Mir bleibt keine Möglichkeit zu reagieren, so schnell passiert es. Meine Kraft ist wie ein Orkan, der meinen Körper zu Boden reißt. Ich keuche unter ihrer Energie. Wieder schreit Tay und ich schnappe nach Luft, als ein Knistern auf ein weiteres folgt, immer lauter, bis vor mir ein bunter Blitz aufleuchtet.
Obwohl ich es besser weiß, stolpere ich auf das Licht zu. Schmerz jagt durch mein Bein, doch er bedeutet mir nichts.
Ich breche neben Tay zusammen. Es ist zu spät.
Mehr und mehr Nebel strömt aus seinem Körper, fließt ihm aus Mund, Augen und Ohren. Das, was von seiner menschlichen Hülle noch übrig ist, bebt. Nach wie vor ist alles von seinem tödlichen Nebel umgeben, den ich allmählich auf meiner Haut und der Zunge spüre. Doch der süßlich-lähmende Geschmack ist mir egal. Mit letzter Kraft beuge ich mich über Tay und schluchze.
»Hexe?«, flüstert er schwach. »Ich schaffe es nicht.«
»Tay, doch. Ganz bestimmt. Bitte.«
»Nimm den Kristall.«
»Tay«, bitte ich, flehe ich. »Bitte bleib.«
»Hexe - ich hab dir im Herbst versprochen, dass ich dafür sorge, dass du überlebst. Von mir war nie die Rede.« Tays Stimme bricht. Mittlerweile kann ich die Form seiner Arme und Hände nicht mehr erkennen. Nur noch sein Gesicht zeichnet sich ab.
»Aber...«
»Ich habe Marianos Worte vorhin mit angehört, Pearl ist in diesem Kristall. Deshalb versuchte ich alles, um ihn aufzubekommen. Bitte öffne du ihn und lege ihn neben mein Licht. Mit Pearl habe ich alles, was ich immer wollte.« Tays menschliche Hülle wird fahl und dann ... verschwindet sie.
Ich strecke die Arme nach Tay aus und greife in die Luft.
Tays Hülle hat sich aufgelöst, von ihm ist nur ein Lichtblitz geblieben, der sich auf eine Ecke im Raum stürzt, als würde er mir dort ... etwas zeigen wollen. Oh Gott.
Ich humple mit zusammengebissenen Zähnen an Dec vorbei, der noch immer neben seinem toten Vater kauert und leise wimmert, zu der Stelle, wo Tays Licht eingeschlagen ist. Beim Vorbeigehen bücke ich mich umständlich und hebe den Kristall neben Decs Fuß auf. Er wehrt sich nicht dagegen. Und solange Dec lebt, ist das Portal nicht geöffnet.
Ich spüre seinen Blick im Rücken, als ich vor einem einzelnen Licht stehen bleibe, das sich nicht mit den anderen zu einem Lichtball geformt hatte, und deshalb wie ein von Nebel umgebenes Irrlicht umherschwebt. Marc. Ich sehe ihn an, und niemals werde ich die Wärme, das Gefühl einer liebevollen Umarmung vergessen, welches von diesem Licht ausgeht. Ich versuche für Marc zu lächeln, als ich den Kristall neben sein Licht lege.
»Alles wird gut«, flüstere ich. »Tay hat es mir versprochen. Du hast dich nicht mit den anderen vereint, weil du nicht gehen willst. Auch wenn Mariano behauptet hat, dass ich dich nur einfrieren konnte, weil der übergeordnete Plan einer Rückkehr über unsere Liebe siegt, so glaube ich nicht daran. Am Ende ist es unser Wille, der uns zusamenhält, oder? So wie Tay es gesagt hat.«
Der Kristall knackt, als hinter mir Geknurre losgeht. Ich drehe mich langsam um und hebe den Kopf. Über Dec steht, die Hände um seinen Hals gelegt, Kara. Ihre Gestalt ist halb zerfetzt, und ich bin fast froh, als sie ein neuer Schwall Flüssigkeit trifft und Karas Hülle sich auflöst. Doch neben ihrem Licht, das sofort zu den anderen gleitet, liegt Decs toter Körper.
Auf diesen Gedanken hin bricht der Kristall beinah geräuschlos auseinander, ein Licht entweicht daraus und verschwindet in dieselbe Richtung wie Tays, als würde es ihm folgen wollen.
Damit sind Pearl und er vereint. Ich will es so sehen.
»M-Möchtest du in den Kristall? Also, w-willst du bei mir bleiben? «, frage ich Marcs Licht, das auf meine Frage aufflakkert und in den Kristall hineinjagt, woraufhin sich der wieder sorgsam von selbst verschließt.
»Danke«, flüstere ich.
Das Eis schießt aus meinem Körper und mir bleibt die Luft weg. Es dringt aus mir hinaus, ich kann micht nicht mehr rühren. Meine Arme und Beine reagieren nicht. Es reißt mich zur Seite weg, aber ich fühle noch immer nichts. Ich glaube, dass ich schreie, aber sicher bin ich mir nicht. Vor meinen geschlossenen Lidern wird es unglaublich hell, dann wieder dunkel.
Und jetzt ... bin ich alleine.