Ich gehe am Montag zur Arbeit und erwarte halb, dass mich jemand darauf anspricht, Sex mit Rowan gehabt zu haben. Es ist lächerlich; als würde ein gelber Aufkleber auf meiner Stirn kleben, der verkündet, dass ich schmutzige Dinge mit meinem Chef getrieben habe. Es würde nicht einmal dann eine Rolle spielen, wenn sie es wüssten. Bei Dreamland gibt es keine Regeln, die gegen persönliche Beziehungen im Job sprechen. Obwohl davon abgeraten wird, in diesem Fall im selben Arbeitsbereich tätig zu sein, ist es nicht verboten.
Ganz zu schweigen davon, dass Rowan niemals zulassen würde, dass mit jemandem zu schlafen seine Entscheidungen beeinflusst. Und die Vorstellung, dass er mich bevorzugt behandeln könnte, bringt mich nur dazu, mich noch mehr anzustrengen, um ihm zu zeigen, wozu ich fähig bin. Um mir und anderen zu zeigen, dass es egal ist, wer ich bin, weil meine Ideen für sich sprechen. Zumindest hoffe ich das.
Doch trotz der festgelegten Spielregeln bin ich am Montag ein absolutes Nervenbündel. Rowan hat noch nicht einmal das Lagerhaus mit seiner Anwesenheit beehrt, und ich drehe bereits durch. Als mich heute Morgen jemand gefragt hat, wie mein Wochenende war, habe ich die Kaffeekanne fallen lassen. Und als in den Waschräumen jemand Rowans Namen erwähnt hat, habe ich mein Handy in der Toilette versenkt. Was nicht zwingend meine Schuld war. Zwei Mitglieder des Alpha-Teams haben auf ziemlich unangemessene Weise über Rowan gesprochen, während sie sich die Hände wuschen, worauf mir das Smartphone aus den Händen und geradewegs in sein nasses Grab gerutscht ist.
Als Rowan später am Nachmittag in mein Büro geschlendert kommt, kann ich mit Sicherheit behaupten, dass ich für den Tag durch bin.
»Du hast mir nicht auf meine Nachrichten geantwortet.«
»Hi erst mal.« Ich schaue von meinem Computerbildschirm auf. »Du hast nicht auf meine Nachrichten geantwortet«, wiederholt er. Seine Stimme klingt beinahe nervöser, als ich mich fühle, und ich bin versucht, daran zu glauben, dass er sich tatsächlich Gedanken macht, warum ich ihm nicht antworte.
»Hast du mich vermisst?« Ich klimpere mit den Wimpern.
»Nein.« Die Antwort kommt zu schnell.
Ich grinse. »Es ist okay, seine Gefühle einzugestehen. Ich warte.« Ich drehe mich auf meinem Stuhl zu ihm herum und sehe ihn aufmunternd an.
»So wie du mich den ganzen Tag auf eine Bestätigung warten lassen hast?«
Häh?
»Eine Bestätigung?«
»Ja. Ich habe dich auf ein Date eingeladen. Morgen Abend.«
Ich lache leise. »Meinst du nicht, du solltest mich zuerst fragen, ob ich Lust habe?«
»Ich stelle keine Fragen, auf die ich die Antworten kenne.«
»Wir müssen an deinen Manieren arbeiten. Daran fehlt es dir eindeutig.« Er kommt zu mir rüber und beugt sich hinunter, um mir ins Ohr zu flüstern. »Neulich Nacht hast du dich nicht über fehlende Höflichkeit beschwert.«
»Natürlich nicht. Schließlich wünscht sich jede Frau einen Mann, der ein Gentleman und gleichzeitig im Bett ein wildes Tier ist«, flüstere ich, damit mich meine Kollegen nicht hören.
Seine Augen glänzen, als er eine Verbeugung andeutet. »Dann verzeihen Sie bitte meinen Fauxpas. Würden Sie mir die Ehre erweisen, mich morgen Abend bei Abendessen und Cocktails mit Ihrer Anwesenheit zu beehren?«
»Wird Ihr Schwanz dabei auch eine Rolle spielen?« Ich hebe eine Augenbraue.
Rowan lässt den Kopf in den Nacken fallen und lacht, bis ich mit einfalle. Es erfüllt mich von Kopf bis Fuß mit Wärme, wenn ich sehe, wie seine Augen dabei aufleuchten.
Was das, was ich als Nächstes sagen muss, umso schwerer macht auszusprechen.
»Ich kann morgen nicht mit dir ausgehen. Wir haben ein spätes Teammeeting, um ein paar offene Fragen zu früheren Ideen zu besprechen.«
»Gut, dass du mit deinem Chef zusammen bist.«
»Auf keinen Fall! Das nennt man Machtmissbrauch.«
»Was bringt es, all diese Macht zu haben, wenn ich sie nicht nutze?«
Ich blinzle ihn an. »Ich werde mal so tun, als hättest du das gerade nicht gesagt.«
»Tu, was du willst. Am Ergebnis ändert das nichts.«
»Aber …«
Er hebt eine Augenbraue. »Entweder du schreibst Jenny oder ich tue es.«
Ich starre ihn an. »Deine bossige Art verliert an Charme.«
Er beugt sich vor und platziert einen sanften Kuss auf meiner Wange. »Dann sollten wir diese Theorie unter verschiedenen Umständen überprüfen. Nur um sicherzugehen.«
»Du bist immer so gründlich bei allem, was du tust.«
Er grinst. »Wir sehen uns morgen Abend.«
Damit wendet er sich ab und nimmt den Duft seines Parfüms und seine süchtig machenden Pheromone mit. »Und beantworte von jetzt an meine Nachrichten.«
»Werde ich – sobald ich ein Ersatzhandy bekomme.« Ich zeige auf die mit Reis gefüllte Schüssel auf meinem Schreibtisch.
»Will ich wirklich wissen, was passiert ist?«
Ich grinse. »Wahrscheinlich nicht.«
Selbst nachdem Rowan gegangen ist, kann ich nicht aufhören, vor mich hin zu grinsen. Weil ich morgen ein Date mit Rowan-ich-hab-keine-Ahnung-wofür-das-G-in-seinem-Namen-steht-Kane habe.
* * *
Macht hat viele Gesichter. Heute Abend wird meins von dem Ausdruck auf Rowans Miene bestimmt, als ich aus meiner Wohnung in den Hausflur trete.
»Du siehst aus wie eine Prinzessin.« Er reibt sich den Kiefer.
Ich strahle, als ich mit der Hand über die untere Hälfte meines gelben Kleides fahre und den bauschigen Tüll herunterdrücke. Meine Mutter hat es für mich gemacht, nachdem ich von einem ähnlichen Kleid einer Celebrity geschwärmt hatte. Auf meiner Haut erinnert mich das Material an Sonnenstrahlen am frühen Morgen.
Rowans Blick bekommt etwas Mörderisches. Er huscht von meinem Korsettoberteil zu dem bauschigen Rock.
Während er mich ansieht, nehme ich ihn ebenfalls in Augenschein. Von all seinen Anzügen ist dieser mit Abstand mein Favorit. Ich bin mir nicht sicher, ob er das weiß. Die Art, wie sich der königsblaue Stoff an seinen Körper schmiegt, lässt in mir den Wunsch aufkeimen, unsere Pläne für das Abendessen zu vergessen.
Unsere Blicke treffen sich, und er stößt einen leisen Fluch aus bei dem Ausdruck, der mir vermutlich ins Gesicht geschrieben steht. Dann greift er nach meiner Hand und zieht mich mit sich, wobei er die ganze Zeit leise vor sich hinmurmelt.
* * *
»Garfield.«
Rowans Hand auf meinem Oberschenkel spannt sich an. »O Gott, nein.« Seit ich in seinen Rolls-Royce eingestiegen bin, hat er keine einzige Sekunde den Körperkontakt zu mir unterbrochen.
Offensichtlich haben Menschen wie die Kanes einen Wohlstand erreicht, bei dem sie nicht einmal mehr ihr eigenes Auto fahren müssen. Zuerst kam es mir lächerlich vor. Aber andererseits verschafft das Rowan die Möglichkeit, während der Fahrt meinen Oberschenkel zu streicheln. Trotz der geradezu obszönen Menge an Stoffschichten zwischen seiner Hand und meiner Haut jagen seine Finger mit jeder verführerischen Berührung heiße Flammen meinen Oberschenkel hinauf.
Ich spähe auf die Liste mit Namen, die ich beim Erraten von Rowans zweitem Vornamen heruntergeladen habe. Nachdem ich das ganze Internet und einige zwielichtige Websites durchsucht hatte, die viel Geld für eine Hintergrundüberprüfung verlangen, bin ich schließlich bei einer Liste mit Babynamen hängen geblieben.
Inzwischen bin ich bei Nummer zwanzig auf der Liste angekommen und habe noch immer keinen Treffer gelandet.
»Gary.«
Seine Brust bebt unter einem lautlosen Lachen. »Nein.«
»Gertrud.«
»Das ist ein Frauenname.«
Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht war deine Mom ja besonders progressiv.«
Verdammt . Es war nicht meine Absicht, sie zu erwähnen. Die Kanes schweigen allesamt wie ein Grab, wenn es um Rowans Mutter geht. Das Einzige, was die Öffentlichkeit weiß, ist, dass sie nach einem langen, schrecklichen Kampf gegen den Krebs gestorben ist.
Er drückt meinen Oberschenkel, als wollte er mich beruhigen. »Meine Mutter war auf viele Weisen großartig, aber selbst sie war nicht so fortschrittlich. Gott sei Dank.«
»Hmm, okay … Was ist mit Glen?«
»Du wirst es nie erraten, also kannst du es genauso gut lassen.«
Ich sehe ihm in die Augen und schiebe meine Unterlippe vor. »Ich bin niemand, die schnell aufgibt.«
Er reibt mit seinem Daumen über meine Lippe und lässt als Antwort Hitze meine Wirbelsäule hinabrieseln. »Weshalb ich dich mit der Geschichte belohnen werde, wie ich zu meinem zweiten Vornamen gekommen bin. Aber ich muss dich zur Geheimhaltung verpflichten.«
Ich halte ihm meinen kleinen Finger hin.
Er schiebt ihn beiseite, bevor er sich vorbeugt und eine raue Hand an meine Wange legt. »Ein Kuss für jedes Geheimnis.«
»Von dem Spiel habe ich noch nie was gehört.« Ich grinse.
»Das liegt daran, dass es ausschließlich uns gehört.«
Bei der Vorstellung, dass wir etwas haben, das nur uns ganz allein gehört, breitet sich ein warmes Gefühl in meiner Brust aus. »Ich mag es jetzt schon.«
Er schiebt die Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich. Im nächsten Augenblick presst er die Lippen auf meine, zuerst sanft, bevor sie mich ihren brennenden Hunger spüren lassen. Mir wird heiß, als Rowan meine Lippen mit seiner Zunge zum Brennen bringt und ein Muster darauf zeichnet, das ich bis in mein Herz spüre.
Er küsst mich, bis ich atemlos bin und keuche. Doch seine Augen verlieren ihren Glanz, als er den Blick von meinem Gesicht zum Fenster hinter mir gleiten lässt.
Ich hasse es, ihn so zu sehen. »Ich kann mit dem Raten aufhören. Du musst es mir nicht sagen.«
Er schüttelt den Kopf. »Wir haben eine Abmachung getroffen.« Der resignierte Seufzer, den er ausstößt, trägt wenig dazu bei, seine Anspannung zu lösen. »Ich rede nicht viel über meine Mutter.«
Ich strecke eine Hand aus und schließe sie um seine. Er hält sich daran fest wie an einer Rettungsleine und gibt sich kaum Mühe, das Zittern seiner Finger zu verbergen, während er mir das Blut aus meinen drückt. »Einige meiner Erinnerungen sind wirr, weil ich damals noch so jung war, aber was ich noch ganz genau weiß, ist, dass sie König Artus geliebt hat.«
»Im Ernst? Sie war ein Geschichtsnerd?«
Er sieht mich vielsagend an.
Ich seufze und gebe ihm einen sanften Kuss für sein nächstes Geheimnis. Als ich mich zurücklehnen will, zieht er mich an seine Brust und vertieft den Kuss. Als ob er den zusätzlichen Mut bräuchte, um über seine Mutter zu sprechen.
Vielleicht ist er nicht auf der Suche nach Liebe, aber eventuell nach Heilung. Ich kann ihm dabei helfen. Ich habe mich an einem ganz ähnlichen Punkt befunden.
Er lässt mich los, bevor er ein paarmal tief durchatmet. »Meine Mutter war besessen von Geschichte und Geschichten, die an Fantasy grenzen. So haben sie und mein Vater sich kennengelernt.« Er hält inne, als wäre er sich nicht sicher, ob er weitermachen soll.
»Erzähl mir bitte mehr.« Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
»Sie hat in der Nachhilfestelle der Universität gearbeitet, die sie beide besucht haben. Mein Vater ist an dem Tag dort gewesen, um seinen Freund abzuholen, dessen Auto in der Werkstatt stand. Meine Mutter hat an der Theke gearbeitet und ihn gefragt, ob sie ihm helfen könne.«
»Und?«
»Mein Vater war ein Einserstudent, der dann ein ganzes Semester lang Nachhilfestunden für einen Kurs besucht hat, für den er nicht mal eingeschrieben war.«
»Nein!« Ich lache, bis ich heiser bin. Die Kennenlerngeschichte seiner Eltern könnte besser sein als die meiner – nicht, dass ich ihnen das auf die Nase binden würde.
»Es ist wahr. Mom hat sogar seine gefälschten Essays und Seminararbeiten über König Artus und seine Ritter korrigiert.«
»Lügen scheint also eine essenzielle Eigenschaft der Kanes zu sein.«
Er schmunzelt. »Wir tun alles, um zu bekommen, was wir wollen.«
»Absolut rücksichtslos. Das seid ihr alle«, ziehe ich ihn auf.
Er lacht leise vor sich hin.
»Wie hat dein Vater sie nach der Geschichte dazu gebracht, mit ihm auszugehen?« Ich möchte mehr hören, und wenn auch nur, um die hoffnungslose Romantikerin in mir zufriedenzustellen.
»Ich erinnere mich nicht.« Rowan presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, und seine Hand, die sich an meiner festhält, verkrampft sich.
Die Temperatur im Auto sinkt, passend zu Rowans Stimmung. Mein Herz schmerzt, wenn ich an Rowans Vater denke. Obwohl ich einiges über seine fragwürdigen Geschäftsentscheidungen gehört habe, kann ich mit jedem mitfühlen, der seine Frau verloren hat. Vor allem mit einem Mann, der bereit war, Nachhilfestunden zu besuchen, ohne einen anderen Grund zu haben, als Zeit mit der Frau zu verbringen, die er mag.
Und noch mehr Empathie habe ich für die Kinder, die eine ähnliche Trauer empfinden.
Ich drücke seine Hand. »Also, was ist die Verbindung zwischen dieser Geschichte und deinem zweiten Vornamen?«
»Meine Mutter hat meine Brüder und mich nach König Artus’ Rittern der Tafelrunde benannt.«
»Das sind ziemlich große Fußstapfen, in die ihr da getreten seid. Haben die nicht den Heiligen Gral oder so was gefunden?«
»Oder so was.« Seine Mundwinkel heben sich wieder, und die Anspannung fällt von ihm ab. »Ich habe es leicht. Declan ist derjenige, der sich für den Rest seines Lebens als Declan Lancelot Kane vorstellen muss.«
Bei der Vorstellung, dass Rowans ältester Bruder für den Rest seines Lebens ein solches Kreuz tragen muss, kann ich ein Kichern nicht zurückhalten. Lancelot? Im Ernst?
»Und du, Mr. R. G. Kane?«
»Galahad«, murmelt er und lenkt damit meine Aufmerksamkeit auf den Rosaton seiner Wangen.
»Awww, wie süß.«
»Hier gibt es nur Platz für einen Lügner, und der bist nicht du.«
Ich boxe ihn spielerisch gegen die Schulter. »Ich meine es ernst! Die Geschichte dahinter macht das zu etwas ganz Besonderem.«
Augenblicklich verkrampft er sich wieder. »Wenn du das jemandem erzählst, muss ich …«
»Ja, ja, mich feuern, hab schon verstanden.«
»Dich vögeln . Aber wenn du daran interessiert sein solltest, das andere Szenario im Rollenspiel nachzustellen, bin ich gerne bereit, der Aufforderung nachzukommen.«
»Hast du gerade einen Sexwitz gemacht?! Ich bin empört.« Ich schlage einen absichtlich hochnäsigen Ton an, während ich mir dramatisch Luft zufächele.
Er schüttelt den Kopf, als wäre ich die verrückteste Person, die er je kennengelernt hat. Okay, das ist nur eine Vermutung, aber die scheint mir durchaus plausibel zu sein.
Ich strecke ihm die Hand hin. »Wir haben einen Deal.«