17
Nur mit äußerster Mühe gelang es mir, aufrecht stehen zu bleiben und nicht meinen Knien nachzugeben, die mir höchst nachdrücklich nahelegten, ich solle mich hinsetzen. Ohne die Unterstützung der Bankreihe vor mir, deren Rückenlehne ich mit weißen Knöcheln umklammerte, hätte ich es gewiss nicht geschafft. Entsetzt und ungläubig starrte ich sie an, während sie immer näher kam, eine alptraumhafte, verschleierte Erscheinung, die mit scheuem Lächeln unterwegs ihren Freunden zunickte, sie ging am Arm ihres Vaters, eines kleinen, rotgesichtigen Mannes mit hervorquellenden Augen. Meine Augen quollen vermutlich auch hervor, ich konnte nicht glauben, was ich da sah.
»Ziemlich hübsch«, flüsterte Jennie mir anerkennend ins Ohr, denn wir hatten von dem höher gelegenen Chorgestühl aus einen guten Überblick.
»Ziemlich unglaublich!«, stieß ich vielleicht ein wenig laut hervor, sodass selbst Molly, die zwar stockunmusikalisch, aber dennoch nicht stocktaub war, sich zu uns umdrehte.
»Pssst!«, versuchte Jennie mich besorgt zum Schweigen zu bringen. »Was meinst du damit?«
»Das ist Emma Harding!«, zischte ich. »Die Phil gevögelt hat, bis er vor ein paar Wochen den Löffel abgegeben hat!«
Der Schock auf Jennies Gesicht konnte ohne Weiteres mit der Wut auf meinem mithalten. Das Blut wich aus ihren Wangen und ihr stockte der Atem, so als hätte ein Hochgeschwindigkeitsvakuum ihr plötzlich die Luft aus allen Körperöffnungen gesaugt. Sie starrte mich wie vom Donner gerührt an. Dann richteten sich unsere Blicke wieder einträchtig auf die Braut.
»Ich fasse es nicht«, keuchte sie, tat es mir nach und umklammerte die vor uns stehende Bank.
»Ich schwöre bei Gott«, fuhr ich wütend fort, »sie hat auf meinem Sofa in meinem Wohnzimmer gesessen und mir treuherzig erklärt, sie würde keinen Penny von mir annehmen, bevor sie es sich mal eben anders überlegt hat. Ich würde ihre scheinheilige kleine Visage überall wiedererkennen!«
Jennie verarbeitete das Gesagte in entsetztem Schweigen, während Emma und ihr Vater weiterhin würdevoll auf uns zuschritten bis zu den Stufen, wo Simon und der Pfarrer bereits am Altar warteten.
»Und dabei war sie die ganze Zeit dabei, sich wieder Simon an den Hals zu werfen!«, sagte Jennie. »Die kleine Schlampe«, fügte sie bitterböse hinzu. Sylvia vor uns drehte sich mit einem missbilligenden Blick zu ihr um.
»Die hinterhältige kleine Schlampe«, pflichtete ich Jennie bei, ohne Sylvias wütendes Stirnrunzeln zu beachten.
Es war Emmas Glück, dass Pete noch immer volles Rohr dröhnte und unsere Bemerkungen nicht weiter als bis zu unseren nächsten Nachbarn reichten. Mit zusammengekniffenen Lippen sahen wir ungläubig zu, ohne befürchten zu müssen, dass sie uns erkennen könnte, da wir mit unseren Chorhemden und Halskrausen verkleidet waren. Emmas Blicke galten ohnehin ganz ihrem Bräutigam, der hoch aufgerichtet und stolz auf sie wartete; sie hatte keine Zeit, das Chorgestühl nach Lästerzungen abzusuchen. Als sie schließlich ganz in unserem Blickfeld stand, stellte ich fest, dass sie inzwischen weit mehr blonde Strähnchen als naturblonde Haare hatte und dass sie eine tiefe Saint-Tropez-Bräune zur Schau stellte, ihre Schultern, glatt und glänzend, entsprangen einem trägerlosen Kleid. Sie glitt in Position, und während Petes Schlussakkord im Gebälk verhallte, lächelte sie zu den Augen ihres Bräutigams empor. Simons Gesicht war erfüllt von ungeschmälertem Entzücken, während er zu ihr hinabblickte.
»Flittchen!«, zischte Jennie und selbst Angie neigte sich vor, um die Braut interessiert zu mustern.
Mike, unser Pfarrer, schaukelte auf den Schuhsohlen vor und zurück und sprach einige Begrüßungsworte – in denen er wie üblich die am Kirchendach dringend notwendigen Reparaturen erwähnte – und sagte dann das erste Gemeindelied an. Ich brachte wenigstens einige Worte davon hervor, aber Jennie neben mir stand die ganze Zeit stumm und bleich da. Schließlich flüsterte sie mir im Schutz der letzten Strophe, die von der Gemeinde mit voller Lautstärke gesungen wurde und zu der wir eigentlich die Oberstimme hätten liefern sollen, ins Ohr: »Am liebsten würde ich gleich etwas sagen.«
Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte einen wild entschlossenen Blick aufgesetzt, wie ich ihn von früher her kannte. »Wie – du meinst, wenn die Frage nach einem Ehehindernis gestellt wird?«
»Nun ja, dafür ist sie ja da, die Frage, Poppy.«
»Und was dann?«, japste ich. »Was würdest du sagen?«
»Etwas wie: Hast du eine Ahnung, mit was für einer durchtriebenen, geldgierigen Opportunistin du dich da einlassen willst? Ach ja, und übrigens war der verheiratete Mann, mit dem sie gevögelt hat, mit meiner besten Freundin verheiratet und war der Vater ihrer Kinder. An so etwas in der Art hatte ich gedacht.«
»Tu das lieber nicht«, flüsterte ich nervös. »Er scheint ihr durchtriebenes kleines Herz wirklich zu lieben und vergiss nicht, dass er das mit dem verheirateten Mann wusste, das von den Kindern vermutlich auch. Und die Tatsache, dass es mein Mann war, wäre ihm, hätte er Phil gekannt, vermutlich ein großer Trost gewesen.«
Ja, dachte ich, als das Lied auf einem hohen Ton endete, Simon hatte bestimmt geglaubt, er müsste sich gegen einen gutaussehenden, männlichen Loverboy behaupten, gegen einen, der es echt draufhatte und mit unstillbarem Verlangen gesegnet war. Und dabei war es die ganze Zeit nur Phil gewesen. Phil Shilling mit seinen schütter werdenden aschblonden Haaren, der langen Nase, die an der Spitze rot wurde und tropfte, wenn es kalt war, seinen dünnen Lippen, ganz zu schweigen von seinem sehr dünnen … Nun ja. Nicht, dass Größe eine Rolle spielte … Aber was hatte sie nur in ihm gesehen? Das verblüffte mich am meisten, als wir uns wieder hinsetzten, um ihnen zuzuschauen, wie sie ihr Ehegelübde ablegten.
Hatte ich Phils verblüffende Ähnlichkeit mit George Clooney nicht bemerkt? War ich vielleicht voreingenommen aufgrund meines Mangels an Sensibilität? Hatte er in Wirklichkeit sprühenden Witz und ein bezauberndes Wesen gehabt, aber immer nur dann, wenn ich gerade nicht im Zimmer war? Hatte ich es aus ihm herausgesaugt, ihn ausgequetscht mit meiner dominanten Art und den Manieren eines Fischweibs? War es meine Schuld? Man muss mich nicht besonders gut kennen, um zu merken, dass dieser Gedankengang tief in meiner Psyche verankert war; dass der Finger der Schuldzuweisung, selbst wenn ich vollkommen unschuldig war, plötzlich herumschwingen und unbarmherzig auf mich deuten konnte. Schließlich hatte ich ihn mir ja einst ausgesucht, nicht wahr? Genau wie Emma. Er musste ja irgendwelche liebenswerten Eigenschaften besessen haben.
Heldenhaft setzte Jennie sich im kritischen Moment auf ihre Hände, als der Pfarrer die Anwesenden fragte. Ich sah zu, wie Simon Emma einen Ring auf den Finger schob und ihr zärtlich in die Augen blickte. Diesen Blick und diesen Ring hätte sie auch schon vier Jahre zuvor haben können, wenn Phil nicht gewesen wäre. Unglaublich. Das führte bei mir nicht nur zu Knoten, sondern zu regelrechten Verwerfungen im Hirn. Fieberhaft suchte ich nach Erklärungen.
Sie hatten zusammengearbeitet, Phil war ihr Chef gewesen. Ja, das musste es gewesen sein: Die herrische Art, in der er sie in sein Büro rief, um neue Geschäftsfelder zu besprechen, wobei er seine Nasenhaare mit dem kleinen Finger zurückschob; das hatte bestimmt ihr Blut in Wallung gebracht. Oder die attraktive Art, in der er sich mindestens zweimal räusperte, bevor er etwas sagte, und dann noch seine langsame, sanfte, mega-herablassende Sprechweise, mit der er implizierte, dass er in dieser Geschwindigkeit und Lautstärke sprechen musste, weil sein Gesprächspartner nicht nur minderbemittelt, sondern auch noch in der Lage war, gewalttätig zu werden, wenn Phil auch nur einen annähernd normalen Ton anschlug. Die Erinnerung schlug in einer grässlichen Welle über mir zusammen: Die Art, wie er geduldig einen Topf vom Herd nahm, das Wasser wegschüttete und dabei ruhig erklärte, dass Kartoffeln in kaltem Wasser aufgesetzt wurden, nicht in warmem. Wie oft musste er mir das noch erklären? Die Art, in der er mir zeigte, wie ich die Arbeitsflächen in der Küche zu säubern hatte, was er als ›Oberflächen-Training‹ bezeichnete. Wie er beim Nachhausekommen von der Arbeit verstohlen über die Fensterbank gewischt hatte, noch im Mantel, auf der Suche nach Staub. Wie ich zu Anfang explodiert war und rumgebrüllt hatte, die Fäuste vor Wut geballt und, ja, sogar einmal einen Teller geworfen hatte. Und dann später, als die Kinder da waren, hatte ich es einfach geschluckt, hatte das Haus mustergültig sauber gehalten und einfach weitergemacht. Ich hatte in meinem Kopf gelebt; ein komplett anderes Szenario, in dem ich mit jemand anderem verheiratet war, jemand Liebenswertem.
Warum hatte ich nicht eine Weile mit ihm zusammengelebt, bevor ich geheiratet hatte? Okay, es waren ein paar Monate gewesen, aber es hätten ein paar Jahre sein müssen! Keines meiner Kinder, beschloss ich mit Nachdruck, würde jemals vor dem Traualtar unter die Augen Gottes treten, ohne zuvor in Sünde gelebt zu haben.
Jetzt schob Emma den Ring an Simons Finger. Ich sah sie ungläubig an. Ich war an Phil gebunden gewesen, hatte Kinder von ihm. Ich hatte ihn an der Backe und konnte mich nur durch sehr unschöne Vorgänge von ihm lösen. Aber diese junge Frau – ich sah zu, wie sie und Simon sich hinknieten und die Köpfe neigten, um den Segen des Pfarrers zu empfangen – diese junge Frau hatte seinetwegen freiwillig ihr Leben um vier Jahre verschoben. Was war mir da entgangen?
Als Nächstes kam das Gloria an die Reihe, während Braut und Bräutigam in der Sakristei verschwanden, um sich in das Kirchenbuch einzutragen. Jennie und ich schmetterten wütend drauflos, sodass sich der eine oder andere Kopf verwundert umdrehte, angesichts unserer Lautstärke. Dann kam das glückliche Paar zurück und es folgte noch ein weiteres Kirchenlied, irgendetwas mit »göttlicher Liebe« und »ewiger Treue« – nein, das konnte ich wirklich nicht singen. Dann noch eine Ansprache von unserem Pfarrer Mike.
Ich kann nur vermuten, dass Mike wieder dem Sherry zugesprochen oder einen Streit mit seiner Frau Veronica gehabt hatte, die in ihrer üblichen Bank saß, denn selbst für seine Verhältnisse war die nun folgende Predigt nachgerade brutal. Sein Thema war Liebe und die verschiedenen Formen, in denen sie auftrat. Einigermaßen unverfänglich hätte man meinen können. Und genauso fing der bärtige Waliser auch an: platonische Liebe, dann die brüderliche Liebe, dann die elterliche und schließlich die erotische, »… über die ich selbst absolut gar nichts weiß!«, schimpfte er und warf seiner Frau einen bitterbösen Blick zu. Natürlich bemühte sich die versammelte Gemeinde, nicht zu Veronica hinzusehen, die sich vielleicht innerlich wand, die Situation aber bewundernswert meisterte, indem sie ruhig und ungerührt sitzen blieb, während in den Köpfen ihrer Banknachbarn laut und deutlich und mit Veronicas Stimme »Nein, Mike, zum letzten Mal, so was mache ich nicht!« ertönte.
Noch ein Lied, bevor Pete sich in einen Mozart-Kanon stürzte, und dann war der Gottesdienst endlich zu Ende. Während Braut und Bräutigam zu triumphalen Klängen durchs Kirchenschiff schritten, zogen Jennie und ich uns hastig die Kutten über den Kopf und ließen sie in einem Haufen in der Sakristei liegen, bevor wir geradewegs aus der Hintertür marschierten. Wir machten nicht Halt, um zu gratulieren, und warfen auch kein Konfetti, sondern machten endlich unseren Gefühlen Luft.
»Zicke!«
»Schlampe!«
»Ich kann es nicht fassen«, fauchte ich, während wir zusammen über den schmalen Pfad an der Längsseite eilten, um den Haupteingang zu umgehen. Unsere Handtaschen hielten wir fest an uns gedrückt.
»Und dass sie dann auch noch ausgerechnet hier heiratet!«, kreischte Jennie. »In deiner Kirche, wo du geheiratet und wo du eben erst deinen Mann – ihren Liebhaber – beerdigt hast!«
»Allerdings!«, pflichtete ich ihr bei und blieb einen Augenblick stehen, als mich die Wucht dieser Erkenntnis traf. Ich fuhr herum. »Sie muss direkt an ihm vorbeigehen«, hauchte ich. »Er liegt gleich neben dem Weg.«
Wir sahen zu, wie der Brautzug aus der Kirchentür und an Phils weithin sichtbarem, noch sehr frischem Erdhügel vorüberzog. Emma würdigte ihn keines Blickes.
»Das ist ja eine ganz Durchtriebene«, sagte Jennie und kniff die Augen zusammen.
»Kalt wie ein Eisberg«, pflichtete ich ihr bei und wunderte mich über das Ausmaß ihrer Dreistigkeit.
»Und der arme Simon hat keine Ahnung, worauf er sich da einlässt. Was für ein Miststück er da eben geheiratet hat.«
»Wirst du es ihm sagen?«, fragte ich, als wir kehrtmachten und davoneilten. »Ich meine, dass es der Tod meines Mannes war, auf den er letztlich gewartet hat?«
Jennie dachte eine Weile nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich werde nicht mehr mit Simon reden. Jetzt nicht mehr, nachdem er die da geheiratet hat. Ich hatte gehofft, wir könnten Freunde bleiben, aber ich bezweifle, dass wir uns noch einmal über den Weg laufen werden. Ich bin sicher, dass er jetzt auch nicht mehr zum Buchclub kommt. Komisch, oder?« Sie runzelte die Stirn und richtete den Blick in die Ferne. »Er ist offenbar davon überzeugt, dass er sie durch und durch kennt. Sie hat nebenan gelebt, weißt du; sie sind zusammen aufgewachsen. Ihr Vater war der Gärtner von Simons Familie. Sie haben in einem Häuschen auf dem Gelände gewohnt.«
»Oh … verstehe.« Ich dachte daran, wie ich in meinem Wagen vor dem Meadow Bank Cottage gestanden hatte, das zum Meadow Bank House gehörte. »Dann werden sie wohl bald in dem großen Haus wohnen, wenn Simon es erbt. Hattest du nicht gesagt, sein Vater sei gestorben?«
»Ja, und die Mutter will ausziehen, weil sie findet, dass es zu groß für sie ist.«
»Perfektes Timing dann mal wieder für Miss Harding«, sagte ich düster und fassungslos.
»Genau«, sagte Jennie, als wir bei ihrem Gartentor ankamen. »Na dann viel Glück«, fuhr sie säuerlich fort. »Du weißt ja, wie es heißt: Wer Geld heiratet, wird dafür bezahlen. Und sie hat ihn ganz eindeutig deswegen geheiratet. Wenn sie ihn lieben würde, hätte sie es schon vor Jahren getan.« Sie schauderte. »Der arme Simon. Im Vergleich dazu steht meine eigene Ehe immer besser da, das muss ich schon sagen. Alles natürlich nur relativ gesehen. Der gute alte Dan«, sagte sie beinahe liebevoll. »Wenigstens habe ich ihn nicht wegen seines Geldes geheiratet. Da wäre ich nämlich bitter enttäuscht worden. Oh, hallo! Wenn man vom Teufel spricht …«
Wir waren jetzt auf der Straße, die in die eine Richtung zur Galopprennbahn führte und in die andere Richtung den Hügel hinauf nach Wessington, wo zweifellos der Hochzeitsempfang stattfinden würde – vermutlich nicht im Haus der Braut, sondern in den atemberaubend großartigen Parkanlagen des Bräutigams gleich nebenan. Dan stand mitten auf der Straße neben einem alten Morgan, einem seiner katastrophalen Wagen. Die Motorhaube stand offen, Dampf quoll hervor und Dan kratzte sich am Kopf.
»Was für eine Überraschung, er ist liegengeblieben«, bemerkte Jennie, aber sie sagte es mit etwas weniger Nachdruck, als möglich gewesen wäre. »Und ich dachte schon, er wäre gekommen, um mich zu entführen, mein Ritter in seiner glänzenden Rüstung.«
»Kleines Problem mit dem Kühlerventil!«, rief Dan uns munter über die geöffnete Motorhaube hinweg zu, während er in Dampfwolken unterzugehen drohte. Hinter ihm hatten bereits ein paar Wagen angehalten.
»Ach wirklich, mein Schatz? Na, macht doch nichts«, gurrte Jennie zurück. »Ich bin sicher, das kriegst du wieder hin.« Sie grinste mir zu. »Das ist meine neue Herangehensweise. Sie heißt Nicht-mein-Problem. Keine Ahnung, warum ich nicht früher darauf gekommen bin.« Und schon eilte sie davon, wobei sie ihrem Mann noch ein strahlendes Lächeln schenkte in der Art einer Frau, die soeben auf dem Weg war, eine gute Flasche Rosé zu öffnen.
Das liegengebliebene Auto war allerdings ein Problem für die Hochzeitsgesellschaft. Die Church Lane war eng und Dan blockierte sie so, dass das flaschengrüne Oldtimer Cabriolet nicht vorbeipasste. Das glückliche Paar war bereits hinter dem betagten Chauffeur eingestiegen und wartete darauf, dass es losging. Sie machten zunehmend unglückliche Mienen, während Dan sich noch immer nicht von der Stelle rühren konnte.
»Können Sie mit dem Ding nicht beiseitefahren?«, verlangte Simon und stand gebieterisch auf. Er und seine Braut wurden mittlerweile mit allzu viel Konfetti überschüttet. Ein paar Jungs aus dem Dorf hoben es von der Straße auf und hatten einen Heidenspaß dabei.
»Hört auf!«, blaffte Emma sie an, da eine ordentliche Menge Split mit dabei war.
»Tut mir leid, alter Junge. Scheint futsch zu sein.« Dan grinste freundlich zurück.
»Na dann schieben Sie eben, oder können Sie das nicht?«
Dan zuckte mit den Schultern und maß den Hügel mit seinen Blicken. Es ging ziemlich steil bergauf, und daher, nein, das konnte er nicht, jedenfalls nicht allein.
Seufzend sprang Simon mit einem eleganten Satz aus dem Wagen. Ein paar weitere männliche Hochzeitsgäste folgten seinem Beispiel und eilten zu Hilfe: junge Männer in Cutaways, strotzend vor Testosteron, die sich vor ihren Freundinnen hervortun wollten, bevor es an den Champagner ging. Sie machten eine große Show draus, indem sie ihre Jacken auszogen, sie den Mädels reichten und dann die Ärmel hochkrempelten, während Dan unter großem Hallo auf den Fahrersitz des Morgan kletterte. Ich dagegen marschierte wie aufgezogen nicht etwa über die Straße zu meinem eigenen Haus und meiner eigenen Flasche Rosé, sondern in Richtung des Oldtimers.
Emma betrachtete das Schauspiel, das sich da vor ihren Augen abspielte, voller Verärgerung. Sie saß auf dem roten Ledersitz und hielt mit zusammengekniffenen Lippen ihren Brautstrauß umklammert. Das war eine Frau, die es gewohnt war, zu bekommen, was sie wollte, dachte ich beim Näherkommen. Eine Frau mit einem gewaltigen Anspruchsdenken. Sie konnte es gewiss nicht komisch finden, dass ihr Hochzeitsauto von einer liegengebliebenen alten Karre aufgehalten wurde. Sie legte nicht den Kopf in den Nacken und lachte laut los über ihren frisch angetrauten Ehemann, der das Ding die Straße hinaufschob, und genauso wenig dachte sie, das hier wäre etwas, das man später einmal den Kindern erzählen könnte. Und genau so wäre es auch bei Phil gewesen. Er wäre sehr sauer gewesen. Genau wie sie. Wie ähnlich sich die beiden waren, stellte ich fest; wie gleich. Sie hatten sich bestimmt blendend verstanden. Mein Herz krampfte sich plötzlich zusammen beim Gedanken an Simon, der da mit seinen Freunden lachte, während er Dan in seinem Morgan die Straße hinaufschob. Liebe machte wirklich blind, und vor allem wenn sie sich verstärkte, weil sie unerwidert blieb. Wenn aus Liebe Besessenheit wurde. Was ganz und gar nicht das Gleiche war. Ich stand jetzt neben dem Oldtimer, in dem Emma alleine und mit finsterer Miene hockte.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich leise.
Sie wandte den Kopf und ließ den Blick auf mir ruhen. Es dauerte eine Weile. Dann wurde sie blass.
Ich lächelte. »Sie sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Aber doch nicht das dort hinten auf dem Friedhof, oder?« Ich machte eine Kopfbewegung in die Richtung.
Sie holte zischend zwischen halb geöffneten Lippen Luft.
»Ich war eben bei Ihrer Hochzeit«, sagte ich. »Hab für Sie im Chor gesungen. Ich wohne hier, schon vergessen? Das hier ist meine Kirche. Mein Dorf. Schöner Gottesdienst. Ob es Phil wohl gefallen hat?«
Sie blickte rasch um sich, auf der Suche nach ihrem Bräutigam oder sonst jemandem, der ihr zu Hilfe eilen konnte. Ihre Augen waren angsterfüllt. Und Simon war auf dem Rückweg, aber ganz langsam, wischte sich die Hände an den Hosen ab, blieb stehen, um mit seinen Freunden zu scherzen. Sie war auf sich allein gestellt.
»Und glauben Sie ja nicht, dass Sie auch nur einen Penny von mir bekommen werden«, sagte ich nachdrücklich. »Denn das werden Sie nicht. Nicht einen einzigen Penny. Sie sind wirklich unglaublich dreist, Miss Harding. Oder sollte ich sagen, Mrs Devereux.«
Ich machte kehrt und ging davon, nach Hause, zu meinem wohlverdienten Glas Wein. Ich kam mir ein bisschen größer vor und mir war fast ein wenig schwindelig. Es passiert nicht oft, dass man den Wunsch hat, einer Braut den Tag zu verderben, dachte ich, als ich die Straße vor meinem Haus überquerte, aber ich hoffte inständig, dass es mir gelungen war.