28

Er ist von dir?«, stieß Frankie hervor, nachdem es ihrer Mutter scheinbar die Sprache verschlagen hatte.

»Ja, von mir. Okay?«

Wieder stöhnte Jennie auf, aber diesmal nicht mehr so durchdringend. Es war jetzt eher der Schrei eines geschlagenen Kriegers am Ende seiner Kraft, kurz vor dem Zusammenbruch. Dan dagegen schien plötzlich neue Kraft zu schöpfen. Da er nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte, stieg er über seine am Boden liegende Frau hinweg, um sich nun vor seinem Sohn aufzubauen.

»Du hast ein Mädchen geschwängert«, fauchte er entsetzt.

»Nein, natürlich nicht. Ich habe den Test mit Leila gemacht, weil ich dachte, sie könnte schwanger sein. Ich glaube, sie ist es.«

Tiefe Stille folgte auf diese Verlautbarung. Aller Augen waren auf den Jungen in dem karierten Schlafanzug gerichtet.

»Leila?«, hauchte seine Mutter schließlich wie vom Donner gerührt.

»Ja. Sie ist so dick geworden und hat so dicke Zitzen gekriegt und außerdem hab ich beobachtet, wie sie’s mit einem anderen Hund getan hat. Und als ich gesehen hab, dass sie im Garten pinkelt, hab ich deinen Test genommen und ihn in die Pfütze gesteckt. Dann musste ich wieder hochlaufen, um die Anleitung auf der Packung zu lesen, und dann hab ich ihn einfach in den Müll geschmissen. Ich wollte es dir sagen, aber ich wusste, wie sauer du auf sie sein würdest.« Sein Gesicht war jetzt ganz bleich unter den Sommersprossen.

Seine Mutter schloss die Augen. »Gott sei Dank«, stöhnte sie. »Gott sei Dank.«

»Du freust dich?«, fragte Jamie verblüfft. »Ich dachte, du würdest total ausrasten. Sie zu einer Abtreibung bringen oder so.«

»Das werde ich vielleicht auch, aber … ich freue mich ja so, mein Schatz!« Jennie rappelte sich auf und stolperte durch die Küche, um das Gesicht ihres erstaunten Sohnes mit beiden Händen zu umfassen. Sie gab ihm einen dicken Schmatz auf die Stirn und dann noch auf beide Wangen. »Ich bin so froh, dass es nicht dein Vater ist, aber noch mehr, dass du es nicht bist!«

»Ich!«, empörte er sich, aber sie hatte ihn bereits in einer gesichtsverändernden Umarmung an ihre Brust gedrückt, sodass sein Mund zu einer Acht gequetscht und damit jede Form des Sprechens unterbunden wurde.

Dan war mittlerweile, nachdem die erste Erleichterung vorüber war, vollauf damit beschäftigt, seine Frau verächtlich anzusehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust in einer Haltung von hochnäsiger Herablassung. Er schürzte die Lippen. Aber er war nicht hocherhobenen Hauptes davongerannt, was manch anderer Ehemann in seiner Situation getan hätte, sondern er blieb stoisch an der Seite seiner Frau. Man konnte über Dan sagen, was man wollte, aber er stand über solchen Dingen. Andererseits waren die Augenblicke moralischer Überlegenheit in seinem Leben nicht gerade dicht gestreut, weswegen er sich diesen auch nicht entgehen lassen würde. Man konnte ja nie wissen, wann es wieder einen gab.

»Tut mir leid«, sagte Jennie leise zu ihm über den Kopf ihres Sohnes hinweg.

Dan blickte sie einen Augenblick lang kühl an, doch dann war er so großzügig, diese Entschuldigung so anzunehmen, wie sie gemeint war: als ehrliches Eingeständnis einer Frau, die von unerklärlichen Umständen in die Verzweiflung getrieben worden war und deren Phantasie sie innerhalb weniger Stunden von einer Teenager-Schwangerschaft über das außereheliche Kind ihres Mannes bis hin zu Sex unter Minderjährigen geführt hatte. Er neigte den Kopf zum Zeichen, dass er die Entschuldigung annahm.

»Hundebabys!«, hauchte Hannah selig in die Stille hinein. Sie strahlte ihre Mutter an. »Kriegt Leila Babys, Mum?«

»Offensichtlich«, sagte Jennie düster und legte das Kinn auf Jamies Kopf ab; er wand sich noch immer in ihrer engen Umarmung. Plötzlich legte sich ihr Gesicht in Lachfältchen. »Und wie ich unsere Leila kenne, macht sie auch keine halben Sachen. Bei ihr werden das nicht nur hübsche kleine Zwillinge. Nein, bei ihr müssen es schon 101 Dalmatiner sein!« Sie lachte befreit auf.

»Und können wir einen behalten?«, bettelte Hannah mit großen Augen.

»Nein, mein Schatz, das können wir nicht«, erklärte Jennie bestimmt. Auch wenn sie mehr als überglücklich war, so ließ sie sich doch nicht das Heft aus der Hand nehmen.

Hannah machte ein enttäuschtes Gesicht, ebenso wie Jamie, als er endlich freigelassen wurde.

»Och, bitte, Mum«, bettelte er.

Dan sah seine Frau mit fragend erhobenen Augenbrauen an. Noch hatte er die Oberhand und wollte seinen Vorteil ausnutzen. Jennie sah ihn an und zögerte, was ein fataler Fehler war.

»Komm schon, Mum!«, riefen sie im Chor.

Sie schwankte. »Von mir aus, wir werden mal sehen«, sagte sie schließlich. Und nach dieser massiven Kapitulation ertönte ein einhelliger Jubelschrei bei ihrem Nachwuchs, einschließlich Frankie. »Ich habe gesagt, wir werden mal sehen!«, rief sie, aber allen war klar, dass sie keine Chance mehr hatte.

»Kommt jetzt.« Dan nahm Hannah bei den Schultern und drehte sie herum. Dann schob er von einem Ohr zum anderen grinsend seine Familie durch die offenstehende Hintertür hinaus. »Zurück ins Bett. Tut mir leid, Poppy.« Er drehte sich noch einmal zu mir um, während seine Kinder aufgeregt losliefen. »Bitte entschuldige, dass wir so bei dir eingefallen sind und dir den Abend verdorben haben, aber Gott sei Dank haben wir die Sache nun geklärt. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis sie mir vorgeworfen hätte, ich hätte ein uneheliches Kind irgendwo hier im Dorf versteckt und würde ein komplettes Doppelleben führen.« Diesmal konnte er sich den vernichtenden Blick auf seine beschämt wirkende Frau nicht verkneifen. »Eine Affäre«, sagte er fassungslos. »Wie denn? Und mit wem? Und wann sollte ich die Zeit oder die Gelegenheit dazu haben?« Letzteres erst, nachdem seine jüngeren Kinder sicher über die Mauer waren und Frankie hinterher.

»Eben«, murmelte Jennie und sah plötzlich erschöpft aus. Sie fuhr sich mit einer matten Geste durch die Haare. »Oder auch nur die verdammte Energie«, fügte sie wehmütig hinzu.

»Und dann auch noch im Ehebett. Für wen hältst du mich eigentlich?« Er schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. »Manchmal mache ich mir Sorgen um deine geistige Gesundheit, Jennie, wirklich.«

»Man hat mich ernsthaft provoziert«, erwiderte seine Frau trotzig. Bei ihr hielt Zerknirschung nie lange an. »Und da ich alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte – oder dachte, ich hätte es getan … Natürlich ist mir, dumm wie ich bin, nicht in den Sinn gekommen, dass es dein Schnuckilein ist, die hier in der Gegend herumvögelt und auf Tests pinkelt «

Jetzt schien Dan wirklich Gefallen an der Sache zu finden. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sagte er: »Eben erst hast du mir vorgehalten, ich wäre mit meinem Schnuckilein ins Bett gestiegen, und ich kann dir versichern, dass Leila und ich uns zwar sehr gerne haben, wir aber noch nie «

»Ach, halt doch den Mund, Dan«, unterbrach Jennie ihn verärgert. »Du hast vielleicht jetzt für den Bruchteil einer Sekunde die Oberhand, aber wir wissen alle, dass das nicht lange anhalten wird und du schneller, als dir lieb ist, wieder in der Klemme steckst und um Hilfe winselst.«

»Genau, und deswegen muss ich es jetzt auch auskosten!«, rief er in gespielter Empörung, während die beiden bereits über den Rasen davonmarschierten und dabei im Gegensatz zu ihren Kindern den üblichen Weg zu meinem Gartentor hinaus und zu ihrem hinein wählten. Er legte ihr beim Gehen den Arm um die Schultern. »Warum glaubst du wohl, trete ich es so breit, was? Oh, guten Abend, Mrs Harper! Ja, das kleine Miststück ist wirklich schwanger, ist das nicht herrlich!« Eine graue Dauerwelle eilte verschreckt nach drinnen. »Ach, bleiben Sie doch noch«, rief Dan. »Lassen Sie uns doch den Abend genießen! Warum die Eile, wo es doch so viel zu feiern gibt? Die Nacht ist noch jung!« Wir hörten, wie eine Küchentür zugeknallt wurde. Dan grinste mich über die Schulter hinweg an. »Gute Nacht, Poppy.«

»Gute Nacht.« Ich lächelte und ging ins Haus.

Jennie allerdings kam schon am nächsten Morgen durch dieselbe Hintertür wieder herein, als ich gerade dabei war, meine Waschmaschine mit Bettwäsche zu beladen. Clemmie, die eine Erkältung hatte, spielte still im Wohnzimmer, und nachdem Jennie kurz den Kopf zu ihr hineingesteckt und hallo gesagt hatte, nahm sie mit einem Becher Kaffee an meinem Küchentisch Platz.

»Welpen!«, stöhnte sie.

»Moment mal, Jennie«, warf ich warnend ein und drehte mich von meiner Maschine um. »Das höre ich mir jetzt nicht an. Das sind supertolle Nachrichten. Gestern Abend warst du noch begeistert. Es heißt, juhu, Hundebabys! Schon vergessen?«

»Ja, ich weiß«, pflichtete sie mir bei. »Und ich war auch immer noch guter Laune, als ich zu Hause angekommen bin. Frankie hat mich ganz lieb in den Arm genommen und wir haben sogar ein paar Tränchen zusammen zerdrückt.«

»Echt? Oh, gut.«

»Und dann sind wir noch stundenlang wach geblieben und haben gequatscht. Sie war entsetzt, dass wir dachten, sie wäre schwanger, aber sie hat verstanden, warum. Sie hat außerdem gesagt, dass ich mich ein kleines bisschen besser verhalten habe als ihr Vater, was mich etwas aufgebaut hat. Sie meinte, sie habe keine Ahnung gehabt, dass ihr Vater derart ausrasten könnte. Ich habe ihr erklärt, das liegt nur daran , dass er sie so lieb hat, was sie widerstrebend eingesehen hat, aber dann hat sie, typisch Frankie, gemeint: ›Ach so, und bei dir ist es anders, weil du mich nicht so lieb hast?‹«

Ich lachte. »Das ist typisch Frankie.«

»Ich weiß und sie meinte das auch nicht böse. Sie wollte nur eine witzige Bemerkung machen, deswegen habe ich gar nicht darauf reagiert. Aber sie lässt reichlich oft zynische Sprüche ab.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist doch bloß eine Abwehrhaltung. Das verwächst sich mit der Zeit. Und sie ist schlau, Jennie. Viel zu schlau, um einfach so schwanger zu werden. Die wird es noch weit bringen, dieses Mädchen.«

»Ich weiß. Darüber haben wir auch geredet. Sie würde gerne die Oberstufe an der Frazer House School machen.«

»Oh. Könnt ihr euch das leisten?« Frazer House war eine Privatschule.

»Nein. Aber ich finde, wir sollten es versuchen. Sie wird da gut abschneiden. Ich werde Dan überreden, dass wir uns das Geld leihen, irgendwie die Bank überzeugen.«

Jennie war eigentlich gar nicht fürs Geldleihen zu haben, das widersprach all ihren Instinkten. Sie war ziemlich knauserig, aber sie sagte immer, das müsste sie sein. Dan würde alles beim Pferderennen verwetten, wenn er könnte.

»Na, da wirst du ja wohl kaum Schwierigkeiten haben«, bemerkte ich.

Sie lächelte. »Nein, ich weiß. Und ich weiß auch, dass ich manchmal eine kontrollsüchtige alte Schachtel bin, aber glaub mir, du wärst genauso bei meiner Familie.«

Ich wusste, ich wäre eher wie Dan; aber gut war das nicht. Leute wie Dan und ich warfen mit dem Geld um uns, bis nichts mehr da war – genau wie mein Vater auch, stellte ich fest und dachte gleichzeitig an den gewaltigen Scheck, den ich für die Jagd ausgestellt hatte. Weil Geld mich eigentlich nicht interessierte. Vorsichtige Menschen wie Jennie waren als Gegenpol zu jemandem wie mir ungeheuer wichtig. Aber das hatte ich auch bei Phil gedacht. Und dennoch hatte er sich als unvorsichtig herausgestellt. Nicht so sehr im Umgang mit Geld, aber im Umgang mit Gefühlen.

»Und es gibt da durchaus einen Jungen«, fuhr Jennie fort, noch immer beim Thema Frankie. Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Das einzige Problem ist, dass es Hugo ist.«

»Hugo!« Erstaunt hörte ich auf, die Laken in die Trommel zu stopfen. Hugo. Der nette, ziemlich gutaussehende Enkel von Angus und Sylvia, der in den Ferien zur Jagd ritt und momentan gerade ein Jahr im Pub jobbte, bevor er zum Studium nach Cambridge ging. Er war etwas ganz anderes, als ich erwartet hätte, und außerdem hätte ich ihn voll und ganz Angies Töchtern zugeordnet.

»Ich dachte, der wäre ein Herz und eine Seele mit Clarissa?«

»Das dachte Clarissa wohl auch und ist ziemlich sauer deswegen. Sie hält ihn für ihr Eigentum, obwohl die beiden nie zusammen waren. Sie weiß, dass er mit einer von ihren Freundinnen zusammen ist, aber sie weiß nicht, mit welcher. Er will es ihr schonend beibringen, deswegen ist die Sache auch noch geheim.«

Ich erinnerte mich daran, wie Frankie im Schutze der Dunkelheit zu einem Auto draußen vor dem Pub gelaufen war, und genau da arbeitete Hugo ja. Und mir fiel wieder ein, dass Angie mir erzählt hatte, Clarissa habe Kummer wegen eines Jungen.

»Wie schön für Frankie.« Ich konnte einfach nicht anders.

Sie grinste. »Ich weiß. Er ist ein netter Junge.« Plötzlich machte sie ein trotziges Gesicht. »Aber sie ist schließlich auch ein nettes Mädchen. Und interessant. Nicht von der üblichen Sorte, die über alles und jedes kichert und die Haare nach hinten wirft.«

»Genau.«

»Sie will sie wachsen lassen«, sagte sie geistesabwesend, »und ein bisschen dunkler färben, eher bräunlich.«

»Gute Idee.«

Wir schwiegen einen Augenblick. Meine Gedanken wanderten zurück zu Jennie vor vielen Jahren, wie sie mit diesem widerborstigen, eigensinnigen Mädchen gekämpft hatte, dessen alkoholkranke Mutter mehr und mehr das Interesse an ihr verloren hatte. Danach hatte es einige gute Jahre gegeben, zwischen neun und zwölf etwa, wo es nur darum ging, ob man im Winter ins Netball-Team kam oder im Sommer in die Baseball-Mannschaft. Jennie hatte sogar einmal eine Lehrerin mit Schoko-Brownies bestochen – aber dann folgten schwierige Jahre. Konnte es sein, dass sie und Frankie nun wieder am Beginn einer guten Phase standen? Und würde die diesmal andauern? Jennie hatte sich jedenfalls alle erdenkliche Mühe gegeben, selbst wenn sie zeitweise das Gefühl gehabt hatte zu scheitern.

»Dan freut sich bestimmt, dass ihr zwei euch wieder versteht«, sagte ich und drückte die Tür der überfüllten Waschmaschine zu.

»Ja, auch wenn es ein bisschen auf seine Kosten geht und er in die Rolle des tyrannischen Vaters gedrängt wird, wie aus einem Roman von Dickens.«

»Das war doch nur eine erste Schockreaktion.«

»Ich weiß und Frankie weiß es auch. Ja, Dan freut sich. Ich würde sogar sagen, dass er sich gestern Abend geradezu ins Fäustchen gelacht hat. Ich hätte gedacht, dass er bestimmt schon schläft, als ich nach meiner Session mit Frankie schließlich die Treppe hinaufgekrochen bin, aber da saß er mit glänzenden Augen aufrecht in den Kissen und hoffte darauf, dass ich sehr dankbar sein würde.«

»Aha.« Ich lachte. »Pech gehabt.«

»Eigentlich hab ich es sogar genossen. Kam mir diesmal gar nicht so sehr wie eine lästige Pflicht vor. Ich hab zur Abwechslung mal mitgemacht und es nicht ganz als Zuschauersport betrachtet.«

»Erspar mir die Details, Jennie.«

»Sorry. Wollte nur die Ringe unter meinen Augen erklären.« Sie grinste verlegen und nahm einen Schluck Kaffee. »Jedenfalls haben wir eine Art Pakt geschlossen, nach Weihnachten wollen wir für ein paar Tage alleine wegfahren. Uns wieder neu kennenlernen, wie man uns ja so gerne in den einschlägigen Frauenzeitschriften rät.«

»Gute Idee. Ich nehme die Kinder.«

»Danke, aber ich glaube, Frankie schafft das schon, wenn du nur ein wachsames Auge darauf hältst und von Zeit zu Zeit mal ein wenig frisches Obst über den Zaun schaufelst.«

Vor ein paar Wochen hätte Jennie Frankie das niemals zugetraut. Die beiden mussten wirklich ein sehr gutes Gespräch gehabt haben.

»Und was ist mit dir?« Sie musterte mich nachdenklich. Ich zuckte zusammen. Diesen Blick kannte ich nur zu gut. Sobald Jennie erst einmal ihr eigenes Leben im Griff hatte, tat sie nichts lieber, als sich um das anderer Leute zu kümmern. Ich wand mich unter ihrem Blick, steckte aber fest wie eine Motte auf einem Mikroskop-Träger. »Ich dachte, du wolltest gestern Abend ausgehen? Wieso hast du dann immer noch im Bademantel rumgegammelt, als wir hier wie die Addams Family hereingeplatzt kamen?«

»Ach. Na ja.« Ich erzählte ihr von Pete. Von Angie. Und schließlich von Peggy.

Sie machte ein nachdenkliches Gesicht, presste die Lippen zusammen. »Kleine Kurzschlussreaktion?«

»Von mir?«

»Angie erwähnt ganz beiläufig, dass du nicht gerade mittellos bist, und schon sollen seine Motive ganz falsch sein, er ist nur ein geldgieriger Heiratsschwindler und du lässt ihn fallen wie eine heiße Kartoffel?«

»Na ja «

»Du bist schließlich nicht Jackie Onassis, Poppy.«

Ich errötete, weil mir wieder einfiel, dass ich mich erst am Abend zuvor mit genau dieser Frau verglichen hatte. »Nein, natürlich nicht.«

»Du hast gerade so viel geerbt, dass du dir davon ein schönes Haus kaufen und deine Kinder auf gute Schulen schicken kannst, was die Witwe eines erfolgreichen Geschäftsmannes, der ein Unternehmen aufgebaut hat, durchaus erwarten kann. Und du hast immer noch zwei Kinder, wie er Angie gegenüber sehr richtig bemerkt hat. Schleppst also immerhin Ballast mit dir rum.« Ich starrte sie an. »Was willst du damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass du voreilige Schlüsse ziehst und einen Fehler machst, wenn du auf Peggy hörst, die nur schwarz-weiß denken kann. Roger war die Liebe ihres Lebens, und daher wird es nie einen anderen geben. Deswegen zieht sie rum und flirtet mit älteren Junggesellen, ohne sich je dazu durchringen zu können, sich mit einem von ihnen einzulassen. Ist es das, was du für dich willst?«

Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken. »Also, wenn du es so sagst «

»Das Leben ist nicht schwarz und weiß, Poppy, es ist ziemlich grau oder manchmal sogar gräulich. Da gibt es jede Menge Kompromisse und dunkle Flecken – frag mich und Dan. Nur weil du mit Phil so total danebengelangt hast, bedeutet das noch lange nicht, dass alle Männer Mistkerle sind und du gleich wieder den nächsten Fehlgriff landest.«

Ich staunte. »Hast du an der Wand gelauscht?«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, das ist genau das, was ich Peggy gesagt habe – dass ich Angst habe, es wieder falsch anzugehen.«

»Das merke ich. Und Peggy ermuntert dich, kritisch zu sein und dich mit nichts anderem als Perfektion zufriedenzugeben. So würde sie es machen. Für sie gibt es nur alles oder nichts. Was okay ist, wenn man auch mit nichts zufrieden ist. Ich persönlich habe ganz gerne wenigstens etwas.« Sie schlug die Beine übereinander.

Ich schluckte und war entsetzlich verwirrt. »Oh Gott. Oh Gott, ich weiß nicht, was ich machen soll, Jennie!«, jammerte ich und raufte mir verzweifelt die Haare. »Wenn ich mit Peggy rede, denke ich: Recht hat sie!; und wenn ich mit dir rede, denke ich auch: Recht hat sie! Woran liegt das?«

»Weil du so leicht zu beeinflussen bist, genau wie mein Mann«, sagte sie ruhig. »Du bist nicht unbedingt blöd «

»Oh, danke!«

» aber sehr leicht zu überzeugen!« Sie fegte ein imaginäres Staubkörnchen von ihrem Knie und kam jetzt so richtig in Fahrt. »Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Magst du ihn?«

»Wen? Pete?«

»Ja, natürlich Pete, nicht Dan. Obwohl du den auch gerne haben kannst, wenn du willst.«

»Öhm, ja.« Ich kaute auf meinem Daumennagel herum.

»Bist du gerne mit ihm zusammen? Hast du Spaß mit ihm?«

Ich dachte an unser gemeinsames Essen im Pub zurück, wo er mit Bierdeckeln herumgespielt hatte, um Clemmie zu unterhalten. Und wie er mich im King’s Head zum Lachen gebracht hatte.

»Ja, ich bin gerne mit ihm zusammen.«

»Fandest du es schön, ihn neulich vor dem Haus zu küssen?«

Ich starrte sie an. »Ach, lass mich doch in Ruhe, Jennie«, murmelte ich und errötete.

»Liebst du ihn?«

»Nein. Ich meine … Ich weiß nicht.«

»Genau, natürlich liebst du ihn nicht! Und warum solltest du auch. Du kennst ihn ja erst seit ein paar Wochen. Aber gib ihm doch eine Chance, Poppy«, drängte sie. »Du musst dich doch nicht morgen entscheiden oder nächste Woche, noch nicht einmal nächstes Jahr, aber woher willst du es denn wissen, wenn du ihm noch nicht einmal eine Chance gibst? Und wenn dir die Geschichte mit dem Geld Kopfzerbrechen bereitet, dann frag ihn einfach danach.«

»Soll ich etwa sagen: Pete, bist du nur hinter meiner Kohle her?«

»Nein, aber du könntest ganz zufällig erwähnen, dass Angie immer wie verrückt übertreibt – was ja auch stimmt – und dem halben Dorf erzählt hat, du wärest reich wie Krösus. Mach einen Scherz daraus.«

Das halbe Dorf. Ich dachte an Bob, der mir einen Heiratsantrag gemacht hatte. Mich geradezu verfolgt hatte. Und an die heilige Hilda, die gemeint hatte, »in dieser Hinsicht« könne sie nicht mit mir konkurrieren.

»Vielen Dank, Angie«, sagte ich zu mir selbst.

»Er wird schon wissen, dass Angie immer übertreibt, und du könntest sogar sagen, dass sie die Sache total falsch verstanden hat und es in Wahrheit ganz anders aussähe – dann ist er so verwirrt, dass er gar nicht mehr weiß, was er glauben soll. Und dann kannst du ja sehen, ob er dranbleibt. Ich persönlich glaube ja, dass er das tun wird. Ich wette, das Geld hat gar nichts mit seinem Interesse an dir zu tun. Er ist ein netter Kerl, Poppy. Gib ihn nicht so einfach auf.«

»Ehrlich?«, fragte ich besorgt. »Findest du ihn wirklich nett, Jennie?«

»Ja, aber entscheidend ist, wie du ihn findest.«

»Aber das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht!«, japste ich. »Ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll, weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch denken kann.«

»Klar kannst du.« Aber das klang nicht sehr überzeugend und ich sank, den Kopf in die Hände gestützt, unglücklich am Tisch zusammen. Ich wusste, dass sie besonders angriffslustig war, weil sie sich am Abend zuvor derart zum Narren gemacht hatte und nun einfach zurückbellte, aber trotzdem

»Wann ist es denn bei Leila so weit?«, fragte ich und richtete mich plötzlich wieder auf in dem Versuch, sie an ihre eigene häusliche Krise zu erinnern.

»Leila«, sagte sie verächtlich. »Keine Ahnung. Hunde haben scheinbar eine Tragezeit von vierzehn Wochen, aber da sie ein halber Teufel ist, könnte es jederzeit so weit sein. Sie taugt nicht zur Mutter, Poppy. Mal ganz abgesehen von ihren psychischen Problemen treibt sie es einfach mit jedem und das ist nicht schön, oder? Ich würde ja den Tierarzt bitten, die Schwangerschaft zu beenden, aber das würden mir die Kinder nie verzeihen. Und wie soll man eine Teufelin davon abbringen, Nachwuchs zu produzieren? Sie wird schon einen Weg finden, den nach draußen zu befördern, und sei es, nur um mich zu ärgern.«

Ich grinste. Jennie machte jetzt ein großes Bohei und viel heiße Luft, aber ich wusste genau, dass sie sich zum entscheidenden Zeitpunkt sofort in eine Hebamme verwandeln würde. Sie würde die ganze Nacht wach bleiben, in Leilas Wurfbox hocken, sie locken und trösten und ihr unter den Wehen die Pfote halten und dann völlig verliebt sein in den Wurf, das Haus nicht verlassen, nur damit beschäftigt Weetabix aufzulösen und Eier darunter zu rühren. Es bestand sogar durchaus die Möglichkeit, dass sie alle Welpen behalten würde. Eine ziemlich lustige Vorstellung – acht ausgewachsene Leilas, die an acht Leinen Jennie mit Vollgas durchs Dorf zerrten – entfaltete sich vor meinem inneren Auge.

»Wer weiß, vielleicht wird das ihre große Stunde«, warf ich ein.

»Leila? Das bezweifle ich. Vermutlich wird sie sie in irgendeinem hässlichen, nassen Busch zur Welt bringen und gleich weiterlaufen auf der Suche nach dem nächsten Peddler für einen kurzen Fick. Hieß der Hund nicht so?«

»Peddler? Oh Gott, natürlich. Mark hat mir davon erzählt. Das könnten also Peddlers Kinder sein! Oh, Jennie, von denen hätte ich dann wirklich gerne einen.«

»Echt?« Sie wirkte überrascht. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Okeydoke. Aber die Nachfrage könnte ziemlich groß sein, weißt du.« Sie straffte die Schultern. »Trotz meiner eigenen Bedenken ist Leila hier ziemlich beliebt. Könnte also teuer werden. Aber ich notiere mir schon mal deinen Namen auf der Liste.«

Das war typisch, echt typisch. Sie hatte wieder alles unter Kontrolle und sah sich schon zu Mrs Fish sagen: »Nein, Mrs Fish, ich bin nicht sicher, ob Ihr Garten groß genug ist.«

»Und sie ist definitiv schwanger?«, fragte ich vorsichtshalber nach. »Dieser Test könnte bei Hunden nicht richtig funktionieren.«

»Genau das dachte ich auch und hab deswegen beim Tierarzt angerufen. Er meinte, das wäre schon recht aussagekräftig, die Hormone sind so ziemlich dieselben. Und wie Dan bereits sehr passend bemerkt hat, entwickelt sie eine beachtliche Oberweite.«

»Okay. Mist, warum startet die nicht?« Ich schaute auf meine Waschmaschine.

»Weil du zu viel reingestopft hast.«

Ich wusste, dass sie Recht hatte, und stapfte hinüber, um die Maschine wieder zu öffnen und ein Laken herauszuziehen. Alles hatte sich ineinander verdreht, also zog ich an dem Wäschegewirr, doch es steckte fest, sodass schließlich, als ich energisch zerrte, der gesamte Inhalt der Trommel auf einmal herauskam und ich auf dem Hosenboden landete. Genau in diesem Augenblick klingelte es an der Tür.

»Soll ich aufmachen?«

»Ja, bitte.«

»Und dann lasse ich sie sterilisieren«, erklärte Jennie mir entschlossen auf dem Weg zur Haustür. »Das wird ihr den Wind aus den Segeln nehmen.«

»Dann werden sie fett und unleidlich«, warnte ich.

»Wer wird das nicht?«, schnaubte sie. »Sterilisiert oder nicht.«

Ich löste einen Doppelbettbezug aus dem Knäuel, stopfte den Rest wieder zurück und stellte das Programm neu ein. Schon schnurrte sie los.

»Danke«, hörte ich Jennie zu jemandem an der Tür sagen. Sie kam durch den Flur zurück. »Hey, sieh dir das an.«

Ich wandte mich um und sah sie mit einem großen Strauß weißer Rosen, dazwischen waren hübsche blaue Kornblumen gesteckt. Sie überreichte ihn mir. »Für dich, wie es scheint.«

Erstaunt nahm ich den in Papier eingewickelten Strauß entgegen. Dann setzte ich mich und öffnete das dazugehörige Briefchen. Es war lange her, seit mir jemand Blumen geschickt hatte.

»Sie sind von Pete«, sagte ich und las weiter. »Ich hoffe, es geht dir inzwischen besser, alles Liebe.«

Jennie linste über meine Schulter. »Oh, wie unglaublich blöd ist das denn«, sagte sie entschieden. »Wird in letzter Minute sitzengelassen und schickt dann noch Blumen. Ich bitte dich.« Sie verschränkte die Arme.

Nach einer Weile blickte ich schuldbewusst auf. »Ich habe ihn falsch eingeschätzt, nicht wahr?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hängt davon ab, mit wem du zuletzt gesprochen hast. Sorry«, sagte sie dann rasch. »Hab’s nicht so gemeint. Sag mir, dass ich mich um meinen eigenen Mist kümmern soll, Poppy. Es ist nur … Ich wünsche mir so, dass du glücklich bist.« Sie beugte sich herab, um mich zu umarmen. »Und danke für gestern«, flüsterte sie mir noch rasch ins Ohr. »Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich machen sollte.«

Ich nickte gerührt. Aber nicht klüger als zuvor. Auf dem Weg zur Hintertür machte sie noch einmal kehrt.

»Übrigens, du ahnst nicht, was Angie mir noch erzählt hat.«

»Was denn?«

»Über deinen Anwalt, diesen Sam Hetherington. Der mit dem schicken roten Jagdrock.«

Ich spürte, wie mein Herz klopfte. Ich wusste es bereits.

»Er war früher mal mit Hope Armitage verheiratet.«

»Kaum zu glauben, oder? Da fragt man sich doch, warum die beiden überhaupt hergezogen sind. Wenn Sam hier lebt.«

»Sam war noch nicht hier, als sie hergezogen sind«, sagte ich mechanisch. »Er war noch in London. Das Haus war vermietet. Da waren Pächter drin.«

»Ja, aber du ziehst doch mit deinem neuen Mann nicht genau dahin, wo dein Ex herstammt, wenn da nicht noch irgendeine andere Anziehungskraft ist. Warum machst du so ein entsetztes Gesicht, Poppy? Und wann willst du endlich diese Tür ölen?« Sie hatte, genau wie alle anderen, mit dem Riegel meiner Hintertür zu kämpfen.

»Warte mal«, sagte ich plötzlich. Ich stand rasch auf und ging zur Anrichte hinüber. Dort zog ich die Einladung heraus und drückte sie Jennie in die Hand. Auf einmal war mir alles sonnenklar. Ich würde jetzt ganz sicher nicht mehr dort hingehen. »Mark, der Hundeführer, hat mir die geschickt. Warum gehst du nicht mit Dan da hin? Der halbe Landkreis wird da sein und ihr werdet euch bestimmt amüsieren.«

Skeptisch betrachtete sie die Einladung. »Bist du sicher? Willst du nicht selbst hingehen? Könntest du nicht Pete fragen?«

»Könnte ich und wollte ich auch. Ich glaube nur, dass das möglicherweise nicht ganz der richtige Ort ist. Ich werde ihn aber bestimmt nicht abschreiben«, versicherte ich rasch.

»Okay«, sie nickte. Dann hob sie den Blick von der Einladung. Ihre Augen blitzten. »Also wenn du dir sicher bist … Wir würden da total gerne hingehen. Das ist genau das, was Dan und ich brauchen, weißt du. Eine richtig gute Fete. Ich danke dir.« Sie ließ die Karte gegen ihre Handfläche knallen und marschierte strahlend davon, wobei sie dem Riegel der Hintertür einen gewaltigen Schubs verpasste, sodass ihm gar nichts anderes übrigblieb, als sich zu bewegen.

Archie gurgelte auf dem Babyphon und ich stieg langsam die Treppe hinauf, um ihn zu holen. Mühsam zog ich mich an dem polierten Geländer empor. Auf dem Weg nach unten, mit Archie im Arm, ließ er mit dem Finger meine Unterlippe schnalzen, was mich normalerweise zum Lächeln gebracht hätte. Seltsam nur, dass ich heute gar kein Lächeln für ihn zustande bringen konnte.