18

Als ich mein Gartentor öffnete, dachte ich bei mir, dass ich ihr den Tag noch weit mehr hätte verderben können. Ich hätte beim Singen einen Hustenanfall kriegen können, sodass sie nach mir gesucht hätte, verärgert, wer da wohl so einen Radau machte. Ich hätte es während des Ehegelübdes tun können. Ihr kaltblütig in die Augen blicken und die Genugtuung haben können, zu sehen, wie sie vor dem Altar erbleichte und neben ihrem frisch vermählen Ehemann ins Schwanken geriet. Ja, das wäre süße Rache gewesen. Aber hätte es nicht letztlich einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen? Ich lächelte wehmütig in mich hinein. Anscheinend konnte ich ihr den Tag ein bisschen verderben, ihn aber nicht gänzlich ruinieren, auch wenn sie selbst kein Problem damit gehabt hatte, mein Leben zu ruinieren.

Aber hatte sie das? Mein Leben ruiniert? Abgesehen von den Ansprüchen, die sie jetzt erhob und die ganz entschieden unwillkommen waren, wäre sie mir ansonsten gewiss willkommen gewesen, hätte ich von ihrer Existenz gewusst. Ich ging den gepflasterten Weg hinauf und knipste in Gedanken eine verblasste Rose ab. Mir dämmerte, dass mein Leben ganz anders hätte verlaufen können, wenn ich den beiden nur früher auf die Schliche gekommen wäre, als alles anfing, als ich mit Clemmie schwanger war. Ich hätte Angst gehabt, klar, weil ich die Betrogene war und schwanger und dann alleinerziehende Mutter. Aber ich hätte mich von ihm getrennt, wäre für eine Weile zu Dad gezogen und ganz glücklich gewesen. Aber dann hätte ich Archie nicht bekommen. Ich seufzte. Wenn, wenn, könnte, könnte, vielleicht, vielleicht. So viele Unwägbarkeiten. Vielleicht hätte ich den Mann einfach gar nicht erst heiraten sollen?

Archie und Clemmie balgten sich um meine Aufmerksamkeit, sobald ich das Haus betrat, und Peggy, die für mich die Stellung gehalten hatte, war voll des Lobes über die beiden.

»Archie hat mich Piggy genannt und dann hat Clemmie mich mit einem Rüssel gemalt – sieh nur.« Sie zog eine Wachsmalkreidezeichnung hervor. »Süß, nicht? Wie gefallen dir die Stiefeletten, die sie mir an die Schweinsfüße gemalt hat? Und die Perlen um meinen dicken Hals?«

Normalerweise wäre ich vor Stolz geplatzt, aber heute hatte ich anderes im Kopf. Ich warf nur einen kurzen Blick darauf, schenkte ihr ein mattes Lächeln und ging zum Wohnzimmerfenster hinüber.

»Was ist los?« Peggy kniff die Augen zusammen, setzte sich hin und zündete sich eine Zigarette an. Die Kinder waren zu ihren Stiften in die Küche zurückgelaufen.

Ich löste meinen Blick von der Straße hinter meiner kleinen Hecke. »Weißt du noch, die Frau, mit der Phil diese Affäre hatte? Emma Harding?« Komisch, ich hatte gedacht, ich wäre ganz ruhig, aber mein Atem ging stoßweise. »Sie hat soeben Simon Devereux geheiratet.«

Peggy runzelte die Stirn. »Simon? Bist du sicher? Ich hab gehört, er würde eine schrecklich gutaussehende Frau heiraten.«

»Na ja, sie sieht ziemlich gut aus.«

»Aber Phil war « Sie hielt inne.

»Genau.« Ich biss mir auf die Lippe. »Weiß der Himmel, was die Frauen in ihm gesehen haben, Peggy«, sagte ich leise. »Jedenfalls hat sie sich jetzt Simon geschnappt. Mit weit besseren Aussichten.«

»Schnelle Arbeit«, murmelte sie. »Und dann noch in deiner Kirche. Da gehört schon was dazu. Wie konnte sie wissen, dass sie dir nicht begegnet?«

»Nun ja, sie wusste, dass ich nicht auf der Gästeliste stehe, ich nehme also an, dass sie geglaubt hat, es gäbe nur das geringe Risiko, dass ich irgendwo im Dorf herumlaufe, und selbst dann wäre es nur irgendeine Hochzeitsgesellschaft in unserer ach so beliebten Kirche, warum sollte ich also stehenbleiben und zuschauen? Außerdem wäre ja ohnehin schon alles gelaufen gewesen, nicht wahr? Wenn sie übersät mit Konfetti nach draußen kommt? Und wen kümmert es schon, wenn so eine ungepflegte, mit Ei bekleckerte Mutti aus dem Dorfladen kommt und sich erschrickt?« Meine Worte donnerten aus mir heraus wie eine Maschinengewehrsalve. Peggy musterte mich eingehend.

»Verstehe. Sie hat ja wirklich keine Zeit vergeudet.«

»Das kann man wohl sagen. Und das Tolle an der Sache ist Folgendes: Weil das alles so schnell ging, hat sie sich vermutlich jeden Anspruch auf Phils Nachlass zunichtegemacht. Ich meine, wenn sie sich jetzt auf das Vermögen eines anderen Mannes stürzt, warum sollte sie dann noch etwas von meinem bekommen?«

»Ja, ich kann mir vorstellen, dass das einen Unterschied macht.« Sie blickte an mir vorbei und blies eine dünne Linie Rauch aus. Dann sagte sie grinsend: »Ich glaube, die hat den Schock ihres Lebens bekommen, was? Nicht nur, dich zu sehen, sondern auch, dass finanziell gesehen die Katze aus dem Sack ist.«

»Früher oder später hätte ich es sowieso herausgefunden, aber ja. Ich habe es bestimmt früher erfahren, als sie gehofft hatte. Ha!« Ich stieß ein seltsam klingendes Lachen aus. »Das hat sie sich selbst eingebrockt und muss es jetzt auslöffeln.«

»Setz dich, Poppy«, sagte Peggy sanft.

Ich ging zum Sofa und hockte mich, noch immer im Mantel, neben sie. Archie tauchte wieder auf und kam zu mir getapst, um auf meinen Schoß zu klettern.

»Warum rufst du nicht einfach deinen Anwalt an, um rauszufinden, wie deine Lage jetzt ist?«

»Wirklich?«

»Warum nicht? Erzähl ihm, was vorgefallen ist.«

Ich war schon auf den Füßen, setzte Archie ab und suchte nach meinem Handy. Nicht in meiner Manteltasche. In der Handtasche? Nein. Vielleicht seitlich ins Sofa gerutscht. Ich suchte verzweifelt und wiederholte dabei im Geiste: Hallo Sam, Poppy hier. Nein. Zu vertraulich. Guten Morgen, Sam, hier ist Poppy Shilling.

»Also, ich hatte eigentlich eher an Montag gedacht«, sagte Peggy gedehnt.

Ich drehte mich um, eine Hand zwischen den Sofakissen. Bestimmt sah ich enttäuscht aus. Vielleicht war mir meine Miene sogar ganz entglitten.

»Aber warum denn nicht heute?«, korrigierte sie sich rasch. »Heutzutage gibt es ja die komischsten Arbeitszeiten und viele Leute arbeiten am Wochenende.«

»Genau, das stimmt«, pflichtete ich ihr eifrig bei und fischte mein Handy aus den Tiefen des kackbraunen Sofas. »Und er hat mir sogar seine Handynummer gegeben.«

»Na siehst du.« Sie verzog keine Miene. »Hast du was zum Mittagessen, Poppy?«

»Oh, ja, da ist noch Käse im Kühlschrank.«

»Nein, da ist nichts.«

»Gut, dann sind da noch ein paar Eier.«

»Die sind ziemlich alt. Ein paar Wochen. Wie wär’s, wenn du zu mir rüberkommst. Und bring die Kinder mit. Ich koche uns Nudeln.«

»Nein, nein, Peggy, wir kommen schon klar. Ich springe noch schnell in den Laden rüber.«

Ich blickte vom Handy auf und zu ihr hinüber, den Finger schon über den Tasten. Geh jetzt, Peggy, geh. Ich muss das hier alleine machen.

»Und vielen Dank, dass du auf die Kinder aufgepasst hast«, sagte ich atemlos, weil ich ihr natürlich keine Bezahlung anbieten konnte. Widerstrebend erhob sie sich. Nahm langsam ihre Schachtel Marlboro Light vom Tisch. Ich brachte sie zur Tür, sodass ihr wenig anderes übrig blieb, als wirklich zu gehen. »Bis später. Oder bis morgen«, versprach ich. »Jedenfalls bis bald. Vielen Dank, dass du da warst.«

»Pass auf dich auf, Poppy.«

Sobald sich die Haustür hinter ihr geschlossen hatte, brachte ich Archie in die Küche, wo ich ihn gemeinsam mit seiner Schwester samt Saft und Keksen an den Tisch setzte, die Hand nach dem Fernseher ausstreckte und ihn anschaltete. Ja, in Extremfällen kam er noch immer mal zum Einsatz. Dann huschte ich zurück ins Wohnzimmer. Adrenalinschübe rasten durch meinen Körper. Der Plan gefiel mir. Gefiel mir sogar sehr. Es half wirklich ungemein, einen Ausweg zu sehen. Mein Herz raste, während ich seine Nummer eintippte. Es klingelte ein paar Mal, dann ging er dran.

»Hallo!« Tief, aber freundlich. Nicht leise und misstrauisch, wie Phil sich gemeldet hätte, wenn er die Nummer nicht kannte. Kein Fragezeichen am Ende.

»Hallo, Sam. Tut mir leid, dass ich Sie an einem Samstag störe, hier ist Poppy Shilling.«

»Hallo, Poppy.« Ein Hauch von Überraschung, hatte ich den Eindruck.

Eilig fuhr ich fort, erklärte ihm die Lage, stolperte über meine eigenen Worte und brachte das eine oder andere durcheinander – ich hätte mich erst hinsetzen und mir alles überlegen sollen, mir einen Zettel mit Stichpunkten machen –, aber schließlich brachte ich doch das Entscheidende rüber: dass die Geliebte meines Mannes vor wenigen Augenblicken einem sicher nicht ganz unvermögenden Mann das Jawort gegeben hatte. So konnte ich sie doch bestimmt drankriegen?

»Und sie war so schockiert, mich zu sehen, Sam«, fuhr ich fort. »Ich singe im Chor, verstehen Sie, hab sie nicht verfolgt oder so, hab ihr nicht aufgelauert; sie hatte keine Ahnung, dass ich da sein würde. Bestimmt hat sie gedacht, es würde keiner merken!«

Es folgte ein langes Schweigen am anderen Ende. »Nun ja, ich fürchte, das kann ihr ganz egal sein, Poppy«, sagte er schließlich. »Es macht nämlich gar keinen Unterschied, ob sie heiratet oder nicht. Wenn sie irgendeinen Anspruch hat, dann bleibt der auch weiterhin bestehen.«

Ich starrte aus meinem Wohnzimmerfenster auf die Straße hinaus. Spürte, wie mein Magen in sich zusammenschrumpfte. »Aber – Simon Devereux hat Geld! Er ist ein Experte bei Sotheby’s und arbeitet in der Bond Street «

»Bei Christie’s. Ja, ich kenne Simon.«

»Ach ja? Na, dann wissen Sie ja Bescheid! Seine Mutter lebt in einer richtigen Villa – die habe ich schon gesehen – und die wird er offensichtlich erben. Sie kann doch nicht mein Geld nehmen, um dann mit ihm in Luxus zu leben!«

»Ich fürchte, genau das kann sie. Ich sehe mir die Sache noch einmal an, Poppy, aber sein Vermögen hat überhaupt nichts mit ihrem zu tun. Und eine Heirat, wie rasch sie auch sein mag, verhindert nicht eventuelle Ansprüche auf den Nachlass eines Exmannes, falls die denn bestehen.«

Das war freundlich gesagt, aber es nahm mir komplett den Wind aus den Segeln.

»Er war nicht ihr Ex. Er war meiner.«

»Ich weiß«, sagte er sanft. Und vielleicht schwang da auch ein Hauch von Mitleid mit.

Plötzlich fragte ich mich, was für eine Figur ich eigentlich bei der ganzen Sache machte: die getäuschte, betrogene Ehefrau, deren Ehemann eine Geliebte hatte, die just in diesem Augenblick die Gäste bei ihrem Hochzeitsempfang begrüßte, während ich in atemloser Panik zurückblieb. Sie war ziemlich albern, diese Figur. Jemand, den Frankie als Loser bezeichnet hätte. Plötzlich glitt mein Leben vor meinem inneren Auge vorbei. Ich sah mein jüngeres Ich, wie es selbstsicher durch London kurvte in dem R5, den mein Vater mir gekauft hatte und den ich pink angemalt hatte, manchmal schaffte ich drei Partys an einem Abend und zog durchaus den einen oder anderen Blick auf mich, üblicherweise an der Seite des gutaussehenden Ben, der ein Siegertyp war, ganz klar. Also wie in Gottes Namen hatte es nur so weit kommen können? Wer war diese atemlose Witzfigur, die, noch immer im Mantel, ihr Handy umklammert hielt und mit schriller werdender Stimme einem Mann etwas vorjammerte, von dem sie viel hielt, den anzurufen sie vielleicht nur einen Vorwand gebraucht hatte … und bei dem sie sich nun beklagte, das sei einfach nicht fair? Wie hatte ich mir im Laufe der Jahre so verlorengehen können, wie Sand durch eine geballte Faust rieselt, bis nur noch ein winziger Rest in der Handfläche zurückbleibt.

»Es wäre doch unfair«, erklärte Sam, während ich ganz still dasaß, »würde man zwischen einer Frau, die vermutlich wieder heiratet, und einer, die das nicht tut, unterscheiden. Ein Richter kann unmöglich sagen: Also Sie sehen aus wie die letzte Gießkanne, Sie will bestimmt keiner mehr, deswegen geben wir Ihnen jede Menge Geld. Und zu jemandem wie Miss Harding: Sie kriegen nicht viel Geld, weil Sie gute Aussichten haben, wieder zu heiraten.«

»Haben Sie sie gesehen?«

»Nein, natürlich nicht.«

Aber er stellte sie sich vor. Und er hatte Recht. Sie sah gut aus. Nicht schön, aber attraktiv. Sexy, würde ein Mann sagen.

»Aber wie schon gesagt, ich bin nicht über die Gesetzgebung bezüglich dieser Situation im Bilde. Die Tatsache, dass sie mit Ihrem Mann gemeinsam dieses Geld verdient hat, ist ziemlich ungewöhnlich. Ich werde mich schlaumachen und mich dann wieder bei Ihnen melden. Ruhig, Tess.«

»Tess?« Ich blinzelte. Mit wem teilte er da meine beschämendsten Geheimnisse?

»Mein Pferd«, lachte er. »Sorry. Ich sitze gerade im Sattel. Bin mit den Armitages unterwegs. Aber keine Sorge, ich bin zurückgeblieben, als Sie angerufen haben. Sie sind außer Hörweite.«

»Die Armitages?«

»Ja.«

»Das amerikanische Ehepaar?«

»Ja, Chad und Hope. Sie wollen nächste Woche unbedingt bei der Jagd mitreiten und deswegen habe ich gesagt, dass ich ihnen zwei Pferde aus meinem Stall leihe. Und jetzt wollten wir sehen, wie sie zurechtkommen.«

In meinem Kopf schwirrte es nur so. Ich schüttelte ihn kurz. »Was haben Sie ihnen geliehen …?«

»Zwei Jagdpferde, die noch frei waren. Ehrlich gesagt, wird es ihnen guttun, mal wieder richtig bewegt zu werden.«

Ich starrte einen feuchten Fleck auf der Wand mir gegenüber an.

»Wo wohnen Sie eigentlich?«

Ich konnte nichts dafür. Es kam einfach so heraus.

»Mulverton Hall«, sagte er und klang überrascht. »Das ist in der Nähe von Leighton Park, gar nicht weit von Ihrem Dorf, um genau zu sein.«

Das kannte ich. Natürlich kannte ich es. Und ich kannte auch die Geschichte dazu. Alt, hübsch, nicht direkt baufällig, aber heruntergekommen. Und verpachtet, weil der Besitzer, den noch niemand je gesehen hatte, in Amerika lebte. Aber kürzlich war er zurückgekehrt, allerdings ohne seine schöne amerikanische Frau, die ihn vor einigen Jahren verlassen hatte. Und noch kürzlicher hatte er sein Haus in London aufgegeben und war in das Haus gezogen, in dem er aufgewachsen war. Hatte seine Karriere in der City hingeschmissen, um hier vor Ort zu arbeiten, ein neues Leben anzufangen. Er war Anwalt, hatte Angie zu wissen gemeint. Aber wie schon gesagt, eigentlich wusste keiner Genaueres über den Mann. Abgesehen von der Tatsache, dass er Pferde hielt. Ich holte tief Luft, atmete zitternd aus. Das hier war kein leicht chaotischer Anwalt in einem unordentlichen Büro am Ende einer knarrenden Treppe, einer, den ich in einem geheimen Winkel sofort gemocht, ja beinahe als seelenverwandt erkannt hatte und bei dem ich gedacht hatte, hier könnte ich vielleicht eine kleine Chance haben. Was sich nun abspielte, war ein ganz anderes Szenario als jenes, das ich mir verträumt in meinem Kopf geschaffen hatte. In dem er jeden Abend in seine kleine möblierte Einzimmerwohnung zurückkehrte, vielleicht über einem Laden, und sehnsüchtig an die junge Witwe dachte, die er tagsüber beraten hatte. Auf diesem hier stand in hell glitzernder Neonschrift geschrieben: Außerhalb deiner Reichweite!

Das hier war ein Mann, der sich prächtig mit Chad und Hope verstand, der Simon Devereux kannte – zweifellos waren ihre Familien befreundet, wie man das unter Großgrundbesitzern auf dem Land nun mal so war –, und bald würde er zweifellos auch Emma vorgestellt werden, Simons Frau. Und schwuppdiwupp würden sie sich gegenseitig zu Dinnerpartys einladen. Chad und Hope, Simon und Emma, Sam und … tja, wen nehmen wir denn da … Emmas beste Freundin, äh, Lucinda. Lucinda Worthington-Squiggle, Squiggs genannt. Eine langbeinige, pferdeverrückte Schönheit, die über den Tisch hinweg einen Blick auf Sam werfen würde, sein nettes Lächeln, seine relaxte Art, sie würde sein schönes Haus kennenlernen, von dem alle sagten, es sei himmlisch, aber es fehle die Hand einer Frau. Und ehe ich mich’s versah, würde ich das Gloria schon bei der nächsten Hochzeit singen. Gloria, Gloria, Gloria, ich und Molly – zweifellos beide mit einer Pflegerin an unserer Seite –, bevor ich in mein Häuschen zurücktrullerte, um mir Leber mit Speck zu braten.

»Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe, Sam«, sagte ich und mein Atem war flach und unregelmäßig. »Ich, äh, warte dann, was ich von Ihnen höre. Falls Sie zu dem Schluss kommen, dass da für die getäuschte Ehefrau überhaupt noch etwas drin sein sollte«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Ich melde mich bei Ihnen«, versicherte er mir, während er sein unruhiges Schlachtross im Zaum halten musste, zweifellos nur darauf wartete, die anderen einzuholen, und daher meinen Unterton nicht registrierte, zum Glück, denn was sollte das eigentlich gewesen sein, Poppy? Sarkastisch? Bitter? Aber er musste weiter. Die Armitages galoppierten jetzt sicher schon durch seine gepflegten Parkanlagen unten beim See, über dem das elegante Haus oben auf dem Hügel thronte. Hope ritt im Damensattel in einem langen, schwarzen Kostüm; Chad in Kniebundhosen und ohne Kopfbedeckung; Sam in einem weißen Hemd, das sich ein wenig aufbauschte.

Wir verabschiedeten uns. Ich saß im Mantel auf meinem kackbraunen Sofa und drückte Knie und Hände fest zusammen, kalt und illusionslos. Ich sollte jetzt das Feuer anzünden und Mittagessen machen. In der Küche nach dem Rechten sehen. Nicht meine unter Fünfjährigen am Tisch allein lassen, auch wenn Archie sicher angeschnallt war, sondern mit ihnen zusammen dort drinnen Kekse backen, während Nellie der Elefant auf CD ganz mühelos für Fröhlichkeit sorgte. Aber mein Leben fühlte sich nicht fröhlich an. Ich richtete meinen Blick auf die feuchte Wand. Ich hatte gedacht, in Sam einen Menschen erkannt zu haben, der ein wenig so war wie ich, der ein paar Stiche an seinem Hemdsärmel brauchte und wie ich selbst auch ein paar Flicken auf seinem Leben. Aber sein Leben war gar nicht wie meins. Es war in weit besserem Zustand. Natürlich, er schien keine Kinder zu haben, das machte die Sache einfacher, aber selbst Angies Ex Tom, der ja eigentlich zwei Kinder hatte, war dennoch frei und ungebunden – obwohl Peggy meinte, auch seine neue Beziehung habe ihre Probleme. Da war offenbar eine Vorliebe für Extremsportarten aufgetaucht, die Tom nicht teilte, insbesondere Bungee-Jumping. Nun ja, Tom musste ja nicht den ganzen Tag Bungee-Jumpen, oder? »Ich hoffe, das verdammte Seil reißt«, hatte Angie gezischt. Und selbst wenn es zu Ende ging – mit der Beziehung, nicht mit Tom –, dann waren Männer per definitionem leichter fähig, sich aufzurappeln, sich den Staub aus den Kleidern zu klopfen, ein Lächeln aufzusetzen und zu sagen: Hallo, Lucinda! Ach, Squiggs, ja? Schön, dich kennenzulernen. Ein Glas Champagner?

Das Geräusch der Türklingel ließ mich zusammenzucken. Aus der Küche tönten die Stimmen der Kinder: inzwischen weniger glücklich, eher schrill und wütend. Ich sollte wohl besser eingreifen, bevor es kritisch wurde. Plötzlich schrie Archie vor Wut laut auf, weil Clemmie ihm zweifellos gerade seinen letzten Keks geklaut hatte. Ich kniff die Augen fest zusammen. Sollte ich zu meinen schreienden Kindern gehen oder an die Tür? Wieder klingelte es. Ein längeres und drängenderes Signal, und diesmal erhob ich mich mühsam. Langsam ging ich durch den Flur in die Küche, wo Archie, knallrot im Gesicht, aus vollem Halse schrie. Ruhig schnallte ich ihn aus seinem Hochstuhl und setzte ihn auf meine Hüfte, bevor ich in die Keksdose griff und ihm wortlos einen reichte. Er nahm den Keks und das Gebrüll hörte sofort auf, sein Gesicht war klitschnass, die Nase voll Rotz, kochend heiß hockte er an meinem Körper. Ich nahm einen weiteren Keks und reichte ihn meiner Tochter, die mit blassem Gesicht, still und abwartend mit dem Rücken zu mir vor dem Fernseher saß. Überrascht nahm sie den Keks und sah mich mit schlechtem Gewissen an. Es fielen keine Worte. Als dann die Türklingel zum dritten Mal ertönte, ging ich mit Archie auf dem Arm durch den Flur zurück, um aufzumachen. Nur ein ganz besonders aufmerksamer Beobachter könnte bemerkt haben, dass ich noch immer den Mantel nicht ausgezogen hatte und dass die meisten Mütter das patschnasse Gesicht ihres Kindes mit der Hand abgewischt hätten, bevor sie die Tür öffneten. Aber abgesehen davon, war alles wie immer. Ach ja, und normalerweise machte ich das Licht an, bevor ich die Tür öffnete, weil der Flur so dunkel war, aber ich konnte mich nicht dazu aufraffen. Ich konnte mich nicht mal aufraffen, das Licht anzumachen? Irgendwo in weiter Ferne ertönte schwach eine Alarmglocke, ich streckte rasch die Hand nach dem Schalter aus und hob ein wenig das Kinn, bevor ich die Tür aufmachte.

»Oh, hallo Pete.«

Fast sah es aus, als wäre er schon wieder auf dem Sprung, doch Pete Chambers drehte sich auf halbem Weg noch einmal um. Er trug eine alte Levis, ein weißes T-Shirt und einen leuchtend blauen Pullover mit V-Ausschnitt. Das sah nicht schlecht aus. Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln, fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare und kam den Weg wieder heraufgesprungen.

»Hallo Poppy! Wo hast du denn gesteckt? Warst du auf dem Thron? Im kleinsten Raum des Hauses beschäftigt? Ich wollte schon aufgeben und mir alleine einen hinter die Binde kippen.«

»Tut mir leid. Archie hat geschrien. Hab die Klingel nicht gehört.« Ich hatte auch nicht die Kraft zu lächeln.

»Oh, verstehe.« Er zögerte, vielleicht etwas verunsichert von meiner versteinerten Miene. Und ich hatte ihn nicht hereingebeten.

»Na ja, vielleicht habe ich nicht fest genug gedrückt, man weiß nie so genau, ob es eigentlich drinnen oder draußen lauter klingelt.« Er leckte sich die Lippen, da ich keine Antwort gab. »Äh, Poppy«, fuhr er tapfer fort, vielleicht einen Tick nervöser als sonst. »Ich wollte fragen, ob du und die Kinder vielleicht mit mir Mittag essen wollt. Ich wollte mir eigentlich drüben im Rose & Crown was holen und die haben da nichts gegen Kinder, ich hab gefragt. Solange man nicht in den Bar-Bereich geht, ist es okay. Und einen Kinderteller haben sie auch, Chicken Nuggets und Pommes.« Unsicher wartete er ab, wie ich seinen Vorschlag aufnehmen würde.

Ich dachte nach. Ein weiterer Grund, warum ich die Kirche so eilig durch die Seitentür verlassen hatte, war der, dass ich Pete hatte aus dem Weg gehen wollen, der gewiss nach dem Gottesdienst nach mir Ausschau halten würde. Ich war mir nämlich nicht so sicher, ob ich schon bereit war für den romantischen Werbefeldzug, den er, wie ich ahnte, auf mich richten würde. Ich wusste, dass ich seinem Drängen durchaus erliegen konnte, wenn er den Druck noch ein wenig verstärkte, was er offenbar vorhatte, dieser nette junge Mann mit seinem Megawatt-Lächeln, dem wuscheligen Blondschopf und den blauen Augen. Augen, die scheinbar nur mir galten.

Und plötzlich hatte ich gar keine Lust mehr auf mein kaltes Häuschen, meine streitenden Kinder, meine alten Eier im Kühlschrank zum Mittagessen. Dagegen durchaus auf die Wärme des gemütlichen Pubs gegenüber, mit den offenen Kaminen und ja, zugegeben, jeder Menge interessierter Dorfbewohner. Plötzlich war die Entscheidung ganz leicht.

Ich setzte ein Lächeln auf, das strahlendste, das ich unter den gegebenen Umständen zustande brachte. Spürte, wie es nur ganz leicht wackelte.

»Danke, Pete. Das wäre schön.«