Ich treffe zum letzten Entwickler-Meeting vor Weihnachten ein. Während sich die anderen Angestellten vielleicht freinehmen, werde ich Tag und Nacht arbeiten, um meine Präsentation für den Vorstand zu beenden.
Jenny steht vorn im Raum, und alle nicken mir zu, als ich zu meinem Platz gehe. Ich schaue mich um und suche nach der Frau, die mir nicht aus dem Kopf geht.
Auf Zahras üblichem Platz sitzt eine andere Person.
In meiner Brust entsteht ein Druckgefühl, und meine Atmung wird abgehackt.
Jenny macht keine Bemerkung über Zahras Abwesenheit.
Der erste Entwickler stellt eine gute Idee vor, die das heutige Meeting aber niemals verlassen wird. Innerlich habe ich schon dagegengestimmt.
Die Tür wird knarrend geöffnet, und als ich mich umdrehe, betritt Zahra leise den Raum. Ihren klimpernden Rucksack hat sie nicht dabei.
Ich denke an unsere erste Begegnung zurück. Ein leichtes Lächeln zupft an meinen Lippen, bevor sie wieder zu einem geraden Strich werden.
Sie sucht den Raum ab und geht zu dem einzigen noch freien Platz direkt neben mir. Wenn sie sich darüber ärgert, zeigt sie es zumindest nicht. Sie zieht den Stuhl vom Tisch weg und setzt sich darauf.
Alle Zellen in meinem Körper erwachen zum Leben, als ich den schwachen Duft ihres Parfüms wahrnehme.
Während eine Person aus dem Team nach der anderen nach vorn geht, bleibt Zahra steif sitzen und ignoriert meine Anwesenheit.
Es ärgert mich mehr, als ich mir eingestehen will.
Zu dem Zeitpunkt, als Zahra an der Reihe ist zu präsentieren, rutsche ich auf meinem Stuhl herum und bemühe mich, an irgendetwas zu denken, das nichts mit ihr zu tun hat.
Sie steht auf und räuspert sich.
Ich erstarre und betrachte sie forschend, um mögliche Anzeichen für eine Krankheit zu entdecken.
Sie trinkt einen Schluck von ihrem Wasser, bevor sie zum Rednerpult geht.
»Heute stelle ich etwas vor, das ein wenig anders ist. Es geht nicht direkt um ein Fahrgeschäft, also verstehe ich, falls es nicht als Option für Mr. Kanes Projekt in Erwägung gezogen wird.« Sie macht sich nicht einmal die Mühe, in meine Richtung zu schauen, während sie spricht, was das Druckgefühl in meiner Brust nur noch verstärkt.
»Ich würde Dreamland gern inklusiver für unsere Gäste machen. Als ich noch im Salon gearbeitet habe, bin ich vielen Kindern begegnet, die sich im Leben den schwierigsten Herausforderungen stellen mussten. Ich habe begonnen, genauer auf sie zu achten, und habe mir immer wieder Notizen dazu gemacht, womit sie zu kämpfen haben. Nach jahrelanger Arbeit bin ich zu einem Schluss gekommen. Da meine eigene Schwester das Down-Syndrom hat, habe ich die Beschwerden der Gäste verstanden.«
Ich bin begeistert von ihr und ihrem Selbstbewusstsein. Sie ist nicht mehr die Frau, die glaubte, nicht gut genug für das Entwickler-Team zu sein.
»Dreamland ist nicht nur für privilegierte Menschen geschaffen worden, die sich einen Fast Pass leisten können, Tickets für hundert Dollar und überteuerte Speisen und Getränke – es wurde außerdem für Menschen ohne Behinderung erschaffen. Daher ist es meine Idee, den Park von Grund auf zu verändern und somit auch unsere Sichtweise auf die Gäste.«
Ich kann sie nur schweigend anstarren, während sie mehrere Folien durchgeht und unterschiedliche Ideen vorstellt. Von Rollstuhlkostümen bis hin zu sensorischen Angeboten für Kinder aus dem autistischen Spektrum geht Zahra auf die Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen ein, die in Dreamland häufig übersehen werden. Dabei trägt sie die ganze Zeit ein breites Lächeln im Gesicht. Je mehr sie redet, desto stärker wird die Sehnsucht in meiner Brust.
Ich will mich mit ihr davonstehlen und ihr sagen, wie stolz ich auf sie bin. Und ihr gestehen, wie leid mir alles tut, was ich getan und gesagt habe. Weil sie mir wichtig ist.
Weil ich mit ihr zusammen sein will, ungeachtet aller Hindernisse.
Und weil ich ein Mann sein will, auf den meine Mutter stolz wäre, und der will ich an Zahras Seite sein.
Ich richte mich auf meinem Stuhl ein wenig auf, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, damit sie ihr Lächeln auf mich richtet und sie sehen kann, dass ich stolz auf sie bin. Aber sie schaut mich nicht an. Sie macht sich nicht einmal die Mühe, sich in meine ungefähre Richtung zu drehen. Es ist, als würde ich nicht existieren. Ich stelle Fragen, damit sie mich ansieht, aber sie blickt geradeaus zu allen, während sie antwortet.
Falls die anderen merken, dass irgendetwas nicht stimmt, lassen sie es sich zumindest nicht anmerken.
Mit jeder verpassten Gelegenheit intensiviert sich das Gefühl in meiner Brust. Das Brennen wird stärker, als Jenny sich erhebt und Zahra umarmt.
»Gute Arbeit, Zahra. Du wirst eines Tages große Dinge bewirken. Das weiß ich einfach. Es ist schade, dass wir dich nach Weihnachten nicht mehr bei uns haben werden.«
Ich blinzele ein paarmal. »Wie bitte?«
Jenny strafft die Schultern. »Oh, tut mir leid, Mr. Kane. Ich wusste nicht, dass Sie über solche Dinge informiert werden wollen.«
Ich beachte sie nicht und schaue Zahra an.
Zum ersten Mal sieht sie mir in die Augen, aber in ihrem Blick liegt keinerlei Gefühl.
Es versetzt mir einen Stich. »Sie hören auf?«
»Ich habe am Dienstag bei Jenny meine Kündigung eingereicht.«
Ich rechne nach. Wenn sie sie vor ein paar Tagen eingereicht hat und nächste Woche Weihnachten ist, wird sie bei einer Kündigungsfrist von zwei Wochen nicht mehr wiederkommen. Die Erkenntnis legt sich wie ein Stein in meinen Magen.
Sie sieht mich mit leerem Blick an.
»Heute ist Ihr letzter Tag?«, versetze ich.
Jenny beschließt, die Friedensstifterin zu spielen. »Wir werden dich alle sehr vermissen.«
Sie hat ihre Kündigung nicht direkt nach ihrer Krankheit eingereicht – was hat sich also verändert? Ich schweige, während ich alle möglichen Gründe für Zahras Kündigung durchgehe.
Jenny klatscht in die Hände und wünscht allen schöne Feiertage.
Die Angestellten gehen zu ihr, um sie zum Abschied zu umarmen.
Verdammt. Nein. Das hätte nicht passieren dürfen.
Warum hast du von ihr erwartet, dass sie hierbleibt nach allem, was du getan hast? Was hast du ihr bewiesen, außer dass du ein egoistischer Mistkerl bist, der immer zuerst an sich denkt?
»Alle können gehen, außer Ms. Gulian.« Ich trete zum Rednerpult und hoffe, dass Zahra mit mir sprechen wird.
Sie erstarrt. Unsere Blicke treffen sich, als ich ihr direkt gegenüberstehe.
Die anderen Entwickler gehen an uns vorbei, während ich Zahra eindringlich anschaue. Jede einzelne Person wünscht mir schöne Weihnachten, ehe sie aus dem Raum geht, erfreut darüber, dass wir früher fertig sind.
Ich stehe zwischen Rednerpult und Tür, sodass sie nicht an mir vorbeikommt, ohne mich zu beachten. »Du kannst nicht kündigen.«
»Das kann und habe ich.«
Ich balle meine Hände zu Fäusten. »Aber wir hatten einen Deal.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Heute war ohnehin der letzte Tag der Präsentationen. Jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand.«
»Es wird andere Dinge geben, für die wir die Ideen der Entwickler brauchen.«
Sie reckt ihr Kinn. »Damit habe ich ab jetzt nichts mehr zu tun.«
»Zahra …«
Sie hebt eine Hand, um mir Einhalt zu gebieten. »Warum hast du mich eingestellt?«
Ich blinzele nicht. »Weil du gut bist in dem, was du tust. Heute hat sich wieder gezeigt, wie talentiert du bist. Stell dir vor, was wir sonst noch erreichen könnten, wenn du …«
Ich kann förmlich sehen, wie ihr Schutzwall nach und nach einbricht. Ihre gesamte Haltung verändert sich – sie lässt die Schultern hängen, und ihr Blick umwölkt sich.
»Warum konntest du mich nicht in Ruhe lassen?« Ihre Stimme bricht. »Warum musstest du meine Gefühle für dich manipulieren?«
Ich atme tief ein. »Was?«
Sie schaut weg, will ihre feuchten Augen vor mir verbergen. »Hast du mich als Entwicklerin eingestellt, weil du wolltest, dass mir das Projekt ans Herz wächst, bevor ich von dem Stimmrecht, das dein Großvater mir gegeben hat, Gebrauch mache?«
Stimmrecht? Wovon spricht sie?
»Was für ein Stimmrecht?«
Sie ballt ihre kleinen Hände zu Fäusten. »Ich wurde für Bradys Komitee ausgewählt, aber ich bin mir sicher, das weißt du längst. Oder etwa nicht?«
Zahra ist im Komitee? Das muss ein schlechter Witz sein. Von allen Leuten musste die Wahl meines Großvaters ausgerechnet auf sie fallen?
Auf einmal setzen sich alle Teile des Puzzles zusammen. In seinem Brief an mich hat er erwähnt, dass es eine Peron in Dreamland gab, die ihm dabei geholfen hat, seine Fehler einzusehen. Ich weiß nicht, warum ich nicht früher darauf gekommen bin, dass es Zahra war. Grandpa war nicht der Typ, der sich mit irgendwelchen beliebigen Angestellten getroffen hat, und dennoch hat er mit ihr über das Nebula Land gesprochen. Er hat ihr sogar bei dem neuen Entwurf geholfen. Seine Notiz in ihrer Akte war der größte Hinweis von allen, und ich habe ihn vollkommen ignoriert.
Scheiße. Und wie sie mich ansieht – es ist, als würde sie mich nicht kennen. Es versetzt mir einen Stich ins Herz.
Ich habe Mist gebaut. Riesengroßen Mist.
»War irgendwas davon echt?« Ihre Stimme bricht.
»Natürlich war es das.« Ich hebe die Hand, um sie an ihre Wange zu legen, doch sie tritt einen Schritt zurück. »Ich wusste nicht, dass du ein Stimmrecht hast«, sage ich.
»Und das soll ich dir glauben? Seit wir uns kennengelernt haben, hast du gelogen oder Halbwahrheiten erzählt.« Ihr Lachen klingt so kalt und fremd, dass meine Brust schmerzt.
Statt Zahra zu bitten, zu bleiben und für Dreamland zu arbeiten, muss ich sie nun davon überzeugen, dass ich nichts von ihrem Stimmrecht wusste.
Viel Glück dabei. »Du musst mir glauben. Ich wusste, dass es eine Abstimmung geben würde – das ist richtig –, aber ich hatte keine Ahnung, wen mein Großvater ausgewählt hat.«
Sie schüttelt den Kopf. »Es spielt keine Rolle, was du sagst. Ich kann dir nicht vertrauen.«
Ich greife nach ihrer Hand und lege sie an meine Brust. Die Wärme ihrer Handfläche breitet sich in meinem Körper aus. »Ich schwöre dir, dass ich nicht lüge. Ich weiß, dass ich ein paar Dinge vor dir verheimlicht habe«, sie zuckt bei diesen Worten zusammen, »aber ich würde dich nie benutzen. So ein schlechter Mensch bin ich nicht.«
Sie zieht ihre Hand weg. »Das ist es ja, Rowan. Ich glaube dir, dass du glaubst , du wärst besser, aber nach dem zu urteilen, was ich erlebt habe, habe ich keinen Grund zu der Annahme, dass du irgendetwas anderes als egoistisch bist. Du denkst immer nur an eine einzige Person – an dich selbst.«
Ihre Worte schmerzen, machen es mir schwer zu atmen.
Sie sieht mich mit gequälter Miene an, und ich habe diesen Ausdruck schon oft genug an meinem Vater gesehen, um zu wissen, dass es Abscheu ist. Doch diesmal tut es viel mehr weh, denn es ist Zahra.
Sie geht um mich herum, um ihre Sachen zusammenzupacken. »Ich habe gekündigt, weil ich nicht länger daran interessiert bin, für dich oder deine Firma zu arbeiten. Ich will für ein Unternehmen arbeiten, das sich wirklich für Menschen einsetzt, weil es den Verantwortlichen wichtig ist, und hier ist das eindeutig nicht der Fall.«
Sie verlässt den Raum und lässt mich mit nichts zurück als mit dem Duft ihres Parfüms und der Erinnerung an ihre feuchten Augen, aus denen sie mich voller Hass angeschaut hat.