ihren Augen. Ihre Reaktion ist nichts, für das ich auch nur annähernd gerüstet bin. Ich habe keine Ahnung, wie man mit den Gefühlen anderer Menschen umgeht, schon gar nicht, wenn ich der Grund für ihren Schmerz bin.

Ich greife nach ihrer Hand, um ihre abweisende Haltung zu durchbrechen, doch im selben Moment schiebt sie seufzend ihren Schreibtischstuhl zurück, sodass sie außerhalb meiner Reichweite ist.

Ihre Zurückweisung versetzt mir einen schmerzhafteren Stich, als ich bereit bin zuzugeben. Ich hasse diese Distanz zwischen uns. Wir haben nicht Monate damit verbracht, uns kennenzulernen, damit sie sich jetzt so weit von mir zurückzieht.

»Gib mir eine einzige Chance, es dir zu erklären. Falls ich dich nicht überzeugen kann, dass es mir leidtut, dann …«, meine Stimme nimmt einen ungewohnt unsicheren Klang an, »dann werde ich dich nicht mehr damit belästigen. Und ich lasse dich kündigen.«

»Ja?« Ihr Gesicht hellt sich ein wenig auf.

Ihre offensichtliche Freude über die Aussicht auf eine Kündigung ermutigt mich nur noch mehr, sie vom Gegenteil zu überzeugen. »Inklusive Abfindung und allem.«

Sie nickt. »Okay, du hast einen Versuch. Nicht mehr.«

Ihr Enthusiasmus beginnt an Beleidigung zu grenzen. Als ich ihr gesagt habe, dass ich eine kompetitive Ader habe, war das mein Ernst. Sie wird nicht davonkommen. Ich muss nur herausfinden, wie ich sie halten kann.

»Perfekt.«

Zahra ergreift meine ausgestreckte Hand, und meine Haut kribbelt auf die gleiche Weise wie immer, wenn sie mich berührt. Bevor ich sie loslasse, fahre ich mit dem Daumen über ihre schmalen Finger. Sie versucht, sich das leichte Zittern, das sie durchfährt, nicht anmerken zu lassen, aber es gelingt ihr nicht.

»Wir sehen uns heute Abend.« Ich darf nicht zulassen, dass sie die Mauer um sich herum noch höher zieht. Je mehr Zeit ich ihr lasse, desto größer wird ihre Skepsis werden, was meine Intentionen angeht. Auch wenn ich nichts gegen eine Herausforderung einzuwenden habe, bin ich kein Idiot.

»Heute Abend?«

Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen, um mich daran zu hindern, etwas Dummes zu tun, wie sie anzufassen. »Die erste Geschäftsregel: Immer erst die Konditionen verhandeln, bevor man zustimmt.«