Das Haus sieht genau so aus, wie ich es erwartet habe.
Die hübsche rundum verlaufende Veranda ist leer, wirkt aber mit der Hollywoodschaukel und einer Reihe von Schaukelstühlen darauf, die sich sanft im leichten Wind bewegen, so, als würde sie viel genutzt. Es ist ein Haus, das für eine Familie gebaut wurde, und ich kann mir gut vorstellen, dass Brady Kane viele Jahre mit seiner hier verbracht hat.
Ich gehe die Stufen hinauf. Meine Hand schwebt über der Türklingel, aber ich zögere, den Knopf zu drücken.
Bring es einfach schnell hinter dich.
Ich betätige die Klingel und warte.
Kurz darauf öffnet sich knarrend die Holztür, und ich werde von einer Version von Rowan empfangen, die ich bisher noch nicht kennengelernt habe. Mit einem Blinzeln überzeuge ich mich, dass er tatsächlich Jogginghose und T-Shirt trägt. Und wieder eine Brille, diesmal mit Schildpattmuster.
Ich lasse den Blick an seinem Körper hinabwandern, bis ich bei seinen nackten Füßen ankomme. Seine gesamte Aufmachung wirkt wie ein hinterhältiger Angriff auf mein rasendes Herz.
Es ist … Er … Aaah!
Ich runzle die Stirn. »Hi.«
Er lässt sich ebenfalls Zeit damit, mich zu betrachten. Unter seinem Blick fühlt es sich auf einmal an, als würde es sich bei meiner Schlaghose und meinem Vintage-Shirt um ein anzügliches Outfit handeln.
Er zieht die Tür weiter auf, damit ich eintreten kann, aber nicht weit genug; und er bleibt mitten im Türrahmen stehen, sodass wir gezwungen sind, einander zu streifen. Dann führt er mich in ein schwach beleuchtetes Wohnzimmer, das für eine fünfzigköpfige Familie geeignet wäre. Die massive Couch erinnert mich an eine Wolke, in die ich mich hineinwerfen möchte, und der Teppich scheint mir weich genug, um ein Nickerchen darauf zu machen.
Er deutet auf ein Sitzkissen auf dem Boden.
»Das sieht sehr nach einem Date aus«, murmele ich leise.
»Quatsch. Ich weiß doch, dass du Hunger hast.«
Ich starre ihn an. Es gefällt mir nicht, dass er recht hat. Trotzdem lasse ich mich auf das Kissen fallen und kreuze meine Beine.
Er schnappt sich die Tüte, die neben mir steht, nimmt die Pappbehälter heraus und reicht mir kurz darauf einen Teller mit meinem Lieblings-Pad-Thai. Mein dummes Herz verrät mich und verkrampft sich bei Rowans Liebe zum Detail.
Reiß dich zusammen. Ihr esst nur zusammen.
Ich setze mich gerader hin. »Also, deine Entschuldigung. Ich höre.«
»Zuerst essen.«
Bei seinem Befehlston verdrehe ich die Augen und lasse meine Hände in den Schoß sinken.
Er seufzt. »Würdest du bitte etwas essen? Ich möchte nicht, dass es kalt wird.«
Auf seine Bitte hin huscht der Anflug eines Lächelns über meine Lippen. Ich gehorche nur, weil ich am Verhungern bin.
Rowan nimmt mit einer Eleganz, wie ich sie von amerikanischem Geldadel erwarte, den ersten Bissen. Wenn ich beim Essen nur halb so gut aussähe.
Wir essen schweigend, und ich hasse es. Als ich die Stille nicht mehr ertrage, ergreife ich das Wort.
»Du zeichnest also gern?«
Seine Gabel klappert gegen den Teller.
Na, bin ich nicht die Königin der lockeren Gesprächsführung? Ich grinse meinen Teller an, weil es gerade zu meinem neuen Lieblingsspiel geworden ist, Rowan ein unbehagliches Gefühl zu geben.
Er nimmt seine Gabel und dreht ein paar Nudeln auf. »Früher habe ich gerne gezeichnet.«
»Warum hast du aufgehört?«
Rowans Schultern spannen sich an, bevor er zitternd ausatmet. »Warum hören die meisten Menschen auf, Dinge zu tun, die sie lieben?«
Ich verstehe gut, was er mit der Frage meint. Nach allem, was Lance getan hat, wollte ich selbst nichts mehr erschaffen. Ich hielt meine Träume an, weil es einfacher schien, als sich dem Schmerz seines Verrats zu stellen. Der Weg des geringsten Widerstands bestand darin, mit Dingen abzuschließen, die ich liebte, weil ich zu viel Angst vor der Gegenreaktion hatte.
Zumindest bis Rowan mich aus meiner Komfortzone geworfen hat. Und dafür bin ich ihm zu Dank verpflichtet. Es macht seine Entscheidungen nicht richtig, aber es hilft mir, ein bisschen versöhnlicher zu sein. Denn ohne dass er bei meinem betrunkenen Vorschlag ein Risiko eingegangen wäre, hätte ich den letzten Schmerz, der mich zurückgehalten hat, nicht endgültig losgelassen.
Die einzige Person, die Macht über mich hat, bin ich selbst. Nicht Lance. Nicht meine vergangenen Fehler. Und definitiv keine Angst.
Ich zupfe an einem losen Faden an meiner Jeans. »Ich frage nicht nach irgendwelchen Menschen. Ich frage nach dir.«
»Du wirst es mir nicht leicht machen, oder?«
»Wenn es leicht wäre, sich zu entschuldigen, würde es jeder tun.«
Er rückt seine Brille auf eine Art zurecht, dass ich die Schenkel zusammenpresse, um das dumpfe Pochen dazwischen zu stoppen. Ich könnte schwören, dass er sie nur trägt, um mich fertigzumachen.
»Mein Großvater hat mich schon sehr früh zum Zeichnen gebracht.«
Ich schweige und warte ab, damit er weitererzählt.
»Das Zeichnen war unser gemeinsames Ding. Neben ihm war ich der einzige Kreative in meiner Familie, also glaube ich, dass er es genoss, diese Art von Verbindung mit mir zu haben.«
»Das ist schön.«
Er presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Die Bindung, die ich zu meinem Großvater hatte, war eine ganz andere als die zu meinem Vater. Und ich glaube, das hat meinen Vater frustriert. Er war nie künstlerisch veranlagt, und kreativ sein war alles, was ich als Kind tun wollte. Es war, als wüsste er nicht, wie er auf seine eigene Weise eine Verbindung mit mir herstellen sollte, die nicht nur darin bestand, sich einen Ball zuzuwerfen.« Sein Blick scheint in die Ferne zu wandern, als würde er auf sein Leben in einer komplett anderen Zeit zurückblicken. »Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern viel gestritten haben, aber wenn sie es getan haben, ging es meistens um mich.« Er verzieht das Gesicht. »Dad wurde wütend, weil er nicht wusste, wie er mit mir reden sollte, deswegen hat meine Mom dann geweint. Besonders schlimm wurde es, als meine Mutter krank wurde. Ich glaube, sie hat sich Sorgen gemacht, dass mein Vater und ich uns nie nahe sein und sie nicht da sein würde, um uns zu helfen.«
Meine ganze Brust schmerzt bei dem Ausdruck auf Rowans Gesicht. »Es war Krebs, oder?«
Sein Adamsapfel bewegt sich, als er nickt.
»Es tut mir leid.« Ich nehme seine Hand und drücke sie.
Er räuspert sich und schaut auf seinen Teller. »Das war der Beginn meiner schwierigen Beziehung zu meinem Vater. Irgendwann habe ich das Zeichnen aufgegeben und mich passenderen Aktivitäten zugewandt, so wie es von mir erwartet wurde.«
Ich möchte ihn bitten, mir alle Geschichten zu erzählen, weil ich unbedingt mehr über den Mann erfahren möchte, der mir gegenübersitzt. Rowan hat wahrscheinlich Jahre damit verbracht, alle Emotionen in sich einzuschließen. Bei der Art, wie er von seiner Mutter spricht, voller Schmerz, der seine emotionslose Fassade durchbricht, zieht sich mein Herz zusammen.
»Warum genau hast du mit dem Zeichnen aufgehört?«
»Das ist … komplex.« Erst denke ich, dass er sich mit weiteren Details zurückhalten wird, aber dann fährt er fort. »Er hat mir vielleicht nicht explizit zu verstehen gegeben, ich solle damit aufhören, aber er hat dafür gesorgt, dass ich keine Freude mehr daran habe. Wenn es eine Ausstellung in der Schule gab, ist er nicht aufgetaucht, sodass ich nur zusehen konnte, wie die anderen Eltern ihre Kinder gelobt haben, während ich alleine dastand. Irgendwann war ich dann so weit, dass ich mich geweigert habe, weiter mitzumachen, obwohl mein Großvater versucht hat, mich zu motivieren. Dann hat mein Dad irgendwann all die Karten gefunden, die ich für meine Mutter gezeichnet hatte, als sie im Krankenhaus war …« Seine Stimme zittert. »Er hat sie zerstört, weil ihm danach war. Es waren einige der letzten Erinnerungen, die ich an meine Mom hatte, und nach einem betrunkenen Wutanfall waren sie plötzlich verschwunden.«
»Betrunkener Wutanfall?«
Eine Ader an seinem Kiefer beginnt zu pulsieren. »Vergiss einfach, was ich dir erzählt habe.«
Aber das kann ich nicht. Ich möchte die Zeit zurückdrehen und Rowan beschützen.
»Es ist okay, wenn du nicht darüber reden kannst.« Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf seine geballte Faust.
»Immerhin bin ich dir etwas schuldig. Nach allem, was war.« Er löst die Faust und verschränkt seine Finger mit meinen.
Ich drücke seine Hand noch einmal, bevor ich sie zurückziehe. »Ich werde deine Entschuldigung nicht benutzen, um Informationen von dir zu erpressen. Es ist deine Entscheidung, ob du deine Vergangenheit mit jemandem teilen möchtest.«
Er sieht mich an. Als würde er direkt in meine Seele blicken, um einzuschätzen, ob ich die Wahrheit sage. »Das meinst du wirklich so?«
»Natürlich. Aber verrätst du mir vielleicht, was dich dazu gebracht hat, wieder mit dem Zeichnen anzufangen? Wenn du möchtest, meine ich.«
Er nickt. »Weil deine Zeichnungen schrecklich waren, und ich diesen brennenden Wunsch hatte, dir zu helfen.«
»Du hast wegen mir wieder angefangen?«
»Ja«, murmelt er leise.
Ich lächle und nicke. »Oh, wow. Warum?«
»Bei deiner ersten Präsentation hast du fast geweint.«
»Und ?« Das ist derselbe Mann, der mir gesagt hat, dass er nichts zu geben hat. Dass er mir helfen will, ohne mich wirklich zu kennen … Es ergibt keinen Sinn.
»Anfangs wollte ich dir nur helfen, weil ich dachte, es wäre gut für mich. Du besitzt das Talent, nach dem ich gesucht habe, um den Park zu renovieren und dafür zu sorgen …« Er hält mitten im Satz inne und blinzelt zweimal.
»Und dafür zu sorgen?«
»Dass ich meinen Großvater glücklich mache.« Er runzelt die Stirn.
Ist ihm die Vorstellung, auf Hilfe von jemandem angewiesen zu sein, so sehr zuwider?
»Ich verstehe. Auf diesem Projekt lastet großer Druck. Und damit auch auf dir.«
»Du hast ja keine Ahnung«, murmelt er.
»Warum hast du nicht jemand anderen gebeten, mir zu helfen?«
»Ich habe daran gedacht, wollte es aber nicht.«
»Warum?«
»Weil mir mein gesunder Menschenverstand abhandengekommen ist.«
»Oder weil du mich mochtest.« Ich versuche mein Bestes, nicht zu lächeln, scheitere jedoch kläglich.
»Definitiv nicht. Ich fand dich damals seltsam nervig und viel zu nett.«
Ich lehne mich über den Tisch und boxe ihm spielerisch gegen die Schulter. »Hey! Man kann gar nicht zu nett sein.«
»Da, wo ich herkomme, schon.«
»Und woher kommst du?«
Seine Augen spiegeln genug Abscheu wider, um mir Übelkeit zu bereiten. »Von einem Ort, an dem die Leute zu strahlend lächeln oder zu freundlich reden, weil sie fest entschlossen sind, es irgendwann gegen einen zu verwenden. Das ist der verdammte Grund, aus dem ich so zynisch bin.«
»Klingt schrecklich.«
»Ich bin mir sicher, dass du noch viel entsetzter wärst, wenn du wüsstest, was für Leute hinter den glitzernden Toren dieses Parks lauern. Dreamland ist tatsächlich eine Fantasie. Es ist, als wäre dieser ganze verdammte Ort von der realen Welt unberührt.«
»Dann erzähl mir von den Dingen, mit denen du umgehen musstest. Hilf mir zu verstehen, warum du so bist, wie du bist.«
Er ballt beide Hände zu Fäusten. »Das möchtest du wirklich wissen?«
Ich nicke.
»Okay. Aber ich warne dich, es ist alles andere als schön.«
»Das ist die Wahrheit selten.«
Er blinzelt mich an. Sein Blick wandert von meinem Gesicht zu seinen geballten Fäusten, die er immer wieder öffnet und schließt.
Nach einer Minute, die sich wie eine Schweigeminute anfühlt, seufzt er. »Meine erste wirkliche Kostprobe vom Abschaum der Welt habe ich im College bekommen, als mich irgendein Mädchen nach einer Party in ihr Wohnheim eingeladen hat.«
Bei der Vorstellung, dass er mit einer anderen Frau zusammen war, wird mir noch schlechter. Mein Appetit ist mir endgültig vergangen.
»Vorher war ich nur mit dem typischen Teeniezeug konfrontiert – Leute, die mich für einen Flug mit dem Privatjet oder eine Reise nach Cabo ausgenutzt haben.«
»O ja, klar, typische Teenieprobleme.«
Er bringt ein trauriges Lächeln zustande, das sofort wieder verschwindet. »Nun, wo ich herkomme, haben mich die Leute mein ganzes Leben lang benutzt, aber nie für was Illegales. Bis ich erwachsen wurde. Das College hat mir die Augen geöffnet. Ich habe meine Jungfräulichkeit verloren, während ich unwissentlich mit einer versteckten Kamera gefilmt wurde. Es hat meinen Vater viel Geld gekostet, die Geschichte unter den Teppich zu kehren, bevor sie das Video an die Presse gegeben hätte.«
»Im Ernst? Das ist widerlich! Warum habt ihr ihr Geld gegeben? Schließlich war sie im Unrecht.«
»Weil ich nichts riskieren wollte. Ein solches Video hätte verheerend sein können, wenn es veröffentlicht worden wäre, also haben wir sie dafür bezahlt, dass sie Stillschweigen bewahrt und es an uns rausgibt.«
Ich kann nichts weiter tun, als ihn anzustarren.
Er stößt ein bitteres Lachen aus, das ich so noch nie zuvor von ihm gehört habe, und ich hoffe, dass es bei dem einen Mal bleibt, weil es meinen ganzen Körper bis auf die Knochen einfrieren lässt. »Und das war nur meine erste Erfahrung auf dem College. Die gesamte Unizeit war scheiße, aber selbst die Jahre waren noch nichts im Vergleich zu dem, was mit meinem Erwachsenenleben begonnen hat.«
»O Gott. Gibt es was Schlimmeres als Erpressung?« Ernsthaft, ich war immer davon ausgegangen, Geld bedeute Sicherheit, aber in Wahrheit macht es das Leben offensichtlich nur noch komplizierter.
Er nickt. »Ich habe alles erlebt. Frauen, die versiegelte Kondome mit Sicherheitsnadeln durchstochen haben, wenn sie dachten, ich schaue nicht hin. Jemand hat versucht, mich in einer Bar unter Drogen zu setzen, indem er mir was in den Drink gemischt hat. Und einmal …«
»Wie kannst du darüber reden, als würde dir all das nichts ausmachen?«
Er runzelt die Stirn. »Weil ich mittlerweile an einem Punkt angelangt bin, an dem ich gelernt habe, solche Dinge von anderen Menschen zu erwarten. Etwas, mit dem man bereits rechnet, bringt einen nicht mehr so leicht aus der Fassung.«
»Ich dachte, solche Dinge passieren nur in Filmen.«
Ich habe keine Ahnung, was mich wütender macht – die Vorstellung von Rowan mit einer anderen Frau oder von einer Frau, die versucht, ihm ein Kind unterzuschieben.
»Und das ist nur ein Bruchteil dessen, was ich erlebt habe. Jede dieser Situationen war eine Lektion für mich – ein Beweis dafür, dass meine Brüder recht hatten, wenn sie gesagt haben, wie beschissen die Menschen sind.«
Meine Lippen teilen sich. »Wie hast du es überlebt, so aufzuwachsen?«
»Indem ich mich dem Willen der Monster gebeugt habe, um ihnen keine Angriffsfläche zu bieten.«
Ich blinzle zweimal und warte auf das Ende des Witzes, doch Rowans Mund bleibt geschlossen.
»Hast du deshalb gelogen? Weil du daran gewöhnt bist, dass die Leute dir das Gleiche antun?«
Da ist sie. Die Wahrheit, die nur noch auf ihre Bestätigung wartet.
»Ich habe es getan, weil ich dachte, es sei gerechtfertigt. Ich hatte keinen Grund, dir zu vertrauen, und ich hätte nie gedacht, dass ich all das fühlen würde.«
»Dass du was fühlen würdest?«
Er hebt seine Brille an und reibt sich die Augen. »Ich werde es versauen.«
Ich atme zitternd aus. »Nun, versuch dein Bestes, es nicht zu tun.«
Er schiebt seinen Teller von sich. »Mein ursprünglicher Grund, mit dir zu sprechen, war egoistisch und grausam. Ich wollte herausfinden, was für ein Mensch du bist. Ich dachte, du seist eine Betrügerin, und ich wollte meine Vermutung bestätigen.«
Seine Worte tun weh. Bisher dachte ich noch, seine Absichten könnten zwar unangebracht, aber dennoch süß gewesen sein, aber die Wahrheit ist das Worst-Case-Szenario.
»Es tut mir leid für jemanden wie dich, der umgeben von so vielen Menschen mit bösartigen Absichten aufgewachsen ist. Wirklich.«
Seine Oberlippe kräuselt sich. »Nicht umsonst leben wir nach dem Motto Geld geht vor Moral .«
»Es gibt zwei Möglichkeiten, im Leben reich zu werden, und eine davon hat nichts mit der Größe des Bankkontos zu tun.«
»Das habe ich inzwischen auch erkannt. Dank dir.«
Mein Herz schlägt schneller, pocht heftig gegen mein Brustbein, als wollte es Rowan mitteilen, dass es ihm ebenfalls zuhört.
Er sieht mir noch immer in die Augen. »Ich bin davon ausgegangen, du würdest mich nach unserem Kuss erpressen. Ein Teil von mir hat es erwartet, und sei es nur, um zu beweisen, dass du genauso egoistisch bist wie der Rest von uns. Denn wie könntest du es nicht tun, nachdem ich dich dermaßen belästigt habe? Manchmal habe ich mich sogar gefragt, ob du noch weiter gehen würdest, um die Angelegenheit zu verschärfen.«
»Das ist traurig, Rowan. Ich habe dir gesagt, dass ich das niemals tun würde.«
»Meine Erfahrung mit Vertrauen ist keine besonders gute.«
»Ja, das verstehe ich.« Und es macht mich so verdammt traurig.
Ich bin heute Abend mit dem Vorhaben hergekommen, auf nichts hereinzufallen, was Rowan sagt, weil ich der festen Überzeugung war, dass keine Entschuldigung, kein Grund für sein Verhalten gut genug sein könnte. Aber die Realität ist … tragisch. Die Art von Leben, die er bisher geführt hat, macht einem Angst. Ich wäre lieber arm und jeden Tag des Jahres glücklich als reich und unglücklich.
»Du hast mir jedes Mal, wenn du mit mir gesprochen hast, das Gegenteil bewiesen. Du wusstest nicht einmal, wer ich bin, und warst trotzdem bereit, mir das Gefühl zu geben, dass ich jemandem wichtig bin.«
Die Entschlossenheit, mit der ich hergekommen bin, bricht vor meinen Augen in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
»Ich war stolz darauf, die Zeichnungen für dich anzufertigen. Es hat mich glücklich gemacht, dich glücklich zu machen.« Seine Stimme bricht, und ihr Klang ergreift mein Herz.
Sein Blick findet erneut meinen. »Während ich dich besser kennengelernt habe, hat sich mein Verdacht auf eine ganz andere Art bestätigt. Du bist so viel mehr, als du bereit bist zuzugeben – auf eine Weise, die dich zu jemandem von unschätzbarem Wert macht.«
Unschätzbarer Wert? Wage es nicht zu weinen, Zahra.
»Du bist selbstlos, fürsorglich und bereit, alles zu tun, um deinen Mitmenschen zu helfen. Du unterrichtest kostenlos Kinder und bringst einem mürrischen alten Mann Brot und Kekse mit. Und der egoistische Teil von mir wollte ein Stück von dir für sich haben. Du hast mich daran erinnert, wie es ist, sich nicht die ganze Zeit so verdammt einsam zu fühlen, und dieses Gefühl wollte ich nicht wieder verlieren.«
Wie um alles in der Welt soll ich darauf reagieren?
Doch ich bekomme ohnehin keine Chance dazu, weil Rowan bereits weiterredet.
»Ich habe deine Freundlichkeit für selbstverständlich gehalten und dein Vertrauen missbraucht. Das tut mir leid.«
Ich blinzle meine Tränen weg. »Was hat dich dazu gebracht, es mir zu gestehen?«
»Nach unserem Tag im Dreamland konnte ich nicht mehr lügen. Ich war süchtig nach dem Gefühl, das du mir gegeben hast, und das bis zu dem Punkt, dass ich nicht mehr wusste, wie ich dir sagen soll, wer ich wirklich bin. Ich hatte Angst und wollte nicht, dass es endet. Also habe ich Wege gefunden, Zeit mit dir als Rowan zu verbringen, während ich absichtlich den Rest deiner Aufmerksamkeit als Scott gestohlen habe. Es war eine dumme Idee und unfair von mir, aber ich bereue nichts, außer dass ich dich verletzt habe.«
Meine Augen werden wieder feucht. Ich habe Rowan noch nie so lange am Stück reden gehört, und erst in diesem Moment wird mir klar, wie schade das ist. Seine Art, sich auszudrücken … ist wunderschön. Er gibt mir das Gefühl, schön zu sein. Nicht im oberflächlichen Sinne, sondern auf eine Weise, die mich stolz darauf macht, wer ich bin. Auf eine Weise, die mich überzeugt, dass es in erster Linie meine Seele ist, die ihn interessiert.
Er könnte gelogen haben, aber seine Absichten, die dazu geführt haben, dass er die Fantasie aufrechterhalten hat, sind so verdammt traurig, dass ich um ihn weinen möchte. Welcher Mensch ist so einsam, dass er sich ein Pseudonym ausdenkt, nur um sich mit jemandem Nachrichten zu schreiben?
Ein Mensch, der voller Verzweiflung zurückgeliebt werden möchte.
Meine Kehle schnürt sich zu. »Was ist mit dem Mentorenprogramm?«
Er stöhnt. »O Gott, du wirst mich für vollkommen verrückt halten.«
Ich hebe die Mundwinkel zu einem leichten Grinsen. »Vielleicht mag ich deine Art von Verrücktheit ja.«
Und das meine ich ernst. Alles ist besser als die eisige Hülle, die Rowan der Welt bisher gezeigt hat.
»Ich bin derjenige, der alle Abschnitte bis auf einen abgerissen hat, weil ich nicht wollte, dass jemand deine Nummer in die Finger bekommt.«
Mein Mund klappt auf. »Du hast was?« Heilige Scheiße. Wie weit geht das alles noch?
Er nimmt erneut seine Brille ab und fährt sich mit der Hand übers Gesicht. »Als du mich erwischt hast, war ich wütend auf mich selbst, weil ich mich so bescheuert gefühlt habe, und diese Wut habe ich an dir ausgelassen. Aber als ich zu dem Treffen kam, wurde mir klar, was du für deine Schwester und die anderen Mentees tun möchtest. Zu diesem ersten Treffen bin ich aus rein egoistischen Gründen aufgetaucht, aber dabeigeblieben bin ich, weil ich Ani mag. Sie bringt mich zum Lachen. Und sie ist süß, genau wie du.«
Meine Wimpern werden feucht von ungeweinten Tränen. Kein normaler Mann würde alle Abrisse mit meiner Handynummer darauf stehlen, wenn ich ihn nicht ernsthaft interessieren würde. Und wie er über Ani spricht … Es ist eine so simple Wahrheit, aber sie bedeutet mir alles. Alles, was ich mir mit Lance gewünscht habe, mir aber verweigert wurde.
Mein pochendes Herz fühlt sich an, als würde es mir jeden Moment aus der Brust springen.
Rowan mag mich.
Und er hasst es.
Mein kleines Lächeln wird zu einem Grinsen.
»Warum grinst du? Hast du nichts von dem gehört, was ich gesagt habe?«
»Du magst mich«, platze ich heraus.
»Nein. Ich toleriere dich mehr als die meisten anderen Menschen. Deshalb möchte ich mit dir ausgehen.«
Das Lachen, das aus mir herausbricht, lässt Rowan zurückschrecken.
»Findest du das lustig?«
»Ein bisschen schon. Aber es ist auch süß.«
Er seufzt.
»Die Vorstellung, mich zu mögen, gefällt dir nicht.«
»Ich kann dir nicht versprechen, dass ich es nicht wieder vermasseln werde. Ich lerne jeden Tag dazu, aber du hast etwas an dir, das mich auf eine Weise Glück empfinden lässt, wie ich es noch nie empfunden habe. Wenn du also keinen Kontakt mehr haben möchtest, verstehe ich das, aber du sollst wissen, dass ich dir niemals schaden oder dir ein schlechtes Gefühl geben wollte.« So, wie er mich ansieht, komme ich mir auf eine ganz neue Art entblößt vor.
Du bist ihm wichtig. Wirklich wichtig.
»Ich denke, ein Teil von mir möchte dich nicht mögen, weil du so misstrauisch bist, aber der andere Teil von mir kann nicht anders, als dich zu verstehen.«
Er bewegt sich nicht, scheint nicht mal zu atmen.
»Wie meinst du das? Du bist die vertrauensseligste Person, die ich jemals kennengelernt habe.«
Ich stoße ein trauriges Lachen aus. Nach allem, was er mir gestanden hat, ist es nur fair, ihm meine Geschichte zu erzählen. »Mein Ex-Freund hat mein Herz und mein Vertrauen gebrochen, als ich ihn mit einer anderen Frau erwischt habe. Sie … Gott. Da ist dieses Bild in meinem Kopf, das ich nie wieder loswerden kann.« Ich habe versucht, die Erinnerung an sie aus meinem Gehirn zu löschen, aber es ist mir nie ganz gelungen. »Und weil der Tiefschlag nicht genug war, hat Lance – mein Ex – außerdem noch einen Teil meines Herzens zerstört, den ich nie wieder werde heilen können.«
»Was hat er getan?« Seine Stimme ist leise und wirkt dabei ebenso mörderisch wie sein Blick.
Ich schaue weg, unfähig, seine Miene zu ertragen. »Er hat meine Nebula-Land- Idee geklaut, die Entwickler damit beeindruckt und den Bonus dafür genutzt, seiner Geliebten einen Verlobungsring zu kaufen.« Ich habe hastig geredet, mein Tonfall klingt hölzern.
Er beugt sich über den Tisch, umfasst sanft mein Kinn, dreht meinen Kopf, sodass ich ihn wieder ansehe. »Obwohl es mir leidtut, dass er dich verletzt hat, tut es mir nicht leid, dass er dich gehen lassen hat.«
Ich schenke ihm ein wackliges Lächeln. »Bist du immer so egoistisch?«
Seine Augen funkeln. »In Bezug auf dich schon.«
Ich schüttele den Kopf.
Er streicht mein Haar hinter mein Ohr, bevor er mit seinem Finger den Ohrring daran nachfährt. Ich zittere, Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus. »Ich mag vieles sein, aber ich bin niemand, der fremdgeht. Ich habe dich angelogen, aber ich werde es nie wieder tun. Das kann ich dir versichern.«
Ich schlucke gegen die Enge in meiner Kehle an. »Und das ist alles? Ich soll dich einfach beim Wort nehmen und auf das Beste hoffen?«
»Nein, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Worte nichts bedeuten.«
»Was dann?«
Er beugt sich vor und drückt mir einen federleichten Kuss auf die Lippen. »Ich werde es dir beweisen.«
»Wie?«
Seine Augen leuchten auf eine Weise, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. »Wäre es dir lieber, ich zeige es dir, oder soll ich es dir sagen?« Sein heiserer Ton löst eine weitere Gänsehaut bei mir aus.
Und sein Lächeln? Absolut, zu hundert Prozent verschlagen.
Aber wie er auf Knien zu mir herüberkriecht?
Allein dafür würde ich allem zustimmen.