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Einsen und Nullen
Die offizielle Umbenennung von »Weltausstellung« zu »Charlie’s Burger« geschah am Abend. Es ging ganz leicht, und Arthur staunte immer noch über sein großes Glück. Er konnte den vorherigen Manager einfach ablösen und ein provisorisches Schild aufhängen. Die Mitarbeiter hielten alles am Laufen wie ein Uhrwerk, als wäre nichts geschehen. Sie verteilten Flugblätter im Viertel, verkündeten den Namenswechsel und versprachen für den ersten Abend zehn Prozent Rabatt: Dasselbe gute Lokal, ein neuer Name! Sie posteten Beiträge bei Yelp und auf Facebook und Instagram.
Und dann warteten sie.
Würde überhaupt jemand kommen?
Die einzige Veränderung, die Arthur bisher vorgenommen hatte, bestand darin, dass er den Mitarbeitern das Geheimrezept für seine Soße gezeigt hatte. Es war nicht schwer – ein Drittel Worcestersoße, ein Drittel Sojasoße, ein Drittel Senf –, doch er wollte ganz sicher sein, dass alles richtig war, ehe sie die Burger damit bestrichen. Charlie beobachtete seinen Dad, der in dem Trubel aufging, und beschloss, nach draußen zu schleichen und sich eine Pause zu gönnen.
Vanhi saß auf der vorderen Veranda, als er zu Hause eintraf. Sie ließ über der Treppe die Beine baumeln. Ihr rotschwarzes Haar leuchtete hell und fröhlich im Sonnenlicht.
Sie lächelte, als sie Charlie sah. »Warum bist du so glücklich? Hast du dich mit Mary getroffen?« Vanhi zog eine Augenbraue hoch .
»Ich habe sie seit der Verabredung im Wald nicht mehr gesehen.«
»Seit du sie im Wald geküsst hast.«
»Seit sie allen Männern abgeschworen hat.«
»Braves Mädchen.«
»Und sie hat eine hässliche Nachricht geschickt, was für ein sozialer Härtefall ich doch sei.«
»Was?« Vanhi klopfte neben sich auf die Veranda. Als er hochsprang, hörte Charlie helles Gelächter hinter der Ecke, und da kam auch schon Vik aus dem Garten nach vorne gerannt.
»Charlie, Charlie!«
»Oh, du hast Vik mitgebracht?«
»Ich muss auf ihn aufpassen. Unsere Eltern arbeiten heute beide.«
»He, Mann.« Charlie zauste Viks Haare, während ihn der Junge umarmte.
»Er mag dich«, sagte Vanhi.
»Bin gleich für dich da«, versprach Charlie ihm.
Sie sahen ihm nach, als er wieder weglief, um im Garten zu spielen.
»Was ist mit dieser Textnachricht? Spionierst du Mary nach?«
»Nein, Peter hat sie mir gezeigt.«
Vanhi seufzte. »Woher weißt du, dass sie echt ist?«
»Vom Spiel zertifiziert, das hat Peter gesagt.«
Vanhi starrte ihn lange an, dann schüttelte sie den Kopf. »Woher weißt du, dass er die Wahrheit sagt?«
»Warum sollte er lügen?«
»Denk doch mal an ihn und Caitlyn.«
»Na und? Er will trotzdem, dass es mir gut geht.«
»Du siehst ihn nicht sehr klar. Das konntest du noch nie.«
Sie funkelten einander an.
Schließlich schüttelte Charlie den Kopf und wechselte das Thema. »Warum besuchst du mich? «
»Ich … ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut.«
»Was denn?«
»Dass ich neulich dagegen gestimmt habe, mit dem Spiel aufzuhören.«
»Hast du gestern Abend gespielt?«
»Wir wurden von einer Gruppe digitaler Stiermänner verfolgt. Es war irre.«
Charlie spürte einen eifersüchtigen Stich, als er sich vorstellte, wie sie ohne ihn spielten. »Sind denn schon all deine Träume wahr geworden?«, fragte er sarkastisch.
»Und deine?«, gab sie sofort zurück.
»Es war ein guter Tag. Mit meinem Dad ist es … es ist beinahe wieder wie vorher.«
»Wirklich? Aber warum?«
Er zögerte, dann erzählte er ihr von dem Restaurant.
Sie sah ihn schräg von der Seite an. »Du weißt doch, dass es nur …« Sie musste es nicht aussprechen. Es konnte nur das Spiel sein.
»Das weißt du nicht genau.«
»Der Mann, der so unvermittelt aufgeben musste … ihm ist sicher irgendetwas passiert …«
»Hältst du mich für einen Heuchler?«
»Nein. Ich meine … es ist ja für deinen Dad, aber …«
»Vergiss doch mal dein Urteil, ja? Ich bin derjenige, der aufhören wollte. Und lass auch Peter in Ruhe. Du wolltest ihm schon immer an den Karren fahren, seit er dabei ist.«
»Angeblich dealt er mit Drogen, Charlie. Das weißt du doch, oder?«
Charlie zögerte einen Moment. Er dachte an die braune Papiertüte, die Peter Zeke hatte zukommen lassen wollen. Und er hatte sie überbracht. Er schob den Gedanken weg.
»Das ist Unsinn. Er hat nie etwas in dieser Art gesagt.«
»Das war so auf der St. Luke’s, und jetzt hört man es auch hier. «
»Warum sollte er das tun? Er braucht das Geld nicht.«
»Das stimmt. Er tut es, weil es ihm Spaß macht.«
»Du verbreitest Lügen.«
»Charlie …«
»Er ist der Einzige, der für mich da war, als meine Mom gestorben ist. Was hast du da getan?«
»Was?«
»Was hast du da getan, verdammt?«
Vanhi schossen die Tränen in die Augen. »Charlie, ich … ich wusste nicht, was ich … ich habe es ja versucht.«
»Du hast überhaupt nichts gemacht. Also hör auf, ihn schlechtzumachen, und schau mal in den Spiegel.«
»Warum streitet ihr euch?«, wollte Vik wissen.
Sie wussten nicht, wie lange er schon hinter ihnen auf der Veranda stand und zuhörte.
Vanhi setzte sofort ein Lächeln auf, um Vik zu zeigen, dass alles in Ordnung war. »Komm her, Vik, lass uns gehen.«
»Du bist nur neidisch auf Peter, aber du warst nicht da«, fauchte Charlie, während Vanhi Vik bei der Hand nahm und zum Auto ging. »Du bist eifersüchtig auf Mary, aber mit mir wolltest du dich nicht verabreden. Du sagst, ich soll mich nicht verzetteln, aber dann ist dir das Spiel wichtiger als ich. Mensch, wer bist du eigentlich, Vanhi? Was willst du?«
Sie fuhr herum. »Kapierst du es nicht? Nur weil ich dich nicht liebe, heißt das noch lange nicht, dass ich dich nicht liebe.«
»Das war jetzt sehr hilfreich.«
Vanhi sah ihn finster an. Sie öffnete die Tür und half Vikram in den Kindersitz.
»Genau das ist mein Problem mit euch Computergurus«, fuhr sie ihn über die Schulter hinweg an. »Ihr wollt alles schwarz oder weiß sehen, es gibt nur eins oder null. So ist die Welt nicht, Charlie.« Sie drückte Viks Hand und schnallte ihn an. »Die Welt ist ein gewaltiger grauer Misthaufen.«