~  Auftakt  ~
Leben mit dem kalten Prinzen

Ein Dämon kreischte und Ginny wachte aus schweren Fieberträumen auf. Sie lag allein im Bett. Draußen ging der Monsunregen nieder und nass glänzendes blaues Licht fiel durch die geöffnete Tür. Sie versuchte sich zu erheben, aber ein schwerer Schatten lastete auf ihr. Das Gespinst des Moskitonetzes hielt sie gefangen.

Ihren Ehemann sah sie von der Türöffnung gerahmt im Gegenlicht auf der Veranda stehen. Silberne Regentropfen umgaben ihn. Im Hintergrund wogte und schimmerte in einem geschmeidigen Tanz das dichte Gewirr des Regenwaldes. Unhörbar verlor sich sein Schrei im Sturm, mit dem er sämtliche Bewohner der Anderswelt herbeirief, all ihre Albträume. Mit seinen Händen wob er einen weißen Zauber. Sie spürte sein Entsetzen und seinen Trotz, als er sie aufforderte, endlich zur Tat zu schreiten; spürte den Dschungel erzittern, als dieser das Schreckliche ausspie. Die heiße, feuchte Luft wogte, als sie kamen.

Er war eins mit ihnen, wild und wahnsinnig. Das unsichtbare Gewicht, das sie niederdrückte, war Entsetzen. Sie versuchte zu schreien –

Ginny erwachte. Es regnete, aber alles war dunkel und die Tür geschlossen. Ihr Ehemann lag ruhig atmend neben ihr unter dem Zelt des Netzes. Sie setzte sich auf und versuchte keuchend der feuchtschweren Luft ein wenig Sauerstoff abzuringen.

Ihr Blick fiel auf Lawrence’ ernstes Gesicht mit den gemeißelten Zügen unter dem schwarzen Haar, und sie wusste, dass sie nicht länger bleiben konnte. Immer wieder hatte sie es versucht, doch es brachte sie um. Sie verzehrte sich nach England mit seinen kühlen, grünen Landschaften und freundlicheren Feengefilden.

»Ginny?«, sagte er und regte sich.

»Hier gibt es etwas, das uns hasst«, flüsterte sie. »Ich kann es spüren.«

»Nicht schon wieder.« Seiner Stimme war der Überdruss anzuhören.

»Ich weiß.« Sie zog ihre Finger durch das rabenschwarze Gewirr ihrer Haare. »Das bin nicht ich. Ich bin eine erwachsene Frau, eine Mutter, ein lebenslängliches Mitglied der Weisen und Alten. Gewissermaßen ist das der Punkt.«

»Inwiefern?«

»Wenn ich sage, dass etwas uns zerstören will, dann entspricht das der Wahrheit.«

Sie hörte ihn seufzen. »Und indem du wegläufst, willst du zulassen, dass es gewinnt?«

»Ich laufe nicht weg, Lawrence«, sagte sie sanft. »Ich möchte nach Hause.«

In seinen Augen glänzte kalte Wut. Ihr geliebter kalter Prinz, ihr Ehemann, den sie in Wahrheit gar nicht kannte. »Wir können nicht nach Hause«, sagte er. »Unser Leben ist hier. Unser Unternehmen.«

»Dein Unternehmen ist in New York und London. Dein Leben in England. Andere könnten die Geschäfte hier leiten, aber das willst du ja nicht.«

»Du weißt warum. Ich muss es beschützen … vor Barada.«

»Aber er ist es doch, der uns zerstört!« Bei früheren Gelegenheiten hatte sie klein beigegeben, aber jetzt war ihr alles egal. »Schluck deinen Stolz hinunter«, zischte sie. »Verkauf an Barada.«

»Nicht in tausend Jahren.« Seine Stimme war hart. »Er kann es sich gar nicht leisten.«

»Das Geld zählt doch nicht!«

»Es geht auch nicht ums Geld«, antwortete er ruhig, doch mit der Schärfe eines Rasiermessers. »Das solltest du doch vor allen anderen begreifen. Ich werde meine Arbeiter nicht im Stich lassen und nicht auf mein Geburtsrecht verzichten.«

»Geht es dir wahrhaftig um die Wahrung deiner Interessen? Oder verbirgst du mir etwas?« Ihre Worte waren gehässig und er reagierte darauf mit der kalten Feindseligkeit seines Blicks. Ginny wich innerlich zurück. »Ich weiß, dass die Mine dir alles bedeutet. Aber Sam und Jon brauchen uns auch. Denk doch mal an sie.«

»Sie sind stark«, erwiderte er.

»Nein, das sind sie nicht.« Jedes Mal, wenn sie ihren Zeh in den Wasserfall der Schuldgefühle streckte, riss es ihr die Haut auf. »Es sind kleine Jungs.«

»Die stark werden müssen, damit sie in dieser Welt überleben können. Ich nehme sie nicht aus der Schule.«

»Darum bitte ich dich auch gar nicht.« Ginny streckte ihre Hand aus, um seinen Arm zu berühren. Er fühlte sich an wie Stein, eine Statue aus Eis. »Aber ich muss nach Hause. Dieser Ort bringt mich um.«

Er erwiderte nichts darauf. Ihr Mut sank und der Kummer schnürte ihr die Kehle zu. Sie ließ ihre Hand fallen. Das Schweigen war wie ein Meer aus dampfendem Regen und vor dem Morgengrauen lagen noch viele Stunden schlafloser Fieberträume.

Nach einer Weile durchdrang Lawrence’ Stimme weich die Dunkelheit. »Wenn Menschen träumen, erschaffen sie sich Elfen und Engel, Teufel und Vampire. Aber wenn wir träumen … wenn wir träumen … was erschaffen wir dann für uns?«