Vierunddreißigstes Kapitel

Seit Tagen schneite es beinahe ununterbrochen. Im Wald hinter dem Gehöft bogen sich die Äste der Tannen und Nadelbäume unter dem Gewicht des Schnees. Es war, als sei die Zeit stehen geblieben und als läge die Welt in einer weißen, schalldichten Kammer. Die Tiere im Wald schienen verstummt, kein Krähenschrei durchbrach die Stille.

Lange vor Tagesanbruch schaufelten der Bauer und Annette den Schnee beiseite, damit der Weg vom Haus zu den Ställen frei wurde. Wenige Stunden später war dann alles wieder zugeschneit. Die Kühe gaben weniger Milch, als hätten sie bei diesem Winterwetter die Lust verloren. Nur noch alle zwei bis drei Tage fuhr der Bauer nach Schernebeck in die Molkerei. Statt an den Leiterwagen spannte er die Stute vor einen Zugschlitten und zurrte die Milchkannen mit Seilen fest.

Eine Woche war vergangen, seit Annette ihre Botschaft nach Rathenow geschickt hatte. Der Bauer war strikt dagegen gewesen, dass sie irgendwelche Briefe abschickte, doch seine Frau hatte ihn beruhigt. Sie zeigte Verständnis für Annettes Anliegen.

»Sie will dem Jungen ja nur ein Lebenszeichen zukommen lassen. Er hat doch sein Leben und das seiner Familie für sie riskiert. Aus dem, was sie schreibt, kann niemand irgendwelche Rückschlüsse ziehen.« Gerda hatte den Brief frankiert und bei einer Fahrt nach Schernebeck in den Briefkasten geworfen.

Jeden Tag dachte Annette daran, ob ihr Schreiben angekommen war. Vielleicht hatte Else von Paalsick den Brief abgefangen und ihn Max nicht ausgehändigt. Das würde ihr ähnlich sehen. Selbst wenn es so wäre – sie könnte nichts damit anfangen. Annette hoffte inständig, dass Max die Botschaft erhalten hatte.

An diesem Morgen fuhr der Bauer erst mittags los. Seine Frau begleitete ihn, um einige Besorgungen in Schernebeck zu erledigen. Annette blieb allein zurück. Sie war daran gewöhnt und verschwand während dieser Zeit in ihrem Verschlag über dem Kuhstall. Die Bauersleute verschlossen das große, eiserne Hoftor mit einer rostigen Kette. Annette kratzte in die mit Eisblumen verzierte Scheibe des Dachfensters eine freie Fläche und blickte dem Schlitten nach. Es war ein Anblick wie ein altes Gemälde, düster, wie eine Fahrt ins Ungewisse. Nach einer Weile wurde das Gefährt immer kleiner, bis es mit der Linie des grauen Horizonts verschmolz.

Tage wie dieser erwiesen sich als kostbar, gaben sie Annette doch Gelegenheit, einige Stunden ihren Gedanken nachzuhängen und Geschichten zu erfinden, die sie aufschrieb. Das grüne Büchlein war inzwischen vollgeschrieben. Gerda hatte Annette eine alte Kontenkladde gegeben, die sich im Haus fand.

Es war kalt. Von unten drang Stallgeruch nach oben, und hin und wieder bewegten sich die Kühe und gaben Laute von sich. Annette zog die Stiefel aus – sie hatten Hildegard gehört, wie andere Kleidungsstücke auch, die Annette jetzt trug – und kroch unter das Federbett. Nachdem sie ihre Hände am Körper gewärmt hatte, stützte sie sich auf ihre Ellbogen. Sie zündete die Kerze an, denn im dämmrigen Licht ihrer Schlafstatt konnte sie nicht viel sehen. Dann nahm sie die Kontenkladde und las noch einmal die letzten Zeilen, die sie gestern geschrieben hatte.

Auch wenn alles schläft und eine völlige Ruhe herrscht, sind Wohnungen und Häuser nachts voller Geräusche. Es ist wie ein leises, kaum hörbares Summen, als ob sie ihre eigenen Träume hätten.

Annette hielt inne. Dann nahm sie den Bleistift und schrieb weiter.