Kapitel Fünfundzwanzig
Elias
S cheiße!
Ich renne hinter dem nicht gekennzeichneten Van her, während er unsere Auffahrt hinunter rast, als sich die klaffende Wunde in meinem Oberschenkel von dem Werwolfangriff schnell bemerkbar macht und mich verlangsamt. Der Abstand zwischen Aria und mir wird größer und größer. Mein Herz hämmert in meiner Brust und die Leere verschlingt mich. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig zu ihr gelangen.
Was zum Teufel ist gerade passiert?
Ein krampfartiger Schmerz durchzuckt meine Muskeln, und ich stöhne. Der Werwolf muss mich heftiger gebissen haben, als mir zunächst klar war.
Der Van mit Aria wird zu einem schwarzen Fleck in den Schatten. Als er auf die Straße abbiegt, die zur Hauptstraße zurück in die Zivilisation führt, weiß ich, dass er weg ist, und mein Magen dreht sich um.
Ich drehe mich um und stoße ein Heulen voller Bedrohung und Kummer aus. Ein Windzug streicht vorbei, weg von mir, und kämmt durch mein Fell. Natürlich weht der Wind nicht zu meinen Gunsten, so dass ich eine Fährte aufnehmen könnte. Es kann nie einfach sein.
Ich eile zurück ins Haus und knurre.
Mein Herz schlägt wie wild, und ich stürme in die Villa, vorbei an der zerbrochenen Tür, wo ich Cain finde, der seine Dämonenform abschüttelt. Die Flügel verkrümmen sich in seinen Rücken, die Haut nimmt einen menschenähnlichen Schimmer an, die Augen blinzeln wieder blau und lassen ihn normal aussehen. Doch die Blutspritzer auf seinen Armen und seiner Kleidung erzählen eine ganz andere Geschichte.
„Aria! Wo zum Teufel ist sie? Sie hat mich in meiner echten Gestalt gesehen und ist abgehauen“, knurrt er, seine Stimme tief und gefräßig.
„Das hat Spaß gemacht!“ Dorian kommt in diesem Moment aus einem Nebenraum, oben ohne und wischt sich mit einem Handtuch das Blut vom Oberkörper. Als er Cains panischen Blick bemerkt, gerät seine fröhliche Miene ins Wanken. „Was habe ich verpasst?“
„Aria“, sagt Cain. „Sie ist weggelaufen.“
„Scheiße, wirklich?“
Schnell sauge ich einen Atemzug ein, und damit rufe ich meinen Höllenhund zurück. Er zieht durch mich hindurch wie Stacheldraht, er hasst es, weggesperrt zu werden. Knochen dehnen sich, mein Körper verzieht sich, Fell verschwindet in meiner Haut; die Verwandlung dauert nur wenige Augenblicke, bevor ich aufrecht als Mann dastehe.
„Sie haben sie mitgenommen“, sage ich, ein Knurren hängt an meinem letzten Wort.
„Sie? Wer?“ Dorian dreht sich zu mir um, scannt meine nackte Gestalt und runzelt die Stirn. „Ziemlich sicher, dass wir alle tollwütigen Köter erwischt haben.“
Cain stürmt an mir vorbei und flitzt nach draußen in die Mitte der Kreiseinfahrt. Seine Bewegungen sind hektisch und schnell. Er überrascht mich. Als ich Dorian ansehe, schaut auch er erst einmal fassungslos.
„Ich habe nicht gesehen, wer sie entführt hat“, sage ich zu Dorian, dann schwinge ich mich um und folge Cain nach draußen in den Vorgarten, Dorian auf meinen Fersen. „Ein schwarzer Lieferwagen fuhr aus dem Nichts auf. Sie schnappten sich Aria und warfen sie hinein. Ich war nicht schnell genug. Ich habe es versucht, aber ich konnte sie nicht erreichen.“
Ich drücke eine Hand auf den tiefen Biss in meinem Oberschenkel und verfluche dieses Reich dafür, dass es unsere Fähigkeit zu heilen verlangsamt. Wenn wir in der Hölle wären, wäre das schon längst verheilt. Meine Wut kocht hoch, aber hier zu sitzen und zu wüten, wird das Problem nicht lösen. Wir sind zu weit weg für so eine Scheißshow.
„Das soll wohl ein Witz sein.“ Dorians Kinnlade klappt herunter, und er fährt sich mit der Hand durch die Haare, immer wieder. „Gerade eben, sie haben sie gerade eben mitgenommen?“
„Ja!“
„Wer zum Teufel waren die?“ Cain wirbelt herum. „Hast du das Nummernschild gesehen? Was hast du in der Luft gerochen? Irgendwas, Elias, wir brauchen etwas, um sie zu finden.“ Sein verzweifeltes Auftreten ist ansteckend. Sogar Dorian beginnt auf und ab zu laufen.
„Es ging so schnell. Ich kam um die Ecke, als sie sie in den Transporter warfen. Ich war im Windschatten, sodass ich ihre Gerüche nicht wahrgenommen habe.“ Ich denke zurück, überprüfe jede Sekunde, die verging. „Kein Nummernschild, die Scheiben waren zu dunkel getönt, um den Fahrer zu erkennen. Der Mann, der sie entführt hat, stand mit dem Rücken zu mir, aber er hatte eine Glatze. Ich konnte kaum einen Blick auf ihn werfen, weil ich nicht aufhören konnte, Aria anzustarren.“
„Wurde sie verletzt?“, fragt Cain. „Sah es so aus, als hätten sie ihr etwas angetan?“
„Nicht, dass ich das in diesen wenigen Sekunden sehen konnte.“
„Das müssen diese verdammten Werwölfe gewesen sein“, knurrt Dorian, seine Schultern heben sich, die Muskeln in seinem Nacken zucken. „Sie wollten Aria von Anfang an. Das müssen sie gewesen sein.“
„Ein Vogel“, platzt es aus mir heraus, die Erinnerung an das schwarze, gefiederte Ding schießt mir durch den Kopf. „Da war eine Krähe, die direkt hinter ihr herflog, als ob sie sie erwischen wollte.“
Cain erstarrt, seine Augen weiten sich in der Erkenntnis.
Dorian hüpft die Stufen hinunter. „Was? Weißt du, was das bedeutet? Eine Krähe?“
„Scheiße.“ Seine Augen blitzen wieder von Blau zu Schwarz, als seine dämonische Seite die Oberhand gewinnt. Er sieht zwischen uns beiden hin und her, und seine Stimme wird zu einem tiefen Grollen. „Ich habe eine Idee, wo sie ist.“
ARIA
A ls der Wagen anhält und die Tür aufgleitet, erkenne ich sofort, wo ich bin. Die Rückseite von Sir Surchions Antiquitätenladen. Das Lagerhaus. Natürlich bringt er mich zurück an den Tatort.
Sayah kracht gegen meinen Brustkorb, ängstlich vor dem, was kommen wird, während die verbundenen Relikte in meiner Tasche vibrieren. In meinem Kopf klingt ihr schönes, trauriges Lied jetzt mehr wie ein Klagelied als je zuvor. Eine unheilvolle Warnung, die in meinem Magen ein saures Aufstoßen verursacht.
Ich werde hinaus in das morgendliche Tageslicht gezerrt. Der glatzköpfige Mann, der mich in den Van geworfen hat, hält mich am Arm fest, während der Fahrer - ein weiterer hünenhafter Kerl mit Tätowierungen im Nacken und auf den Armen - herausspringt. Sie starren mich beide an.
„Die Jungs haben mir nicht gesagt, dass du so ein Lamm bist“, sagt der Fahrer. In dem Moment sehe ich den bekannten Mondaufnäher auf seiner Jeansjacke. Der Glatzkopf hat auch einen davon auf seiner Weste. Sie sind von den Full Mooners. Ich erinnere mich an keinen von ihnen aus jener Nacht im Fegefeuer, aber das bedeutet nicht viel. Diese Nacht war verschwommen in meiner Erinnerung. „Ich hatte mehr Wiederstand von ihr erwartet.“
„Sie ist eine ziemliche Puppe, nicht wahr?“, sinniert Glatzkopf. „Aber wir werden nicht dafür bezahlt, Fragen zu stellen, also lasst uns einfach den Job zu Ende bringen und unsere Bezahlung abholen.“
Also, Sir Surchion hat diese Werwölfe angeheuert, um mich zu entführen? War der Angriff der Bande auf das Haus auch Teil seines Plans?
„Alles zu seiner Zeit“, beharrt Sir Surchion, während er die Front des Fahrzeugs umrundet. „Aria und ich haben zuerst ein paar Dinge zu besprechen.“
Meinen Namen auf seiner Zunge zu hören, lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich kann mich nicht erinnern, ihn ihm jemals verraten zu haben.
Als er meine großen Augen sieht, lächelt er. „Ich weiß eine ganze Menge über Sie, Miss Aria Cross. Und wir haben viel zu besprechen.“
Mein Körper friert ein. Er kennt nicht nur meinen vollen Namen, er weiß auch über mich Bescheid. Heißt das, er weiß über meine Kräfte und Sayah Bescheid? Oder über meine Eltern und was ich bin? So oder so, das kann nicht gut sein.
Aber trotzdem... ich kann nicht anders, als mir eine Million Fragen darüber zu stellen, wer zum Teufel ich bin.
Sir Surchion winkt uns zur Hintertür des Lagerhauses, und der Griff des glatzköpfigen Werwolfs wird fester um mich. Ich wehre mich gegen ihn, aber er zieht mich weiter, als würde ich nichts wiegen. „Lass mich los, Kahlkopf. Das werdet ihr alle noch bereuen.“
Er knurrt mich an und fletscht die Zähne.
Sein Freund lacht.
Sir Surchion hält die Tür auf, und ich werfe einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Elias' leuchtend gelbe Augen oder sein schwarzes Fell in den Schatten zu sehen sind. Als ich nichts sehe, bleibt mein Herz stehen. Vielleicht sind die Dämonen doch nicht hinter mir her.
Die Wachen schieben mich hinein, und ich stolpere in das feuchte und muffige Lagerhaus. Sir Surchion schlendert vor uns den Gang entlang. Als wir an den vollgepackten Regalen und unbezahlbaren Antiquitäten vorbeikommen, ertönt über uns ein Kreischen. Ich schaue hoch und sehe Mordecai am offenen Dachfenster, seine schwarzen Augen auf mich gerichtet.
Er stürzt herab und gleitet Zentimeter von meinem Kopf entfernt, zwingt mich, mich zu ducken, bevor er schließlich auf Sir Surchions Schulter landet.
Verdammte Ratte mit Federn.
Sayah drängt weiter in mir, verlangt nach draußen zu dürfen, aber ein Schatten kann hier wahrscheinlich gerade wenig anrichten. Es ist offensichtlich, dass ich nicht in der Lage sein werde, mir den Weg hier raus zu erkämpfen. Ich werde auf den richtigen Moment warten müssen, um zu fliehen. Vielleicht benutze ich sie als Ablenkung, wenn es sein muss. Das wäre meine einzige Chance.
An der Vorderseite des großen Gebäudes, neben der Tür des Ladens, werden seine beiden Monsterhunde hellhörig. Ihre Nasenlöcher blähen sich auf, als sie meinen Geruch wahrnehmen. Oder vielleicht sind es die Werwölfe, die sie riechen, denn als sie ihre Reißzähne in unsere Richtung fletschen, knurren die Mooners zurück. Sie kämpfen um die Vorherrschaft oder was auch immer es ist, was Hunde tun.
Solange sie nicht anfangen, sich gegenseitig anzupinkeln.
„Brutus, Joel, das sind unsere Gäste“, sagt Sir Surchion zu ihnen. Seine Stimme hallt in dem weiten Raum wider. „Kein Grund, sich aufzuregen.“
Die Hunde lehnen sich gehorsam zurück, aber ihre Augen folgen jeder unserer Bewegungen, die Körper sind starr.
„Hier. Stell dich hierhin“, fordert Sir Surchion und zeigt auf eine Stelle auf dem Boden.
Der tätowierte Werwolf schließt sich seinem Kumpel an, indem er meinen anderen Arm ergreift, und gemeinsam zwingen sie mich vor dem alten Mann auf die Knie. Dann treten sie zurück und bilden eine einschüchternde Wand hinter mir.
„Fühlst du dich nicht mehr so mutig, jetzt wo du nicht mehr verkleidet bist und ein Dämon deine Hand hält, hm?“, fragt Sir Surchion, während er mich durch seine runde lila Brillengläser anschaut. Mordecai gackert, als würde er mich auslachen.
„Warte nur ab. Sie kommen mich holen.“ Ich lüge, aber ich wünschte, es wäre wahr. Aber dann kommt mir ein neuer Gedanke. Wenn es keine Möglichkeit gibt zu fliehen, wenn diese beiden Schwachkopf-Wölfe mich aufspüren, könnte ich sie stattdessen auf Sir Surchion hetzen. Ich muss das clever anstellen.
„Dein kleiner Plan mit deinen Mooners hat nicht funktioniert“, sage ich.
Ich höre die Wölfe hinter mir schwer atmen.
Ich rede weiter. „Die Dämonen haben sie alle getötet. Und sind dabei nicht mal ins Schwitzen gekommen.“
Sir Surchion runzelt die Stirn, enttäuscht. „Die Werwölfe wussten, worauf sie sich einlassen. Sie wollten eine Chance auf Rache an dem, der ihren Alpha ermordet hatte, und ich wusste, wo sich die Dämonen versteckten. Nun, Mordecai wusste es.“ Er streichelt dem Vogel über den Kopf, und der sträubt anerkennend seine Federn. "Wir haben uns gegenseitig geholfen, wie du siehst.“
Sie haben einen Deal gemacht, meint er. Aber wozu? Um mich hierher zu bringen? Nur wegen der Kugel, die ich gestohlen habe? Es muss eine Million anderer Dinge in diesem Drecksladen geben, die mehr Geld wert sind als ein musikalisches, kleines Objekt.
Sowohl die Dämonen als auch Sir Surchion waren besessen von diesen Relikten, aber ich konnte nicht verstehen, warum sie so besonders waren.
Als ob sie spüren, dass ich an sie denke, wird der Gesang der Relikte in meinen Ohren lauter. Ich spüre ihr Gewicht in meiner Tasche.
„Sie werden mich holen“, wiederhole ich und versuche mir einzureden, dass all die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, ihnen etwas bedeutet hat. An diesem Punkt ist es mir sogar egal, ob es ist, weil sie mich besitzen. Wenn es bedeutet, dass sie durch diese Tür stürmen und mich retten, nehme ich den Schlag gegen mein Ego in Kauf.
Sir Surchion lehnt sich nahe an mein Gesicht, und seine Lippen verziehen sich zu einem kränklich-süßen Lächeln. „Oh, davon bin ich überzeugt.“
Er schnippt mit den Fingern, und die beiden Wachhunde springen auf ihre Füße. Mit einer schnellen Handbewegung sind sie weg und rennen zur Tür, durch die wir gekommen sind.
Ein Schnauben vor Lachen. „Es braucht schon mehr als zwei Köter, um drei Höllendämonen aufzuhalten.“ Elias allein würde sie vom Frühstück auffressen.
Falle“, singen die Relikte wie aufs Stichwort. Mein Blick fällt auf meine Tasche, aber als auch Sir Surchions Blick darauf fällt, richte ich meine Aufmerksamkeit schnell wieder auf, in der Hoffnung, dass er es nicht bemerkt hat.
Er richtet sich langsam wieder auf. „Du hast recht“, fährt er fort, „aber falls du es nicht wusstest, die Vollmondsüchtigen haben ein ziemlich großes Rudel. Und ich bezweifle, dass sie sie alle getötet haben.“
Oh Mist...
Die Relikte hatten recht. Dies sollte ein Hinterhalt werden.
Plötzlich schlägt eine Hand so hart gegen meine Gesicht, dass ich umkippe. Ich falle auf meinen Hintern. Meine Augen tränen vom Stich/Schmerz, und ich schmecke Blut auf meiner Zunge. Die Innenseite meines Mundes hat eine neue klaffende Wunde, und ich presse meine Handfläche gegen meine Wange. Wut durchflutet meine Adern. Der Bastard hat mich geschlagen!
Sir Surchion steht über mir, die Hand erhoben, als wolle er mich erneut schlagen. „Das ist dafür, dass du eingebrochen bist und mich bestohlen hast“, bellt er. Mordecai stürzt sich von seiner Schulter auf mich, und ich falle zurück. Im letzten Moment werfe ich die Hände hoch, um mein Gesicht zu schützen, aber die scharfen Krallen des Vogels harken über meine Unterarme und schneiden in mich ein, bevor er zu den Dachsparren fliegt. „Und das nur, weil du ein Katzenmensch bist.“
Blut rinnt mir die Arme hinunter, und ich umklammere sie, während der Schmerz mich überrollt. Es ist so überwältigend, dass ich meine Stimme verliere und nach Luft schnappe.
Sir Surchion geht einen Schritt von mir weg, nur um sich wieder umzudrehen und zurückzuschreiten. Wut verzerrt sein Gesicht. „Du dummes Mädchen.“ Er spuckt die Worte aus und streckt seine Finger nach mir aus. „Gib mir die Kugel des Chaos. Sag mir einfach, wo sie ist.“
„Ich habe sie nicht“, antworte ich. „Du hast die falsche Person.“
Eine Ader tritt auf seiner Stirn hervor, während er sich bemüht, ruhig zu bleiben, aber er sieht aus, als würde er jeden Moment wie ein Vulkan ausbrechen. Sogar sein Gesicht ist kirschrot. Sein Kopf schnappt nach oben zu den Werwölfen und er sagt drei Worte, die Angst in mir auslösen. „Zieht sie aus.“
„Was? Nein!“, schreie ich.
Schwielige Hände packen mich wieder und reißen mich zurück auf die Füße. Ich kämpfe wild, bocke, trete und setze meine ganze Kraft ein, um die Wölfe zum Loslassen zu bewegen.
„Sucht jeden Zentimeter von ihr ab. Wenn sie es nicht bei sich trägt, dann bekommen wir wenigstens ein bisschen Nervenkitzel“, sagt Sir Surchion.
Nein. Nein. Nein. Nein!
In Panik schlage ich weiter zu, gebe alles, was ich habe, um ihre Griffe von mir zu lösen. Gegen meine Hüfte steigert sich das Summen der Relikte um das Zehnfache. Ihr Lied wird immer lauter, drängender und kraftvoller, sodass mein Herz im Takt der donnernden Bässe und des Vibratos zittert. Der tätowierte Mann packt meinen Pullover und zerrt daran, aber ich drehe mich um und ziele mit meinem Knie auf seine Leistengegend.
„Verpiss dich“, schnauze ich, aber er dreht sich im letzten Moment und ich verfehle seine Eier.
Seine Faust fliegt auf mein Gesicht und erwischt mich direkt unter dem Auge. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckt mein Gesicht, es fühlt sich an, als würde es gleich aufplatzen. Ich stolpere rückwärts gegen die Brust des glatzköpfigen Werwolfs und umklammere mein Gesicht.
Oh mein Gott, es tut so weh. Wie zum Teufel halten Kerle es aus, so geschlagen zu werden und kämpfen dann weiter?
Einer von ihnen umklammert meine Jeans und verrenkt sich. Der Knopf und der Reißverschluss gehen kaputt, als der Stoff an meinen Hüften heruntergezerrt wird. Der Raum kippt um mich herum, weil er sich so verdammt schnell bewegt.
Sir Surchion lacht wahnsinnig, und ich möchte ihm die Augen ausreißen, weil er sich an meinem Schmerz erfreut.
Während der Kerl mit den Tattoos mich weiter befummelt, zieht er an meinem Pullover, tastet mich ab und berührt meine Brüste wie ein Widerling. Ich greife nach seiner Weste und stoße mein Knie direkt in seine Eier, hart, diesmal treffe ich mein Ziel.
Er stöhnt, umklammert sich selbst und fällt auf die Seite wie eine dieser ohnmächtigen Ziegen. Zur Sicherheit trete ich ihm in die Eingeweide und lächle, als er hustet.
Plötzlich legt sich ein dicker Arm um meinen Hals und drückt mich gegen seinen Körper, während er meine Kehle zusammendrückt.
Ich ringe nach Luft und grabe meine Nägel in den Arm der Bestie. Ein bedrohliches Knurren dröhnt in meinem Ohr, und Angst läuft mir über den Rücken. Das ist nicht die Art, wie ich sterben möchte. Die ganze Zeit über studiert Sir Surchion mich mit einem amüsierten Blick, er liebt das.
„Wenn du dich nicht benimmst, hat das Konsequenzen“, sagt er.
Ich strenge mich an, um zu widersprechen. „Fick dich, du sadistischer Arsch...“
Er gibt dem Mann hinter mir ein kurzes Nicken, und meine Worte werden von einem unerträglichen Schmerz in meiner Schulter abgeschnitten. Ich schreie auf. Der Schmerz ist stechend und brennt wie die Hölle, als hätte mir jemand gerade eine Handvoll glühender Schürhaken in den Leib gerammt.
Mit tränenverschleierten Augen erkenne ich, dass der Glatzkopf mich gebissen hat, sein Maul ist jetzt zu einer Wolfsschnauze vergrößert. Seine rasiermesserscharfen Reißzähne sind tief in Fleisch und Muskeln eingegraben und schaben an den Knochen.
Ich stoße gegen ihn, der Schmerz ist unerträglich, und meine Knie knicken ein. Genauso schnell reißt er sich los und hinterlässt ein zerfetztes Durcheinander aus Blut und Fleisch. Mein Kopf dreht sich, und für einen Moment verliere ich den Sinn für alles um mich herum.
Als er mich loslässt, falle ich auf die Knie, unfähig, mich noch einen Moment länger aufrecht zu halten. Tränen brennen auf meinen geschwollenen, zerschnittenen Wangen, aber ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich habe noch nie etwas so Schreckliches gefühlt. Jede Bewegung, und sei sie noch so klein, tut weh.
„Jetzt verrate es mir. Wo ist die Kugel?“, drängt Sir Surchion.
Ich kann nicht einmal Worte formen; der Schmerz hat mir die Stimme gestohlen.
„Ich warte!“, brüllt er.
Nur ein Wimmern entweicht meinen Lippen.
Ein wildes Bellen ertönt hinter uns, und mein Herz setzt aus. Es folgt ein noch lauteres Knurren, wie das Brüllen eines Löwen, gefolgt von den quiekenden Kampfschreien der Hunde.
Mein Puls galoppiert. Bitte lass es Elias sein!
Und Cain, Dorian - bitte lass sie draußen sein!
Ein Chor von Wolfsgeheul hallt durch das Lagerhaus, und der Schrecken verdrängt jeden Rest von Hoffnung, den ich noch hatte. Sekunden später brechen die grausamen Geräusche eines Kampfes aus. Reißen, Schreien, Schlagen, Knurren. Meine Brust zieht sich beim Gedanken, dass einer meiner Dämonen verletzt wurde, zusammen.
Ein Kreischen lässt mich aufblicken. Mordecai sitzt wieder am offenen Fenster und späht hinaus. Er schreit wieder seinen Herrn an, der blass wird.
„Schnell!“, befiehlt Sir Surchion jemandem über meine Schulter, der panisch klingt, aber ich wage nicht, mich umzudrehen. Sieht so aus, als würde der Kampf draußen nicht so verlaufen, wie er gehofft hatte.
„Finde die Kugel!“, bellt er immer wieder.
Ich spüre, wie die Kälte der Luft meine zerrissene und blutige Schulter trifft. Die Relikte zittern jetzt so heftig in meiner Tasche, ich weiß nicht, wie sie sie noch nicht gefunden haben.
Ich brauche eine Sekunde, aber dann bemerke ich, dass Sir Surchions Blick nicht mehr auf mir ruht. Stattdessen schaut er auf den Boden... auf einen wachsenden schwarzen Schatten, der sich von meinen Füßen über den Boden zu ihm hin ausdehnt, ganz von allein.
Aber nicht nur irgendein Schatten. Mein Schatten.
Sayah! Nein!
Ich versuche, sie zurückzurufen, aber sie streckt sich weiter vor mir aus, ihre Gestalt verdunkelt sich und wird dichter vor meinen Augen. Ein Druck liegt auf meiner Lunge. Aus irgendeinem Grund fällt mir das Atmen immer schwerer, und mein Kopf brummt vom Sauerstoffmangel.
Sogar die Werwölfe erstarren an Ort und Stelle und starren nun darauf, dass mein Geheimnis ohne mein Zutun aufgedeckt wird.
Komm zurück! rufe ich ihr durch meine nebligen Gedanken zu. Was machst du denn da?
Irgendwie schafft sie es, mich weiter zu ignorieren und sich vom Boden zu erheben, was mich an eine Art böses Geisterwesen erinnert. Wie geschaffen für Horrorfilme. Obwohl wir immer noch durch eine dunkle Schnur verbunden sind, sieht sie nicht aus wie der Schatten, den ich die meiste Zeit meines Lebens gekannt habe. Nein, sie ist etwas ganz anderes.
Ihr Kopf dreht sich in meine Richtung, und sie blinzelt, wobei sie zwei leuchtend rote Augen offenbart.
Heilige Scheiße.
„Noch ein Dämon!“, schreit Sir Surchion, aber die Angst lässt seine Stimme zittern. „Sie ist eine von ihnen!“
Ihr undurchsichtiger Arm holt aus und kollidiert mit Sir Surchions Brust. Er wird von den Füßen gehoben und quer durch den Raum geschleudert, wobei er mit solcher Wucht gegen ein Regal knallt, dass es hin und her schwankt. Ich springe zurück, als die Sammlerstücke auf den Boden fallen. Dann fällt das massive Gebilde nach vorne, direkt auf ihn drauf. Der dröhnende Knall hallt durch das Lagerhaus.
Rötlich-orangefarbene Energieströme winden sich um meinen Körper und durch das Band, das Sayah an mich bindet. Ich kann nicht einmal verarbeiten, was passiert, weil sich mein Magen vor Übelkeit umdreht und ich nach Luft schnappe, die ich scheinbar nicht einatmen kann. Ich mag die Kontrolle über sie verloren haben, aber ihre Handlungen scheinen mich zu beeinflussen. Und nicht auf eine gute Art. Je stärker Sayah wird, desto schwächer fühle ich mich. Mein ganzer Körper zittert, und mir ist eiskalt.
Sie saugt mich aus.
Sayah macht einen bedrohlichen Schritt auf das umgestürzte Regal zu, aber vor meinen Augen tanzen farbige Flecken, und die Welt schwankt um mich herum.
In diesem Moment platzt die Tür der Lagerhalle auf, Sonnenlicht strömt hinein, aber ich kann nicht erkennen, wer den Kampf draußen gewonnen hat, die Dämonen oder die Werwölfe. Trotz meines Widerstands übernimmt die Dunkelheit, die in meine Vision kriecht, die Oberhand. Und das Letzte, woran ich mich erinnere, ist das süße Lied der Relikte, das wie ein Schlaflied in meinen Ohren summt, während ich mich in die Bewusstlosigkeit verliere.