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Vorbereitung
Sie hatten einen Plan. Charlie drängelte sich durch den überfüllten Flur. Kenny blieb in der Bibliothek und bereitete sich vor. Charlie würde Peter suchen, und Vanhi holte die Ausrüstung.
Charlie hatte Vanhi am Handgelenk festgehalten. »Lass uns zusammen gehen.«
»Nein, ich komme schon klar.«
»Vanhi, ich habe sie gesehen. Die anderen Spieler. Du nicht.«
»Das sind nur Kinder.«
»Nicht alle. Und dann der Typ, der mich mit dem Baseballschläger verprügelt hat. Das Auto, das beinahe Kenny überfahren hätte.«
»Ich kann schon auf mich aufpassen.«
Trotzdem wirkte sie unsicher. Ihr Heldenmut war gespielt. Wie hatte ihm das nur die ganze Zeit entgehen können?
»Ich weiß, aber …«
»Charlie, wir haben unsere Aufgaben. Erledige du deine.«
Sie wollte sich nicht mit ihm streiten und berührte zärtlich sein Gesicht, ehe sie ging.
Auf dem Weg zu seinem Auto fing ihn Mary ab. Er hatte sie den ganzen Tag noch nicht gesehen, weil die Versammlung alles durcheinandergebracht hatte.
»Hübsche Plakate«, bemerkte sie trocken.
»Ich habe nicht … tut mir leid.«
»Schon gut. Wir waren uns einig, getrennte Wege zu gehen. Ich wusste nicht, dass das für dich so viel wie verbrannte Erde bedeutet. Aber trotzdem, gut gemacht. «
»So ist das nicht.«
Sie tat den Einwand mit einer Geste ab. »Ich wollte dir etwas sagen.«
Er dachte an den hässlichen Chatverlauf: Für einen Loser? »Das geht leider nicht, ich habe es eilig.«
»Ich wollte dir erklären, warum ich Tim nicht verlasse.«
Charlie erstarrte.
»Das bin ich dir schuldig«, fügte sie hinzu.
Peter traf sich mit Caitlyn. Caitlyn hatte darauf bestanden, sich in einem freien Klassenraum zu verabreden, wo sie niemand sehen konnte.
»Wir müssen uns nicht mehr lange so verstecken«, sagte Peter glücklich.
»Was redest du da?«
»Ich weiß, was dein Freund heute mit Alex gemacht hat. Es war schrecklich.«
»Das war es.«
Peter staunte, dass sie ihm zustimmte. »Dann wird es vielleicht gar nicht so schwierig, wie ich dachte.« Er zückte sein Handy.
Ohne weitere Erklärung zeigte er ihr das heimlich aufgenommene Video mit Kurt und dem anderen Mann, der Dan hieß, in einer innigen, begierigen Umarmung.
Er beobachtete ihre Miene. Sie wandte sich nicht ab und zuckte nicht zusammen. Als es vorbei war, sah sie ihn stumm an.
»Und?«
»Und was?« Caitlyn war weder wütend noch schockiert und reagierte überhaupt nicht auf die Art und Weise, die er sich erhofft hatte. Vielleicht war sie ein wenig müde, aber besonders überrascht wirkte sie nicht, und sie bestritt es auch nicht.
»Wusstest du das etwa?« Peter hatte das Gefühl, unter seinen Füßen täte sich ein Abgrund auf .
Sie zuckte leicht mit den Achseln und starrte ihn an.
»Hat er es dir gesagt?«
»Bei Gott, nein. Ich glaube nicht, dass er das überhaupt kann.« Es war nicht einmal gemein. Es klang, als meinte sie es völlig ernst – als fehlte Kurt das Vokabular, um sich zu erklären.
»Wie dann?«
»Es gibt Dinge, die man nicht vorspiegeln kann«, sagte sie sanft.
Allmählich dämmerte es Peter, und was er sah, war etwas, mit dem er nicht leben konnte.
»Meinst du damit …« Er hielt inne und versuchte, es auf die Reihe zu bekommen. »Du hast es gewusst und dich trotzdem nicht für mich entschieden?«
Sie legte ihm nicht die Hand auf den Arm, sprach nicht mitfühlend und tat auch sonst nichts, um ihn irgendwie zu trösten. Ihr Leben war ausgesprochen unschön verlaufen, nachts hatte sie oft ein Monster heimgesucht. Sie schlief mit Peter, weil sie ihn körperlich begehrte, aber das war auch alles. Sie nahm ihn zu ihren Bedingungen und empfand kein Bedauern. Er war siebzehn. Sie hatte mit zwölf viel Schlimmeres ertragen. Mitgefühl war eine Regung, die sie nicht mehr kannte. Selbst bei Careloft brachte sie Stärke mit, aber keine Sympathie.
»Dir ist ein Schwindel wichtiger als das, was wir haben. Warum?«
»Falls er sich mir entzieht und etwas Unüberlegtes tut … dann sagen die Leute, ich hätte es die ganze Zeit gewusst … oder sie sagen, ich hätte es nicht gewusst … wie auch immer, im letzten Jahr lasse ich mich nicht mehr demütigen. Ich bin so weit gekommen. Meine Eltern haben sich nie geliebt und waren trotzdem dreißig Jahre zusammen. Ich schaffe den Abschluss.«
»Nicht, wenn ich das veröffentliche.« Peter hob das Telefon .
»Wenn du das machst, siehst du mich nie wieder.« Ihre Augen waren kalt. »Die Welt ist, wie sie ist, Peter. Gewöhn dich dran.«
Vanhi ging allein zum Parkplatz. Ihre Aufgabe bestand darin, nach Hause zu fahren und alle alten Laptops zu holen, die sie aufbewahrt hatte, um die Teile wiederzuverwerten. Sie sollte die Bluetooth- und WLAN -Schnittstellen entfernen und alles bis auf das Nötigste ausbauen. Keine Zugänge, keine Angriffswege. Mehr als ein Air Gap. Eine verschlossene Kiste.
Sie schauderte, als sie sich an die Unterhaltung mit dem falschen Mitarbeiter im Zulassungsbüro erinnerte.
Verräter werden gefickt und durchgevögelt.
Willst du gefickt und durchgevögelt werden, du Ratte?
Alles, was bösartig und widerwärtig war, zusammengefasst in einem einzigen Anruf. Toxische Maskulinität oder toxische Elektrizität. Sie war nicht sicher, was hier zutraf.
Du musst meinen Schwanz lutschen.
Schönen Dank auch, Spiel.
Graue Wolken zogen vorbei. Vanhi raffte die Jacke enger um sich, als der Wind auffrischte. Sie hielt Ausschau nach Rattenfickern und begierigen Schwänzen. Der Parkplatz war so leer, dass jede Bewegung ins Auge sprang. Deshalb bemerkte sie auch sofort den Mann auf der anderen Straßenseite.
Beobachtete er sie? Sie konnte es nicht sagen. Charlie hatte berichtet, das Spiel sei voller Figuren, die sie ausspionierten.
Gehörte er dazu? Ein lebender Mensch?
Sein Gesicht war noch nicht erkennbar, aber er hielt anscheinend Schritt mit ihr, ohne sie anzuschauen. Er bewegte sich einfach nur parallel zu ihr, die Hände tief in die Taschen geschoben. Warum? Weil es kalt war? Weil er ein Messer hatte? Suchte er eine Ratte, die er ficken und durchvögeln konnte ?
Sie ging schneller, er folgte ihrem Beispiel. Sie sah nicht in seine Richtung. Das würde sie nur bremsen. Ihr Auto war noch zwanzig Meter entfernt.
Die Schlüssel steckten im Rucksack – scheiße!
Warum waren sie nicht in der Hosentasche?
Es kam auf Sekunden an, und sie musste herumkramen.
Eine Frau zu sein bedeutete, auf der Straße ständig ein ängstliches Kribbeln zu spüren, als wäre jeder Mann ein Lotterielos: Freund, Räuber, gutherzig, Vergewaltiger.
Aber dies war kein gewöhnlicher Tag. Und der Mann folgte ihr eindeutig, weil er im Zickzack lief und auf einem eigenartigen Kurs die Straßenseite wechselte, um auf ihre Seite zu gelangen.
Sie schwang den Rucksack herum und fischte die Schlüssel heraus, ohne auch nur einen Schritt langsamer zu gehen. Das Auto ließ sich mit der Fernsteuerung öffnen, doch sie hatte den altmodischen Metallschlüssel zwischen die Finger geklemmt, sodass er herausragte wie ein kleines Messer. Sie ließ sich nicht unterkriegen, nicht heute. Und wenn doch, würde sie kämpfend untergehen.
Sie hörte bereits die Schritte hinter sich, der Kies knirschte. Wie nah war er schon?
Es war sinnlos, sich umzudrehen. Damit hätte sie nur wertvolle Sekunden vergeudet.
Sie rannte los und öffnete aus drei Metern Entfernung die Türen.
Penetration unnötig. Nur Wellen und Elektrizität.
Du musst meinen Schwanz lutschen.
Nein, ich glaube nicht.
Als sie eine Hand auf der Schulter spürte, fuhr sie herum und stieß mit dem Schlüssel zu.
Er schlug die Hand weg, doch sie hob die andere Hand und traf die Nase des Mannes. Er taumelte vor Schmerzen zurück, und schon war sie im Auto und knallte die Tür zu, trat das Gaspedal durch und fuhr über den Betonhöcker, der vor ihr den Parkplatz begrenzte. Es knirschte unter dem Auto. Sie fuhr weiter und sah im Rückspiegel den Mann, der mit einem Knie auf dem Boden hockte.