Eivor Bohm wirft ihrem Enkelkind einen zärtlichen Blick zu. Ellen steht vor der Vitrine in einem der Cafés in der Einkaufspassage. Vor ihr liegen Plunderteilchen, Tortenstücke, Biskuit und weiteres Backwerk. Sie beugt sich so nah an die Scheibe, wie sie nur kann. Die kleinen, runden Kinderhändchen hinterlassen Abdrücke auf dem beschlagenen Glas.
Eivor sieht, dass Ellen ein Schokobrötchen mit Hagelzucker ins Visier genommen hat. Es ist so groß, dass es für sie beide reichen würde. Trotzdem bestellt Eivor zwei davon, dazu eine Tasse Tee und ein Glas Orangensaft.
Sie führt Ellen zu einem Tisch weiter hinten. Vor dem Schaufenster eilen Passanten vorbei. Es ist kurz nach vier Uhr am Nachmittag, die Leute sind auf dem Heimweg. Eivor stellt den Saft vor Ellen ab und nippt bedächtig an ihrem Tee. Zufrieden sieht sie, wie Ellen in das Schokobrötchen beißt. Es gibt niemanden auf der Welt, den Eivor mehr liebt als dieses Mädchen.
Vor zweiundvierzig Jahren kam Eivors und Stens einziges Kind zur Welt: Magnus. Das Paar hatte – Gott hab Sten selig – zuvor lange versucht, Kinder zu kriegen, fünf lange Jahre, um genau zu sein; damals war von diesen IVF-Methoden noch keine Rede, da hieß es dranbleiben, am Partner und am Zeugungsprozess. Sten quittierte es mit einem Schmunzeln und bemerkte gern, dass all diese Versuche doch ziemlich nett seien. Eivor kicherte dann nur, war aber insgeheim vor Sehnsucht nach einem Kind schier zerrissen. Nach fünf Jahren der Hartnäckigkeit wurde sie endlich schwanger. Magnus, ihr Engel und Kind der Liebe, erblickte das Licht der Welt. Sten heulte wie ein Baby, als der Junge geboren war. Eivor indes sah Magnus nur völlig fassungslos an. Wie war es nur möglich, einen anderen Menschen so sehr zu lieben?
Siebenunddreißig Jahre später kam Ellen zur Welt, und ihre Gefühle für sie hauten Eivor schier um. Sie rollten wie eine Dampfwalze über sie hinweg. Man liebt seine Kinder mehr als alles andere auf der Welt – zumindest bis sie selbst Kinder kriegen.
Ellens Pumpe piept und reißt Eivor aus ihren Gedanken. Sie zieht Ellens Stuhl an sich heran und sieht unter den Pullover der Kleinen. Routiniert liest sie den Wert vom Display ab. Natürlich hat ihr Stoffwechsel auf das Brötchen reagiert, alles andere wäre auch eigenartig. Die Pumpe versorgt Ellen mit der täglichen, eingespeicherten Dosis Insulin, ohne dass jemand darüber nachdenken müsste. Doch wenn Ellen mehr als sonst isst, braucht sie mitunter eine Extradosis.
Diesmal sind es zwei zusätzliche Einheiten. Eivor drückt zweimal auf die große graue Taste oben an der Pumpe. Das Gerät piept erneut, und das Display springt um. Sie zieht Ellens Pullover wieder zurecht und drückt dem Mädchen ein Küsschen auf den Scheitel.
Sie essen und trinken fertig. Ellen schafft kaum die Hälfte des Schokobrötchens, aber den Saft trinkt sie aus.
Inzwischen ist draußen weniger los. Ellen wischt Hagelzucker vom Tisch und sieht amüsiert zu, wie die kleinen Körnchen auf den Fußboden fallen. Sie lacht, als sie in alle Richtungen kullern. Eivor lächelt verlegen, lässt der Kleinen aber den Spaß.