26

Als ich nach Hause kam, nachdem ich Clemmie vom Kindergarten abgeholt hatte, stand Jennie an ihrem Wohnzimmerfenster und blickte suchend die Straße herauf und wartete auf mich.

»Ja, und das hab ich eben so beschlossen«, erklärte mir Clemmie mit Nachdruck, als ich ihr aus dem Auto half.

»Aber Miss Hawkins ist damit gar nicht einverstanden, mein Schatz.«

»Ist mir egal. Das ist mein Leben.«

Meine Güte. »Wo hast du das denn her?«

»Was?«

»›Das ist mein Leben‹?«

»Das sagt Peggy immer, wenn sie sich eine Zigarette anzündet.«

»Oh. Ach so.«

Jennie kam mir in ihrer langen weißen Schürze entgegengeeilt. Trotz ihrer Probleme wusste sie, dass ich hier zwei müde und reizbare Kinder hatte, die aus dem Auto gehoben, nach drinnen gebracht und abgefüttert werden mussten. Sie hob Archie für mich aus seinem Autositz und wir marschierten ins Haus.

»Und genau das werd ICH TUN!«, rief Clemmie und stampfte bekräftigend mit ihren rosa Gummistiefeln auf, während sie vorauslief, sich umwandte und mich herausfordernd anstarrte.

Jennie hob fragend die Augenbrauen.

»Clemmies Erzieherin hat mir gerade erzählt, dass Clemmie jetzt nur noch eine Drei-Tage-Woche macht«, sagte ich leise, während wir den Weg hinaufgingen.

»Oh, wie lustig. Welche Tage denn?«

»Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Montags und freitags hat sie frei, legt die Buntstifte aus der Hand und macht manchmal sogar ein kleines Nickerchen im Spielhaus. Scheinbar bevorzugt sie ein langes Wochenende.«

»Gut für sie.«

»Na ja, ich bin mir nicht so sicher, ob Miss Hawkins das auch so sieht. Sie ist sehr darauf aus, den Kindern ein gewisses Arbeitsethos zu vermitteln.«

Jennie verzog das Gesicht. »Sie ist doch erst vier, Poppy. Das Arbeitsethos kann warten.« Sie wuschelte Clemmie durch die Haare und ich schloss die Tür auf. Clemmie rannte mit Archie im Schlepptau sofort in Richtung Küche. Ich wandte mich zu meiner Freundin um. Mir fiel auf, dass ihre Augen glänzten.

»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte ich und musste dabei feststellen, dass ich selbst einiges zu berichten hatte.

»Na ja, ich hab ihr eine SMS geschrieben, genau wie du’s mir gesagt hast«, berichtete sie mir atemlos, während sie mir den Flur entlang folgte, »und sie meinte, sie könnte mich in der Mittagspause treffen, vorausgesetzt, dass ich Dan nicht mitbringe.«

»Oh! Du hast dich also mit ihr getroffen?«

»Ja, wir sind zu Starbucks gegenüber der Schule gegangen.«

»Und?«

Ich hastete jetzt durch die Küche, holte Würstchen aus dem Kühlschrank, legte sie unter den Grill, schnappte mir eine Dose mit Mais. Jennie lehnte sich gegen die Spüle.

»Und … ich bin jetzt überzeugt, dass sie nicht schwanger ist.«

Ich drehte mich um, den Dosenöffner in der Hand. »Gott sei Dank! Hat sie dir das gesagt?«

»Nein, sie hat eigentlich kaum etwas gesagt, hat nur dagesessen, in ihrer heißen Schokolade gerührt und mich böse angeschaut. Aber sie war so wütend, Poppy, als fühlte sie sich zu Unrecht beschuldigt. Es war eine so selbstgerechte Wut, die nur aus einer Position der Macht heraus entstehen kann. Sie hat so was gesagt wie «, Jennie setzte eine spöttische Miene auf: »Du findest also einen positiven Schwangerschaftstest und gehst sofort davon aus, dass der von mir ist, was, Jennie? Tickst du so? Wäre das nicht praktisch? Es würde doch all deine schlimmsten Befürchtungen über mich bestätigen, oder?«

»Oh. Wie verletzend.«

»Ich weiß, furchtbar. Aber, Poppy, ich war so froh. Ich hab sie so lieb und ich will einfach nicht, dass sie schwanger ist. Es ist mir ganz egal, wie sie mich beschimpft. Ich bin dort hingegangen, um ihr zu sagen, dass es ganz alleine ihre Entscheidung ist, wenn sie es behalten will, genau wie wir besprochen haben – aber letztlich habe ich gar nichts davon gesagt, hab nicht mal die kleine Ansprache gehalten, die ich mir ausgedacht hatte. Ich hab einfach nur in ihr wütendes kleines Gesicht geschaut und gedacht: War er denn nicht von dir, Frankie, der Test? War er wirklich nicht von dir?«

»Hast du das auch zu ihr gesagt?«

»Natürlich hab ich, aber sie hat keine Antwort gegeben. Ich kann mir vorstellen, dass es ihr eine gewisse Befriedigung verschafft, mich im Unklaren zu lassen. Sie hat mich nur vernichtend angeschaut und gesagt, dass es jetzt doch bestimmt an der Zeit sei, dass ich in den Bio-Saal rübermarschiere, Mr Hennessy am Kragen packe und mich mit ihm über den Bunsenbrennern prügele.«

»Oh Gott, das ist alles meine Schuld.« Ich legte eine Hand vor den Mund. »Das habe ich dir erzählt.«

»Natürlich hast du, du musstest mir sagen, was du wusstest. Und ich habe es Dan erzählt, der sich dann gestern Abend verplappert hat. Aber weißt du was? Sie war so fuchtsteufelswild, dass ich dachte – nein. Hennessy ist es nicht. Und dann hat sie noch vorgeschlagen, dass ich alle Jungs aus ihrer Klasse antanzen lasse und sie einen nach dem anderen verhöre, und ich dachte – wieder nein. Sie ist erst sechzehn, sie hält sich für schlau, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich sie durchschaut habe. Ich hatte den Eindruck, dass sie mir heimzahlen wollte, dass ich schlecht von ihr gedacht hatte. Bitte, lieber Gott, mach, dass es so ist.« Sie faltete die Hände und schloss flehend die Augen, das Gesicht gen Himmel gerichtet.

»Aber dann … Wer um alles in der Welt könnte diesen Test benutzt haben? Mrs Briggs bestimmt nicht, da bin ich mir sicher.«

»Nur wenn sie irgendwelche Zauberpillen genommen hat.« Mrs Briggs half Jennie mit der Bügelwäsche und war gute fünfundsechzig. Jennie fischte mit spitzen Fingern ein Maiskorn aus dem Topf und steckte es sich in den Mund. Sie war jetzt schon viel munterer.

»Wer war denn sonst bei dir zu Hause in der letzten Zeit? Außer eurer Familie?«

»Nicht so viele. Glaub nicht, ich hätte mir darüber nicht auch schon den Kopf zerbrochen. Dieser Mülleimer wird nur einmal pro Woche geleert, weil ich so eine schlechte Hausfrau bin, und ich bin schon alle durchgegangen, die mir nur irgendwie einfallen und die da oben gewesen sein könnten. Du gehst natürlich bei uns ein und aus «

Ich schnaubte. »Wer’s glaubt!«

»Genau, und Angie und Peggy «

Ich drehte mich zu ihr um und hob fragend die Augenbrauen.

»Sei nicht albern, Poppy. Peggy ist viel zu alt.«

»Stimmt, aber du musst sie fragen«, erklärte ich ihr. »Ich weiß, dass es weit hergeholt ist, aber wenn sie im Haus waren, stehen sie sozusagen unter Verdacht und du musst sie in deine Ermittlungen einschließen. Ach ja, und wenn hier schon von Ermittlungen die Rede ist, dann muss ich dir doch rasch erzählen « Und genau das tat ich. Nur in groben Zügen, da ich ja wusste, dass Jennie mit ganz anderen Dingen beschäftigt war, aber Jennies Bürde hatte sich in der letzten halben Stunde deutlich verringert. Und so war sie schon viel empfänglicher für die Außenwelt und lauschte angemessen fasziniert. Als ich zum Ende gelangt war, pfiff sie durch die Zähne.

»Tja, da hat sie ja nun wirklich die verdiente Strafe gekriegt, was? Man hat ihr auf die diebischen, kleinen Finger gehauen. Sollen wir sie mal im Gefängnis besuchen? Ihr ein Foto von Phil vorbeibringen?«

»Lieber nicht«, warf ich hastig ein.

»Könnte doch aber sein, oder?«

»Dass sie ins Gefängnis kommt? Keine Ahnung.«

»Das sollte sie, verdammt noch mal«, sagte Jennie mit Nachdruck. »Oder zumindest gemeinnützige Arbeit. Mein Gott, das würde mir gefallen, wenn sie in einer leuchtend gelben Jacke die Straße kehren müsste. Sie hat bestimmt gedacht, sie wäre unbesiegbar. So ist das mit Leuten, die über Jahre hinweg nicht erwischt werden, ganz gleich ob sie sich nun an anderer Leute Ehemänner oder an ihrem Geld vergriffen haben – bestimmt hat sie gedacht, die würden sie nie erwischen.« Plötzlich machte sie ein entsetztes Gesicht. »Der arme Simon.«

»Ich weiß.«

Sie nahm einen Holzlöffel und rührte nachdenklich im Mais herum. »Seltsam. Noch vor ein paar Monaten konnte ich nur an ihn denken. In jedem wachen Augenblick. Ich bin nachts an seinem Haus vorbeigefahren, habe Leila dort in der Nähe ausgeführt, habe ständig seinen Namen gegoogelt – ich kannte seine Website praktisch auswendig. Ich war einfach total verknallt, Poppy. Aber jetzt, vor allem mit dieser Frankie-Geschichte, kann ich das überhaupt nicht mehr begreifen und denke: Wer war diese Frau, die alle fünf Minuten nachgesehen hat, ob sie eine SMS hatte, in vollem Ornat mit dem Hund spazieren gegangen ist, wer war sie? Nach allem, was du mir jetzt erzählt hast, denke ich komischerweise nicht: Oh, wie gut, dann ist er ja vielleicht wieder zu haben.«

»Denkst du das nicht?«, fragte ich nach. »Nicht einmal ein kleines bisschen?«

»Nicht einmal ein kleines bisschen. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde. Mir ist diese Frau peinlich, wie sie ständig den Lippenstift von ihren Zähnen geleckt und neue BHs gekauft hat, weil es angeblich an der Zeit war, die alten von Marks & Spencer endlich in die Tonne zu hauen – ich war wirklich kurz davor, mich zum Affen zu machen. Für Simon tut es mir ehrlich leid. Ich wünschte, sein Leben wäre nicht so, wie es jetzt gerade ist. Doch auf lange Sicht ist er ohne sie besser dran. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass es jetzt passiert ist.«

»Du meinst, besser als irgendwann später, wenn auch Kinder da gewesen wären.« So wie bei mir, dachte ich.

»Genau.« Sie seufzte und wir schwiegen einen Augenblick, während Jennie geistesabwesend zusah, wie ich die Würstchen auf zwei Teller verteilte und das Gemüse darauflöffelte. Plötzlich kam sie zu sich. »Jedenfalls habe ich jetzt andere Sorgen, als mich mit der Frage herumzuschlagen, ob Simon nun an der Gefängnispforte auf sie warten wird. Hier, meine Süße.« Sie nahm die Ketchup-Flasche und schüttelte etwas für Clemmie heraus, die hungrig und immer noch wutentbrannt in ihren Hochstuhl geklettert war. »Ja, ich habe weiß Gott andere Probleme«, sagte Jennie mit einem plötzlichen Grinsen. »Ich bin unterwegs, um meine gar nicht mehr so jungen Freundinnen zu fragen, ob sie, als sie neulich auf eine Tasse Kaffee vorbeigeschaut haben, mal schnell nach oben gegangen sind, um einen Schwangerschaftstest zu benutzen, der da zufällig im Badezimmerschränkchen lag.« Sie schnaubte verächtlich. »Wer’s glaubt.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Zugegeben, es ist sehr unwahrscheinlich.« Ich runzelte die Stirn, während ich Archie in seinen Hochstuhl hob und mich neben ihn setzte. »Und der war in deinem Badezimmerschränkchen?«

»Wer?«

»Der Test?«

»Ja, der gehörte mir. Man kriegt die heutzutage im Doppelpack, den anderen hatte ich vor einer Ewigkeit mal benutzt, als ich ziemlichen Schiss hatte, weil meine Periode überfällig war.«

Sie machte Anstalten aufzubrechen, und während ich auf ein Wurststückchen blies, das ich für Archie aufgespießt hatte, fiel mir ein, dass ich ihr gar nicht von Sam erzählt hatte. Dass er mit Hope verheiratet gewesen war. Nun, es hatte so viele andere Neuigkeiten gegeben. Aber ich hätte es schon erwähnen können, warum hatte ich nichts gesagt? Ich überlegte, ob ich ihn schützen wollte. Schließlich hatte Sam die Geschichte ja auch nicht im ganzen Dorf verbreitet – und Hope im Übrigen auch nicht, obwohl das vielleicht offensichtlichere Gründe hatte –, also würde ich es auch nicht tun. Aber da gab es noch etwas, das mich beschäftigte und von dem ich ihr nichts erzählt hatte. Die Sache mit Pete.

Archie gab mit weit aufgerissenem Mund einen ungeduldigen Laut von sich und ich beeilte mich, ihm das Würstchen in den Mund zu schaufeln.

Ganz zufällig traf ich später auch meine beiden anderen Freundinnen. Zuerst Peggy, als die Kinder und ich auf der Bank am Teich saßen und die Enten fütterten und sie auf dem Weg in den Laden vorüberkam. Sie sah höchst vergnügt aus und exotisch wie immer, mit einem lilafarbenen, perlenbestickten Samtmantel über den Jeans und den üblichen Wildlederstiefeletten. An ihren Ohren klimperten lange Silberohrringe.

»Rate mal, meine Liebe«, sagte sie, quetschte sich neben mich auf die Bank, zündete sich eine Zigarette an und schlug die mageren Beine übereinander. »Jennie ist zu mir gekommen, um mich zu fragen, ob ich in anderen Umständen bin. Also hör mal!« Sie warf mir einen amüsierten Blick aus blitzenden Augen zu und paffte heftig. »Ich wünschte, ich hätte ja gesagt. Ich wünschte, ich hätte gesagt: Der Vater meines ungeborenen Kindes ist Charles Dance und wir wollen es behalten. Charles und ich freuen uns so. Wir sind nur schnell zu dir rübergelaufen, um den Test zu machen – er hat unten Schmiere gestanden –, und als ich ihm vom Badfenster aus die gute Nachricht zugerufen habe, ist er in großen Sätzen die Treppe heraufgestürmt und wir konnten nicht widerstehen, schnell in euer Schlafzimmer zu schlüpfen für die nächste Runde wilden Sex zur Feier des Tages. Wir hatten so unglaublich lustvolle Momente in eurem Bett, das macht euch doch hoffentlich nichts aus?«

Ich kicherte, als sie zur Untermalung mit den Augen rollte.

»Wo lebt die eigentlich?«, fragte sie ungläubig.

»Sie geht einfach nur gründlich vor, Peggy. Es war übrigens mein Vorschlag, alle zu fragen, die im Haus waren. Sie dachte, es wäre Frankie.«

»Natürlich ist es nicht Frankie! Welches Mädchen würde schon einen Schwangerschaftstest machen, um ihn dann in den Papierkorb von ihrer Mutter zu werfen? Ich bitte dich!

»Stimmt eigentlich«, sagte ich und kam mir ziemlich dumm vor. Und ein schlechtes Gewissen hatte ich auch. Ich war zu schnell gewesen mit meinen Schuldzuweisungen. Die arme Frankie.

»Jedenfalls freue ich mich total, dass sie dachte, ich könnte es gewesen sein. Das gibt mir richtig Schwung. Gott sei Dank geht es jetzt mit dem Buchclub wieder weiter. Du hast die letzte Runde verpasst, aber es war wirklich witzig. Obwohl ich sagen muss, dass Angus in seiner Verkleidung als Schiffbrüchiger – in Unterhemd und Hosenträgern – mich jetzt nicht so angeturnt hat.« Sie schauderte. »Vielleicht lassen wir das mit dem Verkleiden wieder«, sinnierte sie. »Woher kommt es, dass Männer in unserer Vorstellung immer so viel besser sind als in der Realität?« Sie sah mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne und zog gedankenverloren an ihrer Marlboro Light. Clemmie blickte fasziniert zu ihr empor.

»Wie viele rauchst du so am Tag, Peggy?«, wollte sie wissen.

»So viele wie möglich, mein Schatz«, erwiderte Peggy und lächelte zu ihr hinab. Sie nahm ein Stück Brot aus Clemmies Tüte und warf es einer Ente hin.

»Wie wäre es, wenn wir ein bisschen frischen Wind in den Buchclub bringen?«, sagte sie plötzlich. »In das alte Pfarrhaus im Nachbardorf ist gerade ein ziemlich attraktiver Witwer eingezogen. Ich habe ihn neulich gesehen, wie er im Buchladen gestöbert hat. Meinst du, er hätte vielleicht Lust auf ein bisschen Jodi Picault am Dienstag?«

»Keine Ahnung. Du willst also immer noch weitermachen? Ohne Chad und Hope Armitage?«, fragte ich nervös.

»Na ja, wenn sie wollen, können sie gerne kommen, aber sie müssen wissen, dass wir keinen Tschechow lesen«, sagte Peggy schnippisch. Plötzlich erstarrte sie und ihr Blick wurde wachsam. »Zehn vor zehn«, zischte sie.

Ich runzelte die Stirn. »Für den Buchclub? Ist das nicht ein bisschen spät?«

»Nein, der attraktive Witwer, bei zehn vor zehn.« Peggys verstorbener Ehemann war in der Royal Air Force gewesen. »Unauffällig, Poppy, unauffällig«, nuschelte sie, als ich mich umwandte, um einen ziemlich professoral wirkenden Herrn in einem abgetragenen Cordjackett anzuglotzen, der mit einem Jack Russell Terrier den Hügel herunter und in unser Blickfeld kam. Sie gingen auf den Dorfladen zu. »Wieder mit seinem Hund«, bemerkte Peggy, als er den Terrier vor dem Laden festband, »mit dem er dann durch den Wald zurückgeht, um ihn dort laufen zu lassen. Bis später, Poppy.« Sie drückte ihre Zigarette in dem kleinen Aschenbecher aus, den sie in ihrer Tasche mit sich herumtrug, und klappte ihn zu. Um ihren Mund zuckte es. »Ich gehe jetzt und leihe mir Leila aus.« Und damit schlenderte sie über die Straße in Richtung von Jennies Haus, wobei die samtenen Schöße ihres Mantels hinter ihr herwehten.

Angie dagegen war nicht sehr begeistert, als sie am selben Abend an meine Tür klopfte. Ich war ein wenig in Eile und erledigte die Dinge im Galopp, da ich die Kinder früh baden und ins Bett bringen wollte, um selbst genügend Zeit zu haben, mir ein Bad zu gönnen und mich auf mein abendliches Date vorzubereiten. Mein Date. Mein Herz machte einen Satz und meine Finger zitterten leicht, während ich das Brot in Streifen schnitt, damit die Kinder es in ihre gekochten Eier stippen konnten. Aber irgendetwas stimmte nicht, wie ich merkte. Es war nämlich keine freudige, erwartungsvolle Nervosität mit Schmetterlingen im Bauch, sondern eher eine … nun ja, ganz normale Nervosität. Aber vielleicht war das jetzt eben so? Schließlich war es Jahre her, seit ich zuletzt mit einem Mann ausgegangen war, und ich hatte ja selbst den ersten Schritt gemacht, indem ich Pete auf die Lippen geküsst und ihm gesagt hatte, ich würde sehr gerne zu ihm nach Hause kommen. Damit hatte ich die Karten aus der Hand gegeben, dennoch bedeutete das noch lange nicht, dass es heute Abend mehr geben musste als ein angenehmes Essen. Pete war ein netter Typ, der doch bestimmt nichts anderes erwarten würde. Ich rief mir Petes strahlenden Blick in Erinnerung, angesichts dessen, was er als grünes Licht von meiner Seite aus wahrgenommen hatte, und ließ dabei prompt Archies Eierbecher fallen. Als ich die Porzellanscherben aufhob, beschloss ich, dass ich mich erst einmal beruhigen musste. Außerdem beschloss ich, dass ich nicht zu viel trinken, mir aber dennoch die Beine rasieren würde.

Und deswegen passte es nicht so besonders gut, als Angie um sieben an meine Tür klopfte. Und zwar so heftig, dass ich aus der Badewanne stieg und mit nassen Haaren und Bleichcreme auf der Oberlippe nach unten rannte.

»Ihr glaubt ja wohl beide ganz offensichtlich, dass ich das letzte Flittchen bin!«, wütete sie, schob sich an mir vorbei durch die Tür und marschierte in Richtung Küche, zum Glück ohne einen Kommentar zu meinem Schnauzbart zu machen.

Sie klappte die Kühlschranktür auf und schnappte sich eine Flasche Wein, obwohl sie ganz offensichtlich bereits den Großteil einer Flasche intus hatte; ihre Augen waren gerötet und glasig, was Angie immer verriet. Ich eilte im Bademantel hinter ihr her und wischte unterwegs die Bleichcreme ab, weil ich genau wusste, was sie meinte.

»Nein, das tun wir natürlich nicht, Angie«, versicherte ich ihr und dachte dabei, dass dies wirklich ein höchst unpassender Zeitpunkt war, während sie zwei Gläser aus meinem Schrank fischte und jeweils einen ordentlichen Schluck Chardonnay einschenkte.

»Ihr glaubt wohl, nur weil ich ein winziges bisschen in Luke verknallt war, springe ich gleich mit jedem dahergelaufenen Kerl ins Bett und lasse mich dabei auch gleich noch schwängern, was? Und anschließend werfe ich mit Schwangerschaftstests nur so um mich!«

Oh mein Gott. Sie war wütend. Fuchsteufelswild. Alles meine Schuld. »Nein, das sagt doch keiner, Angie. Es ist nur, dass wir wegen Frankie dachten «

»Ich meine, wer sollte es denn eigentlich gewesen sein, hm?« Ihre Augen blitzten mich an, während sie ein ganzes Glas Wein mit einem Schluck hinunterkippte. »Schmuddelbob vielleicht? Dachtet ihr, ich hätte ihm seinen Regenmantel vom Leib gezerrt und es mit ihm in seiner widerlichen Rumpelbude getrieben? Oder vielleicht mit seinem Kumpel, Frank? Dachtet ihr vielleicht, ich könnte dem gezwirbelten Schnurrbart nicht widerstehen und hätte das brennende Verlangen, ihn bis auf seine Schuppen nackt zu sehen?«

»Sei doch nicht albern. Wir mussten nur alle ausschließen, die in Jennies Haus gewesen sind, das ist alles. Und die außerdem jung genug dafür sind«, fügte ich schmeichlerisch hinzu in der Hoffnung, dass sie nicht wusste, dass wir auch Peggy verdächtigt hatten. »Du weißt schon, um schwanger zu werden.«

Das besänftigte sie ein wenig. Sie zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauffallen, wobei sie besorgniserregend sesshaft wirkte. »Hm, na dann«, knurrte sie und füllte ihr Glas wieder auf. »Ja, natürlich könnte ich noch immer schwanger werden, so alt bin ich nun auch wieder nicht. Aber es gibt ja gar keinen Mann in meinem Leben im Moment.«

Sie sah jetzt eher traurig als wütend aus. Ihr Gesicht wirkte weich und verletzlich unter dem Make-up.

»Ich weiß, ich weiß«, sagte ich beruhigend und setzte mich neben sie.

»Ich bin ja noch nicht mal mit irgendeinem ausgegangen.«

»Ja, natürlich. Wie dumm von uns.«

»Und überhaupt liebe ich immer noch Tom.«

Ich sagte nichts, saß ganz still. Das war ein ziemliches Geständnis. Normalerweise hasste sie Tom. Sie schien mich aber gar nicht wahrzunehmen, sondern starrte nur ins Leere.

»Du weißt, dass er wieder allein ist?«, fragte sie schließlich, mehr zur Wand als an mich gerichtet.

»Nein, das wusste ich nicht. Seit wann?«

»Seit Tatjana nach Neuseeland zurück ist. Will scheinbar mehr ihren gefährlichen Sport verfolgen. Als ob es nicht gereicht hätte, mir den Mann auszuspannen.«

»Du meinst also … es gibt noch Hoffnung?«

»Das ist genau das, was ich mich gefragt habe«, sagte sie traurig, »als Clarissa es mir erzählt hat. Sie meinte, Daddy wäre jetzt wieder allein. Ich dachte: Vielleicht gibt es noch Hoffnung? Und dann bin ich Bella Stewart begegnet, die letzte Woche bei einer Dinnerparty neben ihm gesessen hat, und als er schon etwas angesäuselt war, hat er ihr gestanden, dass er ein blödes Arschloch gewesen sei. Und ich dumme Zicke, weißt du, was ich getan habe?«

»Was?«, sagte ich, obwohl ich es mir denken konnte.

»Ich habe ihn angerufen und ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, die ich mir vorher nicht richtig überlegt hatte. Eine langer, atemloser Sermon – dass wir uns doch vielleicht den Kindern zuliebe zusammenreißen könnten, und vielleicht hätte er ja Lust, irgendwann mal zum Abendessen vorbeizukommen. Und dann ganz zum Schluss «, sie schluckte und ihre Augen füllten sich mit Tränen, » da hab ich gesagt, dass ich ihn vermisse.«

Ich streckte die Hand aus, legte sie auf ihre und drückte sie. »Das ist doch nicht schlimm, Angie.«

Sie senkte den Blick und eine Träne rollte ihr die Wange hinunter und tropfte auf ihren Schoß. Sie wischte sie mit einer heftigen Bewegung fort. »Ja, aber das war schon vor zwei Tagen und ich hab seitdem keinen Pieps von ihm gehört. Er ist nicht verreist. Verstehst du, ich dachte, wenn er einfach mal zum Abendessen vorbeikommt, in das schöne Heim, das wir im Laufe der Jahre zusammen geschaffen haben, dann würde er nicht widerstehen können – und mir auch nicht. Wenn die Mädchen jünger wären, müsste er sie hier zu Hause abholen und würde dabei merken, was er aufgegeben hat. Ich könnte in der Tür stehen, schön und sorgfältig gekleidet, mit einem Hauch von Duft. Rosen auf dem Tisch im Flur.«

»Ja, ja, das verstehe ich«, sagte ich sanft.

Sie schluckte. Versuchte ein tapferes Lächeln, das allerdings ziemlich wackelig ausfiel. »Weißt du, Poppy, es ist nämlich schon beleidigend genug, wenn man für eine andere Frau verlassen wird, aber für nichts und niemanden « Sie verstummte. Fuhr mit der Fingerspitze über den Rand ihres Weinglases. Immer wieder im Kreis herum.

»Ich mache mich ständig nur lächerlich«, flüsterte sie.

»Das stimmt doch gar nicht.«

»Doch, es stimmt. Luke. Tom.« Sie schwieg. »Und auch mit Sam Hetherington«, sagte sie leise. »Nach der Jagd. Aber das ist jetzt auch schon egal.«

»Ach wirklich?« Ich spürte, wie sich alle meine Sehnen anspannten.

»Wir sind alle noch auf einen Tee zu ihm gegangen. Das ist sozusagen Tradition, dass alle sich da einfinden, wo der Start war, wo das Stelldichein war, aber eigentlich gibt es gar keinen Tee. Da werden die Whiskyflaschen hervorgeholt und alle trinken ordentlich, das kann ich dir sagen. Wie du ja weißt, hatte ich mir schon davor beim Stelldichein ein Schlückchen oder zwei gegönnt, weswegen ich bis fünf Uhr schon ziemlich dicht war. Vor allem musste ich ja warten, bis alle anderen wegfuhren, bevor ich … Du weißt schon « Sie verstummte.

»Bevor du ihn anmachen konntest?«, fiel ich ihr atemlos ins Wort.

»Oh, ich hab ihn nicht angesprungen oder so«, versicherte sie rasch. »Nur gefragt, ob er schon mit jemandem zum Jagdball am Samstag geht, und ob wir uns nicht, da wir ja scheinbar beide auf uns alleine gestellt sind, einfach zusammentun sollten. Natürlich hab ich nur ganz harmlos gefragt.«

»Natürlich.« Ich hing an ihren Lippen. »Und dann?«

»Hat er irgendwie so gelacht und gemeint, er wüsste noch nicht so genau, wie seine Pläne sind. Und dann hab ich nachgebohrt. Werde ich es jemals lernen? Ich hab gesagt: ›Komm schon, du Märchenprinz, warum führst du Aschenputtel nicht zum Ball?‹ Und hab sogar noch eine Rose aus einer Vase gezupft und sie mir zwischen die Zähne gesteckt, während ich mich in meiner Reithose kokett auf seinen Küchentisch gehockt habe. Ich war natürlich einfach nur total besoffen.«

»Natürlich.« Ich musste mir Mühe geben, meine Spannung zu verbergen.

»Und er war furchtbar charmant. Hat die Rose genommen und mich zu meinem Pferdetransporter gebracht, wo Libby, mein Stallmädchen, schon auf mich gewartet hat. Er sagte, es täte ihm wirklich leid, aber als Gastgeber werde er ziemlich beschäftigt sein. Erst als ich dann noch die Arme um seinen Hals geschlungen habe – all das auch noch vor Libbys Augen, die gar nicht wusste, wo sie hinschauen sollte –, hat er sich von mir losgemacht und gesagt, da sei eine, über die er nicht hinwegkomme. Dass er noch nicht so weit sei, sich wieder mit jemandem ›einzulassen‹. Vermutlich seine Exfrau.«

»Ja, vermutlich.« Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, mein Gesicht zu verbergen. Ich stand auf und trat ans Spülbecken, wo ich vorgab, den Spüllappen aufzuhängen, während ich hoffte, sie würde gehen. Ich wollte alleine meiner Verzweiflung nachgeben, nicht in Gesellschaft. Aber Angie machte keine Anstalten sich zu bewegen.

Sie seufzte. »So sieht es also aus.« Sie stieß ein kleines, ironisches Lachen aus. »Zwei ungebundene Männer, einer davon der Vater meiner Kinder, wollen beide lieber alleine sein als mit mir zusammen. Super, oder? Und weißt du was, Poppy, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich mir in meinem Alter und in meiner Lebenslage über so etwas noch den Kopf zerbrechen müsste, anstatt nette kleine Dinnerpartys zu planen und ein bisschen im Garten zu buddeln. Hätte nicht gedacht, dass ich noch mal zurück auf den Single-Markt müsste. Da ruft mich Clarissa aus der Schule an mit Jungs-Sorgen und weint, weil irgendein Junge, den sie mag, mit einer ihrer Freundinnen angebandelt hat, und ich bin zu sehr mit meinem eigenen katastrophalen Liebesleben beschäftigt, um auch nur Mitleid für sie aufzubringen. Hab zu sehr damit zu kämpfen, dass ich selbst zurückgewiesen werde. Das ist doch zum Heulen, oder?«

Darauf schien keine Antwort nötig. Was war ich froh, dass Thumper sich schlecht benommen hatte und ich die Jagd eher hatte verlassen müssen. Sonst wäre vielleicht ich diejenige gewesen, die sich eine Abfuhr geholt hätte. Ich warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Gott sei Dank hatte ich heute ein Date. Und zwar ein richtiges. Wenn ich nur langsam mal weitermachen dürfte, damit ich auch rechtzeitig loskam. Ich hatte das Gefühl, unter den gegebenen Umständen könnte es vielleicht nicht allzu taktvoll erscheinen, das zu erwähnen, aber es blieb die Tatsache, dass Pete jetzt vermutlich schon den Tisch deckte und die Gläser polierte, während meine Haare noch kreuz und quer standen. Außerdem würde in genau zehn Minuten Peggy – die ich anstellte von Petes Schwester gebeten hatte – hier sein und ich war noch nicht einmal angezogen. Der Wäschekorb stand unter dem Tisch und ich kramte darin herum. Schnappte mir ein Höschen und zog es verstohlen unter meinem Bademantel an.

Angie kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wo willst du hin?«

»Nirgends, warum?«

»Du hast dir eben ein Spitzenhöschen angezogen.«

»Ich … bin nur bei Pete zum Essen eingeladen, das ist alles.«

»Oha«, sagte sie schnippisch, und ich hatte das ungute Gefühl, dass die Kombination aus Herz-Ausschütten und zu viel Wein sie dazu bringen könnte, ausfällig zu werden, aber Angie war eine gute Freundin und hatte ein großes Herz. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Das freut mich sehr. Er ist ein lieber Kerl.«

Ich entspannte mich ebenfalls, obwohl es mir lieber gewesen wäre, sie hätte den letzten Satz nicht hinzugefügt.

»Prima. Dann bin ich ja froh, dass ich deinen Segen habe«, sagte ich und wünschte zugleich, wenigstens ein kleines bisschen Privatsphäre zu haben und nicht in einem Dorf zu leben, wo sich alle in meine Angelegenheiten einmischten. »Und wenn du dich jetzt bitte vom Acker machen würdest, Angie«, sagte ich freundlich, »dann könnte ich mich vielleicht sogar anziehen und müsste es nicht bei dem Höschen belassen, ja?«

Sie rang sich ein Lächeln ab und erhob sich, wobei sie ihre Chanel-Handtasche über die Schulter schwang und zugleich ihr Glas leerte.

»Wohin führt er dich aus?«

»Er, äh … kocht für mich.«

Mit großen Augen blickte sie erfreut von ihrem leeren Weinglas zu mir. »Ach wirklich, Poppy? Wie aufregend! Kein Wunder, dass du dein Spitzenhöschen anziehst. Bist du sicher, dass du es überhaupt brauchen wirst?« Sie warf den Kopf in den Nacken und gackerte laut.

Ich warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Danke, Angie.«

»Keine Ursache«, grinste sie und hatte jetzt ganz offenbar Spaß an der Sache, nachdem ihr Selbstvertrauen einigermaßen wiederhergestellt war. »Ich hoffe, es läuft gut. Ihr passt perfekt zusammen, das sagen alle. Ihr hättet gleich von Anfang an zusammenkommen sollen, und genau das habe ich ihm auch gesagt, als ich ihn an dem Abend nach dem Buchclub im Garten mit der heiligen Hilda überrascht habe.«

»Hast du das?«, murmelte ich. Wie besoffen war sie eigentlich? Musste sie dieses Thema unbedingt aufbringen? »Und was hast du ihm sonst noch gesagt?«, fragte ich, während ich sie zur Tür drängte. Verdammt, ich konnte Archie oben weinen hören. Ich musste ihm noch ein Fläschchen geben und Peggy würde bald hier sein. Ich hatte mir noch nicht mal die Haare geföhnt.

»Oh, sonst nichts«, sie zwinkerte fröhlich und ließ ihre Autoschlüssel klimpern – Angie wohnte nur fünf Minuten entfernt, fuhr aber immer mit dem Auto. »Obwohl er so süß besorgt war, wie du jetzt alleine zurechtkommen würdest als verarmte Witwe und so weiter, aber in dieser Hinsicht habe ich ihn beruhigt. Tschüssi, Poppy! Viel Spaß heute Abend!«

Und mit elegantem Hüftschwung schwebte sie aus der Tür und den Gartenweg hinunter zu ihrem Auto.