„Was ist denn hier los?“, rief Paula und bahnte sich zwischen herumwuselnden Tierchen ihren Weg zum weinroten Samtsofa.
„Das siehst du doch!“, fauchte das Gespenst ungnädig. „Revolution! Die Geretteten entpuppen sich als Tyrannen!“
„Was?“ Paula verdrehte die Augen und setzte sich eines der Meerschweinchen auf den Schoß. „Wovon reden Sie, Freiherr von Schlotterfels?“
„Ich glaube, er meint die Tiere“, sagte Max grinsend. „Er hat Angst vor ihnen.“
Die Augen des Gespenstes verengten sich sofort zu schmalen Schlitzen. „Ich? Angst? Vor ein paar aufsässigen Nagern? Lächerlich!“, protestierte Sherlock. „Ihr habt schön in euren Bettchen gelegen und geschlummert. Währenddessen konnte ich kein Auge zutun. Dieses Gequieke! Unerträglich! Und seht doch nur: Sie nagen alles an! Sessel, Sofa, Schränke – sogar mich wollten sie annagen. Mit vereinten Kräften haben sie sich auf mich gestürzt, um mich zu verspeisen! Selbst Sokrates der Zweite! Aber ich konnte mich in allerletzter Sekunde auf mein Sofa retten!“
„So ein Quatsch“, rief Paula lachend.
Sherlock schüttelte so energisch den Kopf, dass seine Perücke herunterzurutschen drohte. „Irrtum, meine Liebe! Sieh doch nur, wie hungrig sie mich anstarren! Sapperlot noch eins!“
„Aber Freiherr von Schlotterfels, Sie sind ein Gespenst. Die Tiere können Ihnen gar nichts tun“, sagte Paula.
„Außerdem sind das hier alles Pflanzenfresser“, fügte Max hinzu. „Die mögen am liebsten Gemüse und Obst.“
Sherlock schien immer noch nicht überzeugt.
Max ging in die Hocke und hielt Sokrates dem Zweiten eine Möhre hin. Sofort machte er sich darüber her. „Torben und Viola müssen heute Nachmittag unbedingt Futter mitbringen. Das hier reicht höchstens für zwei Tage.“
Paula nickte. „Ich ruf sie an und sag ihnen Bescheid.“
Während Sherlock zaghaft die Zehenspitzen auf den Boden setzte, fragte er: „Wann werdet ihr denn wohl mit dem Bau des Geheges fertig sein?“
„Wenn alles gut geht, heute Nachmittag“, antwortete Max. „Wir sollten uns beeilen. Die Tiere müssen so schnell wie möglich aus dem Schloss. Bevor Frau Hagedorn noch Lunte riecht.“
„Ich hätte nie gedacht, dass ich eurer fetten Dienstmagd einmal für irgendetwas dankbar sein würde“, vernahmen sie auf einmal Sherlocks Stimme unter dem Bett. „Aber, Potzblitz, ich bin’s!“ Ächzend kroch er wieder darunter hervor und schwenkte triumphierend den vermissten Schnallenschuh in der Luft.
„Dann würde ich vorschlagen, dass Sie sich diesmal ein wenig nützlich machen“, sagte Paula lächelnd.
„Sapperlot noch eins! Das werde ich!“, versprach das Gespenst entschlossen.
Wie verabredet kamen Viola und Torben um Punkt drei Uhr zum Schloss. Max und Paula lotsten sie gemeinsam mit Sherlock und Lilly zu der alten Hütte im Birkenwäldchen. Glücklicherweise lag sie gut versteckt hinter den Bäumen.
„Super, dass ihr so viel Futter mitgebracht habt“, sagte Paula und betrachtete die Tüten, die Viola angeschleppt hatte.
Torben trug eine Kiste auf dem Arm. „Schaut mal, wen wir noch dabeihaben!“
Paula klappte den Deckel auf und linste mit Max und Sherlock hinein.
„Sylvester und Momo!“, freute sich Paula.
„Und die Mäuse! Und die Kaninchen!“, rief Max und strahlte vor Glück.
„Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir“, sagte Torben stolz: „Kinder retten putzige Tierchen vor sicherem Tod!“
„Nur leider wird das nie in irgendeiner Zeitung stehen“, erwiderte Paula ernst. „Das hier muss unser Geheimnis bleiben! Sonst gibt es einen Mordsärger!“
Torben grinste.
„Paula hat Recht“, sagte Max.
„Schon gut, schon gut.“ Torben machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich verrat schon nichts.“
„Ich auch nicht“, sagte Viola.
Max legte die Hand auf die Türklinke. Und plötzlich war seine Freude wie weggefegt. Das schlechte Gewissen war wieder da. Sie hatten einen Diebstahl begangen. Auch wenn sie nur die Tiere retten wollten – es war und blieb ein Diebstahl. Sie hatten sich strafbar gemacht.
„Das ist ja die reinste Rumpelkammer“, rief Torben, als er über Max’ Schulter hinweg einen Blick in die Hütte warf.
„Das ist eine prima Hütte! Und hier ist alles, was wir brauchen!“, herrschte Max Torben an. Mit einem Mal war er wütend auf ihn. Dieses Großmaul! Und außerdem: Wären Torben und Viola nicht zu ihnen gekommen und hätten sie um Hilfe gebeten, würden sie jetzt nicht in diesem Schlamassel stecken.
Torben nickte. „Na gut, dann lasst uns loslegen. Und danach holen wir die anderen Tiere aus eurem Geheimversteck. Ich bin schon total gespannt, wo das ist.“
„Nein“, erwiderte Max in scharfem Ton. „Das ist viel zu auffällig. Paula und ich machen das allein. Und zwar heute Nacht.“
„Was ist denn mit dir los, Max?“, fragte Paula verwundert.
„Nichts“, antwortete Max barsch.
„Grundgütiger“, säuselte Sherlock. „Da hat aber einer schlechte Laune. Vermute, das Mittagessen war nicht nach seinem Geschmack?“
„Eisbein mit Püree und Sauerkraut“, antwortete Paula und verzog bei der Erinnerung daran den Mund. „Frau Hagedorns Rache, weil wir heute Morgen verschlafen haben.“
„Also los, fangen wir an!“, rief Max und zerrte ein paar Holzleisten und Maschendraht aus einer Kiste.
Auch Sherlock rieb sich tatendurstig die Hände und flüsterte Paula ins Ohr: „Nun denn, meine Liebe, wie können Lilly und ich behilflich sein?“