»N ein.« Ich winke ab. »Versuchen Sie es nochmal.«
Der Juwelier räuspert sich und kramt in seinem Koffer nach einem weiteren Satz Steine.
»Zum Glück hast du Nein gesagt.« Lito rollt mit den Augen. »Die waren grässlich. Wir nehmen keinen Cluster als Hauptstein. Auf gar keinen Fall.«
»Ich verstehe.« Giuseppe nickt und holt ein paar weitere schwarze Samtbeutel hervor.
»Wir hätten hier schon vor einer Stunde fertig sein sollen.« Sonny tippt mit den Fingern auf meinen Schreibtisch. »Wir müssen über morgen Abend reden.«
»Das besprechen wir, sobald ich ein paar Steine ausgesucht habe.« Ich beobachte, wie Giuseppe weitere Diamanten auf seinem schwarzen Samttablett ausbreitet.
»Diese sind eine Mischung aus Prinzess- und Asscherschliff. Alle haben eine ausgezeichnete Farbe und Klarheit. Sehr wenige Einschlüsse und fast farblos.« Er reicht mir eine Lupe.
»Gib sie mir.« Lito nimmt mir das Tablett ab und hebt den größten Stein auf, den er kritisch betrachtet, während ich die anderen auf dem Tablett anschaue.
Red lässt sich auf ein Sofa fallen und stöhnt. »Wie konnte sich das von einer Ich-hasse-sie-Situation zu einer Ich-muss-ihr-den-perfekten-Ehering-schenken-Situation entwickeln? Ist das alles passiert, während ich bei der Bundespolizei festsaß? Ist es das, was ich verpasst habe?«
»Ich wusste, dass das passieren würde.« Sonny zuckt mit den Schultern.
»Was?« Ich wende mich von den Diamanten ab und sehe ihn an. »Wovon zum Teufel redest du?«
Er wirft mir einen schiefen Blick zu. »Komm schon, Mateo. Die Akte, die du über sie hast? Die Art und Weise, wie du sie praktisch jahrelang gestalkt hast, bevor du sie überhaupt getroffen hast? Und wie du dann so zielstrebig den Plan verfolgt hast, ihre Hochzeit zu stören und sie Horatio wegzunehmen, koste es, was es wolle?«
Ich schüttele den Kopf. »Das war Teil meines Racheplans. Nicht …«
»Sicher, aber wie kommt es, dass du deinen Plan ausgerechnet dann gefasst hast, als dir klar wurde, dass sie mit einem anderen verheiratet werden sollte? Du hättest auch schon früher zuschlagen können. Du hattest jahrelang Zeit, dir zu überlegen, wie du die Fontanas und Manchellos für ihre Taten büßen lassen willst, aber du hast erst gehandelt, als sie in Gefahr war.«
Benny pfeift. »Heilige Scheiße. Der alte Mann ist tatsächlich an etwas dran.«
»Ich habe dir gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst«, schnauzt Sonny ihn an.
»Nein, warte, warte, warte …« Red setzt sich auf und streckt eine Hand aus, als hätte er gerade einen Heureka-Moment gehabt. »Weißt du noch, wie wir in die Clubs gegangen sind, um Weiber aufzureißen, aber Mateo nur mit einem düsteren Blick dasaß? Ich meine, das war großartig, um Frauen anzuziehen, versteh mich nicht falsch, sie lieben starke, schweigsame Typen fast genauso sehr wie Rotschöpfe.« Er grinst. »Aber vielleicht war er die ganze Zeit in Lucretia verknallt?«
»Das war er.« Sonny nickt.
»Ihr habt keine Ahnung, wovon ihr redet.« Ich fuchtele mit der Hand, als ob ich ihren Schwachsinn wegwischen könnte.
»Das ist so, wie wenn die Stripperin dich die ganze verdammte Nacht anmacht, aber dann im Champagnerraum endlich den String auszieht und du die ganze Welt siehst.« Benny schüttelt den Kopf. »Heilige Scheiße.«
»So kann man es auch ausdrücken.« Sonny grinst.
Lito reicht mir den großen Stein und die Lupe. »Der hier. Schau ihn dir an.«
Ich nehme ihn und bin froh, dass ich eine Ablenkung von den Idioten habe, die immer noch Schwachsinn reden. Der Stein ist perfekt, kein einziger Makel zu sehen.
»Oh, ich wusste es sofort, als ich sie traf.« Lito lächelt süffisant. »Glasklar.«
»Haltet die Klappe, ihr alle.« Ich reiche Giuseppe den Stein. »Den hier in die Mitte und die quadratischen um den ganzen Ring herum.«
»Ausgezeichnete Wahl, Mr. Milani.« Er zögert und zeigt auf meinen Finger. »Und für Sie?«
Ich schaue mir den Ring an. »Einfach irgendetwas, was zu ihrem passt. Keine Steine. Aber nicht so schlicht wie dieser hier.« Ich halte meinen Finger hoch.
»Sehr gut.« Er beginnt zu packen. »Ich schicke Ihnen heute Nachmittag einen Prototyp, und wenn Sie einverstanden sind, kann ich sie morgen fertigstellen.«
»Klingt gut.«
Er eilt aus dem Zimmer, und sein schwarzer Koffer lässt nicht vermuten, dass er das Vermögen eines Königs enthält.
Als ich Lachen höre, drehe ich meinen Kopf in Richtung des Geräusches. Ich weiß, dass es Lucretia ist. Ich habe das Gefühl, dass ich ihre Stimme auch dann erkennen würde, wenn ich in einem Meer von Menschen wäre.
»Sie ist mit Carter in der Küche«, erklärt Lito.
Ein Funke Eifersucht flammt in meiner Brust auf. Warum lacht sie mit ihm ? Sie sollte mit mir lachen. Ich kann lustig sein. Nehme ich an.
»Wir sollten über die Totenwache reden …« Sonny lacht schnaubend. »Wenn man es noch so nennen kann. Sie geht mit schwarzen Blumen und Trauerfarben aufs Ganze. Sogar auf der Einladung, die der Kurier mitbrachte, waren für alle Gäste bestimmte Trauerfarben angegeben.«
Ich hebe eine Augenbraue. »Ist das so?«
Sonny blättert durch einige Papiere auf meinem Schreibtisch und reicht mir die Einladung.
Ich schaue mir die Details an und wende mich dann an Lito. »Ruf alle Geschäfte an, die schicke Kleider verkaufen, und lass sie heute Nachmittag vorbeikommen. Ich möchte, dass Lucretia etwas Helles und Gewagtes trägt.«
Lito lächelt und reibt seine Hände aneinander. »Ich liebe es, wenn du bei anderen Leuten das volle Arschloch bist.«
Sonny seufzt in seiner leidenden Art. »Du fängst mit dem Scheiß an, bevor du überhaupt da bist?«
»Als ob dich das überraschen würde.« Ich stehe auf und gehe zur Tür.
»Warte, wir müssen über unseren Plan reden«, schimpft Sonny.
»Ich bin gleich wieder da.« Ich höre sie wieder lachen und eile den Flur entlang.
Ich bleibe vor der Küchentür stehen und lausche.
»Er ist bezaubernd!«, quiekt Lucretia. »Schauen Sie, wie er mir folgt.«
»Er ist schon ganz vernarrt«, sagt Carter. »Ich weiß nicht, wie ich ihn nach dieser Sache dazu bringen soll, mit mir nach Hause zu kommen.«
Ich stoße die Tür gerade so weit auf, dass ich einen Blick hineinwerfen kann.
Lucretia geht rückwärts an der Insel vorbei, und dann sehe ich eine Bewegung in der Nähe ihrer Füße. Ein Leguan pirscht sich an sie heran, und sein dicker Körper bewegt sich schnell.
»Ach du meine Güte, George.« Sie sinkt auf den Boden und hält ihm ihre Hände entgegen. »Du bist so ein guter Junge.«
Er krabbelt auf ihre Hand und dann ihren Arm hinauf.
Lito schleicht sich neben mich und späht hinein.
Sie lacht. »Das kitzelt.«
Als das Biest ihre Schulter erreicht, hockt es dort wie ein grüner Wasserspeier und stupst ihre Wange an.
»Er ist definitiv von Ihnen angetan. Bei mir macht er das nur, wenn er weiß, dass ich Leckerlis für ihn habe, obwohl er mich normalerweise an der Tür begrüßt, wenn ich nach Hause komme.«
»Ich liebe ihn. Er ist so süß.«
Ich glaube nicht, dass ich das Wort süß verwenden würde, um die Echse zu beschreiben, aber ich habe schnell gelernt, dass Lucretia die Welt anders sieht als ich. Und vielleicht ist das eine gute Sache.
»Ekelhaft«, flüstert Lito.
Ich schließe leise die Tür und gehe zurück in mein Büro.
»Hey, können wir reden?«, fragt Lito.
»Darüber, dass du zurück nach L. A. gehst?«
Er rollt mit den Augen. »Oh mein Gott, du liebst mich, sei still.«
Ich lächele und lasse mich von ihm in eines der hinteren Schlafzimmer führen. »Was ist los?« Ich lehne mich gegen das Himmelbett.
»Lucretia.« Er verschränkt seine Finger.
»Ja?«
»Was sind deine Pläne mit ihr?«
»Was meine Pläne mit meiner Frau sind? Ich bin mir nicht sicher, was du wissen willst.«
Er gibt einen verärgerten Laut von sich. »Liebst du sie?«
»Ich habe keine Zeit für …«
Er blockiert die Tür.
»Ernsthaft?« Als wir jung waren, habe ich ihn oft verprügelt, aber er hat immer alles zurückgegeben, was er eingesteckt hat. Ich wusste nicht, dass er immer noch diese rauflustige Ader hat. Aber er ist ja auch mein Bruder.
»Hör zu, ich weiß, dass sie Teil deines großen Plans war – aus dem du mich übrigens ausgeschlossen hast.« Er schaut zu Boden. »Sie waren auch meine Eltern, Mateo.«
Das trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube, auch wenn ich weiß, dass es das nicht sollte. Ich habe ihn absichtlich nicht in meine Pläne einbezogen, damit er nicht verletzt wird. Er ist zu gutmütig, um die Dinge zu tun, die ich täglich tue. Und ein kleiner Teil von mir beneidet ihn darum. Aber noch mehr als das möchte ich, dass es so bleibt. Das Gute in ihm ist ein Teil meiner Mutter, ein Teil, den ich niemals beschmutzen möchte.
»Ich weiß, dass sie das waren, Lito.« Ich ergreife seine Schulter. »Und ich weiß, dass du genauso viel Rache verdienst wie ich. Ich würde sie lieber einfach austeilen und dir Bescheid geben, wenn es erledigt ist.«
»Das ist die Sache. Ich will mich nicht an Leuten rächen, die nichts mit dem zu tun haben, was mit Mama und Papa passiert ist. Wie Lucretia. Sie ist unschuldig. Egal, wer ihre Eltern sind oder wie ihr Nachname lautet – sie war wie ich. Sie war größtenteils draußen und hatte ein Leben in der Welt außerhalb der Familien begonnen. Aber ihre beschissenen Eltern haben sie nach dem Tod ihres Bruders wieder reingezogen.« Er neigt seinen Kopf zur Seite. »Wissen wir, wer es war?«
»Ihr Bruder? Nein. Ich habe davon gehört, als es passiert ist – vor allem, weil er auch auf meiner Liste stand – aber niemand hat ein Wort gesagt.«
»Ist das nicht verdammt seltsam?« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Du scheißt, und es ist die Schlagzeile auf den iPhones der Familien, aber ein erstgeborener Sohn wird umgebracht, und niemand macht einen Piep?«
»Das ist definitiv nicht normal. Ich habe meine Fühler ausgestreckt, aber es hat niemand angebissen. Warum? Worauf willst du hinaus?«
Er zuckt mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber es ist schon seltsam, das ist alles. Und Lucretia ist vielleicht mehr darin verwickelt, als du denkst. Vielleicht ist sie eine Figur in einem viel größeren Spiel.«
»Wenn das stimmt – und ich behaupte nicht, dass es so ist – wer hat dann das Sagen? Wer hat die Fäden in der Hand?«
»Keine Ahnung, aber irgendetwas passt da nicht zusammen.«
»Bist du jetzt ein Privatdetektiv?«
»Nur weil ich schlauer bin als du, heißt das nicht, dass ich ein Detektiv bin.« Er grinst.
»Wahnvorstellungen.« Ich deute auf die Tür. »Lässt du mich jetzt durch?«
»Nein. Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet.«
»Welche?« Ich halte ihn hin.
»Du weißt, welche.«
Liebe. Ich bin nicht bereit, mich dem zu stellen, und würde ich sie überhaupt erkennen? Ich bin schon so lange auf einem dunklen Pfad, dass ich Liebe nicht als solche wahrnehmen würde, wenn ich sie sehen würde.
»Ich weiß es nicht.«
»Du lügst.« Litos Augen verengen sich. »Vor allem dich selbst an.«
»Du hast deine Antwort bekommen. Lässt du mich jetzt durch?« Ich gehe auf ihn zu. »Oder brauchst du eine Tracht Prügel wie in alten Zeiten?«
»Ich trainiere dreimal die Woche, großer Bruder.« Er bauscht seine Vogelbrust auf. »Pass lieber auf, wie du mit mir sprichst.«
Ich versuche, nicht zu lachen, aber mir entweicht trotzdem ein Glucksen.
»Arschloch!« Er schubst mich weg, öffnet die Tür und stapft den Flur entlang.
»Vergiss nicht, die Bekleidungsläden anzuru…«
»Das werde ich nicht. Verpiss dich!« Er zeigt mir den Stinkefinger und verschwindet im Foyer.