Rettet den Streichelzoo!
Wie jeden strahlenden Sommernachmittag war die Eisdiele gut besucht. Das warme Wetter und ein leckeres Eis machten den Leuten gute Laune. Nur an Tisch Nummer 5 herrschte Begräbnisstimmung. Max, Paula, Torben und Viola stocherten trübsinnig in ihren Eisbechern herum.
„War das schrecklich“, brach Paula das minutenlange Schweigen. „Als wir vor diesem Typ von der Stadt, dem Zoodirektor und Kommissar Welkenrath gestanden haben … Ich hab mir die ganze Zeit gewünscht, ein Loch würde sich unter mir auftun, durch das ich verschwinden könnte.“
Die anderen nickten.
„Ich bin mir wie ein richtiger Schwerverbrecher vorgekommen“, seufzte Max und legte die Eiswaffel appetitlos auf den Tellerrand.
Die Erinnerung an die unangenehme Situation jagte Paula einen Schauer über den Rücken. „Nie wieder mach ich was Verbotenes! Mein ganzes Leben lang nicht“, schwor sie.
Betrübt drehte Viola das rote Eisschirmchen zwischen den Fingern.
Torben ließ seinen Löffel in das geschmolzene Eis klatschen. „Mama und Papa waren ganz schön enttäuscht von uns. Da haben wir echten Bockmist gebaut!“
„Und geholfen hat es niemandem“, setzte Paula hinzu. „Flocke, Stern, Sylvester, Momo, Sokrates der Zweite und die anderen Tiere sind wieder genau da, wo sie vorher waren.“
„Wer ist Sokrates der Zweite?“, fragte Viola.
„Das schwarze Meerschweinchen. Ich hab ihm diesen Namen gegeben, weil … weil … es mich an das Meerschweinchen eines Freundes erinnert hat“, stammelte Max.
Zum Glück lenkte Torben in diesem Moment das Gespräch in eine andere Richtung. „Maike und Corinna wirkten gar nicht glücklich darüber, dass die Tiere wieder da sind“, stellte er fest.
„Wundert dich das?“, rief Paula und schob energisch ihren Eisbecher weg. „Für sie war es auch ein Riesenschock. Und sie waren stinksauer, dass ihnen noch niemand von den Geldsorgen des Streichelzoos erzählt hatte. In ein paar Wochen macht der Zoo endgültig dicht und dann …“
Sie brauchte es nicht auszusprechen. Alle wussten, welches Schicksal den Tieren dann bevorstand. Sie würden an andere Zoos verkauft werden, als Schlangenfutter!
„Ach, verdammt noch mal!“, fluchte Paula so laut, dass einige der Gäste sich zu ihr umdrehten. „Die Tiere zu stehlen war falsch. Das hab ich ja mittlerweile auch eingesehen. Aber es muss doch einen Weg geben, um sie zu retten!“ Sie fuhr zu Max herum. „Los, denk nach, Superhirn. Wirf deine grauen Zellen an! Du weißt doch sonst auf alles eine Antwort.“
„Wir spenden einen Riesenbatzen Geld und der Streichelzoo kann bleiben“, schlug Torben vor.
„Na dann schmeißen wir einfach unser Taschengeld zusammen und die Sache ist geritzt“, freute sich Paula. „Da hättest du auch draufkommen können, Mäxchen!“
„Da wird unser Taschengeld aber nicht reichen“, sagte Max traurig. „Stell dir doch mal vor, wie viel so ein Streichelzoo kostet. Die Tiere müssen gefüttert und gepflegt werden, und dann muss auch noch der Tierarzt bezahlt werden.“
„Mein Sokrates der Zweite, er ist verloren“, wisperte Sherlock, der mit Lilly auf dem hauseigenen Springbrunnen thronte und das Gespräch mit angehört hatte.
Doch Paula gab sich nicht so schnell geschlagen. „Gut, gut. Das Taschengeld reicht also nicht. Dann müssen wir eben Geld verdienen.“
„Wir könnten Zeitungen austragen oder Nachhilfe geben“, schlug Viola mit leuchtenden Augen vor.
„Nein, das dauert alles zu lange“, winkte Max ab. „Es müsste etwas sein, womit wir auf einen Schlag einen Haufen Geld verdienen können.“
„Ich hab’s!“, schrie Paula und sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl umkippte.
Die anderen Gäste unterbrachen ihre Gespräche und starrten das Mädchen an, das da so einen unerhörten Radau veranstaltete.
Aber das kümmerte Paula nicht. „Wir organisieren einen Flohmarkt! Max, weißt du noch bei unserem Umzug ins Schloss Schlotterfels? Wie Frau Hagedorn da geflucht hat, weil wir uns nicht von unseren alten Spielsachen trennen wollten? Wie gut, dass wir es nicht gemacht haben. Der ganze Krempel bringt bestimmt total viel ein!“ Aufgeregt wandte sie sich an Torben und Viola. „Und ihr habt doch sicher auch irgendetwas, was ihr verkaufen könnt.“
„Na klar!“, rief Torben.
„Was meinst du, Lilly, ob wir auch etwas finden, was wir beisteuern könnten?“, flüsterte Sherlock seinem Hund zu. Der wedelte zuversichtlich mit dem Schwanz.
Als Paula Max’ zweifelnden Blick sah, ergänzte sie: „Nicht nur wir verkaufen Sachen auf dem Flohmarkt, sondern jeder, der den Streichelzoo retten möchte, kann mitmachen. Die ganze Sache steigt kommenden Samstag im Schlosspark“, freute sie sich über ihre eigene Idee. „Das ist es! Das ist die Lösung!“
„Meinst du, Papa erlaubt das?“, fragte Max.
„Na logo! Du kennst doch Papa!“
Paula sollte Recht behalten. Dr. Kuckelkorn gab nicht nur seine Einwilligung, er sagte den Kindern auch seine volle Unterstützung zu. Während Paula, Max, Viola und Torben Plakate malten und Flugblätter entwarfen, setzte Dr. Kuckelkorn den Flohmarkt auf die Internetseite des Museums. Außerdem erzählte er jedem, den er traf, von der geplanten Aktion.
In der Schule, der Eisdiele, der Bäckerei, am Streichelzoo und am Tor des Schlossmuseums – überall, wo die Kinder die Plakate aufhängen durften, kündigten bunte Buchstaben den Flohmarkt an:
RETTET DEN STREICHELZOO!
Großer Flohmarkt
Wann: Samstag, 15.00 Uhr
Wo: Schlosspark Schloss Schlotterfels
Rettet den Streichelzoo! Das war auch die Überschrift der Flugblätter, die Viola, Torben, Max und Paula auf ihren Wegen durch die Stadt jedem in die Hände drückten. Herr Strohtkötter kündigte den Flohmarkt sogar groß in seiner Zeitung an.
Mit schmalen Lippen beobachtete Frau Hagedorn vom Eingangsportal des Schlosses aus die Menschenmassen, die am Samstag in den Park strömten. Eltern trugen für ihre Kinder Tische, Stühle und säckeweise ausrangiertes Spielzeug und Kleidungsstücke über die Kieswege.
„Also Frau Hagedorn“, setzte Dr. Kuckelkorn begeistert an, als er durch die Halle auf sie zuging, „ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie stolz ich auf Max und Paula bin. Wie die sich für den Streichelzoo einsetzen – ganz große Klasse!“
„An den Rasen und die Blumenbeete haben Sie dabei wohl weniger gedacht“, antwortete die Haushälterin spitz. Sie war immer noch verschnupft, weil Dr. Kuckelkorn in ihren Augen zu nachsichtig mit seinen Sprösslingen umgegangen war. „Ich weiß, meiner Meinung messen Sie nur wenig Bedeutung bei. Dennoch möchte ich anmerken, dass ein Denkzettel in Form einer satten Strafe für Max’ und Paulas Entwicklung weitaus besser gewesen wäre.“
Dr. Kuckelkorn seufzte. Seine Erlösung nahte in Gestalt von Kommissar Welkenrath, der schon von Weitem einen Gegenstand in der Luft schwenkte.
„Hallo, Richard“, begrüßte ihn Dr. Kuckelkorn. „Was hast du denn da mitgebracht?“
Der Kommissar lächelte schelmisch. „Meinen Beitrag zum Erhalt des Streichelzoos: eine waschechte Detektivlupe“, erklärte er und streckte dem Museumsdirektor die Lupe entgegen. „Damit habe ich schon so manchen Langfinger zur Strecke gebracht.“
„Wo hast du denn das antike Schmuckstück her?“
„Pssst“, machte Kommissar Welkenrath. „Dienstgeheimnis.“
Lachend spazierten die Männer in den Schlosspark. Dort war mittlerweile eine kleine Verkaufsstadt entstanden. Käufer und Verkäufer feilschten um die Preise wie auf einem richtigen Basar.
„Für den Streichelzoo“, sagte Kommissar Welkenrath und reichte Max die Lupe.
„Das ist aber supernett von Ihnen“, freute sich Max und legte die Lupe auf einen Stapel Kinderkrimis.
„Gerne“, erwiderte der Kommissar. „Aber dafür müsst ihr mir versprechen, nie wieder so einen Blödsinn zu machen!“
„Haben wir doch schon“, knurrte Paula. Langsam hatte sie die Vorhaltungen satt.
„Stimmt. Und im Übrigen ist jetzt genug gesiezt. Ich bin Richard. Aber untersteht euch, Richie zu mir zu sagen!“
Max und Paula kicherten. „Das sagen wir nur, wenn Sie … äh … wenn du uns geärgert hast“, versprach Paula. „Habt ihr gesehen?“, sprudelte sie gleich weiter. „Maike und Corinna sind auch gekommen. Sie haben eine Wand mit Fotos vom Streichelzoo aufgestellt und verkaufen Patenschaften. Wenn jemand Pate werden will, muss er ein Jahr lang die Futterkosten für sein Patenkind … äh … für sein Patentier übernehmen.“
Kommissar Welkenrath nickte anerkennend.
„Und was machen eure Geschäfte?“, fragte Dr. Kuckelkorn, während er seinen Blick über die Auslagen seiner Kinder schweifen ließ. Plötzlich stockte er. „Max, deine Bounty?“ Er deutete auf den Modellbau des berühmten englischen Schiffes, auf dem die Seeleute gegen Kapitän Bligh gemeutert hatten.
Max presste die Lippen aufeinander und zuckte möglichst gleichgültig mit den Schultern.
Dr. Kuckelkorn wurde es ganz warm ums Herz. Es gab für Max nichts Größeres als seine Modellbauschiffe, das wusste sein Vater ganz genau. Es musste für ihn wahnsinnig schwer sein, sich von diesem Prachtstück zu trennen.
„Ich habe einen Superbruder, nicht wahr?“ Stolz legte Paula den Arm um Max’ Schultern. „Da kann ich nicht mithalten. Obwohl ich eben meinen alten Matheklassenarbeitstrainer verkauft habe. Aber ich gebe zu, das war kein echtes Opfer.“
Torben bot Holzbauklötze, Computerspiele und Paninibilder zum Verkauf an. Dass sich vor Viola Barbies, Feen, Prinzessinnen und Einhörner aus rosarotem Plüsch stapelten, wunderte Paula und Max nicht im Geringsten.
Auch die Eltern Strohtkötter waren gekommen. Frau Strohtkötter hatte Kuchen, Muffins und Brownies gebacken und verkaufte sie zusammen mit Mineralwasser und Zitronenlimonade.
Am frühen Abend war der ganze Zauber vorbei.
„Vielen Dank für eure und Ihre Mithilfe!“, bedankten sich Max und Paula bei den Kindern und Erwachsenen, die der Reihe nach bei ihnen aufmarschierten, um ihre Einnahmen abzugeben. Es entging den Geschwistern nicht, dass viele der mitgebrachten Sachen unverkauft wieder den Heimweg antraten. Max’ Bounty würde später auch wieder auf ihrem angestammten Platz stehen. Auf der einen Seite war Max froh darüber. Auf der anderen Seite ahnte er, dass sie heute wohl nicht genug Geld eingenommen hatten, um den Streichelzoo zu retten.
„Die Höhe des Gesamterlöses können Sie in den nächsten Tagen in der Zeitung nachlesen“, verkündete Torben fachmännisch.
„Danke, auch im Namen der Tiere, vielen Dank!“, rief Paula und verbeugte sich jedes Mal, wenn Münzen in den bereitgestellten Korb klimperten.
„Darf ich Sie zu einer Tasse Tee ins Schloss bitten?“, fragte Dr. Kuckelkorn Herrn und Frau Strohtkötter, Maike und Corinna. „Dann können unsere Finanzgenies in Ruhe zusammenrechnen. Richard?“
„Gegen eine Tasse Tee ist nichts einzuwenden“, entschied der Kommissar und schlenderte mit den anderen Erwachsenen ins Schloss.