»I ch kann gehen.« Lito sitzt auf dem Billardtisch und blockiert Reds Stoß. »Ich bin gut in solchen Dingen.«
»Nein.« Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand.
»Warum nicht?« Lito runzelt die Stirn.
»Weil Sarita Schach spielt und du nur einer der Bauern bist.«
»Arschloch.« Er winkt mir mit der Hand zu.
Red stupst ihn mit seinem Billardstock an. »Macht es dir etwas aus?«
»Gut. Wie auch immer.« Er steht auf und geht zur Vorderseite des Billardtisches.
»Sie versucht, die Stimmung auf ihre Seite zu ziehen, genau wie wir erwartet haben.« Sonny sieht sich das Spiel an, aber er spielt nie Billard. »Sie hat schon einige Familien mit ihrer Selbstmitleidstour besucht, und ich fürchte, einige von ihnen fallen darauf herein.« Er blickt mich an. »Wahrscheinlich, weil du ihnen bei der Hochzeit die Hölle heiß gemacht hast. Sie fühlen sich jetzt verletzlich, so wie ich es vorhergesagt habe.«
»Wir brauchten die Machtdemonstration bei der Hochzeit.« Ich weise seine Kritik achselzuckend zurück. »Es hat alle wissen lassen, dass die Familie Milani bereit ist, die Führung zu übernehmen. Sie müssen sich anpassen, oder sie werden so enden wie die Manchellos.«
Sonny reibt sich den Nasenrücken. »Ich glaube, Diplomatie …«
»Diplomatie hat meine Eltern in den Tod getrieben, Sonny«, fahre ich ihn an.
Er seufzt. »Ich versuche nur, dir zu helfen.«
»Nimm Rücksicht auf den alten Mann.« Red zeigt mit seinem Billardqueue auf ihn. »Er kann die Belastung nicht ertragen.«
Sonny hüpft auf die Beine. »Dieser alte Mann kann mit dir nach draußen gehen und dir in den Arsch treten. Was sagst du dazu?«
»Wenigstens ihr Jungs ändert euch nie.« Lito grinst. »Ich habe dich vermisst.«
»Ich weiß, dass du versuchst, zu helfen, und ich schätze dich, Sonny. Ich spüre einfach in meinen Knochen, dass das anders ablaufen muss. Diplomatie wird die Fäulnis in den Familien nicht lösen. Die Fontanas und Sarita sind der Beweis dafür. Sie haben nie für das bezahlt, was sie uns angetan haben, also ist alles, was ich tue, genau das zu korrigieren, was die Familien ignoriert haben.«
Sonny lehnt sich zurück und stößt einen langen Seufzer aus. »Wie geht es ihr?«, fragt er. Er braucht ihren Namen nicht zu sagen.
»Viel besser. Ihr Kopf ist fast verheilt, und ihr Rücken tut nicht mehr so weh wie noch vor ein paar Tagen. Sie ist es aber leid, im Bett zu liegen.« Lito blickt mich an.
»Sie muss wieder gesund werden.« Ich habe mich in den letzten Tagen zurückgehalten, während sie sich erholt hat. Sie verbringt gerne Zeit mit Lito – was ich verdammt nochmal hasse –, und ich wollte sie nicht verschrecken und ihre Heilung dadurch gefährden.
Außerdem war ich voller Adrenalin und monströser Wut gewesen, als ich diese Hände an die Wand genagelt hatte, und nachdem ich ein wenig darüber geschlafen hatte, wurde mir klar, dass mein Friedensangebot vielleicht unbeabsichtigte Folgen hatte. Andererseits sollte sie sich daran gewöhnen. Sollte es noch einmal jemand wagen, sie zu verletzen, wird seine Strafe noch schlimmer ausfallen. Ich bin ein gewalttätiger Mann, wenn es darum geht, das zu verteidigen, was mir gehört. Niemand kann das ändern, nicht einmal sie.
Doch durch die Entfernung juckt es mich, sie zu sehen. Sie anzustupsen. Sie dazu zu bringen, mit mir zu reden, wie in der Nacht, in der sie verletzt wurde. Und nicht nur reden – ich will sie. Alles von ihr. Ich will sie zu meiner Frau machen und ihren Körper grob, sanft und auf jede erdenkliche Weise nehmen. Aber dieses Mal geht es nicht darum, sie für ihren Nachnamen zu bestrafen. Ich spiele keine Spielchen mehr mit ihr.
Als ich sie durch den Regen laufen sah, die Angst in ihren dunklen Augen und der Schrecken bei jedem Schritt, hat etwas in mir zugeschlagen. Ich wollte sie zwar verletzen, aber ich wollte nie, dass sie verletzt wird. Das ist ein verdammtes Paradoxon, das ich nicht zu entwirren versuchen werde. Aber als ich sie sah, wusste ich einfach, dass ich für sie kämpfen würde. Ich würde für sie töten. Und das habe ich. Mehrere Male.
Als sie mir dann von ihrem Bruder erzählt hat, von dem gähnenden Gefühl des Verlustes in ihr, konnte ich es auch spüren. Ich sitze mit ihr in der Dunkelheit und trauere um ein fehlendes Stück meiner Seele. Meine Eltern starben jung und wurden Lito und mir entrissen, als sie uns den Weg zeigen sollen hätten. Ich habe mehr mit Lucretia gemeinsam, als ich gedacht hatte, und ich werde die Verbindung, die ich für sie empfinde, oder die Art und Weise, wie ich sie begehrt habe, seit ich sie vor Jahren zum ersten Mal gestalkt habe, nicht länger leugnen. Ich bin ein verdammter Psycho, und es wird Zeit, dass sie das akzeptiert.
»Ich freue mich, dass sie auf dem Weg der Besserung ist.« Red richtet seinen Queue wieder aus. »Ich wünschte, wir könnten diesen Wichser noch einmal töten.«
Dem kann ich nur zustimmen, aber wir müssen nach vorn schauen, nicht zurück. »Das Treffen ist also am Samstag?«, frage ich Sonny.
Er nickt. »Ja, Sarita verkauft es als eine Totenwache für ihre Söhne, aber in Wirklichkeit ist es eine Möglichkeit für sie, mehr Stimmen auf ihre Seite zu ziehen. Alle Familien haben ihre Teilnahme zugesagt, also muss ich dir nicht klarmachen, wie wichtig dieses Treffen ist. Vincenzo muss für uns sprechen. Er ist der Einzige, der genauso viel Gewicht hat wie du, und er hat nicht den Makel des Eigennutzes.«
»Er wird kommen.« Ich sehe zu, wie Red seinen Stoß verfehlt.
Ich erhebe mich und lasse meinen Blick über den Tisch schweifen.
»Ich denke, du solltest Lucretia mitbringen.«
»Nein.« Ich finde den perfekten Move.
»Hör mir zu.« Sonny hält seine Hände hoch. »Die Hochzeit war eine Farce. Eine schlechte, aber ich werde das nicht noch einmal mit dir diskutieren. Sie ist geschehen. Aber wenn die Familien Lucretia mit dir sehen, unverletzt, dann …«
»Sie ist aber nicht unverletzt. Sie wurde in ihrem eigenen Haus überfallen.« Ich knirsche mit den Zähnen.
»Du hast dich darum gekümmert, und jetzt springen die Männer noch schneller als vorher.« Sonny fährt fort: »Aber wie ich schon sagte, die Familien waren in Aufruhr über das, was du getan hast. Du hast sie ganz schön durchgeschüttelt. Sie wollen sich wieder sicher fühlen, und der beste Weg für dich, deinen Teil dazu beizutragen, ist, Lucretia zur Versammlung mitzubringen. Führ sie vor. Lass sie leuchten.«
»Nein. Sie ist noch nicht ganz geheilt, und ich will sie nicht gefährden.«
Sonny stößt einen frustrierten Seufzer aus. »Du riskierst sie, wenn du sie nicht mitnimmst! Vergiss nicht all die Geschichten, die sich die Leute ausdenken werden. Sarita wird sagen, dass du Lucretia getötet hast, oder Carmen könnte behaupten, dass du sie aus Bosheit von ihrer Tochter fernhältst. Du kannst all das aus der Welt schaffen, die Familien beruhigen und ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben.«
»Ich habe Carmen von ihrer Tochter ferngehalten, um Lucretia einen Gefallen zu tun.« Ich funkele ihn an. »Und wir alle wissen, was Carmen und Leonard verdienen, genau wie Sarita.«
Red nickt. »Sie werden bekommen, was sie verdienen.«
»Das Treffen bringt meinen Zeitplan durcheinander, aber ich werde mich trotzdem rächen, Sonny.« Ich richte meinen Billardqueue auf ihn. »Nichts wird mich aufhalten.«
»Gut, dann mach einfach eine Pause. Warte ab, bis die Sache vorbei ist, und kümmere dich dann wieder um deine Pläne. Aber bitte nimm Lucretia mit. Wir werden auch dort sein und die Augen offen halten. Sie wird in Sicherheit sein, und du wirst all die aufgewühlten Federn glätten.«
Ich stoße den Ball mit Leichtigkeit rein, dann werfe ich meinen Billardqueue auf den Tisch und gehe.
»Was zum Teufel …? Ich hätte diese Runde gewinnen können«, beschwert sich Red. »Wohin gehst du?«
»Zu meiner Frau.«