Kapitel 20

Lucretia

M ein Kopf schmerzt, aber nicht allzu sehr, und mein Rücken tut weh, fällt mir auf, als ich wieder zu Bewusstsein komme. Das Erste, was ich höre, ist das Zwitschern der Vögel in den Bäumen neben dem Haus. Es ist Morgen. Das Zweite sind die leichten Schnarchgeräusche von Lito, der auf einem Stuhl neben meinem Bett kauert.

»Hey.« Ich strecke meinen Arm aus und berühre seine Hand.

Er öffnet blinzelnd seine Augen und setzt sich auf. »Autsch!« Er greift nach seinem unteren Rücken. »Der ist steif. Aber du bist wach! Und du siehst übel aus.« Er runzelt die Stirn.

»Du hast auch schon besser ausgesehen.« Ich schenke ihm ein schwaches Lächeln.

»Tut es weh? Hast du Schmerzen?«

»Mir geht es gut, glaube ich.« Ich setze mich auf. Mein Kopf schmerzt, aber es ist erträglich.

Er schüttelt mein Kopfkissen hinter mir auf und setzt sich neben mich auf das Bett. »Das tut mir leid.« Er hält meine Hände fest. »Sehr leid. Ich wusste nicht, dass du in …«

»Es ist in Ordnung. Das konntest du nicht wissen.« Ich drücke seine Finger. »Und er hat mir nicht wehgetan …«

Er zuckt zusammen. »Das hat er, Lucretia. Unter meiner Aufsicht.«

»Es ist nicht deine Schuld, Lito. Ich verspreche es.« Ich drücke seine Finger. »Mach dir keine Vorwürfe.«

»Das tue ich aber. Aber selbst wenn ich mir keine machen würde, würde Mateo es tun. Er ist mehr aus dem Ruder gelaufen als sonst.«

»Ist er das?«

»Ja. Er und die Jungs waren die ganze Nacht in den Ställen.«

»Er ist geritten?« Ich weiß nicht, warum ich das so lustig finde, aber es ist so, und ein seltsames Kichern entweicht mir. »So lässt er also Dampf ab, hm?«

Seine Lippen werden ein wenig schmal, als er sie zusammenpresst.

»Oh.« Ich höre auf zu lachen. »Oh, bedeutet ›die Ställe‹ etwas anderes?«

»Erinnerst du dich an die Tür, die ich dir gezeigt habe? Die, von der ich dir gesagt habe, dass du sie nie öffnen sollst?«

»Die neben der Sattelkammer?«, frage ich.

»Ja.«

Ein kaltes Kribbeln läuft mir über den Rücken.

»Sie waren die ganze Nacht da drin … mit Gino.«

Ich erbleiche, als ich seinen Namen höre.

»Tut mir leid.« Er tätschelt meine Hand. »Tut mir leid, Schatz.«

»Nein, ist schon okay. Ich denke, es macht Sinn, dass Mateo ihn diszipliniert oder ein Treffen einberuft oder was auch immer. Es lässt ihn schlecht aussehen, wenn seine Männer mich ausnutzen, denke ich.«

Lito wirft mir einen verwirrten Blick zu. »Glaubst du, er ist sauer auf Gino, weil er ihn schlecht aussehen lässt?«

Ich sehe, wie Mateo neben mir sitzt, meine Hand in seiner, während er mir Fragen stellt. Echte Fragen – Fragen über mein Leben. War das echt oder habe ich geträumt?

»Was hat der Arzt mir gegeben?« Ich reibe mir die Augen.

»Ich weiß es nicht. Ich wollte auch welche, aber ich habe nicht danach gefragt, weil ich wusste, dass ich hier sein würde, um Wache zu halten. Ich kann mich nicht mit Morphium zudröhnen, wenn ich dich beschützen soll.«

»Du musst mich nicht beschützen.«

»Doch, das muss ich.« Er beugt sich vor und küsst mich auf die Stirn. »Es tut mir so leid.« Als er sich zurückzieht, sind seine Augen glasig. »Ich hätte dort sein sollen.«

»Tu das nicht. Wenn du weinst, muss ich auch weinen.« Ich ziehe ihn in eine Umarmung. »Also wein nicht.«

»Es tut mir so leid.«

Ich drücke ihn fester. »Es geht mir gut. Ich bin härter, als ich aussehe.«

»Ich weiß.« Er schnieft.

»Mach mir keinen Rotz in die Haare. Mit den Nähten habe ich keine Ahnung, wann ich sie wieder waschen kann.«

Er lacht. »Da ist sie wieder.«

»Aber im Ernst.« Ich schiebe ihn weg. »Es wird mir bald wieder gut gehen. Er hat nicht getan, was er tun wollte. Ich habe ihm die Scheiße aus dem Leib gekratzt und bin abgehauen.«

»Ich bin mir sicher, er wünscht sich, du hättest ihn getötet.«

»Ist Mateo so wütend?«

»So habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen … vielleicht sogar noch nie?« Er nimmt eine Wasserflasche vom Nachttisch und reicht sie mir. »Trink das. Ich werde Carter bitten, uns ein paar Waffeln mit extra Sirup zu machen. Ich bin gleich zurück.«

»Okay.« Ich nehme einen tiefen Schluck Wasser, als er hinausgeht, aber dann hält er an der Tür inne.

»Schrei, wenn du mich brauchst. Ich werde dich hören.«

»Mach dir keine Sorgen. Mateo ist zu Hause.« Ich sage das so leicht, als ob Mateo hier wäre und ich in Sicherheit. Aber auch wenn er alles getan hat, um das Gegenteil zu beweisen, fühle ich mich wirklich sicherer, dass er hier ist. Als er mich gestern Abend gefunden hat, hatte ich keine Angst. Ich war erleichtert. Ich war … froh. Ich konnte mit ihm verschmelzen, während er mich in Sicherheit brachte.

Ich seufze und lege mich wieder ins Bett.

Als sich die Tür öffnet, springe ich auf.

Mateo kommt mit wilden Augen und blutverschmierter nackter Brust herein, und trägt eine blutige Kiste unter einem Arm und einen Hammer in der Hand.

»Was …?«

Er marschiert zur Wand gegenüber dem Fußende des Bettes, öffnet die Schachtel, holt eine blutige Hand heraus und nagelt sie an die Wand.

Mir steigt die Galle nach oben, als er eine weitere Hand aus der Schachtel zieht und das Gleiche tut.

»Mateo, was ist das?« Meine Stimme ist leise, mein Herz klopft. Aber ich weiß, was es ist. Ich wusste es sofort, als Mateo mit Blutspritzern auf der Brust auftauchte.

Er wirft die Kiste und den Hammer mit einem groben Klirren zu Boden und dreht sich dann zu mir um. »Er wird dich nie wieder anfassen, Lucretia. Das wird auch niemand anderes. Du bist in Sicherheit. Du bist meine.« Er kommt mit blutigen Händen an den Seiten zu mir herüber und hat dabei die Augen auf mich gerichtet. »Glaubst du mir?«

Ich schaue zu ihm hoch, und zum ersten Mal, seit wir uns kennen, sehe ich Schmerz in ihm. Nein, nicht nur Schmerz. Qual. Er ist zerrissen, aber in diesem Sekundenbruchteil wird mir klar, dass es nicht an dem liegt, was er Gino angetan hat. Es ist wegen dem, was Gino mir angetan hat. Er ist blutüberströmt und erschöpft, aber er hat das für mich getan. Er hat einen Mann in meinem Namen getötet, und ich kann mit der Fülle an Emotionen nicht umgehen, von denen einige widersprüchlich und dunkel sind.

»Mateo …« Meine Stimme stockt.

»Sag mir, dass du mir glaubst, Lucretia. Sag mir, dass du mir vertraust.« Er hält meinen Blick fest, und sein Körper ist angespannt wie ein Klavierdraht.

Ich sollte ihm nicht vertrauen. Ich sollte nichts anderes als entsetzt sein. Er hat gerade die verstümmelten Hände eines Mannes an meine Schlafzimmerwand genagelt. Aber der Schmerz in ihm ist echt, das Bedauern ist echt . Es liegt kein Spott in seinem Ton, kein versteckter Hass. Es gibt so viel mehr. Er hat mehr Emotionen, als ich für möglich gehalten hätte, trotz allem, was Lito mir gesagt hat.

Die Worte kommen mir ohne Anstrengung über die Lippen, so leicht wie das Atmen. »Ich vertraue dir.«

Er schließt die Augen, als ob er diese Worte genießen würde. Dann geht er ohne etwas zu sagen ins Bad und schließt die Tür. Ich höre, wie die Dusche angestellt wird.

Ich starre auf die Hände, halb fasziniert, halb vor Angst, dass sie sich bewegen könnten. Ich kann mich nicht mehr orientieren, und mein Kopf beginnt zu pochen.

»Hey, was …« Lito steht mit einem Teller mit Waffeln in der Hand in der Tür. Er starrt auf die Hände an der Wand. »Das ist … Das ist …« Er würgt, dann richtet er sich auf und wischt sich mit einer Hand über den Mund. »Das ist nicht weniger, als er verdient hat.« Mit entschlossenen Schritten geht er zum Bett und setzt sich neben mich, dann senkt er seine Stimme. »Aber ich verstehe sehr gut, wenn du gerade keine Lust auf Waffeln hast.«