Kapitel Neun
Aria
D ie Zeit kriecht an diesem Ort nur so dahin. Es gibt keine Uhr in meinem Zimmer, keine Möglichkeit, die verrinnenden Stunden zu verfolgen, und der permanent graue Herbsthimmel macht es noch schwieriger. Vielleicht drei oder vier Tage sind vergangen, wenn ich schätzen müsste, und ehrlich gesagt, sind das drei oder vier Tage zu viel. Das Einzige, auf das ich mich verlassen kann, ist Sadie, die in mein Zimmer kommt und mir ein Tablett mit Essen hinstellt, ohne viel zu sagen.
Drei Mahlzeiten am Tag und ein paar Sekunden menschliche Interaktion. Das ist alles, was ich bekomme. Die restlichen Stunden verbringe ich damit, zu schlafen, mein Zimmer zu durchstöbern - das seltsamer leer ist - oder über meinen nächsten Fluchtplan nachzudenken. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich Lieber die Stille oder einen der Dämonen hätte, der hier hereinplatzt und Forderungen stellt. Oder noch schlimmer, mich zu einem inszenierten Familienessen zu zwingen und so zu tun, als wäre das alles nicht extrem abgefuckt.
Allerdings lassen sie mich seit geraumer Zeit in Ruhe. Vielleicht habe ich sie davon überzeugt, dass es nichts Besonderes an mir gibt und sie haben aufgegeben? Ein Mädchen darf doch träumen, oder?
Während ich auf Sadies vertrautes Klopfen an der Tür fürs Abendessen warte, sitze ich auf der Couch am Fußende des Bettes und starre geistesabwesend auf das lodernde Feuer. Ich kann nicht aufhören, an die drei Männer zu denken, die mich wie ein Haustier rufen, wann immer ihnen danach ist, und mich zwingen, auf Kommando zu tun, was sie wollen. Besonders Cain. Dieses arrogante, selbstgefällige Arschloch. Die Art, wie er mich ansieht... Es ist, als ob er mich entweder töten oder ficken will, und ich bin mir wirklich nicht sicher, was davon. Vielleicht beides.
Einige Zeit später klopft es an meiner Tür. Wie erwartet, ist es Sadie mit einem weiteren Wagen voller Essen, etwas Wein, Eistee und einem großen Stück Himbeer-Schoko-Käsekuchen. Ich werde heute Abend verwöhnt.
Mein Magen knurrt, und ich springe vor Aufregung fast auf die Füße. „Das sieht alles toll aus, Sadie. Dankeschön.“ Ich lehne mich nah heran und stelle fest, dass alles noch warm ist und köstlich riecht. Ich erwarte, dass sie direkt wieder geht, aber sie bleibt stehen und mustert mich.
„Kann ich... noch etwas für dich tun?“, frage ich nervös.
„Da ist noch etwas, Fräulein.“ Sie greift in das Fach unter dem Essen und zieht eine große weiße Schachtel heraus, die mit einer roten Schleife zugeschnürt ist. Sie reicht sie mir.
Ich zögere, mein Magen dreht sich vor lauter Sorge um. „Was ist das?“
Sie antwortet nicht, sondern deutet nur an, dass ich sie öffnen soll, bevor sie sich umdreht und zur Tür zurückgeht. Als sie weg ist, untersuche ich die Schachtel noch einmal. Jetzt Geschenke? Ich verstehe das nicht. Es sieht harmlos aus, aber das bedeutet nichts. Dämonen machen keine Geschenke.
Da muss mehr dahinterstecken.
Vorsichtig ziehe ich die Schleife ab und öffne die Schachtel. Unter dem feinen/eleganten roten Seidenpapier finde ich ein Bündel aus tief blutrotem Stoff.
Was zur Hölle?
Ich ziehe es mit sanften Händen heraus und starre es an. Es ist ein Kleid - ein dünnes, seidiges Teil, das sich in meinen Händen so fein und leicht wie Wasser anfühlt. Teuer. Wahrscheinlich kostet es mehr Geld, als ich mir auch nur vorstellen könnte, jemals in meinem Leben zu besitzen.
Das Nächste, was mir auffällt, als ich es hochhalte, ist der tiefe Ausschnitt und der ebenso hohe Schlitz an der Seite.
Ein Kloß setzt sich in meiner Kehle fest. Ich habe noch nie etwas so Freizügiges getragen. Mit der Art Material und den Ausschnitten überlässt es sehr wenig der Fantasie. Ich könnte genauso gut nackt herumlaufen. Aber ich schätze, das ist genau der Punkt.
Die Wut kribbelt in meiner Magengrube. Wofür halten sie mich? Eine Stripperin?
Nein, auf keinen Fall werde ich das tragen.
Ich packe das Kleid zurück in den Karton und werfe ihn auf das Bett. Ein Stück Papier fällt heraus und gleitet auf den Boden. Ich gehe hinüber, hebe es auf und starre auf die sanft geschwungene Handschrift. Als wüsste mein Körper bereits, von wem es ist, beginnt mein Herz schnell zu schlagen.
Du hast eine Stunde Zeit. -C
Mehr steht da nicht, aber ich höre, wie Cains Akzent jedes Wort umspielt, während ich es lese, und bekomme eine Gänsehaut.
Verdammt noch mal . Ich hasse ihn. Ich hasse es, wie er mich beeinflussen kann, ohne überhaupt im Raum zu sein.
Ich werfe einen Blick zurück auf das Kleid. Werde ich wirklich gehorchen und das Ding anziehen? Ich wende mich der Essensplatte zu und hebe den Deckel an, um ein gebratenes Hühnchensandwich zum Vorschein zu bringen, das ich eifrig zu essen beginne, während ich das Geschenk von Cain anstarre. Was für ein arrogantes Arschloch!
Das Geräusch der sich wieder öffnenden Tür lässt mich zurückschwingen, während ich das Sandwich aufesse. In der Erwartung, Cains schwarze Augen und sein teuflisches Grinsen zu sehen, entweicht mir ein erleichtertes Seufzen, als ich sehe, dass Sadie zurückgekehrt ist.
„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, Fräulein, sagt sie. „Ich hätte noch mal klopfen sollen.“
Ich winke die Entschuldigung ab und befehle meinem schnellen Puls, sich zu verlangsamen. „Schon okay.“
„Ich soll Ihnen helfen, sich fertig zu machen.“ Sie macht einen zögernden Schritt weiter ins Zimmer.
Ja, natürlich. Schickt jemanden, der sicherstellt, dass ich ihm gehorche. Er hat sich wahrscheinlich auch gedacht, dass ich mich gegen Sadie weniger wehren werde. Der hinterhältige Bastard.
Seufzend lasse ich die Schultern sinken.
„Hast du gesehen, was ich für ihn anziehen soll?“, frage ich Sadie, während ich zum Bett hinübergehe, mir das Kleid schnappe und es vor mich halte. Ich beäuge das Kleid, es scheint mir zu passen, und die Tatsache, dass die Dämonen meine Körperform und -größe kennen, irritiert mich nur noch mehr.
„Irgendeine Idee, was das alles soll?“, frage ich sie, als sie ins Bad geht. Einen Moment später kommt sie mit einer Bürste, Haarspray, einer Handvoll Haarnadeln und einer kleinen Kosmetiktasche heraus.
Oh nein... Sie wird mich doch nicht schminken, oder?
Ich trage kein Make-Up. Ich benutze noch nicht einmal Labello.
Sie schiebt mich zurück, bis meine Beine das Sofa berühren, und zwingt mich, mich hinzusetzen. Ich will protestieren, aber sie ist schon mit der Bürste und dem Haarspray dabei, meine Haare aus dem Gesicht zu zwirbeln und festzustecken. Es dauert nicht lange, bis es ihr gefällt, aber als sie die Kosmetiktasche öffnet und eine Tube Wimperntusche herauszieht, schicke ich ein stilles Gebet nach oben.
Sadie macht sich an die Arbeit. Die meiste Zeit habe ich die Augen geschlossen, weil ich Angst habe, zu sehen, was sie mit meinem Gesicht macht. Wie bei meinen Haaren dauert es nur wenige Minuten, aber es ist eine quälende Zeit. Schließlich hört das Stochern und Stechen auf, und Sadie tritt zurück, um ihr Werk zu bewundern. Anerkennend lächelnd reicht sie mir das Kleid und schlüpft zurück ins Bad, damit ich mich umziehen kann.
Ich ziehe meine Kleidung aus und das Kleid an. Der Stoff gleitet über mich, liegt eng um meine Taille und Hüften, bevor er locker zu Boden fällt.
Sadie tritt wieder in den Raum und ihr Lächeln wird breiter. „Es passt perfekt“, sinniert sie, doch dann legt sich ein Stirnrunzeln in ihr Gesicht.
„Was?“, frage ich.
Sie zeigt auf den tiefen Ausschnitt, wo mein BH durchscheint. Ich werde ihn ausziehen müssen.
Ich schnaufe. Es braucht ein wenig Fummelei mit dem Kleid, aber ich schaffe es, aus ihm herauszuschlüpfen.
Dann zeigt sie auf meine Hüften. „Das Höschen muss auch noch weg.“
“Was? Das gibt's doch nicht!“ Ich schaue nach unten. Sie hat natürlich recht. Durch den dünnen Stoff ist jede Linie und Falte meiner Unterwäsche sichtbar.
„Meister Cain besteht darauf.“
Verärgert schlängle ich mich schnell aus meiner restlichen Unterwäsche. Trotz des Kleides, das überhaupt nichts wiegt, fühle ich mich völlig nackt vor ihr. Und das bin ich gewissermaßen auch. Meine Brustwarzen stechen durch den Stoff. Wenn ich mich falsch bewege, bewegt sich der Schlitz an meinem Bein zu sehr. Eine falsche Bewegung, und ich bin vollständig entblößt.
„Das kann ich nicht tun“, murmle ich.
Sadie geht näher an den Standspiegel neben der Kommode heran und bittet mich, mich zu ihr zu gesellen. Als ich mich nicht schnell genug bewege, ergreift sie meinen Arm und zieht mich nach vorne.
„Du bist umwerfend“, sagt sie. Ihr Lächeln ist warm, aber es trägt wenig dazu bei, mein Unbehagen zu lindern. Sie überredet mich, in den Spiegel zu schauen. „Guck dich an.“
Ich blicke auf, und in dem Moment, in dem ich einen Blick auf mein Spiegelbild erhasche, keuche ich laut auf. Die Frau, die vor mir steht, sieht überhaupt nicht aus wie ich. Die Haare sind zu einem zarten Zopf hochgesteckt, ein paar Strähnen liegen frei und umrahmen ein Gesicht mit geschwungenen dunklen Wimpern, umrandeten Smokey Eyes und leuchtend roten Lippen. Das Kleid ist sogar noch atemberaubender, als ich gedacht hätte, und zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich... sexy. Gefährlich. Wunderschön. Das sind Gedanken, von denen ich nicht wusste, dass ich sie überhaupt in mir hatte. Es fällt mir schwer, das Lächeln zu unterdrücken, denn niemals in einer Million Jahren hätte ich mir vorstellen können, so gekleidet zu sein und so auszusehen.
In mir fühle ich Sayah herumschwimmen. Sie ist ängstlich, rauszukommen, und spiegelt meine Gefühle wider, jetzt, da ich weiß, dass der nächste Schritt ein erneutes Treffen mit Cain bedeutet. Aber dieses Mal fürchte ich mich nicht davor, ihn zu sehen. Ganz im Gegenteil. Ich will ihn sehen. Ich möchte seinen Gesichtsausdruck sehen, wenn er mich nach so langer Zeit so herausgeputzt sieht. Und vor allem will ich ihn zum Schwitzen bringen, wenn ich ihn necke.
Es klopft an der Tür. „Das Auto steht vor der Tür. Wir fahren in fünf Minuten los“, sagt Cain von der anderen Seite der Tür, bevor seine Schritte im Flur verklingen.
„Sie sind bereit, Fräulein“, bietet Sadie an, während sie zu meinem Bett geht, wo die Schachtel steht, und mit einem Paar roter Riemchen-Stilettos zurückkommt, die in ihrer Hand baumeln. Sie glitzern im Licht, als wäre der Lack mit Diamantenstaub bestreut. Ein gewisser Schrecken durchfährt mich bei ihrem Anblick.
Mein Mund bleibt offen stehen. Ich stolpere in flachen Schuhen. Sneaker, Sandalen, flache Stiefel - das bin ich. Mit diesen Absätzen werde ich mir das Genick brechen. Sadie stellt sie vor mich hin, und ich hebe den Stoff meines Kleides hoch, um in die Schuhe zu schlüpfen. Das Dienstmädchen kniet vor mir und schließt die Riemen hinten an meinen Knöcheln.
Als sie wieder steht, fühle ich mich so viel größer als sie... Wie in aller Welt soll ich auf diesen Stelzen laufen?
Sadie wendet sich wieder der Schachtel auf meinem Bett zu und kommt Augenblicke später mit einer langen, goldenen Halskette zurück. Sie ist so dünn, dass sie zerbrechlich aussieht. Sie stellt sich hinter mich, und ich ducke mich und hebe mein Haar, damit sie mir die Kette um den Hals legen kann. Die Halskette ist lang, und ein einzelner goldener Flügel liegt jetzt genau zwischen meinen Brüsten. Ich hebe den funkelnden Anhänger an. Er ist wunderschön.
„Du solltest Master Cain besser nicht warten lassen.“ Sadie geht durch den Raum und öffnet die Tür.
Ein letzter Blick in den Spiegel. Das Mädchen, das mich anschaut, kann nicht ich sein. Sie ist viel zu sexy und selbstbewusst.
„Fräulein, beeilen Sie sich“, flüstert Sadie verzweifelt.
Ich schaffe das. Dann drehe ich mich um und gehe mit langsamen, wackeligen Schritten aus dem Zimmer, bis ich meinen Rhythmus gefunden habe. Das heißt, ich bewege mich langsam wie eine Schnecke, halte mich dicht an den Wänden und klammere mich am Geländer fest, während ich die große Treppe hinabsteige. Die Absätze klacken auf dem Steinboden auf dem Weg zur Eingangstür des Herrenhauses, die offen steht.
Draußen in der Ausfahrt wartet eine schwarze Limousine, die Scheiben sind getönt. An der hinteren Tür steht Cain und hält sie offen. Sein Kopf ist nach vorne geneigt, konzentriert auf das Telefon in seiner Hand. Er trägt einen engen, schwarzen Anzug, der perfekt auf ihn zugeschnitten ist. Das Jackett trägt er offen, das Hemd darunter klafft an seinem Hals auf. Unter dem Anzug ist jeder Zentimeter von ihm muskulös.
Er wartet auf mich und sieht gefährlich sexy aus. Die Augen dieses wütenden, aber umwerfenden Mannes bringen mich zum Brennen, als sich sein Blick hebt, um meinen zu treffen. Er schweigt, und zugegeben, er mag von meiner Erscheinung überrascht sein, aber ich werde nicht leugnen, dass eine solche Reaktion ein enormer Schub für mein Selbstbewusstsein ist.
Seine Lippen verziehen sich zu einem echten Lächeln. Das verblüfft mich. Ich kann mich nicht erinnern, ihn lächeln gesehen zu haben, nicht ein einziges Mal, seit ich in dieser Villa angekommen bin.
„Du bist spät dran“, sagt er.
Das ist der Cain, den ich kenne. Ich atme tief ein, um meine Nerven zu beruhigen und den Anschein von Normalität zu erwecken, und gehe vorsichtig die Treppe hinunter, dann schlendere ich auf ihn zu.
Meine Haut prickelt von seinem unverhohlenen Blick, der über meinen ganzen Körper wandert.
Ich gebe mein Bestes, um ihm nicht meinem tiefen Ausschnitt oder den ultrahohen Schlitz an meinem Oberschenkel zu entblößen, den der Wind immer wieder zur Seite zu schieben versucht, um mich zu enthüllen, alles während ich versuche den unbeholfenen Gang mühelos erscheinen zu lassen. Ich schwinge leicht mit meinen Hüften; ich will, dass er starrt und sabbert. Er ist nicht der Einzige, der so verträumt und grüblerisch sein kann. Dieses Spiel können auch zwei spielen. Wer hätte gedacht, dass es sich so ermächtigend anfühlt, sich so anzuziehen?
Er tritt zur Seite, damit ich hinten einsteigen kann, als mein Knöchel plötzlich nachgibt. Ich spüre, wie ich taumle, mein Herz klopft wie wahnsinnig. Ich falle mit den Füßen kurz vor dem Auto. Ich sterbe innerlich, während meine Arme wild fuchteln.
Starke Hände packen mich mitten im Fall fest um meine Taille, und stellen mich wieder auf die Füße. Ich schnappe nach Luft, mein Puls pocht wild durch meine Adern. Eng an Cain gepresst, hält er mich an Ort und Stelle, während ich mein Gleichgewicht wiederfinde. Meine Wangen erröten vor Verlegenheit, ihm so nahe zu sein, vor der Härte seiner Hand in meinem Rücken. Alles an ihm macht mich verrückt - es gibt von Minute zu Minute eine andere Antwort auf die Frage, ob es mich wütend oder geil macht.
„Vorsichtig. Wir wollen nicht, dass du dir einen Knöchel brichst.“
Ach, wirklich?
„Ich bevorzuge Turnschuhe“, sage ich.
„Ah, ja, aber Turnschuhe würden deine Beine nicht betonen.“ Er hält inne und blickt weg, als hätte er sich dabei ertappt, etwas zu sagen, was er nicht sagen sollte, und ich liebe den Gedanken, ihn aus der Fassung zu bringen. Selbst wenn es nur für einen Moment ist.
„Das Kleid. Sie würden das Kleid nicht so gut betonen.“ Ich schaue zu ihm auf, diese wunderschönen Augen sind fesselnd. Ein Teil von mir erwartet, in ihnen Heiterkeit zu finden, vielleicht eine spöttische Antwort, aber er gibt keine. Er ist anders als alle anderen Männer, die ich je getroffen habe, aber um fair zu sein, er ist nicht wirklich ein Mann. Ich bin noch nie einem Dämon begegnet.
„Ja, natürlich. Das Kleid.“ Er räuspert sich, aber sein Griff um mich lockert sich nicht. Er hält mich weiterhin fest und überlegt, was er als Nächstes tun soll.
Mein Knöchel brennt immer noch von dem Missgeschick, aber alles, worauf ich mich konzentrieren kann, ist der fehlende Raum zwischen uns, das Schnellerwerden seines Atems. Alles, was er getan hat, ist, mich vor dem Fallen zu bewahren, und ich brenne innerlich. Das war mein Moment, um ihn ins Wanken zu bringen, nicht um in seinen Armen zu landen, weil ich mich nicht auf meinen Beinen halten kann.
Verdammt, ich muss mich zusammenreißen.
Es kostet mich all meine Willenskraft, nicht einzuknicken und weiter auf seine Lippen zu starren und mich zu fragen, ob er mich küssen wird. Ich wollte ihn dazu bringen, mich zu küssen, aber alles, was ich erreicht habe, ist, dass ich hingefallen bin. Ich schlucke schwer und entziehe mich seiner Umarmung, meine Wangen glühen.
„Danke“, sage ich und drehe mich zum Rücksitz, mein Griff um die Tür ist eisern, um einen weiteren Sturz zu vermeiden. So damenhaft wie möglich steige ich ins Auto, eine Hand quer über den Stoff auf meiner Brust haltend.
Ohne ein Wort zu sagen, schließt er die Tür und schreitet zur anderen Seite der Limousine. Der Fahrer vorne startet den Motor, und jetzt habe ich wieder alle möglichen Ängste, wie ich in diesem Kleid auf diesen Schuhen balancieren soll. Das könnte der peinlichste Abend meines Lebens werden.
Cain steigt hinten ein und setzt sich mir gegenüber. Unsere Blicke treffen sich, als wir von der Villa wegfahren. Er sieht aus, als wolle er etwas sagen, oder zumindest als würde etwas seine Gedanken plagen, und meine eigene Zunge fühlt sich schwer an mit ungesagten Worten. Ich möchte ihn fragen, was es mit diesem unerwarteten Ausflug auf sich hat und warum wir für den roten Teppich gekleidet sind, aber ich presse meine Lippen zusammen. Ich brenne immer noch vor Verlegenheit von meinem Sturz.
Ich tue mein Bestes, um seinem Blick auszuweichen. Mein Blick fällt auf seine Hände, die auf seinem Schoß liegen. Er streckt seine Finger aus und krümmt sie immer wieder ein, während er in grüblerischer Stille nachdenkt. Da fällt mir zum ersten Mal der Ring an seiner rechten Hand auf. Ein dickes Goldband mit einem Onyx-Edelstein. Zunächst scheint er schwarz zu sein, aber als das Licht der vorbeifahrenden Straßenlaternen das Auto kurzzeitig erhellt, leuchtet er rot. Blutrot. Und an den Seiten ist ein verschlungenes Muster eingraviert. Fast wie... ein Fächer aus Federn. Oder Flügeln?
„Du starrst“, sagt er und bedeckt die Hand mit der anderen.
Schnell huschen meine Augen zum Fenster. Draußen stiehlt die Nacht die letzten Zeichen des Tages. Bäume sind alles, was ich sehe, und nicht einmal Autos fahren auf dieser einsamen Straße an uns vorbei. Ich habe keine Ahnung, wo genau wir überhaupt sind, aber jetzt wird mir klar, dass meine Flucht zu Fuß ein tückischer Versuch gewesen wäre.
„Wirst du mir sagen, wohin wir fahren?“, frage ich.
Als Cain nicht antwortet, wende ich meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu. Er sitzt starr wie eine Statue vor mir, seine Muskeln angespannt, diese spektakulären Augen auf meiner Brust.
Instinktiv schaue ich auf den tiefen V-Ausschnitt, der bis zur Hälfte meines Bauches hinunterreicht. Kein BH, überall Busen. Ich habe noch nie etwas getragen, das so viel Haut zeigt, auch nie ein schickes Kleid, aber das hier ist etwas anderes. Hier gibt es genug zu sehen, um eine Nutte in Verlegenheit zu bringen.
„Du siehst wunderschön aus, Aria.“ Es gibt einen Hauch von Wärme in seinem sonst so stählernen Ton, und ich frage mich, ob er das Kompliment wirklich ernst meint. „Du musst dich nicht schämen für das, was du hast.“
Ich hebe meinen Kopf und sehe, wie sich seine Lippen zu einem herzzerreißenden Grinsen verziehen. Das teuflische Glitzern in seinen Augen lässt meinen Herzschlag in die Höhe schnellen und mir wird klar, dass er diese Dinge sagt, um mich zu provozieren. Nicht wegen irgendetwas anderem. Er liebt es, wenn ich mich vor Unbehagen winde.
Und aus irgendeinem Grund, obwohl ich das weiß, funktioniert sein Plan trotzdem.
„Ziehen sich alle so an, wo wir hinfahren?“, frage ich ihn.
Er nickt einmal, dann klingelt sein Telefon. Er kramt in seiner Tasche, tippt auf den Bildschirm und hält es an sein Ohr. Er antwortet zunächst nicht, hört nur zu. „Perfekt. Dreißig Minuten.“
Jetzt wird meine Neugierde noch größer. Ich schiebe meine Beine übereinander, als der Stoff bis zu meinem Oberschenkel rutscht. Hektisch ziehe ich ihn wieder an seinen Platz, denn ich habe nicht vor, Britney Spears nachzuahmen und dem Dämonen, der darauf besteht, dass ich keine Unterwäsche trage, einen Einblick zu gewähren.
Gott, bitte lass uns nicht auf eine Swingerparty gehen. Damit könnte ich gerade nicht umgehen. Und wo ich gerade beim Thema Gebete bin, bitte lass es auch keine Opfergabe sein.
Die peinliche Stille in der Limousine ist erdrückend. Es gibt keine Musik, und Cains Blick liegt schwer auf mir.
„Du siehst wirklich umwerfend aus.“ Er bricht das Schweigen.
Ich lehne mich in meinem Sitz zurück und begegne seinem Blick, seine Worte schweben in meinem Kopf. „Hast du das Kleid ausgesucht?“
Er nickt einmal kurz. „Als ich es sah, wusste ich sofort, dass es für dich bestimmt ist.“
„Ich bin nicht zu deiner Unterhaltung hier, weißt du.“
Seine Mundwinkel verziehen sich wieder und er schaut aus dem Fenster. Er könnte nicht durchsichtiger sein, selbst wenn er es versuchte.
„Ist das ein Date?“, frage ich und fühle mich dumm für diese Frage. Aber wenn er mir nicht sagt, wohin wir fahren, kann ich ihn leicht mit tausend Fragen löchern, bis er einknickt.
„Willst du das?“, fragt er.
„Ich bin sicher, du bist es gewohnt, dass sich viele Mädchen auf dich stürzen, aber das wird nicht passieren. Ich gehe nicht mit Monstern aus.“
Er lacht, laut und ungestüm, und so ungern ich es auch zugebe, das Geräusch, das er macht, ist das Köstlichste, was ich je gehört habe. Es überzieht mich mit Gänsehaut und schickt mir ein Kribbeln in die Magengrube. Ich habe mir vorgestellt, dass es schrecklich sein würde, so viel Zeit mit Dämonen zu verbringen, aber meine bisherige Erfahrung war überraschend.
Verlockend.
Gefährlich.
Spannend.
Vielleicht bin ich mehr in Gefahr durch den Mangel an Kontrolle, den ich habe, als durch das, was diese Männer für mich vorhaben.
„Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist“, sage ich.
„Was?“
„Dass du lachen kannst.“
„Oh, wirklich?“
„Du scheinst die ganze Zeit so... angespannt zu sein.“
Daraufhin runzelt er die Stirn, tiefe Falten bilden sich zwischen seinen Augen. Die ganze Fröhlichkeit ist verschwunden, und ich starre wieder die steinerne Version von ihm an.
Mist. Das hätte ich wohl besser für mich behalten sollen.
Ich versuche, das Gespräch zu retten, indem ich es umlenke. „Äh, was genau macht ein Dämon eigentlich in seiner Freizeit?“
„Nach Jungfrauen suchen, Seelen verzehren, solche Dinge.“
Ich starre ihn an.
Moment mal. War das... ein Scherz?
Ein weiteres sarkastisches Lächeln umspielt seine Lippen, und ich lache halbherzig. Heilige Scheiße. Der Dämon hat also doch einen Sinn für Humor.
Aber so schnell wie er aufgetaucht ist, ist er auch wieder verschwunden. Nur ein leichtes Aufflackern.
„Mein Pflegevater hat mir mal erzählt, dass Dämonen selten Zeit auf der Erde verbringen und nur zum Fressen oder zum Sex hierher kommen. Aber ihr habt hier sogar eine Villa.“
„Das hat er erzählt?“, fragt Cain, und ich nicke.
Er studiert mich einen langen Moment lang. Dann verfinstert sich sein Blick, während seine Zunge über seine Unterlippe gleitet. „Das mag vor Jahren der Fall gewesen sein, aber du wärst überrascht, wie viele böse Dinge in deiner Stadt leben, von denen du nichts ahnst.“
Ich bin mir nicht sicher, was ich von dieser Erkenntnis halte. „Seid ihr hier, um Menschen zu schaden?“
„Wir versuchen nur zu überleben, wie du. Wie wir alle.“
Seine Antwort bleibt bei mir hängen, denn irgendetwas an dem Wort überleben ist nicht das, was ich jemals mit Cain in Verbindung bringen würde. Oder Dorian oder Elias.
„Meinst du, ich kann morgen mit einem Telefon meine Freundin anrufen? Sie wird sich große Sorgen um mich machen.“
„Ja, natürlich. Aber das ändert nichts an deiner Situation.“
„Ich weiß“, murmle ich. „Du hast einen unterschriebenen Vertrag und all das, auch wenn es nicht meine Entscheidung war.“ Bitterkeit überzieht meinen Tonfall und setzt sich in meiner Brust fest, als meine Situation wieder über mich hereinbricht. Ich drehe mich zum Fenster, nicht mehr in der Stimmung, Smalltalk zu machen.
Eine halbe Stunde später sind wir im Hauptteil der Stadt. Es überkommt mich ein wohliges Gefühl, etwas Vertrautes zu sehen, und ein verzweifelter Drang zu fliehen krallt sich in mir fest und fleht mich an, das Fenster zu öffnen und um Hilfe zu schreien. Als ob das funktionieren würde, wenn mir ein Sündendämon gegenübersitzt.
Ich beobachte also das Leben, das ich einst kannte, wie es an mir vorbeifliegt, beobachte die Menschen, die über die Straße schlendern, in die Geschäfte hinein- und hinausgehen. Um ehrlich zu sein, habe ich den Überblick verloren, welcher Wochentag es ist, aber es fühlt sich seltsam an, so viele Menschen zu sehen, die sich normal verhalten, während mein Leben alles andere als das geworden ist.
Dann biegen wir in eine Seitenstraße mit gedimmten Straßenlaternen ein. Links, rechts, ich kann mir den Weg nicht merken. Glenside ist im Vergleich zu einer richtigen Stadt keine riesige Stadt, aber immer noch groß genug, etwa 150.000 Einwohner, und da sind die vermeintlich bösen Dinge, die hier leben und von denen niemand weiß, noch gar nicht mitgerechnet.
Wir parken in einer Seitengasse, nur ein flackerndes Licht draußen auf dem Gebäude gegenüber meinem Fenster beleuchtet die Fassade. Dort ist eine riesige, schwarze, metallbeschlagene Tür und ein kleines silbernes Schild mit dem Wort "Fegefeuer" und einem Paar schwarzer Engelsflügel um das „F“ zu sehen. Ich lache schnaubend. Scheint der perfekte Name für einen Ort zu sein, an dem sich Dämonen gerne aufhalten.
Ein kalter Windstoß rauscht ins Auto und lässt meine Haut frösteln. Ich schaue zur anderen Tür hinüber, als Cain herausklettert. Sekunden später öffnet er meine Tür. Ich nehme seine Hand an, während ich mein Kleid über den Oberschenkeln zusammenhalte, und steige aus. Ein böser Wind weht durch mein Haar, während die Gasse mich einzuengen scheint. Hohe Gebäude, Dunkelheit ... Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Ich war noch nie hier.
Cain tritt vor mich, eine Hand an meiner Wange, dann gleiten seine Finger in meinen Nacken. “Du gehörst mir; vergiss das heute Nacht nicht.“
Ich weiß, er meint es nur bezogen auf den Vertrag, aber ein köstliches Kribbeln durchfährt mich trotzdem. Dann führt er mich zur Tür, die sich bei unserer Ankunft in einem dunklen Raum fast augenblicklich öffnet.
Cain führt mich an der Hand mit hinein.
Der Vorraum besteht aus schwarzen Wänden, Decken und Böden, mit einem Bären von einem Wachmann an der Tür, der seinen Kopf vor Cain verneigt. Man muss ein Stammgast oder ein ziemlich hohes Tier sein, um so eine Sonderbehandlung zu bekommen. Eine junge Brünette steht hinter einem kleinen Tresen mit einem weiteren kleinen Raum hinter ihr; es sieht aus wie die Garderobe.
Auf wackeligen Füßen bleibe ich dicht an Cains Seite, als sich auf der anderen Seite des Raumes eine Doppeltür für uns öffnet. Eine Explosion aus verführerischer Musik, Lachen und Stimmen dringt aus dem Inneren und stiehlt die Stille im Eingangsbereich.
Wir betreten den Club, in dem die Musik wie eine Brise über mich hinwegweht und sich nur schöne Menschen tummeln. Zuerst weiß ich nicht, wohin ich schauen soll - auf die wunderschönen Frauen in ebenso knappen Designerkleidern wie ich, auf die Tänzerinnen in kleinen Käfigen, die von der Decke hängen, oder auf die riesige Bar, die sich über die gesamte Länge einer Wand erstreckt. Eine verspiegelte Wand, um genau zu sein. Die Leute sitzen an der Bar, an zahlreichen Tischen und Ledersesseln überall im Raum. Dieser Raum ist riesig.
Ein Mann, der nur mit Lederhosen und Stiefeln bekleidet ist, schlendert direkt vor uns her. Als er vorbeigeht, spannen sich auf seinem Rücken prächtige elektrisch blaue Flügel auf. Zwei andere extrem gut aussehende Männer eilen an seine Seite und fallen vor ihm auf die Knie. Bei diesen Flügeln bleibt mir der Mund offen stehen.
„Fae lord“, flüstert Cain in mein Ohr.
Das ist der Moment, in dem ich mich umschaue und mir bewusst werde, dass dies kein Club für Menschen ist. Jeder hier ist ein Übernatürlicher. Die meisten behalten ihre menschliche Form, aber ich sehe die leuchtenden Augen eines Mädchens in der Ecke, den Schwanz einer wunderschönen rothaarigen Frau in einem winzigen Rock. Shifter Feen, Zauberer - egal welchen übernatürlichen Typus man sich ausdenken kann, er ist hier, einschließlich einiger, die ich nicht einmal erkenne.
„Aria“, sagt Cain. „Schau dich ruhig um. Ich muss mit jemand Wichtigem reden, dann bringe ich dir einen Drink.“
Ich nicke, als er von meiner Seite weicht, und plötzlich fühle ich mich nackt und verletzlich. Das ist nicht die Art von Club, die ich normalerweise besuche. Die meisten Mädchen in meinem Alter in der Schule schleichen sich ständig mit gefälschten Ausweisen in Clubs. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, da ich kein Geld hatte und sowieso nicht wirklich dazugehörte.
Zwei Mädchen in weißen Jumpsuits, die sich wie eine zweite Haut an ihre perfekten Körper schmiegen, schlendern an mir vorbei und tuscheln miteinander. Sie schauen beide in meine Richtung und lachen dann.
Hitze schlägt mir auf die Wangen. Ich schaue an mir herunter, sehe das Kleid und meinen wackeligen Stand auf diesen Absätzen. Ich fühle mich wie ein Betrüger in dieser Aufmachung. Das passt nicht zu mir. So bin ich nicht.
In mir wirbelt Sayah herum, ihre eigene Art zu sagen, dass ich ihr Lachen an mir abperlen lassen soll. Sie hat recht, das weiß ich. Ich brauche ihre Anerkennung nicht - oder die von irgendjemand anderem - aber die Jahre des Mobbings und des Traumas machen es schwer, über alte Gedanken und Gewohnheiten hinwegzukommen.
Die können mich mal. Gehässige Schlampen. Außerdem habe ich im Moment wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern muss. Wie zum Beispiel herauszufinden, wie zum Teufel ich hier rauskomme. Da ich auf mich allein gestellt bin, ist es an der Zeit, einen Plan zu schmieden.