19
Der kleine Mann
Sie schlichen in den Heizungskeller.
In der virtuellen Version erinnerte die Umgebung eher an das Innere der Hölle als an den Betriebsraum einer öffentlichen Highschool. Wie die Wände dank der Ranken und Risse ein makabres Aussehen angenommen hatten, pulsierten auch die Flammen des Heizkessels als glühende Dämonenaugen durch die Stutzen und Dichtungen der Heizungsrohre. Hinter dem Gitter bleckte es die roten Feuerzähne.
Sie hielten die Telefone vor sich und betrachteten den Raum, der ein ganz neues Aussehen bekam, mithilfe der winzigen Kameras. Schließlich bemerkten sie den kleinen Mann im Schatten, der sie anlächelte.
Das verwachsene Wesen saß in der Ecke auf einem Hocker. In der Realität stand dort nur der leere Hocker, doch auf den Bildschirmen hatte der kleine Mann die Beine übereinandergeschlagen. Ein verstümmelter Fuß hing lahm herab. Mit beiden Händen hielt er ein Werkzeug, das ein Hammer sein mochte, auf dem Schoß fest.
Seine Stimme drang aus den Lautsprechern der Handys. »Seid gegrüßt. Was führt euch hierher?«
»Das darf nicht wahr sein«, stöhnte Vanhi.
Das Wesen sprach lebhaft, aber mit der Stimme eines Greises, wie man es in alten Zeichentrickfilmen am Sonntagmorgen beobachten konnte. Wie der Cryptkeeper oder der Dungeonmaster. Er war eine wunderschön dargestellte Spielfigur, realistisch, aber auch ein wenig comichaft, und vollkommen
entspannt im Kreis der sehr realen Vindicators. Da seine Stimme gleichzeitig aus allen Handys kam, entstand der Eindruck, der Sprecher befände sich tatsächlich in dem Raum.
»Das ist irre«, sagte Alex.
»Rede mit ihm.« Kenny schob Peter nach vorne. »Du bist hier der coole Typ.«
»Du bist der Bibelexperte.«
»Ich glaube nicht, dass der Typ aus der Bibel kommt.«
»Ich bin Hephaistos«, erklärte der kleine Mann und ignorierte die Tatsache, dass sie unhöflich über ihn sprachen, als sei er überhaupt nicht da.
»Ich bin Kenny.«
»Gut gemacht«, flüsterte Peter.
»Hephaistos, was tust du hier?«, fragte Vanhi laut, als redete sie mit einem Kind.
»Ich glaube, er ist virtuell, aber nicht zurückgeblieben«, flüsterte Alex.
»Wie ich sehe, kennt ihr den Code«, fuhr Hephaistos fort. »Zwei-eins-drei-sechs. Meine Zahl jedoch lautet zwei-zwei-eins-zwei.«
»Schön. Das ist gut zu wissen«, sagte Vanhi. Es machte ihr sichtlich Spaß.
»Ich bin der Gott der Schmiede«, erklärte der Alte. »Die Ägypter nannten mich Ptah. Bei den Nordmännern war ich Wieland. In Ugarit kannte man mich als Kotar-wa-Chasis. Und bei den Griechen war ich natürlich Hephaistos.«
»Ich werde dich George nennen«, entgegnete Peter.
Unbeeindruckt hüpfte der kleine Mann vom Hocker und richtete sich mit einem Gehstock auf, der an der Wand gelehnt hatte. Er humpelte zum Heizkessel. Bei jedem Schritt berührte sein Stock klickend den Boden, die Geräusche kamen aus ihren Lautsprechern. Es war eine wundervolle Illusion. Er tippte auf den Heizkessel. »Willkommen im Berg Ätna. Wünscht ihr, den Hauch Gottes zu sehen?
«
Natürlich wollten sie.
»Hm, da gibt es nur ein Problem.« Hephaistos kratzte sich am Kinn. »Ich habe euch schon meine Zahl gesagt. Ich glaube, ich brauche noch etwas anderes. Ja, das ist wohl nötig. Aber was könnte es sein?«
Er überlegte. Der kleine Schmied war trotz seiner Deformierung beinahe niedlich. Schließlich grinste er von einem Ohr zum anderen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Er strahlte begeistert, aber auch ein wenig finster.
»Ich weiß!«, sagte er fröhlich. »Wie wäre es mit einem Opfer?«